Diese Woche in der Russischen Revolution

11.–17. September: Kerenski unternimmt Diktatur-Versuch. Trotzki aus Gefängnis entlassen

Der organisierte Massenwiderstand der Arbeiterklasse hat den Kornilow-Putsch zurückgeschlagen, wobei die Bolschewiki die entscheidende Rolle gespielt haben. Unter dem Druck der Ereignisse entlässt die Regierung die bolschewistischen Führer auf Kaution aus dem Gefängnis. Derweil versucht Kerenski, eine neue Regierung zu bilden. Er ruft sich zum Oberkommandierenden der Armee aus und verkündet die Bildung eines diktatorischen Regimes, bestehend aus einem fünfköpfigen „Direktorium“.

London, 11. September: Erste Gruppe britischer Kriegsgefangener nach England repatriiert

Britische Kriegsgefangene in Deutschland

Das erste Kontingent britischer Kriegsgefangener wird repatriiert und kehrt nach Großbritannien zurück. Es war zuvor in der Schweiz interniert gewesen.

Im Verlauf des Kriegs hat die Anzahl der Kriegsgefangenen immer mehr zugenommen. Bis 1918 geraten allein an deutschen Soldaten fast eine Million in Gefangenschaft: 424.000 in Frankreich, 328.000 in Großbritannien und 168.000 in Russland. Über zwei Millionen österreichisch-ungarische Soldaten kommen in russische Gefangenenlager, was 25 Prozent von ihnen nicht überleben werden.

Die Bedingungen in den Gefangenenlagern sind schlecht. Immer wieder kommt es zu Vergeltungsmaßnahmen gegen Gefangene, obwohl das nach der Haager Konvention verboten ist. Deutsche Internierte berichten später über Schläge in den Lagern der Alliierten und über Zwangsarbeit in Reichweite der Kriegsfront.

Deutschland nimmt etwa 2,4 Millionen gegnerische Soldaten gefangen. Aus deutschen Lagern wird über psychologische Misshandlungen und Mangelernährung berichtet. Epidemien wie Cholera und Typhus breiten sich aus. Vergeltungslager nahe der Front und in Gebieten mit harten klimatischen Bedingungen, bestehend aus einfachen Zelten in tiefem Schlamm, weisen viel höhere Todesraten als normale Lager auf. Ein Beobachter wird Gefangene, die aus solchen Lagern zurückkehren, mit den folgenden Worten beschreiben: „Diese Männer, diese Soldaten, marschierten, aber sie waren lebende Tote. Aus jedem Wintermantel ragte der Kopf eines toten Mannes hervor: eingefallene Augen, hervorstehende Backenknochen, abgemagerte Gesichtszüge, totenschädelgleich.“

Die Repatriierung der britischen Soldaten wird vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) arrangiert. Es bringt auch den Austausch von Zehntausenden schwer verwundeten Soldaten auf allen Seiten zustande. Infolge Austauschaktionen sind zum Kriegsende ca. 68.000 Gefangene der meisten kriegführenden Länder unter militärischer Disziplin in der Schweiz interniert. Das Rote Kreuz ruft in Genf die Internationale Zweigstelle für Kriegsgefangene (IPWA) ins Leben, deren Aufgabe es ist, Soldaten und durch den Krieg vertriebene Zivilisten aufzuspüren und den Kontakt zu ihren Familien wiederherzustellen. Die Agentur erhält im Durchschnitt täglich 16.5000 Briefe, in denen um Auskunft über Vermisste gebeten wird.

Petrograd, 11.–13. September (29.–31. August): Kornilow-Putsch durch organisierten Massenwiderstand gestoppt

General Alexander Krymow

Kornilows Marsch auf Petrograd ruft eine beispiellose Erhebung der Arbeiter und Soldaten hervor, die zu Zehntausenden organisierten Widerstand leisten. Die Bolschewiki spielen dabei die Schlüsselrolle (Siehe: 4.–10. September: Die Kornilow-Affäre). Weil in der Hauptstadt ein Blutbad droht, sehen sich die Sowjetführer gezwungen, der Mobilisierung und Bewaffnung der städtischen Arbeiterklasse zuzustimmen. Unter bolschewistischer Führung sichern die Roten Garden die Stellungen rund um die Stadt. In Kornilows Truppen kommt es zu Massenmeutereien und Desertionen. Sein Aufmarsch löst sich innerhalb weniger Tage in Luft auf.

