Diese Woche in der Russischen Revolution

18.–24. September: Bolschewiki erhalten die Mehrheit im Moskauer und Petrograder Sowjet

Seit der Kornilow-Affäre wächst die Unterstützung für die Bolschewiki unaufhaltsam. Sie erobern jetzt den Moskauer und den Petrograder Sowjet und nach und nach auch die Provinzsowjets. Die Krise der neuen Kerenski-Diktatur verschäft sich. Währenddessen wütet der Krieg weiter, und der Hunger und die Entbehrungen der Massen schüren auf der ganzen Welt die Bereitschaft der Arbeiterklasse zum Aufstand.

Moskau, 18. (5.) September: Bolschewistische Mehrheit im Moskauer Sowjet

Erste Konferenz des Moskauer Sowjets der Arbeiter- und Soldaten-Deputierten, Februar 1917

Seit der Februarrevolution sind die Bolschewiki in all den Sowjets, die sich während des Sturzes des Zarismus ausbreiten, immer in der Minderheit gewesen. Nach seiner Rückkehr nach Russland hat Lenin in den Aprilthesen darauf hingewiesen, dass die Bolschewiki noch in der Minderheit seien („Wir sind bisher eine kleine Minderheit“) und dass sie sich von dem „Block all der kleinbürgerlichen Elemente“ in den Sowjets distanzieren müssten, in dem die Menschewiki und Sozialrevolutionäre die Kontrolle hatten.

Im Gegensatz zu den Menschewiki und Sozialrevolutionären lehnt die bolschewistische Partei den Krieg ab und weigert sich, dem Kerenski-Regime irgendwelche Unterstützung zu bieten. Mit ihren engen Verbindungen zu Fabrikarbeitern, Soldaten und Matrosen der Baltischen Flotte gewinnt die Partei eine Reputation – sowohl unter Freunden wie Feinden – als Stimme der ernsthaften Hoffnung der Arbeiter auf die Machteroberung, auf radikale soziale Neuorganisation und auf ein Ende des imperialistischen Kriegs. Die Partei fordert eine neue Internationale, die alle Parteien der sozialistischen Weltrevolution umfassen soll.

Die Positionen der Bolschewiki bringen ihnen die Feindschaft des gesamten politischen Establishments und seiner Unterstützer ein. In der ganzen Periode seit der Februarrevolution, und ganz besonders während der Kerenski-Offensive und der Juli-Tage, werden die Bolschewiki in den Zeitungen ständig verleumdet. Sie werden von allen Seiten beschuldigt, „deutsches Gold“ angenommen zu haben. Über Lenin heißt es, er sei ein bezahlter Agent des deutschen Kaisers, und fast alle Tage gibt es neue Beschuldigungen, die Bolschewiki arbeiteten mit „dunklen Kräften“ zusammen, um diesen oder jenen Verrat zu begehen und eine Katastrophe über das Land zu bringen.

„Aber die politische Rache folgt auf dem Fuß“, schreibt Trotzki Ende August im Gefängnis („Mit Blut und Eisen“). „Gejagt, verfolgt, verleumdet, wächst unsere Partei in letzter Zeit schneller als je zuvor. Und dieser Prozess wird sich rasch von der Hauptstadt auf die Provinzen, von der Stadt aufs Land und in die Armee ausbreiten. Die Bauern können es sehen und hören, dass die Autoritäten, welche die Landkomitees zerschlagen, dieselben sind wie die Leute, welche die Bolschewiki verfolgen, und dass sie es aus denselben Motiven tun. Die Soldaten beobachten das wilde Halali, das sich gegen die Bolschewiki richtet, und fühlen gleichzeitig, wie die konterrevolutionäre Schlinge um ihren eigenen Hals immer fester zugezogen wird. Alle arbeitenden Massen des Landes werden aus eigener neuer Erfahrung lernen, ihr Schicksal an das Schicksal unsrer Partei zu knüpfen. Ohne auch nur für einen Moment aufzuhören, die Klassenorganisation des Proletariats zu sein, erfüllt unsre Partei im Gegenteil diese Rolle jetzt erst recht, indem sie unter dem Feuer der Repression zur wahren Führerin und Helferin und der Hoffnung aller unterdrückten, bedrängten, betrogenen und verfolgten Massen wird.“

