Arbeiter und Studenten in Deutschland verurteilen die Google-Zensur der WSWS

Im April dieses Jahres hat Google neue Suchalgorithmen eingeführt, die zu einem massiven Rückgang der Zugriffe auf linke, progressive und antimilitaristische Websites über die Google-Suche geführt haben. Diese Zensurmaßnahmen richten sich insbesondere gegen die meistgelesene internationale sozialistische Online-Zeitung World Socialist Web Site.

Dagegen wächst internationaler Widerstand. Am 14. August startete die WSWS eine Online-Petition, in der sie Google „politische Zensur“ nachweist und den Konzern auffordert, die Angriffe auf die „Rede- und Meinungsfreiheit und das Grundrecht auf unzensierte Informationen zu beenden“. Über 4.000 Menschen aus aller Welt haben die Petition seitdem unterschrieben.

Viele der etwa 200 Unterzeichner aus Deutschland hinterließen Kommentare, in denen sie die Zensur durch Google als Angriff auf die demokratischen Grundrechte zurückwiesen.

Aus der Sicht von Thomas widerspricht die Google-Zensur „den Grundsätzen der Demokratie, der Gleichbehandlung sowie der freien Meinungsäußerung und sogar der Würde des Menschen“. Er prangert die scheinheilige Kritik der europäischen Regierungen an Menschenrechtsverstößen in anderen Staaten an: „Wer die Google-Zensur in Deutschland sowie für Europa nicht verbietet, stellt sich auf die gleiche Stufe mit den viel genannten Despoten dieser Welt und braucht über eine Stasi [Staatssicherheit in der DDR] keine heuchlerischen Kommentare abgeben. Wer soll das dann noch glauben?“

Siamak warnt: „Zensur ist der Beginn von Unterdrückung und Diktatur.“

Einige Petitionsunterstützer heben die Bedeutung der WSWS hervor: „Ich bin eine regelmäßige Leserin dieser Website, die uns wahre Nachrichten über die internationalen Ereignisse bietet. Solche Websites zu zensieren, bedeutet systematisch die Wahrheit zu blockieren“, schreibt Anna Jane aus Stuttgart.

Viele sehen einen direkten Zusammenhang zu der wachsenden internationalen Kriegsgefahr. Aus Florians Perspektive ist der freie Zugang zu Informationsquellen eine Voraussetzung für eine friedliche Welt. „Wenn Sie Suchergebnisse zensieren, die offensichtlich GEGEN Krieg und FÜR eine bessere Welt sind, dann fördern Sie Krieg.“

Und Max schreibt: „Wir leben in einer historischen Periode, in der die Gefahr eines nuklearen Kriegs mit unvorstellbaren Konsequenzen für die ganze Menschheit so real ist, wie nie zuvor seit der Kuba-Krise. Es ist absolut zentral, dass jeder einen Zugang zu Antikriegs-, Anti-Austeritäts- und generell progressiven Internetseiten hat, die für eine fortschrittliche Lösung der Weltkrise des Kapitalismus kämpfen. Ich denke, dass dieser Weg nach vorn am stärksten in der WSWS verkörpert wird, die eine notwendige und bedeutende Nachrichtenseite ist.“

In Anlehnung an George Orwells dystopischen Roman 1984 warnen Jochen und Jan vor einem „Ministerium für Wahrheit“ und der allseitigen Überwachung durch den „Großen Bruder“. Robert appelliert in seinem Kommentar zur Petition: „Die Kampagne gegen die WSWS und andere progressive Websites ist nicht irgendein dystopischer Alptraum. Wir müssen alle aufwachen.“

Gerade in Deutschland fühlt sich manch ein Leser an die dunklen Traditionen der deutschen Geschichte erinnert: „Das ist ungeheuerlich und kriminell“, empört sich Robin aus Berlin über die Zensur. Mit Bezug auf das offizielle Google-Motto schreibt er: „Don’t be evil? Google ist das Wesen des Bösen.“ Das zeige sich jetzt zweifellos in der Zensurmaßnahme. „Goebbels“, der NS-Propagandaminister, „wäre stolz“, so Robin.

