Drakonisches Urteil gegen G20-Demonstranten

Im Zuge der laufenden Verfahren rund um die Proteste und Ausschreitungen während des G20-Gipfels Anfang Juli sprach das Hamburger Amtsgericht am Montag ein erstes Urteil.

Der Richter verhängte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten gegen einen 21-jährigen Mann aus den Niederlanden, weil dieser bei einem Protest angeblich zwei leere Glasflaschen gegen einen Polizisten geworfen und sich der Festnahme widersetzt habe. Dies erfüllte aus Sicht des Gerichts den Tatbestand des schweren Landfriedensbruchs, der gefährlichen Körperverletzung, eines besonders schweren Angriffs auf Vollstreckungsbeamte sowie des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Der Angeklagte kann gegen das Urteil in Berufung gehen.

Ein Blick auf die Fakten zeigt, dass sich das drakonische Urteil auf eine dünne Beweislage stützt. Das Gericht beruft sich vor allem auf die Aussagen zweier Bereitschaftspolizisten einer Hundertschaft aus Berlin, die anlässlich des Gipfels nach Hamburg angerückt war. Der Angeklagte Peike S. schwieg während des Prozesses. Seine Anwältin plädierte auf Freispruch.

Es gibt allen Grund, den Anschuldigungen der Polizei keinerlei Glauben zu schenken. Im Fall des Verbots der linkenOnlineplattform„linksunten.indymedia.org“ durch das Innenministerium am vergangenen Freitag hatte sich die Behauptung der Polizei, in den Wohnungen der mutmaßlichen Betreiber der Seite seien verschiedene Waffen gefunden worden, als Lüge entpuppt. Das Bundesinnenministerium musste auf Anfrage von Netzpolitik.org einräumen, dass bei den verdächtigen Personen keine gefährlichen Gegenstände gefunden worden waren.

Der nun verurteilte junge Mann hat keinerlei Vorstrafen und sitzt seit mehreren Wochen in Untersuchungshaft. Er hatte am Abend des 6. Juli im Hamburger Schanzenviertel an der linksautonomen Demonstration „Welcome to Hell“ teilgenommen, die zum linken Zentrum „Rote Flora“ ziehen wollte. Eine Hundertschaft von Polizisten in Schutzhelmen, ausgerüstet mit Schlagstöcken, Pfefferspray und zwei Wasserwerfern, blockierte den Zug und erklärte die Demonstration für aufgelöst. Als die Demonstranten sich weigerten, ihren Protest zu beenden und Spontandemonstrationen organisierten, setzten die Polizisten die Wasserwerfer ein und gingen mit Schlagstöcken auf die Menschen los. Aus den Reihen der Demonstranten wurden Flaschen in Richtung der Beamten geworfen.

Zwei Flaschen sollen einen 30 Jahre alten Berliner Polizisten, am Helm und am Bein getroffen haben, ohne ihn jedoch ernsthaft zu verletzen. Er habe einen kurzen Schmerz gespürt, aber sich danach weder ärztlich behandeln noch krankschreiben lassen. Stattdessen stürzte er sich mit Hilfe eines Kollegen auf Peike S., den er als Werfer der Bierflaschen identifiziert habe, und nahm ihn fest. Dieser versuchte, sich gegen den Polizisten zu schützen, indem er sich auf dem Boden zusammenrollte und die Muskeln anspannte.

Diese „Embryonalhaltung“, die der Richter als „Widerstand“ wertete, sei eine Schutzreaktion gewesen, so die Verteidigerin. Ihr Mandant habe sich vor Angst zusammengekrümmt. Sie wies auch die anderen Vorwürfe der Anklage zurück. Die Identität ihres Mandanten sei im Verfahren nicht zweifelsfrei geklärt worden. Auch der Anklagepunkt des „schweren Landfriedensbruch“ sei nicht gerechtfertigt, da der Angeklagte zu einer kleinen Gruppe von weniger als 15 Personen gehörte. Laut Bundesgerichtshofs sei erst bei einer Menschenmenge ab 15 bis 20 von „Landfriedensbruch“ zu sprechen.