Nach dem Sieg der Petrograder Arbeiterklasse über Kornilow (siehe dazu: „4.–10. September: Die Kornilow-Affäre“) gewinnen die Bolschewiki die Mehrheit, nicht nur im Petrograder Sowjet, sondern auch im Sowjet von Moskau und mehrere Provinzen. Darüber wird Trotzki später schreiben: „Immer unzweifelhafter wuchsen der Einfluss und die Macht der Maximalisten [Bolschewiki] heran und befanden sich bald in unwiderstehlichem Schwunge. Die Maximalisten hatten vor der Koalition gewarnt, auch vor dem Angriff des 18. Juli, und sie hatten die Kornilow-Affäre vorausgesagt, – die Massen konnten sich überzeugen, dass wir Recht hatten.“

Die Bolschewiki verwandeln sich schnell in die stärkste Kraft auf der politischen Bühne. Die Partei muss eine gewaltige organisatorische Leistung aufbringen, um mit der wachsenden Mitgliedschaft und Unterstützung Schritt zu halten. Aber die Bolschewiki haben sich seit langem auf diese Wende vorbereitet. „Fast vom ersten Anfang der Revolution an war unsere Partei von der Erkenntnis durchdrungen, dass schließlich die Logik der Tatsachen sie ans Ruder bringen würde“, so Trotzki.

(Leo Trotzki, „Von Oktober bis nach Brest-Litovsk“, Sozialistische Arbeiter-Bibliothek, Chicago 1919, S. 30 und S. 3)

Sydney, 19. September: Gewerkschaftsbürokratie verrät „Großen Streik“ von Australien

Streikende vor dem Hauptbahnhof von Sydney im August 1917 (Image courtesy Carriageworks)

Metallarbeiter und Schlosser der Eisenbahn von Sydney nehmen die Arbeit wieder auf. Am nächsten Tag beenden 300 Kesselmacher ihren Ausstand und kehren in die Eisenbahnwerkstätten von Eveleigh im Zentrum von Sydney zurück. Bis zuletzt haben sie gegen den Ausverkauf des „Großen Streiks“ Widerstand geleistet.

Im Transportsektor und verwandten Bereichen der Ostküste haben von Anfang August bis zum 9. September etwa 100.000 Arbeiter an einem Generalstreik teilgenommen. Dann hat sich die Gewerkschaftsführung bereit erklärt, den Ausstand zu beenden, ohne dass auch nur eine einzige Forderung erfüllt worden wäre.

Vom ersten Tag an hat die Gewerkschaftsführung gefürchtet, dass sich der Streik in eine allgemeine politische Bewegung ausweiten könnte. In vielen Bereichen rufen Gewerkschaftsbürokraten erst offiziell zum Streik auf, nachdem die Arbeiter ihre Arbeitsplätze schon verlassen haben. Die Arbeitsniederlegung richtet sich gegen die Einführung von Stechuhren und andere Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität bei der Eisenbahn und den Straßenbahnen. Die militante Stimmung fällt mit einer wachsenden Ablehnung des imperialistischen Kriegs zusammen. Sozialisten und Antikriegs-Aktivisten haben einen großen Einfluss.

Die nationalistische Regierung von Billy Hughes und die Staatsregierungen in Victoria und New South Wales reagieren mit Unterdrückung. Gegen einzelne Gewerkschaftsführer werden Anklagen erhoben, und ganze Gewerkschaften werden für illegal erklärt. Die Gewerkschaftsspitzen sind politisch mit der Labor Party verbündet und lehnen den Sozialismus ab. Daher sind sie nicht bereit oder fähig, Widerstand zu leisten.

Am 9. September unterzeichnet das Streikkomitee unter der Leitung hoher Gewerkschaftsführer ein Abkommen mit den Behörden, welches alle Streikaktivitäten beendet. Der Ausverkauf gewährt keinerlei Zugeständnisse und beinhaltet eine Klausel, die es dem Eisenbahnvorstand erlaubt, freie Stellen nach Gutdünken neu zu besetzen. Die Formulierung des Abkommens führt dazu, dass praktisch alle Streikenden arbeitslos werden und sich neu für ihre Stellen bewerben müssen. Das schafft die Bedingungen für weitgehende Strafmaßnahmen gegen Streikteilnehmer.