Tatsächlich geht die Google-Zensur der WSWS und anderer linker Websites in Deutschland mit einer Wiederbelebung der ideologischen und politischen Tendenzen des Nationalsozialismus einher. Hinter den Kulissen der Bundestagswahlen bereitet die herrschende Klasse eine massive innere und äußere Aufrüstung vor. An den Universitäten, in den Thinktanks und in den Redaktionsstuben der großen Medien wird die Kriegspolitik ideologisch ausgearbeitet und legitimiert.

Im Vorfeld der Wahlen haben die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) Tausende Offene Briefe der WSWS an Google verteilt und mit Arbeitern, Studenten und Jugendlichen über die Bedeutung der Google-Zensur und die zunehmende Kriegsgefahr diskutiert.

Vor der Grimm-Bibliothek der Humboldt-Universität sprachen unsere Korrespondenten mit Viki, einer Medizin-Studentin der Charité. Sie zeigte sich besonders besorgt über die Vernichtungsrhetorik von US-Präsident Donald Trump gegen Nordkorea. Als ein WSWS-Reporter den Vergleich erwähnte, den UN-Generalsekretär Antonio Guterres jüngst zwischen der aktuellen politischen Lage und der Phase vor dem Ersten Weltkrieg gezogen hatte, erklärte sie:

„Ich würde fast sagen, dass es heute noch etwas fragiler ist. Es sind ja nicht nur die zwei Staaten USA und Nordkorea, sondern weltweit so viele Konflikte.“ Zwar habe sich die Situation 1914 schärfer zugespitzt, aber heute seien viel mehr unterschiedliche Kräfte involviert. „In den letzten Jahren ist viel passiert, wo man denkt, dass es bald zu einem größeren globalen Konflikt kommen könnte“, ergänzte Viki nachdenklich.

Zu den Veränderungen des Google-Algorithmus sagte sie: „Die öffentlichen Medien überschneiden sich immer mehr und man hat das Gefühl, dass alles aus einer Quelle kommt. Was Ihr beschreibt, ist ein starkes Beispiel für Zensur. Ich will gar nicht wissen, was für Manipulationen noch in der Mache sind, die wir gar nicht merken. Ich finde es gut, dass Ihr dagegen vorgeht.“

Auch die Schülerin Karina, die bei einem Infotisch im Berliner Arbeiterbezirk Wedding mit SGP-Kandidat Andy Niklaus diskutierte, fühlt sich von den etablierten Medien abgestoßen: „Die meisten großen Medien lügen, und sie arbeiten wie Google längst eng mit dem politischen Establishment zusammen“, so Karina. „Google muss heute diejenigen zensieren, die das sagen, was wahr ist und viele Menschen interessieren könnte.“

Ram vor einem Büchertisch der SGP

Ram (31), der ursprünglich aus Indien kommt und in Siegen ein Masterstudium im Fahrzeugbau macht, unterstützt in Berlin den Wahlkampf der SGP. Er berichtet, wie er vor etwa drei Jahren die World Socialist Web Site kennenlernte: „Am Anfang bin ich vor allem über Google auf die WSWS gestoßen. Für mich war das eine sehr wichtige Entdeckung, sowohl persönlich als auch für meine politische Orientierung.“

Seiner Ansicht nach richtet sich die Google-Zensur vor allem gegen die „Antikriegsorientierung der WSWS“. In den USA gebe es eine regelrechte Verschwörung zwischen Technologiekonzernen wie Google, den Geheimdiensten und der Politik.