Kornilow hat den alten zaristischen General Krymow zum Führer des Marschs auf Petrograd ernannt, weil dieser, wie er sagte, bereit ist, „den ganzen Sowjet aufzuhängen“. Jetzt muss Krymow mit ansehen, wie sogar die Soldaten seiner Ersten Don-Kosaken-Division desertieren und an Massenversammlungen teilnehmen. Die Soldaten, die zuverlässig ein Massaker in Petrograd anrichten sollten, marschieren jetzt unter roter Fahne und fordern die Verhaftung der Generäle hinter dem Putsch. Am 12. September ergibt sich Krymow einem Regierungsabgesandten, der ihm im Gegenzug seine persönliche Sicherheit garantiert.

Die Armeekommandanten spüren, aus welcher Richtung der Wind weht, und erklären Kerenski am 13. September ihre Loyalität. Krymow wird in Petrograd von Kerenski zur Rede gestellt, der ihm wegen seiner Teilnahme am Putsch hart zusetzt. Der Historiker Rabinowitch schildert die Szene, in der „ein Mann, der eine Zeitlang in Privatgesprächen ganz ähnliche Überzeugungen geäußert hatte, ihm nun Staatsverrat vorwarf“.

Krymow, der das Verhör deprimiert verlässt, durchquert die Innenstadt von Petrograd, in der alles ruhig ist. Hier hatte er Menschen in großer Zahl aufknüpfen und erschießen lassen wollen. Zweifellos nimmt er überall Anzeichen dafür wahr, dass sich die Stadt fest in der Hand der organisierten Arbeiterklasse befindet. In der Wohnung eines Freundes stellt er fest: „Die letzte Karte zur Rettung des Vaterlandes ist ausgespielt – es lohnt sich nicht, länger zu leben.“ Er sagt, er brauche Ruhe, zieht sich zurück, und sobald er allein ist, schießt er sich ins Herz.

Petrograd, 12. September (30. August): Kerenskis Versuch einer Diktatur

Alexander Kerenski

Der Zusammenbruch des Kornilow-Putschs hinterlässt in der russischen Politik ein gewaltiges Vakuum. Die Großgrundbesitzer, Armeeführer, Finanziers und Kapitalisten haben Kornilow offen unterstützt. Diese Schichten schäumen jetzt vor Wut und enttäuschter Hoffnung. Gleichzeitig hat sich die Provisorische Regierung mit ihren Reden von „Blut und Eisen“ und ihrer Zurückweisung der Reformen seit der Februarrevolution meilenweit von den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernmassen entfernt.

Kerenski versucht, das Vakuum durch ein autoritäres Regime zu füllen, an dessen Spitze er selbst steht, und das sich auf die rechten Kadetten stützt. Er befiehlt die Verhaftung Kornilows und erklärt sich selbst an dessen Stelle zum Oberkommandierenden der Armee. Am 12. September gibt er die Bildung einer Diktatur bekannt, die aus einem fünfköpfigen „Direktorium“ besteht. In der politischen Zusammensetzung seiner neuen Regierung stützt er sich mehr denn je auf die Militaristen- und Kapitalisten-Partei der Kadetten.

Trotz seines Gehabes als Führer einer starken Law-und-Order Regierung ist Kerenski in wachsendem Maße isoliert. Seine Hinwendung zu den Kadetten ruft weit verbreiteten Ärger hervor. Im ganzen Land verabschieden Arbeiter- und Soldatenversammlungen Resolutionen und Misstrauenserklärungen gegen seine Regierung und fordern: „Alle Macht den Sowjets!“ Der Historiker Rabinowitch zitiert einige Beispiele:

Arbeiter der Maschinenwerkstatt der Petrograder Rohrfabrik erklärten, nachdem sie am 28. August [nach altem Kalender] über die „aktuelle Lage“ diskutiert hatten: „Angesichts der sich abzeichnenden bürgerlichen konterrevolutionären Bewegung wie auch der Angriffe auf die Freiheit und auf sämtliche demokratischen Errungenschaften des russischen Proletariats durch ehemalige zaristische opritschniki [Polizeischläger] muss alle Macht auf den Sowjet der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten übertragen werden.“ Am selben Tag stimmten achttausend Arbeiter in den Metallwerken einer Misstrauenserklärung gegenüber den „Sozialisten-Ministern“ zu, vermutlich wegen deren Bereitschaft, mit der Bourgeoisie zusammenzuarbeiten. Diese Arbeiter forderten die sofortige Bildung einer „starken revolutionären Regierung“. Am 29. August war sich eine Versammlung von einigen Tausend aufgebrachten Arbeitern in den riesigen Putilow-Werken einig, dass „die zukünftige Regierung nur aus Vertretern der revolutionären Klassen bestehen darf“ und dass „jegliche Verhandlungen über die Bildung einer Koalitionsregierung zu einer Zeit, in der die Bourgeoisie und ihr Vertreter Kornilow Krieg gegen das Volk führen, als Verrat an der Sache der Freiheit betrachtet werden“. Zugleich erklärten Angestellte der Neuen Admiralitäts-Werft nach einer Einschätzung der aktuellen politischen Lage, dass „die Staatsmacht keine Minute länger in den Händen der konterrevolutionären Bourgeoisie bleiben darf. Sie muss in die Hände der Arbeiter, Soldaten und armen Bauern gelegt werden und dem Sowjet der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten unterstehen.“

