IWF warnt vor Instabilität des Finanzsektors

Finanzpolitik seit 2008 bereitet neuen Crash vor

Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für dieses Jahr das größte Wachstum der Weltwirtschaft seit der Krise von 2008. Im Hinblick auf die Finanzmärkte zeichnet er jedoch ein ganz anderes Bild.

In seinem Bericht zur globalen Finanzstabilität (Global Financial Stability Report, GFSR) von Anfang letzter Woche hebt der IWF den Schuldenberg der G20-Staaten in Höhe von 135 Billionen Dollar hervor. Außerdem beschreibt er, wie schwierig es für die großen Zentralbanken ist, von den Programmen abzurücken, mit denen sie in den letzten Jahren Billionen Dollar in das globale Finanzsystem gepumpt haben.

Der für Geldpolitik zuständige IWF-Direktor Tobias Adrian erklärte bei der Vorstellung des Berichts, das Finanzsystem sei zwar aufgrund des Wachstums und der niedrigen Zinssätze stabiler geworden, doch es täten sich „zunehmend Gefahren in Form von finanziellen Schwachstellen“ auf.

Die Zentralbanker würden weiterhin auf billiges Geld setzen, um das Wachstum zu fördern. Dies jedoch „fördert die Selbstzufriedenheit und ebnet schlimmeren finanziellen Exzessen den Weg“.

Nichtfinanzielle Kreditnehmer, so Adrian weiter, hätten sich infolge der billigen Kredite stark verschuldet. Wenn dagegen nichts unternommen werde, dann werde diese Verschuldung weiter zunehmen und im Falle unerwarteter Ereignisse den konjunkturellen Aufschwung gefährden.

Adrian wies darauf hin, dass der Wert relativ sicherer (Investment Grade) Anleihen mit mehr als 4 Prozent Zinsen vor der Finanzkrise rund 16 Billionen Dollar betragen hatte. „Diese Summe ist auf nur noch 2 Billionen Dollar gesunken. Zu viel Geld ist auf der Jagd nach zu wenigen ertragreichen Anlagen. Deshalb gehen Investoren immer größere Risiken ein und sind im Fall von Marktturbulenzen immer größeren Verlusten ausgesetzt.“

Der Bericht nennt noch weitere Details, beispielsweise, dass heute nur noch 5 Prozent aller Anleihen mit mittlerer bis hoher Bonität einen Ertrag von über 4 Prozent abwerfen. Vor der Krise waren es 80 Prozent, ihr Gesamtwert lag damals bei 15,8 Billionen Dollar.

Weiter heißt es: „In einigen Märkten wird die Bewertung von Vermögenswerten überdehnt. Im Interesse höherer Renditen verlassen die Investoren ihre angestammten Reviere und nehmen höhere Kredit- und Liquiditätsrisiken in Kauf.“

Die Verschuldung der großen Volkswirtschaften ist mittlerweile auf 235 Prozent des Gesamt-Bruttoinlandsprodukts der G20-Staaten angestiegen, die zusammen 85 Prozent der Weltwirtschaft ausmachen. Die Belastung durch Schuldentilgung und die Schuldenstände im Nicht-Finanzbereich sei in mehreren großen Volkswirtschaften bereits sehr hoch; namentlich werden hier Australien, Kanada, China und Südkorea genannt.

Australien war aufgrund seiner hohen und wachsenden Schuldenlast eine der wenigen großen Volkswirtschaften, für die der IWF seine Wachstumsprognose nach unten korrigieren musste. Während er seine Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft von 3,5 auf 3,6 Prozent erhöht hat, senkte er sie für Australien auf nur 2,2 Prozent. Bei seiner letzten Prognose vor sechs Monaten hatte er noch 3 Prozent veranschlagt.

Einer der wichtigsten Aspekte des Berichts besteht darin, dass er auf die Widersprüche aufmerksam macht, vor denen die Zentralbanken bei ihren Versuchen stehen, die Geldpolitik zu „normalisieren“ und die Konjunkturmaßnahmen zurückzufahren, mit denen Billionen Dollar in die globalen Finanzmärkte gepumpt wurden – die sogenannte „quantitative Lockerung“.

Die Zentralbanken, heißt es, gingen davon aus, weiterhin wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung leisten zu müssen und die Zinssätze nur langsam anheben zu können. Die „schrittweise Normalisierung“ der Geldpolitik werde voraussichtlich Jahre in Anspruch nehmen.

Die „unkonventionelle“ Geldpolitik der jüngeren Vergangenheit (extrem niedrige Zinssätze bis hin zu negativen Renditen und der Ankauf von Wertpapieren durch die Zentralbanken im Rahmen der quantitativen Lockerung) habe die Funktionsweise der Finanzmärkte verändert. Sie seien heute „viel unberechenbarer als in früheren Zyklen“.

