Diese Woche in der Russischen Revolution

24.–30. Juli: Die Konterrevolution erhebt das Haupt

Nach der Unterdrückung des Juli-Aufstands wird in Petrograd eine „Regierung der nationalen Sicherheit“ mit unbegrenzten repressiven Vollmachten ausgerufen. Diese Regierung erhält nicht nur die Unterstützung sämtlicher bürgerlicher und reaktionärer Parteien, sondern auch von den Menschewiki, Volkstümlern und sämtlichen Opportunisten im Petrograder Sowjet. Sie alle unterstützen den Ruf nach „Ordnung“. In der Armee wird die Todesstrafe wieder eingeführt, und Kerenski, der sich immer stärker als Bonapartist gebärdet, gibt bekannt, er werde das Land „mit Blut und Eisen“ zur Einheit zwingen.

Die offizielle Presse wütet gegen die Bolschewiki, brandmarkt sie als „deutschfreundlich“ und behauptet, sie hätten „deutsches Gold“ vom Kaiser genommen. Zur Festnahme bolschewistischer Führer werden Steckbriefe herausgegeben, und die bolschewistischen Zeitungen werden verboten. Die Bolschewiki sollen jetzt an allen Problemen des Landes schuld sein, auch an der Desorganisation der Wirtschaft, der Unruhe in der Hauptstadt und den militärischen Niederlagen.

New York, 24. Juli: Times lobt Kerenski-Diktatur in Russland

Die New York Times bejubelt die Diktatur

Die New York Times begrüßt und unterstützt die kapitalistische Diktatur in Russland und verteidigt ihre gewaltsame Durchsetzung. Ein Leitartikel vom 24. Juli fordert „Eine Diktatur für Russland“, und weitere Artikel haben folgende Titel: „Kerenski zum Diktator Russlands ernannt“ (24. Juli) und „Kerenskis Herrschaft wird gnadenlos sein“ (25. Juli).

„Aus dem Zustand paralysierter Autorität“, heißt es im Leitartikel der Times, „kann nur eine Diktatur herausführen. Und wenn Russland einen Diktator braucht, dann ist KERENSKI wohl der beste Mann, um die höchste Gewalt auszuüben.“

Die Times erklärt, dass die Provisorische Regierung schon bisher hätte erfolgreich sein können, „hätte sie sich nur den Gehorsam des russischen Volkes im Innern und der Armeen an der Front sichern können“. Verhindert habe dies „das Gift des Sozialismus und Radikalismus“, dessen „Infektion sich ausgebreitet hat, bis KERENSKI es gestoppt hat“.

Die Times stimmt in die große Verleumdung gegen Lenin als „deutschen Agenten“ ein, dem man „schon längst alle Macht hätte entziehen müssen, Unheil zu stiften“. Das Haupthindernis sei indessen der Sozialismus selbst, dessen „Vorstellungen aus dem russischen Denken vertrieben oder mindestens stark unterdrückt werden müssen“.

Die Times artikuliert die unmittelbare Furcht der amerikanischen herrschenden Klasse, dass der machtvolle Schrei nach Frieden, den die Russische Revolution erhoben hat, die alliierten Imperialisten ihrer Ostfront berauben und somit Deutschland und Österreich gestatten könnte, „ihre ganze Aufmerksamkeit“ der West- und Südfront zuzuwenden. Was sie vor allem fürchten, ist das Beispiel, das die russischen Arbeiter der Arbeiterklasse und den unterdrückten Massen in den USA und weltweit geben.

Die Times tischt ihre Vorschläge zur Unterdrückung der Massen ohne jede Scham auf. Sie dient als Sprachrohr für Wilsons fromme Redensart vom „Krieg für Demokratie“ und zeigt, dass sie – wie auch der amerikanische Präsident selbst – sofort bereit ist, die Freiheit zu zerstören, wenn die Interessen des amerikanischen Kapitalismus dies erfordern.

Ottawa, 24. Juli: Kanadisches Parlament beschließt Wehrpflicht

Demonstration gegen die Wehrpflicht 1917 in Montreal

Das kanadische Unterhaus stimmt dem Gesetz über den Militärdienst zu und erlaubt damit der konservativen Regierung von Robert Borden die Einführung der militärischen Dienstpflicht. Borden hat diese Maßnahme in einer Kehrtwende um 180 Grad am 18. Mai eingeführt, um die rasch steigenden Zahlen kanadischer Opfer an der Westfront und den Rückgang bei der Aushebung zu kompensieren. Bordens Ankündigung hat praktisch sofort große Demonstrationen provoziert; in Montreal gingen schon am 24. Mai die Menschen dagegen auf die Straße.

