Perspektive

Die Flut von Houston: Gegen die Anarchie des kapitalistischen Markts – für sozialistische Planwirtschaft

Hurrikan Harvey hat an der amerikanischen Golfküste eine gewaltige Katastrophe angerichtet. Houston, die viertgrößte Stadt der USA, ist völlig überschwemmt, und der Sturm bewegt sich ostwärts auf Louisiana zu. Offiziell sind 30 Menschen ertrunken, aber Dutzende werden noch vermisst. Fünf Tage, nachdem die Sturmflut die Küste erreicht hat, ist immer noch unklar, wie viele Menschen noch auf Rettung warten.

Während im Südosten von Texas die Zahl der Toten und das Ausmaß der Zerstörung ansteigen, behaupten Behörden und Medien steif und fest, eine bessere Vorbereitung wäre nicht möglich gewesen, und man hätte nichts tun können, um die Folgen abzumildern.

Der Leiter der staatlichen Katastrophenschutzbehörde FEMA, William „Brock“ Long, erklärte am Montagabend, es sei unmöglich gewesen, die Katastrophe vorauszusehen oder sich darauf vorzubereiten: „Das hätte man nicht vorhersagen können. Daran hätte man nicht im Traum denken können.“ Die Washington Post übernahm seine Behauptungen in einem Leitartikel mit der Überschrift: „Rettungsdienste: Man hätte sich nicht auf das Ausmaß der Überschwemmung vorbereiten können“.

Die New York Times schrieb am Dienstag in ihrem Leitartikel, die Rettungsarbeiten gingen „so gut vonstatten, wie man es erwarten kann“. Weiter heißt es dort, das Land solle „nach vorne blicken“, statt „zu klagen, dass vor langer Zeit Warnungen ignoriert wurden“. Dann wird in drohendem Ton angedeutet, dass die Stadtverwaltung die Arbeiterviertel von Houston im Stich lassen könnte: „[Die Stadtverwaltung] wird schwere Entscheidungen treffen müssen, was wiederaufgebaut werden soll, und wann.“

Zwölf Jahre sind seit Hurrikan Katrina vergangen, und nichts wurde unternommen, um den Hochwasserschutz auszubauen und die Infrastruktur gegen künftige Sturmfluten zu verbessern. Ebenso wenig wurde getan, um Notfall- und Schutzmaßnahmen für künftige extreme Wetterverhältnisse zu planen und die Bevölkerung darauf vorzubereiten. Im Jahr 2014 hat die American Society of Civil Engineers in einem Bericht unter dem Titel „Aufruf zu einer nationalen Strategie zur Verringerung des Hochwasserrisikos“ dringende Empfehlungen ausgesprochen. Die Warnungen wurden völlig ignoriert.

Professor Robert Bea nannte die Behauptung der Stadt Houston, ihr Hochwasserschutzsystem könne die Bevölkerung vor einem Jahrhundertsturm schützen, eine „Jahrhundertlüge“. Bea ist emeritierter Professor für Bauwesen an der Universität Berkeley und Experte für Hurrikan-Risiken an der Golfküste. Er sagte der Los Angeles Times, diese Behauptung basiere auf der Annahme, in der Stadt fielen höchstens 31,2 Zentimeter Regen in vierundzwanzig Stunden. Dies ist jedoch alleine in den letzten 27 Jahren mehr als achtmal passiert.

Die Frage, warum die Warnungen schlicht ignoriert wurden, ist leicht zu beantworten. Die Interessen der Immobilienbranche, der Wall Street und der Ölkonzerne standen ihnen diametral entgegen. Ihre Fähigkeit, die simpelsten Maßnahmen zum Schutz der amerikanischen Bevölkerung zu verhindern, ist ohne Beispiel. Dafür können sie sich auf bestochene Politiker beider Parteien verlassen. Im Kapitalismus ist der Trieb der Wirtschafts- und Finanzoligarchie nach immer mehr Reichtum und Profit wichtiger als alle gesellschaftlichen Bedürfnisse.

Texas und vor allem die Stadt Houston galten als Musterbeispiel für den „Erfolg“ einer vollständig deregulierten, kapitalistischen freien Marktwirtschaft. Houston ist die Heimatstadt der Bush-Dynastie und ein Zentrum der Öl- und Gaskonzerne. Außerdem ist es die größte Stadt, in der keinerlei Flächennutzungspläne die städtebauliche Entwicklung regulieren. Es gibt keine ernsthaften Einschränkungen für Immobilienspekulanten und Baufirmen. Sie haben Prärieböden und Feuchtgebiete zubetoniert und dabei systematisch die Warnungen von Ingenieuren und Wissenschaftlern, dass diese Böden den schweren Regen nicht mehr aufsaugen können, in den Wind geschlagen.

