Perspektive

Ein amerikanischer Albtraum: Neun Immigranten ersticken in geparktem Anhänger

Während sich US-Präsident Donald Trump am Samstag in Virginia vor Seeleuten mit "Amerikas Stolz und Prestige" brüstete, wurde in San Antonio (Texas) ein amerikanischer Albtraum wahr.

Auf dem Parkplatz eines Wal-Mart wurden im verschlossenen Anhänger eines Lastwagens neun tote Immigranten gefunden, 19 weitere befinden sich in Lebensgefahr. Der Anhänger hatte 24 Stunden lang bei einer Temperatur von fast 38 Grad dort gestanden.

Am Sonntagmorgen, kurz vor 0:30 Uhr, konnte sich einer der gefangenen Immigranten aus dem Anhänger befreien und einen Wal-Mart-Beschäftigten um Wasser bitten. Dieser verständigte daraufhin die Polizei.

Polizei und Einwanderungsbeamte trafen ein und nahmen die Immigranten fest, als sie aus dem Anhänger auf den Parkplatz taumelten. Als sie die Überlebenden verhaftet hatte, schleppte die Polizei die Leichen der acht Menschen heraus, die an Hitzeschlag oder Dehydrierung gestorben waren, darunter auch zwei Kinder. Eine weitere Person starb am Sonntag im Krankenhaus.

Der Wal-Mart blieb am Sonntag geöffnet.

Man kann sich nur schwer vorstellen, welch höllische Bedingungen die Migranten ausgestanden haben. In der erdrückenden Hitze hatten sie kaum Luft bekommen. Der Brandmeister von San Antonio Charles Hood erklärte, die Körpertemperatur der Überlebenden sei sehr hoch gewesen, die Herzschlagfrequenz habe bei allen über 130 Schlägen pro Minute gelegen.

Aufgrund von Berichten, laut denen einige der Migranten von dem Parkplatz fliehen konnten, begannen Polizei und Einwanderungsbehörde eine Suchaktion in den umliegenden Gebieten, die bis mehrere Stunden nach Beginn der Morgendämmerung andauerte. Ein Helikopter mit Suchscheinwerfer flog über die nahegelegenen Wälder.

Nur die Leichen dürfen zur Beerdigung in den USA bleiben. Die Überlebenden werden vermutlich in Haftzentren weggesperrt und sofort abgeschoben, vermutlich ohne Recht auf einen Prozess oder eine Anhörung.

Der amtierende Direktor der Einwanderungsbehörde (Immigration and Customs Enforcement –ICE) Thomas Homan äußerte sich folgendermaßen:

„Das schreckliche Verbrechen, das wir letzte Nacht aufgedeckt haben, soll uns ins Gedächtnis rufen, warum die Verantwortlichen für Schleusernetzwerke verfolgt, verhaftet und bestraft werden müssen [...] Diese Netzwerke haben mehrfach eine fahrlässige Missachtung für die Menschen gezeigt, die sie schmuggeln [...] Die Männer und Frauen der ICE sind stolz, gemeinsam mit unseren Partnern in der Polizei zu kämpfen, um die Öffentlichkeit und die potenziellen Opfer der gefährlichen Praktiken zu schützen, bei denen es nur um unrechtmäßige Profite geht.“

Diese Äußerung muss irgendwann bei einem Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit als wichtiges Beweismittel gelten. Die Ankläger werden darauf hinweisen, dass das Geschehene ein schreckliches Verbrechen war. Es stimmt auch, dass die Verbrecher in ihrem Profitstreben eine fahrlässige Missachtung für das Leben ihrer Opfer an den Tag legen.

Allerdings sind die Hauptverantwortlichen für den Vorfall in San Antonio nicht die „Schleusernetzwerke“, sondern die ICE, die Zoll- und Grenzschutzbehörde (Customs and Border Protection – CBP) und die Politik der beiden amerikanischen Regierungsparteien. Genau wie der Brand im Londoner Grenfell Tower, bei dem Dutzende Menschen getötet worden, ist die Tragödie in San Antonio ein sozialer Mord, an dem die herrschende Klasse schuld ist.

In den 1990er Jahren riefen Demokraten und Republikaner unter Bill Clinton Programme wie „Operation Gatekeeper“ und „Operation Hold-the-Line“ ins Leben, um die urbanen Grenzübergänge zu militarisieren und Migranten zu zwingen, die Grenze in unbewohnbaren Wüstengebieten zu durchqueren.