(A. Rabinowitch, „Die Sowjetmacht. Die Revolution der Bolschewiki 1917“, Essen 2012, S. 226)

Kerenski, der sich schon immer stark emotional und sonderbar verhalten hat, wandert wie betäubt in den Korridoren der Macht auf und ab. Nach Miljukows Meinung leidet Kerenski an einer Art Angststörung, was sich nun deutlicher denn je äußert. Wie Miljukow schreibt, legt Kerenski morgens meist extreme Lethargie an den Tag und hat nachmittags plötzliche Anfälle von manischer Energie. Manchmal sitzt er lange Zeit untätig herum, als habe er nichts Dringendes zu tun. Selbst seine engsten Verbündeten und Unterstützer verlieren allmählich das Vertrauen in seine Fähigkeit, das Land – noch dazu als dessen allmächtiges „Oberhaupt“ – zu regieren. In seiner „Geschichte der Russischen Revolution“ zitiert Trotzki die Erinnerungen eines Beobachters, der Kerenski nahestand:

Kerenski machte auf mich Eindruck durch die seltsame Öde seiner Umgebung und die merkwürdige, ungewöhnliche Ruhe. Um ihn herum waren nur seine unvermeidlichen ‚Adjutantchen‘. Doch gab es weder die Menge, von der er früher stets umgeben gewesen war, noch Delegationen noch Scheinwerfer … Es entstanden irgendwelche eigenartigen Mußestunden, und ich hatte die seltene Möglichkeit, mich mit ihm stundenlang zu unterhalten, wobei er eine merkwürdige Saumseligkeit an den Tag legte.

Am 14. September (1. September nach gregor. Kalender) wird Russland zur „Republik“ erklärt, aber Kerenskis Lage wird dadurch nicht besser. Bei den Rechten, die die Monarchie wiederherstellen wollen, verstärkt es nur die Ressentiments. Für die Arbeiter und Soldaten ist es zu wenig und kommt zu spät. Trotzki schildert die Lage im Rückblick folgendermaßen:

Unüberwindliche historische Kräfte zogen die Herrschenden hinab. Niemand glaubte ernstlich an den Erfolg der neuen Regierung. Kerenskis Isoliertheit war unabänderlich. Seinen Verrat an Kornilow konnten die besitzenden Klassen nicht vergessen. „Wer bereit war, gegen die Bolschewiki zu kämpfen“, schreibt der Kosakenoffizier Kakljugin, „wollte dies nicht im Namen und zur Verteidigung der Macht der Provisorischen Regierung tun.“ An die Macht sich klammernd, hatte Kerenski Angst, von ihr irgendeinen Gebrauch zu machen. Die wachsende Kraft des Widerstandes paralysierte schließlich seinen Willen völlig.

(Leo Trotzki, „Geschichte der Russischen Revolution“, Essen 2010, Bd.2, S. 300)

New York, 12. September: Die New York Times feiert Kornilow

New York Times unterstützt Kornilow

Die New York Times feiert in ihrem Leitartikel den Möchtegern-Schlächter der Russischen Revolution, General Lawr Kornilow. Sie entlarvt damit erneut die Lüge, Amerika sei daran interessiert, „die Welt für die Demokratie sicher zu machen“.

„Er ist“, schreibt die New York Times, „lediglich der Vertreter der Kräfte, die lange Zeit schuldhaft geschwiegen haben und sich jetzt endlich aufraffen, um die schnelle Auflösung Russlands als Nation aufzuhalten. Mit einem Wort: Um es zu retten.“

Die führende Stimme des amerikanischen Liberalismus verurteilt Russland, weil es „in trunkenem Wahn über dem Abgrund des Sozialismus am Rande der Anarchie taumelt“. Stattdessen feiert sie die reaktionärsten Elemente der russischen Gesellschaft, darunter „die Kosaken … unter Führung von General Kaledin und die Gutsbesitzer unter den St. Georgs-Rittern“.