Ein großer Teil der Belegschaften leistet Widerstand gegen den Verrat. Ein Artikel im Daily Telegraph berichtet über eine Versammlung von 600–700 Eisenbahnern, die zur Diskussion über die Bedingungen des „Abkommens“ geladen sind. In dem Artikel heißt es: „Nahezu einstimmig wurde das Vorgehen des Streikkomitees empört zurückgewiesen, und mehr als einer rief zornig aus: ‚Man hat uns ausverkauft’ … Ein Mitglied erklärte unter allgemeiner Zustimmung, wenn keine zufriedenstellende Erklärung gegeben würde, dann solle das Streikkomitee in die Wüste geschickt und ein anderes gewählt werden.“

Aber weil eine alternative Perspektive fehlt, und auch wegen der starken Unterdrückung, ist die Streikbewegung nicht in der Lage, sich dem Verrat zu widersetzen. Keines der Probleme, vor denen die Arbeiterklasse steht, wird gelöst, und so brechen schon am 21. September im zentralen Wirtschaftsdistrikt von Melbourne Lebensmittelaufstände aus. Zeitungsberichten zufolge ziehen hunderte Arbeiterfrauen durch die Stadt, zerschlagen Fensterscheiben und verlangen vor dem Bundesparlament, dass die Regierung den Nahrungsmittelexport einschränkt.

Washington D.C., 20. September: Präsident Wilson ordnet Giftgas- und Flammenwerfer-Einsätze an

Amerikanische Soldaten mit Gasmasken

Das Kriegsministerium weist die Armee auf Befehl von US-Präsident Woodrow Wilson an, chemische Waffen und Flammenwerfer zu entwickeln und im Kampf gegen Deutschland und die Zentralmächte einzusetzen. Ein Artikel in der New York Times rechtfertigt diesen Befehl mit den Worten: „Der Einsatz solcher Methoden durch den Feind zwingt die Vereinigten Staaten, mit ähnlichem Maßnahmen dagegenzuhalten.“ Tatsächlich aber demonstriert er, dass die „Methoden“ der „demokratischen“ Vereinigten Staaten sich nicht von denen des „deutschen Kaisertums“ unterscheiden, die doch regelmäßig in der Times verurteilt werden. Der Einsatz von Gift oder vergifteten Waffen wird in der Haager Deklaration von 1899 und in der Haager Konvention von 1907 über den Landkrieg ausdrücklich verboten. Alle Kriegsteilnehmer haben diese Konventionen unterzeichnet, aber im Großen Krieg wischen sie die Abkommen beiseite. Zehntausende Soldaten werden von Giftgasen wie Senfgas oder Chlorgas getötet und verstümmelt.

Der amerikanische Soldat Stull Holt beschreibt in diesem Monat in einem Brief an die Heimat das Gefühl, von einer Senfgasgranate direkt getroffen worden zu sein. „Ich habe mehrere Atemzüge dieser starken Lösung genommen, bevor sie durch viel Luft verdünnt wurde. Wenn mein Kamerad nicht gewesen wäre, könnte ich diesen Brief wahrscheinlich nicht mehr schreiben. Ich könnte dann nicht mehr sehen. Das Wasser lief mir aus den Augen und brannte, ebenso die Nase und ich konnte kaum atmen. Ich schnappte nach Luft, würgte und fühlte die extreme Angst, die man hat, wenn man im Wasser versinkt und sich nur noch an einen Strohhalm klammert.“

Russland, 20. (7.) September: Unabhängige Föderale Republik Transkaukasien

Karte von 1903, die administrative Aufteilung unter dem Zaren darstellend

Kerenski hat Russland unvermittelt und einseitig zur Republik erklärt. Das beschleunigt nur die zentrifugalen Kräfte, die das alte Zarenreich auseinanderreißen. In Transkaukasien (entspricht etwa den heutigen Georgien, Armenien und Aserbaidschan) wird ein Rat der Transkaukasischen Völker gegründet, der hauptsächlich aus ehemaligen Mitgliedern der zaristischen Duma besteht. Er soll die Region zur unabhängigen föderalen Republik erklären. Eine provisorische Regierung wird gebildet.