Die Debatte der vergangenen Wochen hat die Spaltung im Land vertieft. Die Spannungen zwischen dem französischen und dem englischen Teil Kanadas verschärfen sich, da jetzt auch die Bevölkerung von Quebec mit ihrer ausgeprägten Antikriegsstimmung zum Wehrdienst gezwungen werden könnte. Viele Abgeordnete der Liberalen Partei unterstützen die [konservativen] Tories und fallen den oppositionellen Liberalen unter Führung des früheren Premierministers Wilfred Laurier in den Rücken. Bei der Parlamentsabstimmung unterstützen praktisch alle englischsprachigen Abgeordneten die Einführung der Wehrpflicht, während die Abgeordneten aus französischsprachigen Regionen dagegen stimmen. Einen Tag später setzt Finanzminister Thomas White eine Einkommenssteuer als vorübergehende Maßnahme im Parlament durch, um die Kriegskasse zu füllen. Diese erste Einkommenssteuer des Landes wird allerdings dauerhaften Bestand haben.

Indessen wächst auch in den englischsprachigen Teilen Kanadas der Widerstand gegen die Wehrpflicht, die vor allem von der herrschenden Elite und von den jüngsten Einwanderern aus Großbritannien verteidigt wird.

Die herrschende Klasse fürchtet vor allem, dass die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht eine massenhafte Antikriegsbewegung auslösen könnte. „Die Menschen sind aufgeregt“, schreibt Monsignore Bruchési, der Erzbischof von Montreal, an Borden. „In der Provinz Quebec müssen wir leider Revolten erwarten. Wird das nicht zu Blutvergießen führen?“

25. Juli (12. Juli): Wiedereinführung der Todesstrafe an der russischen Front

Maria Spiridonowa (Linke Sozialrevolutionärin)

Nach dem Aufstand vom 4. Juli (nach gregorianischem Kalender) werden jetzt viele Freiheiten und Rechte, die seit der Februarrevolution gewährt worden sind, abrupt wieder entzogen. Die unpopulärste dieser konterrevolutionären Maßnahmen ist die Wiedereinführung der Todesstrafe an der Front. Diese war nach dem Zusammenbruch des Zarentums abgeschafft worden.

Die Kommandanten erhalten freie Hand, auf Soldaten, die ihren Befehlen nicht Folge leisten, zu schießen. Die Provisorische Regierung richtet „militärisch-revolutionäre“ Tribunale ein, die befugt sind, Todesurteile zu verhängen. Eine Berufung ist bei diesen Standgerichten nicht vorgesehen. Der verurteilte Soldat wird unverzüglich exekutiert.

Die Wiedereinführung der Todesstrafe hat tiefe Auswirkungen auf das Massenbewusstsein der Soldaten im Feld, die darin die Wiedereinführung der alten Tyrannei erblicken. Die Kriegsparteien, die sie befürworten, sind unter den Soldaten extrem diskreditiert. So verschärfen sich auch die Spannungen innerhalb der Sozialrevolutionäre, die sich weitgehend auf die Bauern stützen. Während viele rechte Sozialrevolutionäre offene Militaristen sind, reagiert der linke Flügel der Partei mit großer Empörung.

Die prominente linke Sozialrevolutionärin Maria Spiridonowa prangert die Maßnahme als „größte Schande“ und als „organisierten Justizmord“, sowie als Verrat an sämtlichen Prinzipien der Sozialrevolutionäre an. Derweil vollzieht sich unter den Soldaten eine beschleunigte Linkswende. Den „gemäßigten“ sozialistischen Parteien, die nach der Februarrevolution breite Unterstützung hatten, bricht mehr und mehr die Basis weg.

Maria Spiridonowa, die aus dem Adel stammt, hat 1906 die öffentliche Meinung im russischen Zarenreich schockiert, als sie ein Attentat auf den verhassten zaristischen Vizegouverneur G. N. Luschenowski verübte. Die Kühnheit ihrer Tat, wie auch die brutale Folter, der sie in Polizeihaft ausgesetzt war, machten sie für die Radikalen zur Volksheldin. In Sibirien verbrachte sie elf Jahre im Gefängnis, bis sie nach der Februarrevolution 1917 in Freiheit kam. Die Linken Sozialrevolutionäre, zu deren Führung sie gehört, sympathisieren vor der Oktoberrevolution mit den Bolschewiki, werden sich aber 1918 wieder von ihnen abwenden.

Dublin, 25. Juli: Erste Sitzung der Irish Convention

John Redmond, um 1916

Zur ersten Versammlung der Irish Convention treffen sich 95 Delegierte politischer Parteien und kultureller Organisationen, wie auch Personen des öffentlichen Lebens im Trinity College in Dublin. Der britische Premierminister Lloyd George hat dieses Gremium in dem verzweifelten Versuch einberufen, eine verfassungsgemäße Übereinkunft zu finden, damit Irland innerhalb des britischen Empires verbleibt.

