Diese Woche in der Russischen Revolution

16.–22. Oktober: Trotzki führt die Bolschewiki aus dem Vorparlament hinaus

Lenins Kampf für einen Aufstand erreicht immer breitere Schichten und treibt die Bolschewiki nach links. Unter diesen Bedingungen führt Trotzki die Partei aus dem Vorparlament hinaus – ein Vorgang, den er später als „historischen Bruch des Proletariats mit der Staatsmechanik der Bourgeoisie“ bezeichnen wird.

Lenin kämpft auch außerhalb des Zentralkomitees für den Aufstand

Lenin, 1920

Die bolschewistische Führung debattiert weiter hitzig über Lenins Aufruf zur bewaffneten Erhebung, während dieser immer entschiedener darauf drängt, dass sich die Partei auf die Machteroberung vorbereiten muss. Um das Zentralkomitee zu umgehen und die Arbeiterklasse zu erreichen, schreibt Lenin eine Reihe von Briefen an verschiedene bolschewistische Delegierte und Parteikomitees.

In einem Brief an die Petrograder Parteikonferenz vom 20. Oktober (7. Oktober nach altem Kalender), der zum Verlesen in geschlossener Sitzung bestimmt ist, drängt Lenin:

Man muss einsehen, dass die Revolution zugrunde geht, wenn die Kerenski-Regierung nicht in der allernächsten Zukunft von den Proletariern und Soldaten gestürzt wird. Die Frage des Aufstands ist auf die Tagesordnung gesetzt.

Man muss alle Kräfte mobilisieren, um die Arbeiter und Soldaten mit dem Gedanken zu erfüllen, dass der entschlossene, entscheidende Endkampf für den Sturz der Kerenski-Regierung unbedingte Notwendigkeit geworden ist.

In zwei weiteren Briefen vom 21. (8.) Oktober an den Sowjetkongress des Nordgebiets, der für den 23. (10.) Oktober angesetzt ist, argumentiert Lenin ähnlich. Er betont die internationale Bedeutung der Machtergreifung in Russland und schreibt in seinen Briefen an einzelne Genossen, die an dem Kongress teilnehmen:

Unsere Revolution macht eine im höchsten Grade kritische Zeit durch. Diese Krise fällt zusammen mit der großen Krise des Heranreifens der sozialistischen Weltrevolution und ihrer Bekämpfung durch den Weltimperialismus. Den verantwortlichen Führern unserer Partei fällt eine gigantische Aufgabe zu, und wenn sie diese nicht erfüllen, so droht der völlige Zusammenbruch der internationalistischen proletarischen Bewegung. In diesem Augenblick bedeutet eine Verzögerung wahrhaftig den Tod.

Lenin, der sich auf die internationale Situation stützt, verweist auf den Generalstreik in Turin und die Streiks tschechischer Arbeiter und betont besonders die Bedeutung der Revolte in der deutschen Marine.

Wenn unsere Chauvinisten, die die Niederlage Deutschlands predigen, von den Arbeitern Deutschlands den sofortigen Aufstand fordern, so wissen wir russischen revolutionären Internationalisten aus den Erfahrungen der Jahre 1905–1917, dass sich kein deutlicheres Symptom für das Heranreifen der Revolution denken lässt als ein Aufstand unter den Truppen.

Man bedenke, wie wir jetzt vor den deutschen Revolutionären dastehen. Sie können uns sagen: Wir haben nur Liebknecht, der offen zur Revolution aufgerufen hat. Seine Stimme wird hinter Zuchthausmauern erstickt. Wir haben keine einzige Zeitung, die offen die Notwendigkeit einer Revolution klarmacht, wir haben keine Versammlungsfreiheit. Wir haben keinen einzigen Sowjet der Arbeiter- oder Soldatendeputierten. Unsere Stimme dringt nur schwach bis zu den wirklichen breiten Massen vor. Wir haben dennoch einen Aufstand versucht, obwohl unsere Chancen kaum eins zu neunundneunzig standen. Ihr russischen revolutionären Internationalisten aber habt ein halbes Jahr freier Agitation hinter euch, ihr habt etwa zwei Dutzend Zeitungen, ihr habt eine ganze Reihe von Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten, ihr habt in den Sowjets beider Hauptstädte gesiegt, auf eurer Seite stehen die ganze Baltische Flotte und alle russischen Truppen in Finnland, und ihr antwortet nicht auf unseren Ruf zum Aufstand, ihr stürzt euren Imperialisten Kerenski nicht, obwohl die Chancen für den siegreichen Ausgang eures Aufstands neunundneunzig zu eins stehen.