Über die WSWS habe er auch die „Auseinandersetzung der SGP mit den rechten Kriegstendenzen an den Universitäten verfolgt“, sagt Ram. „Jörg Baberowski nennt sich Historiker, aber er betreibt eigentlich Propaganda und Geschichtsfälschung.“ Gerade über die großen Medien könnten Akademiker ihre Hetze weit verbreiten. Das hält Ram für gefährlich.

Tim aus Frankfurt

Aus Frankfurt am Main ist auch Tim (21) nach Berlin gekommen, um beim Wahlkampf zu helfen. „Ich unterstütze voll und ganz den Offenen Brief von David North an Google“, erklärt Tim. Die Google-Zensur sei ein „direkter Angriff auf die Meinungsfreiheit“. Gerade in Deutschland habe es offensichtlich Absprachen zwischen der Politik und Google gegeben.

Ben Gomes, Chefingenieur für die Suchmaschinen bei Google, war kurz vor Einführung der neuen Algorithmen nach Deutschland gekommen, um dort mit den Rundfunkkommissionen und Vertretern aus hohen Regierungskreisen über die jüngsten Pläne von Google zu diskutieren.

Für Tim ist die WSWS die „verlässlichste Informationsquelle“. Die täglichen Analysen und Perspektiven hätten ein „hohes theoretisch-analytisches Niveau“ und orientierten sich auf die Arbeiter. Er selbst studiert Ethnologie an der Universität Frankfurt und ist im Oktober 2016 auf die WSWS aufmerksam geworden. Damals hielt David North, Chefredakteur der WSWS, an der Uni einen Vortrag über „Philosophie und Politik in Zeiten von Krieg und Revolution“. Das habe ihn sehr beeindruckt. „Für mich als Student waren genau die Fragen zur Frankfurter Schule und pseudolinken Theorien sehr wichtig.“

Das Auftreten gegen rechte Ideologien an den Universitäten, wie in der Auseinandersetzung gegen Baberowski, sei bedeutsam: „Auch historisch zeigt sich, dass man als Marxist rechtzeitig die historische Wahrheit verteidigen muss und es gar nicht erst dazu kommen lassen darf, dass Lügen über die Geschichte verbreitet werden.“

Die Google-Zensur werde Tim zufolge gerade jetzt durchgesetzt, weil sich die internationalen Spannungen verstärken. Europa sei vor dem Auseinanderbrechen und die USA auf einem radikaleren Kriegskurs, wie Trumps UN-Rede zeigte. „Ob systematische Eingriffe in demokratische Rechte oder Verbote von linken Websites – das sind alles Vorbereitungen auf Sozialangriffe“, so Tim.

Ein weiterer Schritt zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland sei das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das soziale Netzwerke wie Facebook, Youtube und Twitter in Deutschland zur Löschung und Zensierung von Beiträgen zwingen soll und unmittelbar nach den Wahlen in Kraft tritt.

Leon mit dem Wahlaufruf der SGP

Das beunruhigt auch den 25-jährigen Leon aus Dresden, der eine Ausbildung als Gärtner abgeschlossen hat und über Youtube zur WSWS gekommen ist. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sei sehr „weit ausgelegt“ und ein starker „Eingriff in die Medienfreiheit“, der auch kritische Youtube-Kanäle treffen könnte.

„Mein Zugang zu Informationen läuft jetzt über Youtube und WSWS“, erzählt Leon. Er stand den Mainstream-Medien immer skeptisch gegenüber, auch wegen ihrer ähnlichen Standpunkte mit den großen Parteien. „Ich suche die Wahrheit, und wer die Wahrheit sucht, wird die Wahrheit finden. Deshalb wurde ich schnell in die Richtung geleitet, die mich vorwärts bringt.“

Die Google-Zensur diene dazu, so Leon, „eine Meinung vorzugeben, die konform mit dem ist, was letzten Endes nicht meinen Interessen entspricht, sondern den Interessen derjenigen, die an den Machthebeln sitzen und das große Geld haben“.

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