Sinn Fein hat in diesem Jahr schon drei Nachwahlen gegen die Irische Parlamentarische Partei gewonnen. Sie boykottiert die Versammlung, weil diese von der Voraussetzung ausgeht, dass Irland Teil des Empires bleibt. Die Irish Party, die immer noch die Mehrheit der irischen Sitze im britischen Unterhaus innehat, ist seit Jahrzehnten Hauptbefürworterin einer verfassungsmäßigen Übereinkunft, bei der Dublin zwar Selbstverwaltung (Home Rule) erhält, aber Irland im Empire verbleibt. Der Parteiführer ist John Redmond, der sich auch für die britische Kriegsbemühungen stark macht. Erfolgreich ermutigt er die Mehrheit der irischen Freiwilligen, der britischen Armee beizutreten. Diese Freiwilligen sind eine vor dem Krieg rekrutierte Miliz, die die Selbstverwaltung für ganz Irland erkämpfen soll.

Das britische Unterhaus hat im Mai 1914 ein Home-Rule-Gesetz verabschiedet, und im September desselben Jahres ist die Selbstverwaltung offiziell in Kraft getreten. Für die Dauer des Kriegs hat man sie jedoch sofort wieder suspendiert. Unionisten aus Ulster kritisieren das Gesetz von 1914 und lehnen ein irisches Home-Rule-Parlament ohne Garantien für die unionistische Minderheit ab.

Lloyd George besteht hauptsächlich deshalb darauf, die Irish Convention abzuhalten, weil er eine rasche Radikalisierung der irischen Arbeiter und kleinbürgerlicher Schichten befürchtet. Seit der brutalen Unterdrückung des Osteraufstands von 1916 wendet sich die öffentliche Meinung immer entschiedener gegen Großbritannien. Damals sind zwölf Führer des Aufstands kaltblütig erschossen worden.

Auch haben die Freiwilligen, die sich auf Redmonds Rat hin der britischen Kriegsteilnahme angeschlossen haben, schwere Verluste erlitten. So wird auch die Einführung der Wehrpflicht in Irland immer wieder verschoben, da die Politiker die Mobilisierung der immer militanteren Arbeiterklasse befürchten.

Petrograd, 27. Juli (14. Juli): Kerenski ruft „außerordentlichen Nationalrat“ zur Rettung Russlands aus

Kerenski in Diskussion mit Militärführern

Wie Premier Kerenski bekanntgibt, will er als Sofortmaßnahme einen „außerordentlichen Nationalrat“ in Moskau einberufen, ohne erst auf das Zusammentreten der Konstitutionellen Versammlung zu warten. Kerenski weist die Schuld an der wirtschaftlichen Desorganisation, den militärischen Niederlagen und der Unruhe in Stadt und Land den „deutschen Verschwörern“ zu, die hinter den russischen Linien operierten. Seine Lösung für diese deutschen Intrigen besteht darin, eine Diktatur zu errichten, die Bolschewiki zu verhaften und die Arbeiter zu entwaffnen.

Am Vortag hat Kerenski schon angekündigt, er habe zwei prominente zaristische Generale aus dem Ruhestand wieder nach Petrograd einbestellt: General Nikolaus Russki, ehemals Chefkommandant der russischen Nordarmeen, und General Josif Romejko-Gurko, einen ehemaligen Kommandanten der russischen Front im Südwesten.

Kerenski erklärt: „Meine Regierung wird Russland retten. Und wenn Gründe wie Vernunft, Ehre und Gewissen sich als ungeeignet erweisen, dann wird sie es mit Blut und Eisen zur Geschlossenheit zwingen.“ Von Kronstadt fordert die Regierung, dass der Stützpunkt seine radikalen und sozialistischen Führer ausliefert, und droht andernfalls mit einer Blockade.

Petrograd, 26. –27. Juli (13. –14. Juli): Bolschewiki diskutieren Slogan: „Alle Macht den Sowjets“

Eine erweiterte Versammlung des Zentralkomitees der Bolschewistischen Partei weist nach einer Diskussion die Aufforderung Lenins zurück, den Slogan „Alle Macht den Sowjets“ aufzugeben. In seiner Broschüre „Zu den Losungen“, erklärt Lenin, dass diese Formel nach dem Juli-Aufstand und der darauf folgenden Konterrevolution ihren Sinn verloren habe.