Ja, wir werden wirkliche Verräter an der Internationale sein, wenn wir in einem solchen Augenblick, unter so günstigen Umständen, einen solchen Ruf der deutschen Revolutionäre nur mit … Resolutionen beantworten. Nehmen Sie hinzu, dass uns allen das rasche Fortschreiten der Verständigung und der Verschwörung der internationalen Imperialisten gegen die russische Revolution sehr wohl bekannt ist. Die Revolution um jeden Preis abzuwürgen, sie abzuwürgen sowohl durch militärische Maßnahmen wie durch einen Frieden auf Kosten Russlands – das ist das Ziel, dem sich der internationale Imperialismus immer mehr nähert. Das ist es, was die Krise der sozialistischen Weltrevolution besonders verschärft, das ist es, was eine Verzögerung des Aufstands besonders gefährlich – ich möchte fast sagen: zu einem Verbrechen unserseits – macht.

Lenin erklärt weiter, dass die Bauernrevolte im ganzen Land anwächst, und dass die militantesten Schichten der Arbeiter apathisch werden, gerade wegen dem Mangel an energischen Taten auf Seiten ihrer revolutionären Führung. Er schließt mit den Worten:

Die Losung „Alle Macht den Sowjets“ ist nichts anderes als die Aufforderung zum Aufstand. Und die Schuld wird in vollem Umfang und unbedingt uns treffen, wenn wir, die wir monatelang die Massen zum Aufstand, zur Abkehr von der Politik des Paktierens aufriefen, diese Massen angesichts des drohenden Zusammenbruchs der Revolution nicht in den Aufstand führen, nachdem diese Massen uns das Vertrauen ausgesprochen haben.

Petrograd, 16.–18. (3.–5.) Oktober: Bolschewistische Gremien reagieren auf Lenins Appelle

Lenins Briefe, in denen er fordert, dass die Partei sich auf einen Aufstand vorbereiten müsse, provozieren scharfe Meinungsverschiedenheiten in zwei der wichtigsten Parteigremien: im Zentralkomitee, der höchsten Führung der Bolschewiki, und im Petersburger Komitee, das die Arbeit der Bolschewiki in Petrograd leitet.

Nach dem Versuch, eine Diskussion von Lenins Positionen zu unterdrücken, hört das Zentralkomitee am 16. (3.) Oktober einen Bericht des bolschewistischen Delegierten aus der Moskauer Region, Georgi Lomow. Er fordert, dass sich die Partei auf die Machtergreifung vorbereiten müsse. Die Stimmung unter den Massen sei äußerst angespannt, und die Partei laufe Gefahr, dahinter zurückzufallen. Das Zentralkomitee hört Lomows Bericht an, beschließt jedoch, nicht darüber zu diskutieren.

Um diese Zeit haben mehrere von Lenins Aufrufen zum Sturz der Kerenski-Regierung auch das Petersburger Komitee erreicht, und dieses ist hell empört über den Versuch des Zentralkomitees, Lenins Standpunkte vor ihm geheim zu halten.