Die bürgerlichen Politiker an der Spitze des neuen Regimes sind sich jedoch untereinander nicht einig über Grundkomposition und Struktur der neuen Regierung. Die nationalen Ambitionen nehmen zu, und gleichzeitig verstärken sich die inneren Spannungen in einer Region, in der seit Anbeginn der Geschichte viele verschiedene Nationalitäten, Ethnien und Religionen leben.

Ypern, 20. September: Weiter schreckliche Verluste in Flandern

Australische Soldaten mit Gasmasken bei Ypern, September 1917

Die britischen Truppen versuchen nach dem Beginn der dritten Flandernschlacht am 31. Juli Boden gut zu machen, scheitern aber unter großen Verlusten. Danach ändern die Kommandeure die Taktik, erhöhen die Feuerkraft an der Front und setzen den vorrückenden Truppen maßvollere Ziele. Die Zahl der schweren Artilleriegeschütze, die den Briten zur Verfügung stehen, hat sich verdoppelt. Das ermöglicht es britischen Soldaten, am ersten Tag der Schlacht um die Straßenbrücke von Menin fast eine Meile vorzurücken.

Das Hauptziel des Angriffs ist die Einnahme des Gheluvelt-Plateaus, das die Deutschen den ganzen August über als Verteidigungsbollwerk nutzen.

Während die britische Armee den begrenzten Vorstoß als großen Erfolg feiert, bezahlt sie dafür jedoch einen hohen Preis. Vom 20. bis 25. September erleiden die britischen Kräfte mehr als 20.000 Verluste, darunter 3.148 Tote. Die 19. Division allein verliert 1.933 Männer. Auf deutscher Seite wird eine ähnliche Zahl an Verteidigern getötet. Es kommt zu ungeheuren Artillerie-Duellen. Beobachter sprechen von einer 300 Meter tiefen Feuerwand.

Ein späterer britischer Angriff, der als Schlacht von Polygon Wood in die Annalen eingehen wird, hat am 26. September auf der britischen Seite 15.000 Opfer zur Folge, darunter mehr als 1.200 Tote. Zwei australische Divisionen, die 4. und die 5., erleiden extrem schwere Verluste. Vom 26. bis 28. September verlieren sie 1.717 bzw. 5.471 Mann, Tote und Verwundete. Die Deutschen verlieren vom 21. bis zum 30. September 13.000 Mann.

Deutsche Soldaten führen wiederholt Gegenangriffe durch und gewinnen einige Geländestreifen an der südlichen Flanke der Briten zurück. In einer zweiwöchigen Periode vom 26. September bis zum 3. Oktober tragen die deutschen Truppen 24 Gegenangriffe vor. Immer häufiger setzen die deutschen Verteidiger Giftgas ein.

Washington D.C., 20. September: Schlichtungskommission der Regierung soll Streikwelle stoppen

Arbeitsminister William B. Wilson

Präsident Wilson ordnet die Bildung einer Schlichtungskommission der Bundesregierung an, um die nationale Streikwelle zu stoppen. In diesem Jahr sind schon hunderttausende Arbeiter in Streik getreten. Die Kommission soll staatliche und kommunale Behörden dabei unterstützen, die International Workers of the World (IWW) zu zerschlagen und mit dem wachsenden Einfluss des Radikalismus unter amerikanischen Arbeitern fertig zu werden.

Die Vermittlungskommission des Präsidenten wird von Arbeitsminister William B. Wilson geleitet. Weitere Vertreter der Wirtschaft und des Gewerkschaftsbunds American Federation of Labor (AFL) sollen der Kommission angehören, und der Jurist Felix Frankfurter wird zu ihrem Sekretär ernannt.

Wilson veröffentlicht sein Dekret, während die Streikwelle weiter an Fahrt gewinnt. Ein Streik von 25.000 Arbeitern in den Werften und Maschinenfabriken San Franciscos weitet sich auf mehrere Anlagen in Seattle aus. In Pittsburgh legen 5000 Stahlarbeiter von Jones and Laughlin die Arbeit nieder und folgen 400 Kollegen, die schon in der Vorwoche in den Streik getreten waren. Ein Streik von 6500 Hafenarbeitern in New York City und Hoboken endet nach mehreren Tagen unter der Drohung der Wilson-Regierung, beide Häfen zu militärischem Sperrgebiet zu erklären. In Lynn, Massachussetts sind 12.000 streikende Schuharbeiter dabei, die Arbeit wieder aufzunehmen. Sie waren seit April im Streik.

