Gipfeltreffen in Paris:

EU plant Haftlager für Migranten in Libyen

Auf Einladung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron kamen am Montag in Paris zahlreiche Regierungschefs und Präsidenten zu einem Gipfeltreffen über Einwanderungsfragen zusammen. Vertreten waren neben Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien auch die afrikanischen Staaten Niger, Tschad und Libyen, letzteres Land vertreten durch den von den UN unterstützten Premierminister Fayez al Sarradsch.

Der Zweck des Gipfels war politisch kriminell. Erörtert wurde die Frage, wie hunderttausenden Flüchtlingen das Recht auf Asyl verweigert und ihnen der Weg von Afrika nach Norden durch Libyen über das Mittelmeer nach Europa verbaut werden kann. Die Konferenz, an der auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini teilnahm, diskutierte den Einsatz bewaffneter Streitkräfte der afrikanischen Regimes, um Flüchtlinge festzunehmen und in die Länder zurückzuschicken, aus denen sie fliehen. Dadurch, so die Überlegung, würden diese in Afrika bleiben und vor weiterer Migration abschrecken.

Die Konferenz ist vor allem ein Versuch, die katastrophalen Folgen des Nato-Kriegs 2011 in Libyen in den Griff zu bekommen. Dieser hatte das Regime von Oberst Gaddafi zerstört und einem blutigen Bürgerkrieg Bahn gebrochen, der bis heute andauert. Der Gipfel versuchte auch, die Spannungen zwischen den europäischen Mächten einzudämmen. Dabei geht es um die Frage, welche bewaffneten Fraktionen in Libyen unterstützt werden sollen.

Vergangene Woche veröffentlichten die UN einen Bericht, der die schrecklichen Verhältnisse beleuchtet, unter denen viele Flüchtlinge in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Libyen nach 2011 leiden. Der Bericht schildert auch den Charakter der Kräfte, auf die sich die EU stützen will, um die Flüchtlinge unter Kontrolle zu halten.

Die UN berichten, dass „Migranten weiter von Schmugglern, Drogenhändlern und Mitgliedern bewaffneter Banden und Sicherheitskräften drangsaliert werden und extreme Gewalt, Folter, Misshandlung erleiden. Sie müssen Zwangsarbeit leisten, ihre Freiheit wird eingeschränkt, sie werden vergewaltigt und anderweitig sexuell misshandelt und ausgebeutet. Am 11. April 2017 verurteilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) die Existenz von Sklavenmärkten in Libyen, auf denen Migranten aus den subsaharischen Ländern ge- und verkauft sowie Frauen als Sexsklavinnen gehandelt werden.“

Berichte der UN Support Mission in Libya (UNSMIL) schildern die Bedingungen in den Lagern, die in Libyen eingerichtet wurden, um die Migration aufzuhalten und abzuschrecken. Die UN stellen fest, dass die Opfer brutaler Behandlung seitens der sich bekriegenden Milizen im Libyen der Nach-Gaddafi-Zeit „nur wenig Möglichkeiten haben, sich zu wehren, weil ein allgemeiner Zustand der Gesetzlosigkeit herrscht und die Justiz nur wenig Einfluss hat.“

Die UN-Berichterstatter schreiben: „UNSMIL besuchte Haftlager in Gharyan, Tripoli, Misrata and Surman, die unter der Kontrolle der Organisation Combatting Illegal Migration stehen. Dort wurden tausende Flüchtlinge für längere Zeit willkürlich festgehalten, ohne jede Möglichkeit gegen ihre illegale Inhaftierung vorzugehen. UNSMIL hat Fälle von Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt dokumentiert. Haftzentren sind überfüllt und Häftlinge oft unterernährt. Sie leben unter unmöglichen hygienischen Bedingungen und haben kaum oder keine ärztliche Versorgung.“

Die UN dokumentiert auch das brutale Verhalten der bewaffneten Kräfte in Libyen, die von der EU unterstützt werden. Berichtet wird über Versuche, Flüchtlinge einzufangen, um sie in die Haftzentren zu werfen. In dem Bericht hieß es: „UNSMIL erhielt zahlreiche Berichte über das lebensbedrohliche Vorgehen bewaffneter Männer, die wahrscheinlich der libyschen Küstenwache angehören. UNSMIL überprüft die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache entsprechend den Richtlinien der UN-Menschenrechtspolitik.“

Die Gipfelkonferenz veröffentlichte Montagabend eine kurze Resolution, die die EU aufforderte, besonders gefährdete Flüchtlinge aus Libyen nach Europa zu bringen und sich gleichzeitig auf das Militär Nigers und des Tschad und auf die diversen Milizen in Libyen zu stützen, um Flüchtlinge daran zu hindern, das Mittelmeer zu erreichen. Der Gipfel empfiehlt auch vor, die libysche Küstenwache für ihre Flüchtlingsbekämpfungsmissionen besser auszurüsten.