Nichts, keine Kraft außer dem revolutionären Proletariat ist imstande, den Sturz der bürgerlichen Konterrevolution herbeizuführen … Sowjets können und müssen in dieser neuen Revolution in Erscheinung treten, aber nicht die jetzigen Sowjets, nicht Organe des Paktierens mit der Bourgeoisie, sondern Organe des revolutionären Kampfs gegen die Bourgeoisie. Dass wir auch dann für den Aufbau des ganzen Staates nach dem Typ der Sowjets eintreten werden, das stimmt. Das ist nicht eine Frage der Sowjets schlechthin, sondern eine Frage des Kampfes gegen die gegenwärtige Konterrevolution und gegen den Verrat der gegenwärtigen Sowjets.

Indessen entscheidet sich die Mehrheit der Bolschewiki dagegen, den Slogan aufzugeben, der nach wie vor große Popularität unter Petrograder Arbeitern und Soldaten genießt.

New York, 28. Juli: Schweigemarsch wegen „Rassenunruhen“ in East St. Louis

Der Marsch in der Fifth Avenue

Eine Demonstration von 8000 Teilnehmern bewegt sich über die Fifth Avenue in New York City, um gegen den jüngsten rassistischen Pogrom in East St. Louis zu protestieren, dem Dutzende Afroamerikaner zum Opfer fielen. Der Protest richtet sich auch gegen andere Lynchmobs und Akte rassistischer Gewalt in letzter Zeit.

Organisiert haben den Marsch W.E.B. DuBois und die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP, Nationale Vereinigung zur Förderung farbiger Menschen). Er verläuft als Schweigemarsch zur Erinnerung an die Opfer von East St. Louis. Das Ziel ist es, Druck auf Präsident Wilson auszuüben, um der epidemischen Ausbreitung des Lynchens tausender Afroamerikaner in den letzten Jahrzehnten durch ein Bundesgesetz Einhalt zu gebieten. Aber Wilson, der erst vor kurzem für die Beschäftigten der Bundesregierung die Rassentrennung wiedereingeführt hat, ist von einem solchen Vorhaben weit entfernt.

Die Polizei von New York City konfisziert ein Transparent, auf dem eine afroamerikanische Frau mit zwei kleinen Kindern vor Wilson kniet. Der Text lautet [in Abwandlung von Wilsons Satz beim Kriegseintritt, man müsse „die Welt sicher für die Demokratie machen“]: „Mr. Präsident, warum nicht Amerika für die Demokratie sicher machen?“

London, 28. Juli: Rechter Mob löst Antikriegsversammlung gewaltsam auf

Brotherhood-Kirche, London

Ein rechter Mob überfällt eine Versammlung des Arbeiter- und Soldatenrats in der Brotherhood-Kirche im Norden Londons. Die Schläger singen und grölen das Lied „Rule Britannia“ [das als inoffizielle britische Nationalhymne gilt].

Der Arbeiter- und Soldatenrat ist nach der Konferenz vom 3. Juni in Leeds gegründet worden, die sich mit der Russischen Februarrevolution solidarisch erklärt hat. Die politische Führung jener Konferenz und auch des Arbeiter- und Soldatenrats liegt in Händen von Labour-Politikern und Gewerkschaftern. Sie verteidigen die Linie der Menschewiki, die eine Fortsetzung des Kriegs im Namen des Kampfs für einen „demokratischen Frieden“ befürworten.

Der Versammlungsort, der mit dem christlichen Sozialismus verbunden ist, ist seit Langem Tagungsstätte sozialistischer und Antikriegs-Versammlungen. 1907 war die Brotherhood-Kirche Tagungsort des Kongresses der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, an der auch Lenin, Trotzki, Plechanow und Rosa Luxemburg teilnahmen.

Der Überfall, an dem sich mehrere tausend Menschen beteiligen, ist vom Geheimdienst und den rechten Medien bewusst provoziert worden. Basil Thomson, Chef des Special Branch, hat am Vorabend in seinem Tagebuch notiert: „Morgen wird es ein böses Erwachen geben, denn ich habe veranlasst, dass der Daily Express den Versammlungsort veröffentlicht, und dass es voraussichtlich starken Widerstand geben wird.“

Der Philosoph Bertrand Russell, der als Delegierter an der Versammlung teilnimmt, wird das Geschehene später folgendermaßen schildern: „Der Mob drang ein, angeführt von mehreren Uniformierten; alle außer den Polizisten waren mehr oder weniger betrunken. Am wildesten gebärdeten sich mehrere Mannweiber, die Holzplanken voller rostiger Nägel schwangen. Die Polizisten machten einen Versuch, unsre Frauen zum Verlassen der Versammlung zu bewegen, um dann mit den männlichen Pazifisten, die sie alle für Schwächlinge hielten, nach Belieben zu verfahren.“