Mit anderen Worten. Die Zentralbanken haben mit ihrer Politik die Funktionsweise der Finanzmärkte so tiefgreifend verändert, dass sie sich nun an keinen historischen Präzedenzfällen mehr orientieren können. Sie befinden sich gewissermaßen im Blindflug.

Laut dem Finanzstabilitätsbericht könnten „abrupte oder zeitlich ungelegene Veränderungen unerwünschte Turbulenzen auf den Finanzmärkten auslösen, die über Grenzen und Märkte hinaus spürbar wären. Darüber hinaus könnte die in Aussicht gestellte lange finanzielle Unterstützung für die großen Volkswirtschaften zu weiteren finanziellen Exzessen führen.“

Die Analysten des IWF haben ein Abschwungsszenario ausgewertet, bei dem sie die „Neubewertung von Risiken“, d. h. steigende Zinssätze, mit sinkenden Wertpapierpreisen und einem Rückgang der Investitionen in Schwellenländer kombinierten.

Eine solche Situation würde zu einer „deutlichen“ Verschlechterung der finanziellen Bedingungen und zu einem Rückgang der globalen Wirtschaftsleistung um etwa 1,7 Prozent im Vergleich zu den derzeitigen Prognosen führen. Laut diesem Modell wären die Folgen etwa ein Drittel so schwerwiegend wie die globale Krise von 2008-2009.

Doch unter den neuen Umständen, die aufgrund der Geldpolitik seit der Finanzkrise entstanden sind, könnte es auch schlimmer kommen. Im Grunde ist die Schätzung wenig mehr als eine begründete Vermutung.

Zum Bankensystem heißt es in dem Bericht, der Zustand der globalen systemrelevanten Banken (Global Systemically Important Banks, GSIB) habe sich aufgrund der strengeren Kapital- und Liquiditätsanforderungen weiter verbessert.

Doch Banken, die zusammen über Wertpapiere im Wert von 17 Billionen Dollar (etwa ein Drittel des Gesamtvermögens der GSIB) verfügen, „werden womöglich noch bis ins Jahr 2019 nicht nachhaltig wirtschaften“. Das bedeutet, sie haben nach wie vor kein solides Geschäftsmodell, und „Probleme in einer einzigen GSIB könnten das gesamte System unter Druck bringen“.

Der Bericht macht auf den Zustand der chinesischen Banken aufmerksam und warnt, die „Größe, Komplexität und Geschwindigkeit“ des Wachstums des chinesischen Finanzsystems „bringt erhöhte Risiken für die finanzielle Stabilität mit sich“. Der Gesamtwert der Anlagen im chinesischen Bankensektor ist von 240 Prozent des BIP im Jahr 2012 auf derzeit 310 Prozent angestiegen.

Gegenüber der Öffentlichkeit versuchen die Zentralbanken und auch die Finanzbehörden den Eindruck zu erwecken, sie hätten die kapitalistische Wirtschaft im Griff. Doch hinter den Kulissen sieht es ganz anders aus.

Die Geldpolitik der Zentralbanken beruht seit über drei Jahrzehnten auf der sogenannten Phillips-Kurve, die folgenden Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation abbilden soll: Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, beschleunigt sich aufgrund steigender Lohnforderungen die Inflation. Nach diesem Modell müssten bei steigender Inflation die Zinssätze erhöht werden.

Doch in der Zeit seit der globalen Finanzkrise ist die offizielle Arbeitslosenquote zwar zurückgegangen, doch die Löhne stagnierten entweder oder sind gesunken, und die Inflation liegt deutlich unter der Zielvorgabe der Zentralbanken von etwa 2 Prozent. Der Hauptgrund hierfür ist, dass auf den Arbeitsmärkten aller Industrienationen ein deutlicher Strukturwandel stattgefunden hat. Immer mehr Vollzeitstellen wurden durch Teilzeitarbeit, Leiharbeit und befristete Stellen ersetzt.

Die Financial Times thematisierte letzte Woche die Ratlosigkeit ein, die sich angesichts der seit 2008 entstandenen Lage in führenden Finanzkreisen breitmacht. Laut dem Artikel herrschte beim Jahrestreffen des IWF in Washington unter den Zentralbankchefs eine verzagte Stimmung.

„Ihre Modelle versagen, und sie sind sich nicht sicher, ob sie die Auswirkungen der Zinssätze und anderer geldpolitischer Maßnahmen auf die Wirtschaft richtig einschätzen.“ Da die neuen „Herren des Universums“ die Funktionsweise der Wirtschaft womöglich gar nicht verstehen, könnten sich ihre „gut gemeinten Maßnahmen als schädlich erweisen“. Es habe zwar schon immer Kritik an den Zentralbanken gegeben, aber „so schwere Zweifel gab es in ihrer begrenzten Welt noch nie“.

Diese Einschätzung verdeutlicht, dass die herrschenden Finanzeliten die Widersprüche in ihrem System seit 2008 nicht überwunden, sondern die Vorbedingungen für eine neue und potenziell noch größere Katastrophe geschaffen haben.

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