Die rund 40 Zuschauer im Gerichtssaal reagierten geschockt auf das Urteil. Amtsrichter Johann Krieten, der im Ruf eines Hardliners steht, ging in seiner Urteilsverkündung noch über die scharfen Forderungen der Staatsanwältin hinaus, die für eine Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten plädiert hatte. Laut der taz sprach diese von einer erheblichen kriminellen Energie des Angeklagten. Man müsse die „bürgerkriegsähnlichen Zustände“ in Hamburg in das Urteil einfließen lassen, erklärte sie. Es sei notwendig, potentielle weitere Täter abzuschrecken. Damit machte sie bereits vor dem Richterspruch deutlich, dass der Prozess in Wirklichkeit nicht der Wahrheitsfindung diente, sondern ein Exempel statuieren sollte.

Der Richter stellte sich demonstrativ hinter die Polizei. Er bezog sich in seiner Urteilsbegründung auf eine Gesetzesverschärfung zum Schutz von Amtsträgern bei Diensthandlungen, die am 30. Mai in Kraft getreten war und die Bestrafung von Widerstandshandlungen erleichtert. Polizisten seien „kein Freiwild für die Spaßgesellschaft“, erklärte er. Da sie vom Gesetzgeber unter Schutz gestellt worden seien, müssten sich auch die Gerichte hinter sie stellen. Die Unschuldsvermutung für den Angeklagten scheint hier offenbar kaum mehr eine Rolle zu spielen. Abgesehen von den Aussagen der Polizisten wurden in der Berichterstattung keine weiteren Beweise genannt.

Das Hamburger Urteil spricht jeder sorgfältigen juristischen Bewertung Hohn. Es ist Teil einer politischen Kampagne gegen „Linksextremismus“, die in den letzten Wochen von allen etablierten Medien und Parteien getragen wurde. Die Ausschreitungen auf dem G20-Gipfel wurden gezielt aufgebauscht, um eine hysterische Stimmung vor den Bundestagswahlen zu schaffen. Dass sich in den folgenden Ermittlungen die meisten Geschichten von angeblichen „linksextremistischen“ Gewalttaten im Schanzenviertel in Luft auflösten, stört die politischen Vertreter und ihre Schreiberlinge in den Redaktionsstuben nicht im geringsten. Zahlreiche Politiker, darunter der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), riefen unaufhörlich nach harten Strafen gegen die inhaftierten Demonstranten.

Hinter dem Urteil stehen bewusste politische Entscheidungen. Darüber kann auch die fadenscheinige Behauptung des Richters, es ginge ihm nicht darum, die Forderungen der Politiker zu erfüllen, nicht hinwegtäuschen. Das absurd hohe Strafmaß und die äußerst geringe Beweislage sind typische Merkmale eines politischen Willkürurteils, wie es in diktatorischen Regimen wie Ägypten zum Alltag gehört. Das Ziel besteht darin, jeden Widerstand gegen die Politik des Militarismus, der inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus im Keim zu ersticken.

Die Hamburger Polizei ermittelt derzeit in 2000 Fällen wegen mutmaßlicher Straftaten von G20-Gegnern. „Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels sind bei der Staatsanwaltschaft Hamburg 109 Ermittlungsverfahren gegen namentlich bekannte Personen erfasst“, erklärte Carsten Rinio, Sprecher der Staatsanwaltschaft, gegenüber dem Hamburger Abendblatt.

Gestern wurde bereits ein zweiter Schauprozess gegen einen G20-Demonstranten geführt. Dem Angeklagten Stanislaw B. wurde vorgeworfen, gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz, sowie gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Laut Aussage der Ermittler befanden sich im Rucksack des 24-jährige Kunststudent aus Warschau zum Zeitpunkt seiner Festnahme in der Hamburger Innenstadt Reizgas, eine Taucherbrille, sieben Feuerwerkskörper, „szenetypische Kleidung“ und zwei Murmeln. Dafür wurde Stanislaw P. zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Die Verteidigung hat angekündigt, das Urteil anzufechten.

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