Macron sagte, er wolle schon in Niger und im Tschad „identifizieren“, welche Migranten echte Flüchtlinge sind, bevor sie Libyen auf ihrer Reise nach Norden erreichen, damit andere zurückgeschickt werden können. Er machte Menschenschmuggler für die schlimme Lage von Flüchtlingen in Afrika verantwortlich: „Bestimmte Schmugglergruppen wie Waffenschmuggler, Menschenschmuggler und Drogenschmuggler und Gruppen mit Verbindungen zum Terrorismus haben die Wüste in Afrika und das Mittelmeer in einen Friedhof verwandelt. Die gleichen Leute unterhalten auch enge Verbindungen zum Terrorismus.”

Das sind politische Lügen. Die brutale Politik der EU, die Flüchtlingen das Asylrecht verweigert, wird so dargestellt, als würde sie die Menschenrechte respektieren. Nicht Menschenschmuggler oder Flüchtlinge sind für die Bürgerkriegszustände in Libyen verantwortlich, sondern die Nato-Mächte, die Libyen bombardierten und islamistische Milizen für das Herbeiführen des Regimewechsels bewaffneten. Der imperialistische Krieg in Libyen führte zur schnellen Auflösung der libyschen Gesellschaft, ähnlich wie in Afghanistan, Irak und Syrien.

Die Kriege in Nahost und Afrika haben die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg hervorgerufen. Über sechzig Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Doch die imperialistischen Mächte stoppen nicht die Kriegstreiberei, ebenso wenig tragen sie zur Überwindung von militärischen Konflikten und Armut bei, die Dutzende Millionen in die Flucht treiben. Stattdessen arbeiten sie eng mit Militärdiktaturen und irregulären Milizen zusammen, damit diese beispiellose Flüchtlingswelle Europa gar nicht erst erreicht.

Die europäischen Mächte mögen US-Präsident Trump kritisieren wegen seinem Vorgehen gegen mexikanische Einwanderer und seiner Forderung nach dem Bau einer Mauer zur Abwehr von Immigranten aus Mexiko. Ihre eigene Politik gegen afrikanische Flüchtlinge ist ebenso rücksichtslos und brutal. Als tausende Flüchtlinge das Mittelmeer überquerten, begrenzten EU-Vertreter die Rettungsoperationen. Sie hoffen, ertrinkende Flüchtlinge würden andere Migranten davon abschrecken, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Ein britischer Diplomat erklärte, Rettungsoperationen würden „Migration fördern und einen einen ungewollten ‚Anreiz’ schaffen, was wiederum zu noch mehr tragischen und unnötigen Todesopfern führt“. Die Lösung ist demnach, den „Anreiz“ in Form von Rettungsaktionen zu eliminieren und Migration abzuschrecken, indem man Flüchtlinge ertrinken lässt. Tausende unschuldige Flüchtlinge sind seitdem im Mittelmeer ertrunken, 2.400 Menschen allein in den ersten acht Monaten dieses Jahres.

Unter diesen Umständen ist die Behauptung der EU, sie wolle „besonders gefährdete“ Einwanderer nach Europa holen, nur eine weitere zynische Geste. Jeder Flüchtling in Libyen ist aufgrund der Bürgerkriegslage in dem Land gefährdet. Ankündigungen, die am meisten gefährdeten Flüchtlinge herüber zu holen, laufen darauf hinaus, dass sich die EU-Behörden handverlesene Flüchtlinge auszusuchen, um einzelnen Personen Asyl zu gewähren.

Berichten zufolge wiesen europäische Vertreter auf der Konferenz die Argumente afrikanischer Staatsvertreter, dass die Migration solange weitergehen werde, wie große Teile Afrikas sehr arm seien, rundheraus zurück. „Das Problem ist Armut“, sagte Mogherini. aber sie schloss „einen neuen Marschallplan“ aus, der beträchtliche Mittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Afrika bereitstellen würde. Europäische Vertreter erwägen angeblich, sechs Millionen Euro für Armutsbekämpfungsprogramme bereitzustellen, die später auf 50 Millionen aufgestockt werden könnten. In einer verarmten Region mit hunderten Millionen Einwohnern wäre dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Auf dem Gipfel wurde nicht nur die militaristische und flüchtlingsfeindliche Haltung der EU deutlich, sondern auch die wachsenden Rivalitäten zwischen den europäischen Mächten über die Fragen, wer den Kurs bestimmt und wer die ehrgeizigsten Pläne zur Begrenzung der Zuwanderung nach Europa vorstellt. Bundeskanzlerin Merkel, die kurz vor der Wahl ihre immigrantenfeindliche Position bekräftigen wollte, kündigte zu diesem Zweck am Montag eine Vereinbarung mit der brutalen ägyptischen Militärdiktatur von General Abdel Fattah al-Sisi an.

Macron sah sich gezwungen, von seinem Plan zum Aufbau von französischen Haftzentren in Libyen (sog. "Hotspots") abzurücken, den er im Juli unter dem Eindruck von scharfen Spannungen mit der ehemaligen libyschen Kolonialmacht Italien vorgestellt hatte. Paris und Rom unterstützen rivalisierende Streitkräfte in Libyen, deren Anführer General Khalifa Haftar bzw. die Milizen von Misrata sind.

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