Paris: Mélenchon und Gewerkschaften versuchen Widerstand gegen Kürzungspolitik zu kontrollieren

Am Samstag hat Jean-Luc Mélenchons Bewegung „Unbeugsames Frankreich“ (La France Insoumise, FI) auf dem Place de la République in Paris eine landesweite Kundgebung abgehalten. Die Angaben über die Anzahl der Teilnehmer variieren zwischen 30.000 und 150.000. Es war eine der zahlreichen Protestaktionen gegen Präsident Emmanuel Macrons Dekrete, mit denen er die Arbeitsschutzgesetze des Landes abschaffen will. Unabhängig von der genauen Zahl der Teilnehmer fiel die Kundgebung deutlich kleiner aus als die Demonstration, die von den Gewerkschaften zum nationalen Aktionstag am 21. September in Paris organisiert worden war.

WSWS-Reporter sprachen mit mehreren Demonstranten auf der Kundgebung. Die Teilnehmerschaft war sehr gemischt. Viele Lehrer, IT-Fachkräfte und Jugendliche wollten gegen Macrons Verordnungen protestieren, mit denen die gesetzlichen Hürden für ungerechtfertigte Entlassungen, Lohnkürzungen und Arbeitsplatzabbau sowie für die Befristung von Arbeitsverträgen beseitigt werden sollen. Einige nahmen an der Demonstration teil, weil sie mit der Perspektive von Mélenchon übereinstimmen. Dieser forderte, die Gewerkschaftsbürokratie solle die Proteste der Arbeiter gegen Macron unter Kontrolle halten.

In seiner Rede, bei der er eine patriotische Schärpe in den Farben der Trikolore trug, erklärte Mélenchon: „Wir sind bereit, uns hinter sie [die Gewerkschaften] zu stellen [...] Wir sind uns der Stärke der Gewerkschaftsorganisationen und der festangestellten Arbeiter bewusst.“ Er verbreitete die Illusion, dass die winzige FI-Fraktion in der Nationalversammlung irgendwie die Annahme der Dekrete verhindern könne. „Der Kampf ist noch nicht vorbei, er beginnt gerade erst“, erklärte er.

Die diversen Gewerkschaftsbürokratien haben jedoch, seit Macron im Mai gewählt wurde, eng mit der Regierung zusammengearbeitet. Sie sind es, die die Dekrete mit aushandeln und mit Macron weitere Angriffe vorbereiten. Gleichzeitig stützen sie die Regierung von Premierminister Edouard Philippe, indem sie den wachsenden Widerstand von Arbeitern und Jugendlichen gegen Macrons Kriegs- und Austeritätspolitik abblocken. Die Gewerkschaften halten geheime Treffen mit der Regierung ab, und einzelne Gewerkschaftsbürokraten treten in den Stab von Ministerien ein.

Mélenchons Appell an die Gewerkschaften, die Proteste anzuführen, dient daher dazu, die Proteste gegen die Dekrete abzuwürgen und Macrons Reformen stillschweigend zu unterstützen. Mélenchon arbeitet auch mit der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (KPF) und dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Sozialistischen Partei (PS), Benoît Hamon, zusammen. Sie bereiten für den Fall, dass die Regierung Philippe scheitern sollte, eine alternative Regierung im Dienste des französischen Imperialismus vor.

Hamons Sozialistische Partei hatte 2016 eben solche Dekrete wie die von Macron zur Zerschlagung Arbeitsgesetzgebung entworfen. Dass Mélenchon jetzt mit Hamon zusammenarbeitet, unterstreicht den Zynismus seiner Haltung gegen die Austeritätspolitik des gegenwärtigen Präsidenten. Er versucht keineswegs mit den korrupten, arbeiterfeindlichen Kräften zu brechen, die seit dem Generalstreik von 1968 in Frankreich als „Linke“ gelten. Vielmehr versucht Mélenchon nach dem Zusammenbruch der PS in den Präsidentschaftswahlen vom Mai dieses Jahres die Kräfte der PS und ihre diversen Verbündeten neu zu gruppieren und zu einem politischen Werkzeug für die herrschende Klasse zu machen.

Außer der NPA nahmen an der Kundgebung auf dem Place de la République auch der Nationalsekretär der Kommunistischen Partei, Pierre Laurent, und Hamon teil. Laurent erklärte, er wünsche sich, dass „die Mobilisierung weitergeht“. Philippe Poutou, der Präsidentschaftskandidat der NPA von 2017 forderte Mélenchon auf: „Rufen Sie alle dazu auf, aktiv zu werden. Ihr habt eher die Mittel dazu als wir.“

Mélenchon antwortete darauf: „Ich versuche das richtige Maß zu finden. Ich will Euch nicht alle gegen eine Wand laufen lassen.“ Mélenchon versucht die Entstehung eines revolutionären, internationalen Kampfs der Arbeiterklasse zu verhindern. Er lässt die Gewerkschaften „das Maß“ für die Proteste „finden“. Das bedeutet nichts anderes als Industriezweig für Industriezweig zu isolieren und allein auf Frankreich zu beschränken, obwohl überall in Europa die Wut über die sozialen Angriffe wächst.