Die Times verurteilt Kerenski, weil er Kornilow nicht voll unterstützt. Sie schweigt sich aber darüber aus, dass sie Kerenski zuvor schon aufgefordert hatte, selbst diktatorische Vollmachten an sich zu reißen. Kerenski „musste sich entscheiden, und als der Tag der Entscheidung kam, zog er es vor, sich auf die Seite des Sozialismus zu stellen“, schreibt die Times.

Berlin, 12. September: Massenhafter Mitgliederschwund bei der SPD

Die Parteizeitung Vorwärts veröffentlicht den „Bericht des Parteivorstandes an den Parteitag für die Geschäftsjahre 1914/1917“. Der Bericht beginnt mit der Lüge, die Partei habe alles für die Aufrechterhaltung des Friedens getan. Die schwammige Friedensresolution des Reichstags vom 19. Juli wird als Beweis dafür angeführt, wie „ernst es ihr mit der Friedensarbeit“ sei. Das Oberkommando hat, wie die andern Kriegsregierungen, diese zahnlose Resolution ignoriert. Sie hat hauptsächlich zu einem Verhandlungsfrieden der imperialistischen Mächte ohne Annexionen oder Entschädigungen aufgerufen.

Die im selben Bericht ausgewiesene Entwicklung der Mitgliederzahlen dokumentiert, dass die Zahl der Parteimitglieder von 1914 bis zum 31. März 1917 von 1.085.905 auf 243.061, d. h. auf weniger als ein Viertel, zusammenschmolzen ist. Bereits 1915, also innerhalb eines Jahres nach der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten, hatte sich die Zahl halbiert.

Im April 1917 ist es mit der Gründung der zentristischen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) nochmals schlagartig zu einem weiteren Aderlass gekommen: Die USPD nimmt erneut rund 100.000 der militantesten Kriegsgegner unter den SPD-Mitgliedern mit. Nur noch ein Rumpf von etwa 150.000 bis höchstens 180.000 Mitgliedern, darunter der Apparat von höheren Funktionären und vielen Redaktionsmitgliedern, bleibt in der SPD. Die mitgliederstarken Industriezentren (Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main, Niederrhein, Ostpreußen, Braunschweig, Halle, Erfurt, Groß-Thüringen) fallen vollständig oder zu einem guten Teil an die USPD.

Die SPD-Politik des „Burgfriedens“, d. h. der Unterdrückung aller Arbeitskämpfe, und ihre direkte Unterstützung des imperialistischen Kriegs sind die Ursache dieser Massenaustritte. Was in Jahrzehnten bitterer und aufopferungsvoller Kämpfe von Proletariern aufgebaut worden war, eine kampfstarke Arbeiterpartei mit dem Ziel der sozialistischen Revolution, ist nach dem historischen politischen Verrat von 1914 innerhalb von wenigen Monaten auch organisatorisch zusammengebrochen.

Diese Abstimmung mit dem Parteibuch ist bei den unterdrücktesten Schichten der Arbeiterklasse und den zum Kriegsdienst eingezogenen Männern besonders ausgeprägt. Letztere sind entweder an der Front gefallen oder wenden sich als Überlebende von der SPD ab, die Rosa Luxemburg als „stinkenden Leichnam“ bezeichnet hat.

Die Zahl der weiblichen Mitglieder ist um fast zwei Drittel geschrumpft, von 174.754 vor dem Krieg auf 66.608 bis Ende März 1917. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Arbeiterfrauen müssen nicht nur unter den katastrophalen Bedingungen der Kriegswirtschaft ihre Familien ernähren, sondern auch noch für die eingezogenen Männer die Schwerarbeit in den Fabriken übernehmen. Wie sollen sie da einer Partei, die all das zu verantworten hat, noch vertrauen?

Stockholm, 12. September: Dritte Zimmerwalder Konferenz verabschiedet Aufruf zum internationalen Massenstreik gegen Krieg

Angelica Balabanoff

Die aus Deutschland, Russland, Polen, Rumänien, Österreich, Schweden, Norwegen, Finnland und der Schweiz angereisten Delegierten der „3. Zimmerwalder Konferenz“ in Stockholm verabschieden eine sogenannte „Friedenskundgebung aus Stockholm“, einen Aufruf an die Proletarier aller Länder.

Die Zimmerwald-Bewegung nimmt eine Zwischenposition ein, zwischen einerseits den Parteien der Zweiten Internationale, die versuchen, auf der sogenannten „Stockholmer Friedenskonferenz“ einen „Verständigungsfrieden“ zwischen den imperialistischen Mächten auszuhandeln, und andererseits jenen Kräften, die wie Lenin und Trotzki zu einer Dritten Internationale aufrufen, um mit all den Sozialchauvinisten, Zentristen und Opportunisten entschieden zu brechen.