Russland, 21. (8.) September: Rücktritt des Armeechefs vertieft Krise der Provisorischen Regierung

General Alexejew

General Alexejew, Befehlshaber der russischen Armee, tritt zurück. Der ehemalige Kandidat der Kadetten für das Ministerpräsidentenamt ist ein Reaktionär, der dem Zaren loyal gedient hat. Er hat die Position des Militärchefs angenommen, um das Los des verhafteten Kornilows und seiner Getreuen zu erleichtern. Vor nur zehn Tagen, als die Offiziere im Petrograder Militärbezirk versucht haben, den Kampf gegen Kornilow durch Sabotage der Petrograder Verteidigungseinheiten zu unterlaufen, hatte Kerenski noch erwogen, zugunsten Alexejews zurückzutreten.

Der Abschied des Zaristengenerals ist ein Hinweis darauf, dass die Bemühungen der Provisorischen Regierung, die Folgen der Kornilow-Affäre einzudämmen und die entfesselten rechten Kräfte zu schützen, gescheitert sind. Während Alexejew ins Abseits gedrängt wird, gibt Werschowski bekannt, dass im Militär alle hohen Offiziere festgenommen würden, da sie – ob nun in die Kornilow-Affäre verwickelt oder nicht – in jedem Fall davon gewusst hätten. Ginge es tatsächlich danach, müsste sich Kerenski selbst vom Amt entfernen.

Werschowski ruft ein neues Regiment im Militär aus, eins, bei dem „die Ideen des Rechts, der Gerechtigkeit und strenger Disziplin“ die Ordnung bestimmen sollen, und nicht „Maschinengewehre und Nagaikas [Peitschen]“. Seine Worte können nicht überzeugen. Die Arbeitermassen und die Soldaten gehen rasch nach links. Über der Baltischen Flotte, dem Kronjuwel der russischen Marine, weht nun die rote Fahne. In der Zeitung des Kronstädter Sowjets heißt es: „Genug der Kompromisse! Alle Macht der arbeitenden Bevölkerung!“

Die Worte des neuen Kriegsministers wird Trotzki in seiner „Geschichte der Russischen Revolution“ später kommentieren: „Das roch ganz nach den Frühlingstagen der Revolution. Aber draußen war September, es nahte der Herbst.“

Norditalien, 16.–18. September: Aufstandsbewegung in mehreren Städten. Grenzen abgeriegelt

Seit dem 17. September sind nicht nur die Grenzen zum Kriegsgegner Österreich, sondern auch zur neutralen Schweiz vom Militär abgeriegelt. Weder Post noch Zugverkehr kann die Grenzen passieren. Der Grund ist eine Aufstandsbewegung, die mehrere Städte im industriell entwickelten Norden Italiens erfasst hat. Die italienische Regierung will das „Eindringen“ von Revolutionären verhindern, die in der Schweiz im Exil leben, und auch Briefe mit Nachrichten aus Russland außer Landes halten.

Der italienischen Regierung fällt es immer schwerer, die Ernährungslage in den Griff zu bekommen. Bereits seit Anfang September plant sie eine Reihe von Maßnahmen zur Rationierung von wichtigen Lebensmitteln und Rohstoffen. Der Staat will z. B. die Schuhindustrie monopolisieren und den Privatbesitz von Automobilen einschränken. Ausnahmen sollen nur für Staatsbedienstete und Diplomaten gelten. Das Brot soll rationiert werden.

Für Turin, wo es schon im August zu einem Generalstreik kam, wird für den 1. Oktober die Ausgabe von Brotkarten angekündigt.

Wie der Corriere della Sera am 16. September berichtet, ist das Kabinett am Abend zuvor zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengetroffen, weil eine heftige innenpolitische Krise ausgebrochen ist. Fünf Minister, die bereits zum Wochenende abgefahren sind, werden zurückgeholt. Im Ministerrat kommt es wegen des Ernährungsproblems zu heftigen Meinungsverschiedenheiten.