Russell fährt fort: „Jeder ergriff die Flucht so gut er konnte, während die Polizei ruhig zuschaute. Zwei der betrunkenen Weiber begannen, mich mit ihren Brettern voller Nägel anzugreifen. Während ich mich fragte, wie man sich wohl gegen diese Art Attacke verteidigen soll, sprang eine unserer Ladies auf und forderte die Polizei auf, mich in Schutz zu nehmen. Die Polizisten zuckten kaum mit der Schulter. Aber er ist ein wichtiger Philosoph, sagte die Lady, und die Polizei zuckte immer noch. Aber er ist auf der ganzen Welt als Gelehrter berühmt, fuhr sie fort. Die Polizei rührte sich nicht. Aber er ist der Bruder eines Earl, schrie sie schließlich. Jetzt wandten sich die Polizisten mir zu, um mir beizustehen. Sie waren jedoch zu spät, um noch von Nutzen zu sein, und ich verdanke mein Leben einer jungen Frau, die ich nicht kenne, die sich gerade lange genug zwischen mich und die wütenden Weiber schob, dass ich entkommen konnte.“

Die Polizei nimmt nur eine einzige Person fest, und dabei handelt es sich um einen Delegierten. Das Innere der Kirche wird von dem Mob komplett zerstört.

Washington, 29. Juli: Gompers gründet antisozialistische Organisation (AALD)

Die New York Times lobt Gompers Kriegsunterstützung

In Washington wird die Organisation American Association for Labor and Democracy (AALD) gegründet, präsidiert von AFL-Gewerkschaftschef Samuel Gompers. Die neue Organisation, in deren Führung hauptsächlich kriegsfreundliche Gewerkschaftsbürokraten und ehemalige Linke sitzen, verpflichtet sich, die Industrie zu stärken, Streiks zu unterdrücken, den Einfluss der Sozialisten auf amerikanische Arbeiter zu bekämpfen und einer Antikriegsstimmung entgegenzuwirken.

Laut der New York Times ist die AALD der Auffassung, dass „der Erfolg der sozialistischen Propaganda, die in den Vereinigten Staaten im Vormarsch ist, die Feinde der Nation begünstigen würde“. Um dem Sozialismus entgegenzutreten, will die AALD „Arbeiteraktivitäten im ganzen Land mit großer Aufmerksamkeit beobachten und ihre ganze Kraft … darauf richten, die wirtschaftliche Stärke der Nation auf maximaler Höhe zu halten“.

Später wird sich Gompers erinnern: „Wir entwickelten einen Plan, um die Vertreter der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung und Vertreter der so genannten radikalen Organisationen zusammenzubringen. Mitglieder dieser Organisation stimmten zu, dass alle Differenzen, die sie über die Produktion haben mochten, für die Dauer des Kriegs beiseite gelegt werden müssten, und dass sie die Grundprinzipien, für die unsere Regierung stand, geschlossen verteidigen wollten.“

Die Bemühungen der AFL und der AALD, den amerikanischen Klassenkampf zu drosseln, sind indessen nicht besonders erfolgreich. Allein in dieser Woche kommt es in den USA zu Streiks der Eisenerzbergarbeiter in der oberen Halbinsel Michigans, sowie der Kohlenschlepper in New York und der Eisenbahn-Weichensteller von Chicago, die den Verkehr an 19 Bahnstrecken unterbrechen. Schon länger beeinträchtigen Streiks in der Kupferindustrie die Produktion. Sie haben zur gewaltsamen Deportation von IWW-Mitgliedern unter den Arbeitern in Bisbee (Arizona) geführt. Die Drohung von Arbeitsniederlegungen in der Holzindustrie wird in dieser Woche mit einer weiteren Deportation von IWW-Mitgliedern aus Bemidji (Minnesota) beantwortet.

Helsinki, 30. Juli (17. Juli): Provisorische Regierung löst finnisches Parlament auf

Bürgerlicher Heimatschutz während des Aufstands von Hakaniemi (2. August 1906)

Vier Minister der Provisorischen Regierung (Kerenski, Tschernow, Skobeljew und Zeretelli) entscheiden sich, den Sejm (das finnische Parlament) gewaltsam aufzulösen. Der Schritt erfolgt, nachdem die finnischen Sozialdemokraten, die mit 103 von 200 Sitzen die Mehrheit haben, am 5. Juni den Sejm zur souveränen Macht Finnlands, ausgenommen in Fragen der Armee und der Außenpolitik, erklärt haben.