Ein Teil der Demonstranten zeigte relativ deutlich, dass sie Mélenchons reaktionäre und arbeiterfeindliche Perspektive unterstützen. Sie erklärten gegenüber den WSWS-Reportern, dass sie nicht in jedem Fall befürworten, dass sämtliche Dekrete Macrons zurückgenommen werden müssten. Und sie bestanden darauf, nicht über die Verbindung zwischen Mélenchon und seinem Verbündeten, Alexis Tsipras, zu diskutieren, dessen Syriza-Regierung in Griechenland die Kürzungspolitik durchsetzt.

Andere erklärten, sie suchten nach einem Weg, um gegen Macron und die wachsende Kriegsgefahr international und die Gefahr einer Diktatur in Frankreich zu kämpfen. Sie sahen die Gewerkschaftsproteste kritisch und wollten sehen, was Macron vorschlagen würde.

Ninon, eine Lehrerin, erklärte: „Ich glaube, wir müssen alle diese Maßnahmen gegen die Arbeiter beenden. Ich bin solidarisch mit den Arbeitern, obwohl ich nicht zu denen gehöre, die im öffentlichen Dienst als erste davon betroffen sind. Dies ist eine Regierung, die auf Seiten der Unternehmen, des Großkapitals und der Finanzwelt steht und nicht auf der Seite der Arbeiter.“

Als die WSWS Ninon fragte, ob sie glaube, dass Mélenchons Perspektive es ihm ermöglicht, diese Politik zu ändern, antwortete sie: „Kurzfristig kann er das nicht, er ist nicht an der Macht. Ich glaube nicht wirklich daran. Ich werde mir das ansehen. Heute werden viele Menschen mobilisiert und auch im Oktober. Ich bin überzeugt davon, dass die Regierung keinen Rückzieher macht. Aber ich kann auch nicht einfach zu Hause bleiben.“

Ninon sprach sich auch gegen den Ausnahmezustand und die dramatisch ausgeweiteten Polizei- und Überwachungsmaßnahmen in Frankreich aus: „Das sollte so nicht weitergehen. Aber das wird es, das wissen wir. Politisch Oppositionelle auszuspionieren ist immer der Weg, um Gesetze rasch durchzusetzen. Ich bin dagegen. Ich denke, der Terrorismus wird damit nicht wirklich bekämpft. Das geht nicht an die Wurzel des Problems.“

Außerdem verurteilte sie Trumps Atomkriegsdrohungen gegen Nordkorea: „Das ist ganz klar. Er [Trump] ist verrückt, er ist gefährlich, das ist offensichtlich. Wenn das so weitergeht, gibt es eine ganz reale Gefahr.“

Jocelyn, eine IT-Studentin, erklärte, sie nehme zum ersten Mal an einer Demonstration teil, und sie sei sowohl gegen Macrons Arbeitsgesetz-Dekrete als auch gegen den Ausnahmezustand. Sie erklärte: „Er erfüllt keinen nützlichen Zweck [...] Er verhindert keine Attentate, das glaube ich nicht. Für mich ist klar, das ist eine Diktatur. Sowieso wurde die Wahl manipuliert, und zwar von dem Augenblick an, als sämtliche Medien begannen, alle Kandidaten anzugreifen außer Macron. Er wurde gefördert. Ab da konnte man sehen, dass Frankreich keine Demokratie ist [...] es ist eine Diktatur.“

Maximilien, ein Student der Musikwissenschaften, erklärte ebenfalls, dass er nicht nur gegen die Dekrete demonstriere, sondern auch gegen den Ausnahmezustand und gegen Krieg: „Ich bin absolut gegen Krieg. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es ist so traurig, dass wir so weit gekommen sind. Ich bin für Frieden. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum ich heute hier bin.“

Laurent, ein IT-Fachmann, wies auf die immer tiefere Enttäuschung der französischen Bevölkerung über die etablierten politischen Parteien hin: „Das haben wir bei den Parlamentswahlen gesehen, es gab eine außergewöhnlich große Zahl an Stimmenthaltungen. Die Wahlen bringen die Menschen nicht dazu, wählen zu gehen [...] Ich bin kein FI-Mitglied, aber das ist eine der Parteien, denen ich am nächsten stehe. Wenn mir ihre Vorschläge morgen nicht mehr gefallen, bin ich nicht mehr dabei.“

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