Zwei Tage später, am 18. (5.) Oktober, versammelt sich das Petersburger Komitee, um die Situation zu diskutieren, und die Mehrheit spricht sich für einen militanten Kurs aus. Der Revolutionär Rachia argumentiert gegen zwei Genossen, Wolodarski und Laschewitsch, die darauf bestehen, dass es für eine Machteroberung noch zu früh sei. Sie verweisen auf die Nahrungsmittelknappheit, die Krise im Transportwesen und die Notwendigkeit, auf eine Revolution im Westen zu warten. Rachia erklärt darauf: „Ich dachte, wir sind alle Revolutionäre. Doch als ich Wolodarski und Laschewitsch sprechen hörte, sind mir Zweifel gekommen.“

Die Führung des Petersburger Komitees (Exekutivkommission) trifft zwar nicht, wie vorgeschlagen, eine Entscheidung über die Vorbereitung des Aufstands, aber sie beginnt sofort, die Bezirkskomitees auf Aktionen zum Sturz der Regierung vorzubereiten. Das Zentralkomitee, das am selben Tag mit knapper Mehrheit beschließt, das Vorparlament zu boykottieren, erfährt von diesen Vorbereitungen. Es sieht in den Aktionen der Exekutivkommission ein Zeichen dafür, dass Lenins Ansichten eine explosive, radikale Reaktion in den niedrigeren Parteiorganen auslösen, und versucht noch eine Zeitlang, diese Entwicklung einzudämmen.

Springfield, Illinois, 16. Oktober: Spontane Streiks von Bergarbeitern erschüttern Wilson-Regierung

Bergarbeiter in Illinois, 1917

Entgegen einem Abkommen, das die Bergarbeitergewerkschaft United Mineworkers (UMW), mit der Wilson-Regierung und den Grubenbesitzern geschlossen hat, beteiligen sich immer mehr Bergarbeiter an spontanen Streiks.

Am 6. Oktober hat die UMW den Bergarbeitern in der Vereinbarung von Washington ein Streikverbot, kombiniert mit dem Versprechen geringfügiger Lohnerhöhungen aufgezwungen. Aber die steigenden Lebenshaltungskosten haben die mickrigen Erhöhungen längst wieder aufgefressen. Der Zorn unter fast einer halben Million Bitumen-Bergarbeitern nimmt zu.

Die wilden Streiks konzentrieren sich hauptsächlich auf Illinois. Hier haben sich in den letzten Monaten über 40.000 Bergarbeiter an den Streiks und auch an einem Generalstreik beteiligt, der die Straßenbahnfahrer der Hauptstadt Springfield unterstützt. Zurzeit befinden sich in dem Bundesstaat noch etwa 12.000 Bergarbeiter im Streik.

Die andauernden Streiks veranlassen den Chef der nationalen Treibstoffverwaltung, Harry Garfield, zu einer Rüge. Bezeichnenderweise richtet er sein Telegramm vom 16. Oktober direkt an die örtlichen Gewerkschaftsfunktionäre in Illinois. Er setzt sich über die nationale und die Staatsbürokratie der UAW hinweg und fordert die Bergarbeiter auf, „die nationale Situation und die großen Aufgaben zu bedenken, vor denen Präsident Wilson steht“.

Der UAW-Vorsitzende von Illinois, Frank Farrington, ist zutiefst beschämt über seine Unfähigkeit, die sozialistisch gesonnen Bergarbeiter zu kontrollieren, und schreibt ebenfalls in einem Brief an die örtlichen Gewerkschaftsmitglieder:

Unser Land ist im Krieg. Uns wurde ein Konflikt aufgezwungen, der nicht mehr zu vermeiden war … Amerikas Verbündeten mangelt es jetzt sehr an Kohle … Wir müssen euch klar sagen, dass man aufhören muss, die Arbeit niederzulegen und damit unser Abkommen zur bedingungslosen Erreichung der Ziele zu verletzen.

20. Oktober: Deutscher Vormarsch im Baltikum bedroht Petrograd

SMS Großer Kurfürst beim Unternehmen Albion, darüber ein deutsches Marineluftschiff

Russische Soldaten räumen ihre Positionen auf der Insel Muhu (Moon), und russische Marineeinheiten ziehen sich vor einem kombinierten Armee- und Marineangriff Deutschlands („Unternehmen Albion“) aus dem Moon-Sund zurück. Unternehmen Albion zielt darauf ab, den west-estnischen Archipel zu besetzen und so die Eroberung Petrograds vorzubereiten. In dieser Operation geraten etwa 20.000 russische Soldaten in deutsche Gefangenschaft.