Wie die Entscheidung zeigt, unterstützen die Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Aufrechterhaltung des zaristischen Systems nationaler Unterdrückung. Die finnischen Sozialdemokraten, die mit den sozialistischen Parteien in der Provisorischen Regierung verbündet sind, bitten diese um Beistand für den Sejm. Auf diesen Appell lassen die russischen Genossen mit den Bajonetten der Soldaten antworten. Lukomski, ein General der russischen Armee, der noch aus der Monarchie stammt, droht bei Widerstand gegen die russischen Truppen damit, finnische Städte, einschließlich der Hauptstadt, in Schutt und Asche zu legen.

Finnland ist seit dem frühen 19. Jahrhundert Teil des russischen Zarenreichs, seitdem Zar Alexander I. dort von Schweden die Kontrolle übernommen hat. In Helsinki haben Arbeiter, inspiriert von der Russischen Revolution von 1905, einen Aufstand organisiert und Rote Garden gebildet. Wegen des anhaltenden öffentlichen Widerstands sah sich der Zar 1906 gezwungen, begrenzte parlamentarische Reformen einzuführen.

Das finnische Parlament war bisher praktisch machtlos, da der Zar ja nicht gezwungen war, irgendeines der verabschiedeten Gesetze anzuerkennen. In Finnland herrscht daher eine starke Stimmung für die Lostrennung, wobei es zwischen den bürgerlichen Rechtsparteien und den Sozialdemokraten erbitterte Klassendifferenzen gibt, die bald in einem Bürgerkrieg zum Ausbruch kommen. Die bürgerlichen Parteien unterstützen die Unterdrückung des Sejm.

Wie Trotzki später in seiner „Geschichte der Russischen Revolution“ schreibt,

… löste die Regierung durch ein feierliches Manifest, das sogar in stilistischer Hinsicht ein Plagiat an der Monarchie war, den Sejm auf und stellte am Tage des Beginns der Offensive an der Front vor die Tore des finnländischen Parlaments aus der Front herausgezogene russische Soldaten. So bekamen die revolutionären Massen Russlands auf dem Wege zum Oktober keine üble Lektion hinsichtlich dessen, welch bedingten Platz die Prinzipien der Demokratie im Kampfe der Klassenkräfte einnehmen.

Gegen die Unterdrückung des Sejm durch die Provisorische Regierung wächst rasch der Widerstand. Anfang September wird sich eine Versammlung des Soldatensowjets von Finnland zur militärischen Unterstützung des Sejm verpflichten, falls dessen Parteien sich entscheiden, die Parlamentssitzungen wieder aufzunehmen.

Ostafrika, 30. Juli: Schwere Gefechte und Rückschlag für deutsche Kolonialarmee

Karte mit Militärverlauf in Ostafrika

Durch eine Offensive der alliierten Streitkräfte unter dem Befehl des südafrikanischen Generals Jacob van Deventer werden deutsche Verbände in Deutsch-Ostafrika in heftige Kämpfe verwickelt. Die Einheiten, die aus deutschen Soldaten und kolonialen Zwangsverpflichteten bestehen, sehen sich zum Rückzug gezwungen.

Der Krieg in Ostafrika ist aus den interimperialistischen Rivalitäten entstanden, die vor 1914 zum Wettlauf um Afrika führten. Der Krieg wird auf einer Landfläche von fast 2 000 000 km² ausgefochten, das ist weit mehr als das Dreifache des Deutschen Reiches. Hier stehen deutsche Kräfte belgischen, portugiesischen und britischen Truppen gegenüber. Die britischen Einheiten bestehen hauptsächlich aus Südafrikanern, Kämpfern aus andern Teilen Afrikas und aus Indern.

Deutschland versucht, dem alliierten Vorstoß nach Deutsch-Ostafrika (das heutige Tansania) Widerstand zu leisten, während belgische und portugiesische Kräfte für die Verteidigung ihres Kolonialbesitzes im Kongo, resp. in Mosambik, kämpfen. Großbritannien versucht, die Kontrolle über die eigenen Kolonien in Britisch-Ostafrika (heute Kenia) und Rhodesien (heute Sambia und Simbabwe) hinaus auszuweiten.

Außer den schätzungsweise 150 000 alliierten Soldaten, die noch bis zum Kriegsende im Ostafrika-Feldzug kämpfen werden, verpflichten die Briten auch fast eine Million Afrikaner als Hilfskräfte und Träger, um die Truppen im oftmals schwierigen Gelände mit Nachschub zu versorgen. Weil praktisch keinerlei medizinische Versorgung zur Verfügung steht, sterben mehr Soldaten an Krankheiten als in den Kämpfen. Mindestens 95 000 Lastenträger, damit ein Achtel aller Männer in Britisch-Ostafrika, sterben in dem Konflikt, dem auch über 11 000 britische Soldaten erliegen.