Am gleichen Tag brechen in Parma wegen der schlechten Versorgungslage bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Soldaten aus. Daraufhin wird über die Stadt das Kriegsrecht verhängt. Der sozialdemokratische Vorwärts berichtet, gestützt auf eine Meldung der Zeitung Der Bund aus Bern, über „Straßenaufläufe“ in Italien.

Ebenfalls am 16. September wird in der Presse von Sabotageakten der Arbeiter berichtet. So weigern sich Hafenarbeiter in Civitavecchia aus Protest gegen den Krieg, Getreideladungen mehrerer Schiffe zu löschen. Ehe sie den Hafen erreicht haben, waren sie unterwegs nur knapp der Verfolgung durch U-Boote entkommen.

Finnland, 19.–22. (6.–9.) September: Drei wichtige Artikel Lenins über Strategie

Lenin, 1917

Lenin schreibt in seinem Versteck in Finnland drei wichtige Artikel, die sich mit der Frage befassen, welche Strategie die bolschewistische Partei nach der Kornilow-Affäre einschlagen soll: „Die Aufgaben der Revolution“, „Russische Revolution und Bürgerkrieg“, und „Eine der Kernfragen der Revolution“. Diese Artikel werden in den folgenden Wochen in bolschewistischen Zeitungen veröffentlicht werden.

In dem früheren Brief „Über Kompromisse“ vom 16. September (3. September nach dem alten, gregorianischen Kalender) untersucht Lenin die Frage, ob es möglich wäre, eine neue Regierung gestützt auf die Sowjets auf der Grundlage eines Kompromisses mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären zu bilden. Diese Parteien haben schließlich während der Kornilow-Affäre gezwungenermaßen die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen die konterrevolutionäre Bedrohung befürwortet. Ein solcher Kurs, den Genossen wie Kamenew und Sinowjew fordern, „könnte mit größter Wahrscheinlichkeit eine friedliche Vorwärtsentwicklung der ganzen russischen Revolution gewährleisten und außerordentlich viel dazu beitragen, dass die internationale Bewegung für den Frieden und den Sieg des Sozialismus große Fortschritte macht“.

Als jedoch die Nachricht eintrifft, dass Kerenski eine Diktatur errichtet hat, die aus einem „Direktorium“ besteht, das den Krieg und die Repression befürwortet, und dass die Menschewiki und Sozialrevolutionäre diese Diktatur unterstützen – da fügt Lenin ein Postskriptum an: „Nachdem ich die Zeitungen … gelesen habe, sage ich mir, dass der Vorschlag des Kompromisses wohl schon zu spät kommt … Ja, aus allem ist ersichtlich, dass die Tage, in denen der Weg friedlicher Entwicklung zufällig möglich wurde, schon vergangen sind.“ In „Aufgaben der Revolution“ schreibt Lenin:

Machen wir uns … keine Illusionen über die Parteien der Sozialrevolutionäre und Menschewiki, schreiten wir unbeirrt auf unserem proletarischen Klassenwege weiter. Das Elend der armen Bauern, die Schrecken des Krieges, die Schrecken des Hungers – all das zeigt den Massen immer anschaulicher, dass der proletarische Weg richtig ist, dass es notwendig ist, die proletarische Revolution zu unterstützen.

Die „friedlichen“ kleinbürgerlichen Hoffnungen auf die „Koalition“ mit der Bourgeoisie, auf das Paktieren mit ihr, auf die Möglichkeit, „ruhig“ den „baldigen“ Zusammentritt der Konstituierenden Versammlung abzuwarten usw. – all das wird durch den Verlauf der Revolution rücksichtslos, grausam, unerbittlich zerschlagen. Der Kornilow-Putsch war die letzte harte Lehre, eine Lehre in großem Maßstab, die zu den Tausenden und aber Tausenden von kleineren Lehren hinzukommt, zu den Lehren, die sich aus dem Betrug der Kapitalisten und Gutsbesitzer an den Arbeitern und Bauern in Stadt und Land, aus dem Betrug der Offiziere an den Soldaten usw. usf. ergeben.