Die Eroberung der Inseln spielt in der revolutionären Entwicklung in der russischen Hauptstadt eine wichtige Rolle. Die Kerenski-Regierung versucht, die für die russischen Kräfte verschlechterte strategische Lage auszunutzen, und er fordert die Verlegung revolutionärer Einheiten der Petrograder Garnison an die Front. Soldaten und Arbeiter von Petrograd leisten diesem Vorhaben erbitterten Widerstand. Sie haben die berechtigte Befürchtung, dass damit ein Angriff auf die Revolution vorbereitet wird. Schließlich mussten sie erst wenige Wochen zuvor den Vorstoß General Kornilows miterleben, der versucht hat, die Hauptstadt zu erobern und die Arbeiter zu zermalmen. Auch bürgerliche Politiker äußern sich dahingehend, dass der Verlust Petrograds an die Deutschen immerhin den Vorteil hätte, die militanten Arbeiter Russlands loszuwerden. Rodsjanko, der Präsident der Reichsduma, gibt solchen Stimmungen in der herrschenden Klasse offen Ausdruck:

Petrograd? Ich meine, Gott mit ihm … Man befürchtet, es könnten dort Zentralinstitutionen (das heißt Sowjets und so weiter) zugrunde gehen. Darauf erwidere ich nur, dass ich sehr froh wäre, wenn all diese Institutionen zugrunde gingen, weil sie Russland nichts als Böses gebracht haben.

Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre versuchen, die patriotische Glut anzuheizen, und sie warnen vor dem Verlust von Petrograd. Am 9. Oktober bringen sie im Petrograder Sowjet eine Resolution ein, mit dem Ziel, ein Revolutionäres Verteidigungskomitee zu bilden. Die Bolschewiki unter Führung von Lenin und Trotzki unterstützen die Bildung dieses Komitees, weil sie selbst einen revolutionären Aufstand vorbereiten. Sie sehen darin die Möglichkeit, den Aufstand unter dem Deckmantel eines Verteidigungskomitees voranzutreiben. Es wird wenig später in das Militärische Revolutionskomitee umbenannt werden.

Wie Trotzki später schreiben wird, fällt die Frage des Aufstands zur Machteroberung der Arbeiterklasse immer stärker mit der Frage der Verteidigung Petrograds zusammen.

[D]as Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets [hatte] für das militärische Organ folgende Aufgaben vor Augen: in Verbindung zu treten mit der Nordfront und dem Stab des Petrograder Bezirkes, mit dem Zentrobalt und dem Distriktsowjet von Finnland zur Klärung der militärischen Situation und der notwendigen Maßnahmen; Vornahme einer Überprüfung des Personenbestandes der Garnison von Petrograd und Umgebung, wie auch der Kriegsausrüstung und Verpflegung; Ergreifung von Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Disziplin in den Soldaten- und Arbeitermassen. Die Formulierungen waren allumfassend und gleichzeitig zweideutig: Sie bewegten sich fast sämtlich an der Grenze zwischen Verteidigung der Hauptstadt und bewaffnetem Aufstande. Aber diese zwei bisher einander ausschließenden Aufgaben hatten sich jetzt tatsächlich einander genähert: Nachdem er in seine Hände die Macht genommen, wird der Sowjet auch die militärische Verteidigung Petrograds auf sich nehmen müssen. Das Element der Verteidigungsmaske war nicht gewaltsam von außen hineingetragen worden, sondern ergab sich bis zu einem gewissen Grade aus den Bedingungen des Vorabends des Aufstandes.

Petrograd, 20. Oktober: Unter Trotzkis Führung verlassen die Bolschewiki das Vorparlament

Mariinski-Palais

Leo Trotzki, Führer des Petrograder Sowjets und jetzt zweitwichtigster Vertreter der Bolschewistischen Partei nach Lenin, hält im neugegründeten Vorparlament eine Rede, ehe er die bolschewistische Fraktion in einer geschlossenen Boykottaktion aus der Schar „demokratischer Kräfte“ hinausführt, die sich im Mariinski-Palais versammelt haben.