Das Zimmerwalder Manifest geißelt die verräterische Politik der rechten Sozialdemokraten in jedem Land. Ihre Bemühungen um die Stockholmer Friedenskonferenz, so das Manifest, seien aussichtslos und lieferten die Arbeiter und Bauern weiter der Massenschlächterei aus. Der Aufruf schließt mit den Worten: „Die Stunde hat geschlagen für den Beginn des großen gemeinsamen Kampfes in allen Ländern zur Herbeiführung des Friedens, für die Völkerbefreiung durch das sozialistische Proletariat. Das Mittel dazu ist der gemeinsame internationale Massenstreik …“

Nur der menschewistische Delegierte Axelrod stimmt gegen das Manifest. Ungeachtet der fast einstimmigen Verabschiedung des Aufrufs ist die Konferenz jedoch von politischer Impotenz geprägt. In der Zimmerwalder Bewegung, benannt nach der ersten internationalen Konferenz sozialistischer Kriegsgegner 1915 im Schweizer Dorf Zimmerwald, sind nur eine Handvoll Anhänger Lenins vertreten. Die übergroße Mehrheit sind Zentristen der verschiedensten Schattierungen, auf der Rechten Hugo Haase und Georg Ledebour (USPD) und die russischen Menschewiki, auf dem linken Flügel außer den Bolschewiki Leute wie Angelica Balabanoff, die zu den Bolschewiki tendieren. Balabanoff wird in Stockholm zur Sekretärin des Organisationskomitees ICS (International Socialist Committee) gewählt.

Schon zu Beginn der Konferenz am 5. September stößt der Beschluss, an der für Mitte September geplanten sozialpatriotischen „Stockholmer Konferenz“ nicht teilzunehmen, auf die Opposition der deutschen USPD-Führer und der menschewistischen Delegierten. Die Frage erledigt sich jedoch nach Ende der Konferenz von selbst: Die im Laufe des Sommers mehrmals verschobene Stockholmer Friedenskonferenz wird am 15. September offiziell vertagt – und wird nie stattfinden. Zu groß ist die Feindschaft zwischen den Sozialchauvinisten der Alliierten und jenen der Mittelmächte, als dass sie sich an einen Tisch setzen könnten.

Über ein zweites Thema gibt es hitzige Debatten: über die Haltung der Zimmerwalder Organisationen zur Russischen Revolution und ihren Aufgaben. Wohl in der Befürchtung, diese Frage könnte zum Auseinanderbrechen der Konferenz führen, ist sie erst gar nicht auf die Tagesordnung gesetzt worden. Doch der russische Delegierte Orlowskij gibt im Namen des Zentral- und Auslandskomitees der Bolschewiki eine Erklärung ab. Darin wird die Teilnahme der Menschewiki an der kapitalistischen, kriegführenden Kerenski-Regierung Russlands angeprangert. Die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Armee, das Niederschießen der Petrograder Arbeiter in den Julitagen, die Einkerkerung ihrer Führer, die beispiellose Verleumdungskampagne und Hexenjagd gegen die Bolschewiki – zu all diesen Fragen müsse die Zimmerwalder Konferenz klar Stellung beziehen und die Menschewiki verurteilen, fordert Orlowskij. Natürlich protestieren Axelrod und Jermanskij (von den Menschewiki-Intenationalisten) auf Schärfste gegen diese Forderung, und tatsächlich lehnt die Mehrheit der Konferenz eine Diskussion dieser Fragen ab.

Trotz allem wird Angelica Balabanoff in ihrem Bericht die Konferenz und das Manifest später als großen Schritt vorwärts bezeichnen: Der Friedensaufruf für internationale Massenstreiks bedeute den Übergang von einer Politik der Worte zu einer Politik der Taten.

Lenin ist entschieden anderer Meinung. Aus seinem Versteck in Finnland heraus fordert er erneut den endgültigen Bruch mit der Zimmerwalder Bewegung, die sich immer noch in den Bahnen der verrotteten zweiten Internationale bewege. Die Zentristen führen, so Lenin, mit ihren linken Phrasen nur die Arbeit fort, welche die inzwischen bei den Massen verhassten Sozialchauvinisten wie die SPD in Deutschland oder die Menschewiki in Russland für die herrschende Klasse nicht mehr leisten können: das Proletariat mit Friedensresolutionen und falschen Hoffnungen einzulullen und davon abzuhalten, sich auf die Eroberung der Staatsmacht vorzubereiten.