Lenin ruft die Bolschewiki auf, mit ihrem Programm „mehr zu den ‚unteren Schichten‘, zu den Massen, den Angestellten, den Arbeitern, den Bauern [zu gehen], nicht nur zu denen, die zu uns gehören, sondern besonders auch zu den Sozialrevolutionären, den parteilosen, den unaufgeklärten Massen. Ermutigen wir sie, selbständig zu urteilen, eigene Beschlüsse zu fassen … Das Leben lehrt, dass das bolschewistische Programm und die bolschewistische Taktik richtig sind. Vom 20. April bis zum Kornilow-Putsch – ‚so kurze Zeit verstrich, so vieles ist geschehen‘.“

Lenin fährt fort: „Die eigene Erfahrung hat den Massen, die eigene Erfahrung hat den unterdrückten Klassen in dieser Zeit ungeheuer viel gegeben, während die Führer der Sozialrevolutionäre und Menschewiki sich von den Massen völlig losgelöst haben. Das wird sich am sichersten gerade an Hand eines ganz konkreten Programms zeigen, sofern es gelingt, die Diskussion über dieses Programm in die Massen zu tragen.“

Auch in dieser Woche: Blutiges Patt an der Südfront

Österreich-ungarische Truppen an der Front in einer Schlacht am Isonzo

Die Armeen Österreich-Ungarns und Italiens haben sich an der Südfront in eine blutige Pattsituation verrannt. Nach dem Ende der 11. Isonzo-Schlacht vergangene Woche ist die italienische Armee nicht mehr in der Lage, weitere Angriffe zu führen. Sie muss schwere Verluste hinnehmen, und Meutereien brechen aus. Der Österreichisch-ungarischen Armee ergeht es kaum besser. Sie befindet sich am Rande des Zusammenbruchs.

In dieser Situation werden viele deutsche Soldaten und Offiziere, die durch den Zusammenbruch der Kerenski-Offensive an der Ostfront frei werden, an die italienische Front verlegt. Die 14. Armee, ursprünglich als rein deutsche Armee konzipiert, ist mittlerweile eine gemischt österreichisch-ungarisch-deutsche Einheit und steht unter dem Kommando von Otto von Below. Giftgasexperten werden zur Planung eines neuen Angriffs hinzugezogen. Unter ihnen befindet sich auch der Wissenschaftler Otto Hahn, der für die Entwicklung der deutschen Gasgranaten verantwortlich ist. Da die österreichisch-ungarischen Truppen einem weiteren Angriff der Italiener alleine nicht mehr Stand halten könnten, hat das österreichisch-ungarische Armeekommando entschieden, die Offensive mit deutscher Hilfe zu führen.

In den neun Isonzo-Schlachten von 1917 sind schon etwa 70.000 Italiener getötet worden, und die beiden Schlachten in diesem Jahr haben weitere 76.000 Menschenleben gekostet. Auf der österreichisch-ungarischen Seite werden an der Italien-Front bis Ende des Jahres mindestens 40.986 Soldaten und 1.323 Offiziere getötet. Die Kämpfe an der Italien-Front zählen zu den erbittertsten des ganzen Kriegs. Durch Minen und Granaten werden ganze Bergzüge zerlegt, und immer wieder kommt es zu Nahkämpfen, Mann gegen Mann mit Bajonetten und Äxten.

Für die Zivilbevölkerung haben die Kämpfe weitreichende Folgen. Lebensmittelknappheit in beiden Ländern und die hohe Zahl von Todesopfern an der Front führen zu verstärkten Streiks und Anti-Kriegsprotesten. 60.000 italienische Soldaten begehen Fahnenflucht.

Auch in diesem Monat: Käthe Kollwitz arbeitet am Mahnmal für ihren gefallenen Sohn

„Trauerndes Elternpaar“, Skulptur (1914–1932) für Sohn Peter, heute Deutscher Soldatenfriedhof Vladslo

Die Malerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz (1867–1945) arbeitet am Mahnmal für ihren in der ersten Flandernschlacht gefallenen Sohn Peter. Sie arbeitet daran mit vielen Unterbrechungen schon seit 1914.