An diesem Abend beginnt die Versammlung mit Reden von Kerenski und anderen Prominenten, die hauptsächlich aus „patriotischen Erklärungen und Aufrufen zu Recht und Ordnung“ bestehen, wie es bei Historiker Alexander Rabinowitch heißt.

Kurz vor Ende der Sitzung beantragt Trotzki das Wort für eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung. Er tritt ans Rednerpult, wo er die Provisorische Regierung schonungslos anprangert und warnt, sie werde sich als Instrument der Konterrevolution erweisen.

Laut Rabinowitch wendet sich Trotzki „mehr an die Petrograder Arbeiter und Soldaten als an die Anwesenden“. Die Versammlung besteht aus etwa 500 Delegierten aus ganz Russland. Sie repräsentieren sowohl kapitalistische Parteien wie die Kadetten, als auch die Versöhnler-Tendenzen der Sozialrevolutionäre und Menschewiki. Daneben befinden sich Journalisten und Diplomaten der wichtigsten Alliierten im Saal. Trotzki erklärt, dass die Regierung insgeheim vorhat, die seit langem versprochene Konstitutionelle Versammlung zu verhindern, Petrograd aufzugeben und die Revolution zu zerschlagen.

Trotzki erhebt seine Stimme, um den aufbrandenden Radau der Schreie und Flüche zu übertönen.

Petrograd ist in Gefahr! Die Revolution ist in Gefahr! Das Volk ist in Gefahr! … Die Regierung steigert diese Gefahr, und die herrschenden Parteien helfen ihr dabei! Nur das Volk selbst kann sich und das Land retten! Wir wenden uns an das Volk! Alle Macht den Sowjets! Alles Land dem Volk!

Während die Bolschewiki unter den Buhrufen und höhnischen Kommentaren den Saal verlassen, „ist die Mehrheit geneigt, erleichtert aufzuatmen“, wie sich Trotzki erinnern wird. „Entfernt haben sich lediglich die Bolschewiki – die Blüte der Nation bleibt auf dem Posten“. Sie bleiben in der eleganten Halle des Mariinski-Palais zurück, wo die imperialen Symbole erst kurz zuvor mit rotem Stoff abgehängt worden sind.

Wie Lenin hat sich auch Trotzki von Anfang an gegen die Teilnahme am Vorparlament ausgesprochen. Beide waren für den Boykott. Aber ihre Position hat in einer demokratischen Abstimmung keine Mehrheit erhalten, und obwohl Lenin das als „offensichtlichen Irrtum und eine Abweichung vom proletarisch-revolutionären Weg“ bezeichnet hat, mussten sich Trotzki und Lenin zeitweise der Mehrheit beugen. Das Zentralkomitee ändert jedoch seine Position am 20. (7.) Oktober und befürwortet jetzt den Boykott, und nur Kamenew ist weiterhin dagegen.

Der Auszug der Bolschewiki aus dem Mariinski-Palais, den Außenminister Tereschenko als „Skandal“ bezeichnet, ist sowohl für die Freunde der Bolschewiki, als auch für ihre Feinde als klarer Schritt hin zum Aufstand erkennbar. Die Bolschewiki sind nun die stärkste Kraft im Land und haben die Mehrheit im Petrograder und Moskauer Sowjet, sowie auch in andern Sowjets. Trotzkis Auszug aus dem Vorparlament kann nur bedeuten, dass die Bolschewiki planen, ihre eigene Regierung zu bilden. Er bedeutet, in Trotzkis Worten, den „historischen Bruch des Proletariats mit der Staatsmechanik der Bourgeoisie“.

Würzburg, 14.–20. Oktober: Trotz Parteikrise bestätigt die SPD ihre Kriegspolitik

Delegation aus Baden-Württemberg am SPD-Parteitag

An ihrem Parteikongress in Würzburg bestätigt die SPD, wie schon seit Kriegsbeginn im Sommer 1914, ihre bedingungslose Unterstützung für den Krieg des deutschen Imperialismus. In einer Abstimmung unterstützen 265 von 283 Delegierten die politische Linie der SPD-Fraktion zur Unterstützung der viele Milliarden D-Mark umfassenden Kriegskredite. Nur 14 Delegierte stimmen dagegen.