Wie Lenin erklärt, ruft auch die Forderung nach einem gemeinsamen internationalen Generalstreik zwar korrekterweise zu internationalen Klassenkampfaktionen auf, bleibt aber immer noch im Rahmen der Politik, Druck auf die imperialistischen Regierungen auszuüben, anstatt konkret in jedem Land ihren Sturz ins Auge zu fassen.

Bereits auf der April-Konferenz der Bolschewiki ist Lenin dafür eingetreten, mit der Zimmerwalder Bewegung als einem Hindernis für die Massen zu brechen. Alle Energie solle vielmehr darauf verwendet werden, Vorbereitungen zur Gründung der Dritten Internationale zu treffen. Die Partei ist ihm damals jedoch noch nicht gefolgt. Sie hat zwar die Teilnahme an der sozialpatriotischen Stockholmer Konferenz strikt abgelehnt, jedoch einen Verbleib im Block der Zimmerwalder Linken befürwortet.

Auf Verlangen der USPD-Vertreter und der Menschewiki beschließt die Konferenz, dass der Aufruf nicht sofort veröffentlicht werden soll. Ein günstigerer Moment müsse abgewartet werden. Die Konferenzteilnehmer müssten alle erst zuhause angekommen sein. Auch müsse zunächst die Zustimmung der in Stockholm abwesenden Delegierten aus den Ländern der Alliierten abgewartet werden. Die Bolschewiki hingegen fordern die sofortige Veröffentlichung.

Da erscheint plötzlich, zwei Wochen nach Ende der Konferenz, Luise Zietz, eine Mitarbeiterin des USPD-Vorstandes, beim Organisationskomitee ISC in Stockholm und fleht inständig darum, mit der Veröffentlichung des Manifests noch länger zu warten, vielleicht bis zum nächsten Jahr. Als Grund gibt sie an, dass die USPD-Führer Repressalien von Seiten des Staats befürchten. Sie seien jetzt schon mit Ermittlungen der Justiz konfrontiert, weil sie Max Reichpietsch und andere Vertreter der Matrosenbewegung empfangen und angeblich zum Aufstand ermutigt hätten. Die USPD-Führer streiten zwar jegliche Verantwortung für die Taten der Matrosen ab: Sie hätten damit nichts zu tun, hätten die Matrosen immer vor illegalen Aktionen gewarnt. Dennoch würden sie von der Justiz verfolgt.

Das Organisationskomitee ICS lehnt zunächst das Verlangen ab. Gleichzeitig trifft aus Berlin ein privates Schreiben von Georg Ledebour ein, dass er mit der Mission der Genossin Luise Zietz nicht einverstanden sei, die sie im Namen der USPD nach Stockholm geführt habe. Am Ende sagt das ICS jedoch zu, mit der Veröffentlichung bis Dezember 1917 warten zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt wird jedoch der ganze Aufruf infolge der Oktoberrevolution hinfällig sein.

Lissabon, 14. September: Arbeitskämpfe weiten sich zum Generalstreik aus

Streikende und Militär in Lissabon

In den Arbeitervierteln Lissabons beginnt ein Generalstreik. Schon am 1. September sind die Arbeiter und Arbeiterinnen der Post-und Telegraphenämter in Streik getreten, um höhere Löhne zu fordern. Die Streikenden präsentieren eine Liste mit ihren Forderungen und bemühen sich um eine Schlichtung durch das Parlament. Aber die Regierung Alfonso Costa ordnet die gewaltsame Unterdrückung des Streiks an, worauf die Arbeiter den Kampf ausweiten. Alle Geschäfte und Fabriken sind geschlossen. Durch einen Bombenanschlag werden einige Personen, darunter auch Soldaten verwundet.

Streikende werden als Fahnenflüchtige angesehen und es kommt zu Massenverhaftungen. Daraufhin breitet sich Mitte September ein Solidaritätsstreik auf ganz Lissabon aus. Die Arbeiter fordern die Freilassung ihrer zu Hunderten verhafteten Kollegen.

Bereits den ganzen Sommer 1917 über haben in Portugal Streiks, Hungerrevolten und Plünderungen stattgefunden. Demonstrationen der Bauern gegen die Regierung endeten im Mai 1917 mit zwei Toten in Porto. Nachdem es am 12. Juni bei Demonstrationen gegen die Regierung auch zu Todesopfern gekommen ist, hat die Costa-Regierung den Belagerungszustand ausgerufen. Am 5. September kommt es zu Meutereien auf portugiesischen Kriegsschiffen. Zahlreiche Matrosen werden verhaftet.

Schon vor dem Kriegseintritt Portugals 1916 war es in Lissabon und anderen Städten wegen der Nahrungsmittelkürzungen zu Überfällen auf Bäckereien und Gemüseläden gekommen. Hungerunruhen und Streiks flammen 1917 wegen der schlechten Versorgungslage immer wieder auf.