Charakteristisch für die damalige Arroganz der britischen herrschenden Klasse gegenüber ihren kolonialen Untertanen ist die Bemerkung, die ein Regierungsvertreter über den Ostafrika-Feldzug macht: „Es kam beinahe zum Skandal, weil die Menschen, die am meisten litten, die Lastenträger waren – und wen kümmern schließlich eingeborene Träger?“

Brasilien, Streiks breiten sich im ganzen Land aus

Arbeiterdemonstration in São Paulo, 1917

In São Paulo, Brasiliens größtem Industriezentrum, haben über 50 000 Arbeiter aller Branchen die Produktion, den Handel und den öffentlichen Transport lahmgelegt. Die Arbeiterviertel von Brás, Mooca und Ipiranga sind in der Hand der Streikenden, die sich im Proletarischen Verteidigungskomitee organisieren.

Seit Anfang Juni erlebt Brasilien in seinen wichtigsten Industriezentren eine Streikwelle. Das Land ist stark von Industrielieferungen an die kriegführenden Länder abhängig und erlebt vor allem im Süden und Südosten einen gewerblichen Höhenflug. Die notwendige Kapitalakkumulation stützte sich auf den Export von Kaffee, des wichtigsten Produkts, von dem die brasilianische Handelsbilanz profitiert.

Miserable Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne und steigende Lebenskosten sind die Hauptsorge der Arbeiter Brasiliens, die hauptsächlich in der Textilindustrie und im Nahrungsmittel- und Getränkesektor tätig sind. Unter den Arbeitskräften dominieren die europäischen Einwanderer und ihre Nachkommen, die anfangs zur Arbeit auf den Kaffeeplantagen hergekommen und später aus der Industrieproduktion nicht mehr wegzudenken sind.

In den brasilianischen Arbeiterorganisationen ist die Hauptströmung der Anarcho-Syndikalismus. Der Streik selbst hat jedoch damit begonnen, dass unorganisierte Weberinnen ihre Arbeit niederlegten.

Nachdem alle Versuche, die Bewegung einzudämmen, gescheitert sind, hat der Bürgermeister Washington Luis zu Polizeirepression gegriffen, was zur Ermordung des spanischen Schusters José Martínez geführt hat. Seitdem ist überall in der Stadt der Schrei zu hören: „Tod der Repression! Tod der Repression!“, und die Streikbewegung wächst. Die Regierung mobilisiert Soldaten, und die Marine hat zwei Kriegsschiffe vor der Küste des Hafenviertels Santos postiert.

Die Erschießung eines zwölfjährigen Mädchens im Stadtviertel Barra Funda hat die Spannungen noch weiter verstärkt. Das Militär stellt Maschinengewehrgruppen an die Eingänge der reichen Siedlungen, in denen die Fabrikbesitzer von São Paulo wohnen.

Von der Februarrevolution in Russland inspiriert, versuchen die streikenden Arbeiter, die Soldaten auf ihre Seite zu gewinnen, und erklären ihnen, dass auch sie ausgebeutet werden, und dass sie dieselben Interessen wie die Arbeiter haben.

Die Streikbewegung setzt sich weiter fort, und die Arbeiter legen auch in Rio de Janeiro, den inneren Industriezentren von Campinas und in Ribeirão Preto massenhaft die Arbeit nieder, wie auch in Rio Grande do Sul in Brasiliens Süden, der am stärksten industrialisierten Provinz nach São Paulo und Rio de Janeiro. Arbeiter fordern Lohnerhöhungen, den Achtstundentag für Männer, sechs Stunden für Frauen und Kinder, eine Reduktion der Lebensmittelpreise, so wie feste Brotpreise und die Senkung der Mieten und Transportkosten.

Auch in diesem Monat: Göttingen, wissenschaftlicher Durchbruch

Paul Scherrer

In Göttingen entdecken die Physiker Peter Debye und Paul Scherrer eine Methode zur Materialanalyse mittels Röntgenbeugung durch Kristallpulver. Fast gleichzeitig und von ihnen unabhängig entwickelt Albert Hull im Labor von General Electric in Schenectady (New York) eine ähnliche Methode. Es geht darum, ein Röntgenstrahlbündel durch ein pulverisiertes Material zu schicken und damit die Kristallform des Materials auf einem Film zu reflektieren, um dessen mikroskopische Struktur sichtbar zu machen.

Die Entdeckung dieser Methode der Strahlenbeugung ist ein bedeutender wissenschaftlicher Durchbruch und wird über lange Zeit weltweit angewandt werden. Am 4. Dezember 1915 hat Scherrer schon in der Physikalischen Zeitschrift einen Text veröffentlicht, der sich auf diese Methode stützt, um die physikalische Struktur von Lithiumfluorid zu erforschen. Ein zweites Thesenpapier vom 28. Mai 1916 geht der Strahlenbeugung durch Flüssigkeit auf den Grund. Die dritte Arbeit, die vom 18. Juli 1917 stammt, stellt nun die physikalische Struktur von Graphit als hexagonales Gitter fest. Der 27-jährige Scherrer arbeitet zu der Zeit unter Debyes Leitung an seiner Dissertation.