Das Stadtgebiet erstreckt sich über 1550 Quadratkilometer. Seit 2010 wurden tausende von neuen Häusern in Überschwemmungsgebieten gebaut. Die Stadtplaner wissen, dass Houston in einer stark hochwassergefährdeten Region liegt. Trotzdem haben sie nichts unternommen, als die natürlichen Barrieren, die frühere Überschwemmungsschäden verringern konnten, zerstört wurden. Tausende von Arbeitern, die durch Hurrikan Harvey ihre Existenz verloren haben, sind Opfer der kriminellen Nachlässigkeit von Politikern geworden, die den Forderungen der gierigen Baufirmen, Ölmagnaten und Banker Folge leisten.

Es gab mehr als genug Warnsignale vor einer drohenden Flutkatastrophe. Im Jahr 2008 konnte eine Katastrophe abgewendet werden, als Hurrikan Ike in Galveston aufs Festland traf. Seit dem Jahr 2015 haben drei schwere Stürme Überschwemmungen in Gebieten verursacht, für die laut der FEMA nicht das höchste Risiko galt. Lange Diskussionen über einen Ausbau und eine Befestigung der Infrastruktur, um Houston und andere Küstenstädte zu schützen, kamen nie über das Planungsstadium hinaus. Die Infrastruktur des städtischen Hochwasserschutzes, die vor Jahrzehnten gebaut wurde, reicht für die Größe der Stadt längst nicht mehr aus und ist stark verfallen.

Präsident Donald Trumps Besuch in Texas am 29. August verdeutlichte die Gleichgültigkeit der amerikanischen herrschenden Elite. Ihnen ist völlig egal, welches Elend ihre Gier und Nachlässigkeit für die arbeitende Bevölkerung verursachen. Trump hat außerdem eine erstaunliche Unwissenheit darüber, was die Menschen denken, an den Tag gelegt.

Bei einer Show-Veranstaltung im Krisenmanagementzentrum in Corpus Christi gratulierten sich Trump, der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, und der FEMA-Verwalter Long gegenseitig zu ihrer wunderbaren Reaktion auf die Flutkatastrophe. Sie stellten die obszöne Darbietung von Chaos und Inkompetenz der Behörden, die im ganzen Land und weltweit Schock und Empörung auslöst, als Muster an Anteilnahme und Effizienz dar.

Abbott, seit langem ein Werkzeug der Ölindustrie, sprach Trump unterwürfig sein Lob aus. Dieser verkörpert die Immobilienbranche, die Houston gnadenlos ausgeplündert hat und für ihr derzeitiges Schicksal verantwortlich ist.

Hinter den Kulissen wird bereits darüber diskutiert, wie sich diese Krise ausnutzen lässt, um noch weiter zu deregulieren, öffentliches Eigentum zu privatisieren und Löhne zu senken, wie es schon in New Orleans nach Hurrikan Katrina geschehen war.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Arbeiter und Jugendliche beginnen, die notwendigen politischen Schlüsse aus dieser jüngsten „Naturkatastrophe“ zu ziehen. Die Flutkatastrophe in Texas ist nicht die erste ihrer Art. In den letzten zwölf Jahren haben mehrere Ereignisse das erschütternde Ausmaß der sozialen Ungleichheit und Armut in der amerikanischen Gesellschaft und die Gleichgültigkeit und Kriminalität der herrschenden Wirtschaftselite entlarvt: Katrina im Jahr 2005, die BP-Ölpest 2010, der Supersturm Sandy im Jahr 2012 und jetzt Houston.

Alle diese Katastrophen sind in Wirklichkeit Verbrechen an der Gesellschaft. Wie sie zeigen, ist das veraltete und irrationale Wirtschaftssystem, das auf der Anarchie des kapitalistischen Markts und dem Profitstreben der Finanzoligarchen beruht, nicht in der Lage, die Bedürfnisse moderner komplexer Gesellschaften zu befriedigen. Tausende Menschen in Houston verlieren alles, viele sogar ihr Leben, und wozu? Damit sich milliardenschwere Gangster wie Trump noch größere Villen und Jachten leisten und Politiker bestechen können, die ihren Reichtum und ihre Macht verteidigen.

Die tragischen Ereignisse zeigen auf negative Weise, wie dringend es ist, das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben umzugestalten. In den USA und auf der ganzen Welt muss rationale Planung, Wissenschaft, öffentliches Eigentum und Kontrolle, sowie die demokratische Teilhabe der breiten Masse zur Grundlage der Gesellschaft werden.

Die Solidaritätsbekundungen und die Hilfs- und Rettungseinsätze einfacher Arbeiter aus Houston und dem ganzen Land zeigen, was für ein Potenzial für eine solche Gesellschaft vorhanden ist. Dieser Entwicklung steht jedoch die barbarische Oligarchie im Weg, die die Reichtümer und die Produktivkräfte der Gesellschaft kontrolliert. Die wichtigste Lehre aus Hurrikan Harvey ist, dass dieses Hindernis von der Bühne der Geschichte abtreten muss. Die Arbeiterklasse ist die einzige Kraft in der Gesellschaft, die dies erreichen kann.

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