San Francisco, 17. September: Streik von 25.000 Metallarbeitern und Maschinisten legt Schiffbau lahm

25.000 Facharbeiter legen ca. einhundert Fabriken in der Bay Area lahm. Der Bau von Handelsschiffen im Wert von 150 Millionen Dollar wird unterbrochen.

Etwa 25.000 Maschinisten legen mehr als einhundert Fabriken und Handwerksbetriebe in der Bay Area lahm und stoppen damit den Bau von Handelsschiffen im Wert von 150 Millionen Dollar. Offenbar sind mehrere Gewerkschaften in den Streik involviert, aber Medienberichte sagen nichts über eine führende Rolle von Gewerkschaften in dem Streik, in dem höhere Löhne gefordert werden.

Der Streik ist, einem Bericht zufolge, der größte in der Geschichte an der Pazifikküste. Er bricht in zwei großen Werken aus: in den Union Iron Works und den Moore and Scott Iron Works, wo 8500 bzw. 2700 Arbeiter beschäftigt sind. Union Iron Works arbeitet Regierungsaufträge im Wert von 125 Millionen Dollar ab. In den Verträgen ist eine Lohnobergrenze festgelegt, um die Inflation in Schach zu halten und gleichzeitig die Profite der Industrie zu garantieren.

Die Nachrichten über den Streik verbreiten sich in Windeseile, und bis zum Abend hat er die Produktion in praktisch jedem Betrieb lahmgelegt, der in der Bay Area Maschinisten beschäftigt, so auch in einem weiteren großen Betrieb von Union Iron Works in Oakland. Dort streiken 2500 Arbeiter. Eine Schätzung besagt, dass von dem Streik 31 Gießereien, 60 Presswerke, zwölf Boiler-Fabriken und mehrere Textilwerke betroffen sind.

Streikende Maschinisten schließen sich mit Straßenbahnfahrern zusammen, die schon seit Wochen einen erbitterten Streik gegen San Franciscos United Railroad führen. Sie attackieren von Streikbrechern geführte Straßenbahnen. Die Polizei wird gleichzeitig an fünf verschiedene Stellen der Stadt gerufen, um „Unruhen“ von Maschinisten und Straßenbahnfahrern zu unterdrücken.

Petrograd, 17. September: Trotzkis Entlassung aus dem Kresty-Gefängnis

Kresty-Gefängnis, aktuelle Fotografie

Trotzki wird aus dem Gefängnis entlassen. Die Provisorische Regierung hat ihn länger als einen Monat festgehalten. Mit den Verhaftungen hat sich die Regierung an der Arbeiterklasse für die Julitage gerächt und die bolschewistische Partei zu zerschlagen versucht. Weil die Kornilow-Bewegung am organisierten Massenwiderstand gescheitert ist, sind Kerenski die Hände gebunden. Ohne dass die Anschuldigungen gegen Trotzki und die andern Bolschewiki fallengelassen werden, erlaubt die Regierung ihre Entlassung gegen eine Kaution von 3000 Rubel.

Der Petrograder Sowjet der Gewerkschaften ermöglicht Trotzkis Befreiung aus Einzelhaft und erklärt, er übernehme „die Ehre, für den verdienstvollen Führer des revolutionären Proletariats die Kaution zu stellen“.

Trotzki begibt sich sofort zum Smolny-Institut, dem Hauptquartier des Sowjets. Dort befindet sich auch das Kampfkomitee gegen die Konterrevolution. Dieses hat sich gezwungen gesehen, an die bolschewistisch geführten Massen zu appellieren, um die Verteidigung von Petrograd zu organisieren. An diesem Tag versucht Kerenski, das Komitee durch ein Entlassungsdekret aufzulösen, was jedoch nicht beachtet wird.

Die Arbeitermilitanz wächst unaufhaltsam. Am Tag, an dem Trotzki die Gefangenenfestung Kresty verlässt, beginnt ein Streik von 700.000 Eisenbahnern.

Viele Jahre später wird sich Trotzki in seiner Autobiographie an die Zeit erinnern, als sich während seiner Gefangenschaft Kornilow Petrograd näherte. Trotzki wird von einer Abordnung bolschewistischer Arbeiter bewacht, die bereit sind, die Arbeiterführer zu verteidigen, sollten Kornilows Soldaten in die Stadt eindringen.