Peter wollte sich 18jährig sofort nach Kriegsbeginn als Freiwilliger melden, brauchte aber die Einwilligung seines Vaters dazu. Dieser war gegen den Krieg und wollte sie nicht geben. Der ältere Sohn Hans war bereits eingezogen. Auch Käthe ist zunächst dagegen, lässt sich aber schließlich umstimmen. 1943 wird sie in ihren Erinnerungen schreiben: „Wie es dann kam, dass ich eine Art Wandlung durchmachte, ist mir nicht recht klar. Ich fluchte dem Kriege, ich wusste, dass er das Schwerste fordern würde. Dass ich mich nicht widersetzte, hing wohl damit zusammen, dass es mir widerstand, in diesen letzten Zeiten nicht ganz und gar eins zu sein mit dem Jungen.“

Aus ihren Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass ihr der Charakter des Kriegs damals nicht wirklich klar ist. Ihr Mann und sie sind beide Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, die 1914 alles tut, um vor ihren Anhängern die Zustimmung zu den Kriegskrediten zu rechtfertigen, indem sie ihn als Verteidigungskrieg darstellt. So lässt sie sich anfänglich von der Kriegsbegeisterung Peters mitreißen und hilft ihm, den Vater umzustimmen. Am 13. Oktober 1914 zieht der junge Freiwillige, schlecht ausgebildet und mit einer kaum ausgeheilten Knieverletzung in den Krieg. „Schwerer Tag, sehr schwerer Tag“, schreibt sie ins Tagebuch. 10 Tage später ist er tot. „Es ist eine Wunde in unserem Leben, die niemals heilen wird, und auch nicht soll“, schreibt sie.

Immer wieder klagt sie in den folgenden Jahren den Krieg an und versucht, ihren Schmerz durch Arbeit an dem Mahnmal für den Sohn zu bewältigen. Zunächst beginnt sie damit, seinen Kopf zu gestalten. Dann gestaltet sie ein Relief: Ein trauerndes, sich umschlingendes Elternpaar mit gesenkten Köpfen. In dieser Zeit entsteht auch eine ihrer wichtigsten Skulpturen, die Pietà, eine knapp 40 cm große Bronzeplastik. (Eine vierfach vergrößerte Kopie davon wird später in der Neuen Wache in Berlin, der „Zentralen Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, aufgestellt.)

Im September schreibt sie ins Tagebuch: „Gearbeitet in dieser Woche … gut. Ich sehe klarer, dass dieser Weg zum Ziel führt, aber auch, dass das Ziel noch so weit ist, dass Jahre vergehen werden, bis ich mit Peters Arbeit fertig werde … Wenn ich dieses wirklich gut fertig mache, ist in dieser Arbeit viel andere Arbeit, die ich sonst einzeln hätte machen müssen, mit ausgedrückt … Mit unendlicher Langsamkeit schält sich heraus, was sein soll.“ Sie braucht insgesamt 18 Jahre, bis sie mit dem Mahnmal fertig ist. Heute steht es auf dem Soldatenfriedhof im belgischen Vladslo.

Ihre Trauer um den Sohn und die Erfahrung des Kriegs gehen einher mit immer stärkerer Parteinahme für Arme und Unterdrückte und deren Darstellung. Sie nimmt an Friedenskundgebungen teil. Aufmerksam und voller Hoffnung verfolgt sie die Entwicklung der Revolution in Russland. So schreibt sie am 8. November: „In Russland die ungeheuer wichtigen Umwälzungen. Die revolutionären Sozialisten sind an der Regierung. Sie wollen Russland sozialistisch, kommunistisch verwalten. Max Wertheiner [ein Freund] erwartet von Russland aus ein Hinübergreifen auf ganz Europa in demselben Geiste. Er glaubt an eine gewaltige moralische Erhebung.“ Und am Jahresende: „Gegeben hat es neue Ausblicke durch Russland. Von da ist etwas Neues in die Welt gekommen, was mir entschieden vom Guten zu sein scheint.“

Was sie 1897 mit ihrem Zyklus über den „Weberaufstand“ und 1908 mit dem „Bauernkrieg“ begonnen hat, setzt sie nach dem Krieg in aktueller Form mit Radierungen und ihren berühmten Kohlezeichnungen wie „Brot“, „Gefallen“ oder „Nie wieder Krieg“ fort. Nach der Ermordung Karl Liebknechts widmete sie ihm einen Holzschnitt.

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