Die Stimmung auf dem Kongress ist indessen düster. Die Partei ist in einer tiefen Krise, nachdem sich vor wenigen Monaten ein großer Flügel linker Sozialdemokraten in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) abgespalten hat.

In seinem Eröffnungsbericht rechtfertigt Friedrich Ebert die Kriegspolitik, aber er muss auch ein gewaltiges Schrumpfen der Parteimitgliedschaft seit Kriegsbeginn einräumen. Von einer Mitgliedschaft von über einer Million vor dem Krieg ist sie auf 243.061 im März 1917 abgesunken. Einige Historiker schätzen, dass die Partei im Herbst 1917 nur noch 150.000 Mitglieder zählt.

Zum Ende des Kongresses wird Friedrich Ebert als Vorsitzender bestätigt und Philipp Scheidemann zu seinem Stellvertreter gewählt. Ein Jahr später nehmen beide Politiker Schlüsselrollen in der blutigen Unterdrückung der Revolution der deutschen Arbeiter und Soldaten ein.

Großsyrien, 22. Oktober: Täglich verhungern tausend Menschen

Hungernder mit Kindern am Libanonberg

Ein Bericht in der New York Times gibt bekannt, dass in Gebieten in Syrien und dem Libanon, die vom Osmanischen Reich kontrolliert werden, jeden Tag tausend Menschen verhungern. Die Große Hungersnot am Libanonberg ist eine schreckliche Folge des Großen Kriegs. Etwa 1.200.000 Menschen haben nicht genug zu essen.

Unmittelbar nachdem das Osmanische Reich im Oktober 1914 in den Krieg eintrat, ist in Beirut Nahrungsmittelknappheit ausgebrochen. Die osmanischen Herrscher haben im ganzen Reich die Eisenbahnen für den Transport von Militärpersonal und Ausrüstung beschlagnahmt, was den Transport von Lebensmitteln einschränkt. Getreide- und andere Lebensmittellieferungen werden vordringlich für die Armee getätigt. Gleichzeitig hat der Ausbruch einer Heuschreckenplage einen großen Teil der verbleibenden Ernte zerstört. Zu allem Überdruss hat auch noch eine schwere Dürre die Ernte beeinträchtigt.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Blockade der Alliierten gegen das Osmanische Reich als verheerend. Britische und französische Schiffe blockieren Lieferungen im ganzen östlichen Mittelmeer, und die türkische Regierung reagiert, indem sie Getreidelieferungen zum Libanonberg einstellt, um ihre schwindenden Vorräte für die Fortsetzung des Kriegs zu nutzen. Arbeiter und ärmere Bevölkerungsschichten sind am härtesten betroffen. In den meisten Städten sind noch Lebensmittel zu haben, aber nur zu Preisen, die sich die große Mehrheit der Bevölkerung gar nicht leisten kann.

Die Lage der Armen wird schnell verzweifelt. Sie essen Katzen, Ratten und andere Nagetiere. Selbst über Kannibalismus wird berichtet.

Edward Nickoley, ein Angestellter der syrisch-protestantischen Schule, beschreibt in seinem Tagebuch die Situation 1917 in Beirut:

Überall liegen hungernde Menschen herum; überall jammernde und weinende Frauen und Kinder. Sie durchsuchen die Abfallberge und verschlingen gierig alles, was sie finden können. Wenn die kläglichen Schreie der Verhungernden auf der Straße zu unerträglich werden, schließen die Menschen ihre Fenster, um sie nicht mehr hören zu müssen. Die kleinen Kinder imitieren im Spiel die Hilferufe, die sie auf der Straße oder vor der Türe hören.

Bis zum Ende der Hungersnot 1918 werden im Libanon 200.000 Menschen aus einer Bevölkerung von 400.000 gestorben sein. Das ist die höchste prozentuale Todesrate aller Länder in diesem Krieg.

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