Im Mai, als Zereteli gegen die Matrosen hetzte und die Maschinengewehrschützen entwaffnete, sagte ich ihm voraus, dass der Tag vielleicht nicht mehr fern sei, an dem er bei den Matrosen Hilfe suchen werde gegen den General, der den Strick für die Revolution einseifen wird. Im August fand sich ein solcher General in der Person des Kornilow. Zereteli wandte sich hilfesuchend an die Kronstädter Matrosen. Sie lehnten sie nicht ab. In die Wasser der Newa fuhr der Kreuzer „Aurora“. Die so schnelle Verwirklichung meiner Prophezeiung musste ich schon vom „Kresty“ aus beobachten. Die Matrosen der „Aurora“ schickten eine Delegation zu mir ins Gefängnis während der Besuchsstunde, um Rat zu holen: Soll das Winterpalais geschützt oder durch Angriff genommen werden? Ich gab ihnen den Rat, die Abrechnung mit Krerenski zu vertagen, bis sie mit Kornilow fertig geworden sein würden. „Das Unsrige wird uns nicht entgehen.“ – „Wird es nicht …?“ – „Es wird nicht!“

Und Trotzki wird konstatieren: „Jene Armee, die sich gegen Kornilow erhob, war die zukünftige Armee des Oktoberumsturzes.“

Auch in dieser Woche: Premiere des ersten Technicolor-Films „The Gulf Between“ in den Vereinigten Staaten

Erhaltenes Einzelbild eines Testdruckabzugs, zeigt die Annäherung an die additive Zweifarbenprojektion.

Am 13. September 1917 kommt der erste Technicolor Film „The Gulf Between“ in den Vereinigten Staaten in die Kinos. Es ist der vierte Spielfilm in Farbe. Die ersten drei Spielfilme waren „With our King and Queen Through India“ (1912), „The World, the Flesh and the Devil“ (1914) und „Little Lord Fauntleroy“ (1914). Diese Filme sind im Kinemacolor-Verfahren hergestellt worden. Der Kolorierungsprozess läuft so ab, dass ein Schwarzweiß-Film aufgenommen und bei der Projektion abwechselnd mit einem Rot- und einem Grünfilm belichtet wird.

„The Gulf Between“ ist in Jacksonville (Florida) gedreht worden. Die Gesellschaft Technicolor Motion Picture Organization hat ihn unter Verwendung ihres „System 1“ hergestellt. Dabei werden jeweils zwei Bilder eines Filmstreifens gleichzeitig fotografiert, eins durch einen Grün-, das andere durch einen Rotfilter. Dadurch kann nur ein begrenztes Farbspektrum erreicht werden, und Blau-, Gelb- oder Lila-Farbtöne können nicht wiedergegeben werden.

Dazu David Pierce, Ko-Autor von „The Dawn of Technicolor, 1915–1935“, in einem Interview mit dem George Eastman Museum: „Hollywood hatte keine einheitliche Haltung zu Technicolor und dem generellen Übergang zu Farbproduktion. Sie sahen, dass sie damit zusätzliche künstlerische Mittel in die Hand bekamen, fürchteten jedoch auch die höheren Kosten, sowohl auf der Produktionsseite, als auch bei der Produktion jeder einzelnen Kopie, die an die Filmtheater ging. Sie waren sich nicht sicher, ob die zusätzlichen Einkünfte der Vorführer die zusätzlichen Produktionskosten wettmachen würden.“

Der Film wird in Boston und New York vorgeführt und tourt dann durch mehrere große Städte an der Ostküste. Aber wegen der technischen Probleme bei der Vorführung bleibt es der einzige Film, der mit der Technicolor System 1-Technik hergestellt wird.

Die Handlung wird in einem damaligen Filmmagazin so beschrieben: Ein Mädchen namens Marie (gespielt von Grace Darmond) verirrt sich und wird von einem Schmugglerkapitän aufgefunden, der es zu sich nimmt und großzieht. Ohne Erinnerung an ihr früheres Leben wächst sie auf. Schließlich verliebt sie sich in einen jungen Mann namens Richard (Niles Welch) und findet mit Hilfe des Schmugglerkapitäns ihre alte Familie wieder.

In einer zeitgenössischen Besprechung in Photoplay Magazine heißt es, Technicolor sei „ein riesiger Schritt vorwärts, wenn auch nicht immer zufriedenstellend“. Und weiter: „Unglücklicherweise ist die Story dieses Films langweilig, banal und unendlich in die Länge gezogen. Eine gute, spannende Geschichte hätte uns dazu gebracht, gelegentlich die genaue Beobachtung der Farben zu vergessen.“

Wie zahlreiche Filme der Stummfilmära ist auch dieser Film verschollen, und nur kurze Fragmente sind erhalten geblieben.

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