Im Jahr 2006 verabschiedete der Kongress während der Bush-Regierung den Secure Fences Act, der den Bau von Grenzbarrieren mit einer Länge von mehreren hundert Kilometern und eine weitere Militarisierung der Grenze ermöglichte. Zu den Befürwortern dieses Gesetzes gehörten u.a. die damaligen Senatoren Joseph Biden, Hillary Clinton, Barack Obama, John McCain und Charles Schumer. Im Jahr 2010 unterzeichnete Obama ein Gesetz, durch das eine Flotte von Drohnen und 1.500 Nationalgardisten mit der Abwehr und Verhaftung von Immigranten eingesetzt wurden. Durch diese Politik wurden Tausende beim Versuch getötet, die Grenze zu überqueren.

Donald Trump macht sein Versprechen war, der ICE und der CBP „freie Hand zu geben“ und hat Schlüsselpositionen in den Einwanderungsbehörden mit faschistischen und rassistischen Beratern besetzt. Die Trump-Regierung hat in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017 bereits 60.000 Immigranten abgeschoben, 40 Prozent mehr als Obama, der unter Immigranten bereits als „oberster Abschieber“ bekannt war.

Das politische Establishment hat die Tragödie in San Antonio fast völlig ignoriert. Die Demokratische Partei reagierte darauf mit Stellungnahmen gegen die Schleuser. So erklärte der Kongressabgeordnete von San Antonio Joaquin Castro: „Die Schleuser, die für den Vorfall verantwortlich sind und keine Rücksicht auf das Leben der Menschen genommen haben, die sie transportierten, sollten die volle Strenge des Gesetzes zu spüren bekommen.“

Dass weiterhin so viele Migranten eine so gefährliche Reise unternehmen, verdeutlicht das Ausmaß der sozialen Krise in Mexiko und Mittelamerika. Nie haben sich Länder wie El Salvador, Guatemala, Honduras oder Nicaragua nach einem Jahrhundert imperialistischer Ausbeutung und Militärinterventionen von den Folgen der von den USA unterstützten Diktaturen und Todesschwadronen erholt.

Das gleiche gilt für die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, wo die Kriege der USA Millionen das Leben gekostet und viele weitere Millionen zur Flucht gezwungen haben. Tausende sind im Mittelmeer ertrunken. Im August 2015 erstickten 71 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten beim Versuch, nach Österreich zu kommen, in einem Lkw-Anhänger.

Überall auf der Welt sind Menschen gezwungen, nach Jahrzehnten wirtschaftlicher Ausbeutung und Krieg aus ihrer Heimat zu fliehen. Laut einem Bericht der UN von 2015 gibt es weltweit 65,3 Millionen Flüchtlinge, das sind mehr als die Bevölkerung von Großbritannien, Frankreich oder Italien.

Die Flüchtlingskrise ist ein Produkt des kapitalistischen Systems und erfordert eine sozialistische Lösung. Noch nie zuvor war der Widerspruch zwischen der Leichtigkeit, mit der Kapital über die Grenzen fließen kann und der Schwierigkeit für Menschen, über nationale Grenzen zu fliehen, so akut wie heute. Während die Weltwirtschaft durch das Internet, Handys und integrierte weltweite Versorgungsketten immer enger miteinander verbunden ist, schützen sich die herrschenden Klassen der „demokratischen Staaten“ immer mehr „hinter einer Mauer aus Waren und einem Zaun aus Bajonetten“, wie Leo Trotzki es formulierte.

Sozialisten lehnen die Versuche ab, „linke“ Parolen mit nationalistischem Gift in Einklang zu bringen. Figuren wie Jeremy Corbyn in Großbritannien und Bernie Sanders in den USA entlarven ihre eigene prokapitalistische Perspektive, wenn sie über eine „vernünftige Verwaltung der Zuwanderung“ reden (wie Corbyn im Parteiprogramm der Labour Party) und offene Grenzen als „rechten Vorschlag“ abtun, der „alle Amerikaner ärmer machen würde“ (Sanders im Interview mit dem Sender Vox am 18. Juli 2015).

Sozialisten lehnen die Aufteilung der Welt in Nationalstaaten ab und rufen dazu auf, die geografische Organisation der Welt mit dem internationalen Charakter der globalen Wirtschaft in Einklang zu bringen.

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