Auch in diesem Jahr: Hugo Sonnenschein sympathisiert mit der Russischen Revolution

Hugo Sonnenschein

Hugo Sonnenschein (1889–1953), „staatenloser“ Dichter und Pazifist, arbeitet an seinem Gedichtband „Erde auf Erden“. Er drückt darin seine Ablehnung des Krieges und auch seine Sympathie für die Russische Revolution aus. Der Band enthält eine Porträtzeichnung des Autors von dem Maler Egon Schiele und unter anderem folgendes Gedicht, das „Lied des 17. Regiments“:

Hört, Soldaten eure Brüder
ziehen in der Freiheit Krieg,
Wachet auf! Die Waffen nieder,
Brüder helft uns so zum Sieg:
In dem Kampf nach Menschenrechten
gen Tyrannen, die uns knechten –
Auf, Soldaten!

Lang, ihr Kinder aller Lande,
gabt ihr unnütz euer Blut.
Jaget die Bedrückerbrut!
Wer hat ihr das Recht gegeben
über Tod und über Leben?!
Auf, Soldaten!

Uns gehört die freie Erde,
unser ist der Sonne Licht,,
auf, dass frei ein jeder werde,
gleiches Recht und gleiche Pflicht!
Seht, wie die Tyrannen zittern,
wenn sie unsern Willen wittern!
Auf, Soldaten!

Hört, Soldaten eure Brüder
gehen in den letzten Krieg;
werdet Menschen, Menschen wieder:
Groß und unser ist der Sieg –
in dem Kampf nach Menschenrechten
gen Tyrannen, die uns knechten!
Auf, Soldaten!

Der Gedichtband wird von der Zensur verboten und kann erst 1920 erscheinen.

Sonnenschein wird 1889 als Sohn eines jüdischen Bauern in Gaya bei Brünn in der heutigen Slowakei geboren. Bereits als Schüler und Student schreibt er Gedichte. Als „Deserteur der Bourgeoisie“ zieht er vor dem Ersten Weltkrieg durch Europa. Er versteht sich als Außenseiter, als Rebell aus Überzeugung und, wie er in einer autobiographischen Skizze erklärt „als Mensch ein Vagabund und Bastard, zwischen den Rassen, Kulturen und Klassen, ein Unwirklicher, Vaterlandsloser“. Gedichte von ihm werden u. a. in der Aktion von Franz Pfemfert abgedruckt.

1914 wird er als Infanterist an die Balkanfront geschickt, wegen seines pazifistischen Engagements aber mehrfach inhaftiert. Sein Werk „Die Legende vom weltverkommenen Sonka“ erscheint 1920 und gilt bis heute als sein bestes. Von da an veröffentlicht er auch unter dem Pseudonym„Sonka“ oder„Bruder Sonka“.

1918 begrüßt er die Revolution begeistert und tritt in Wien der Roten Garde bei. Danach geht er nach Prag und wird Mitbegründer der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei. Im Sommer 1920 nimmt er als Delegierter am Zweiten Weltkongress der Kommunistischen Internationale teil und lernt Lenin und Trotzki kennen. Mit letzterem korrespondiert er später häufig als Mitglied der Linken Opposition. 1927 wird er wegen der Verteidigung Trotzkis aus der Partei ausgeschlossen. Trotzki bemerkt über Sonka 1930: „Erstens, dass der Autor ein Dichter ist; zweitens, dass seine Weltanschauung ziemlich weit von der kommunistischen entfernt ist. Aber Marx hat einmal gesagt: ‚Die Dichter sind sonderbare Käuze.‘ Er hat es gar nicht schlecht gemeint; denn er hat es auf Freiligrath angewendet.“

Im März 1934 erklärt die austro-faschistische Regierung in Österreich Hugo Sonnenschein zum „lästigen Ausländer“. Er wird in die Tschechoslowakei abgeschoben und nach Einmarsch deutscher Truppen von der Geheimen Staatspolizei verhaftet, 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo seine Ehefrau umkommt. Nach seiner Befreiung durch die Rote Armee kehrt er nach Prag zurück. Das stalinistische Regime lässt ihn 1947 unter der absurden Anklage verhaften, er habe angeblich während des Zweiten Weltkrieges mit der Geheimen Staatspolizei kollaboriert. Er wird zu 20 Jahren Kerker verurteilt. Er stirbt 1953 im Zuchthaus Mirov.

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