Perspektive

Anhörung zu „extremistischen Inhalten“ vor dem US-Kongress leitet Angriff auf Meinungsfreiheit ein

Vor drei Monaten berichtete die World Socialist Web Site erstmals über die Zensur der WSWS und anderer linker Websites durch Google. Wir bezeichneten das Vorgehen Googles als Teil einer koordinierten Kampagne der US-Regierung, der Medien und der Geheimdienste mit dem Ziel, das Internet zu zensieren.

Seither wurde diese Kampagne mit großem Tempo vorangetrieben. Die Demokratische Partei und die Medien benutzen die unbewiesenen Vorwürfe, Russland habe durch Hackerangriffe die US-Präsidentschaftswahl 2016 beeinflusst, um politischen Widerstand in den USA zu kriminalisieren. Wir haben es mit dem größten Angriff auf die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun.

Am Dienstag erklärten Vertreter von Facebook, Twitter und Google bei einer Anhörung vor dem Justizausschuss des Senats, wie sie gegen extremistische Inhalte und „russische Desinformation im Internet“ vorgehen werden; am Mittwoch werden sie vor den Geheimdienstausschüssen von Senat und Repräsentantenhaus über das gleiche Thema befragt. Diese Befragungen sind ein Meilenstein der Zensurkampagne.

In den letzten drei Monaten haben die führenden Vertreter der Demokratischen Partei in diesen Ausschüssen, Mark Warner und Adam Schiff, gemeinsam mit den US-Geheimdiensten und den Medien ein absurdes Narrativ entwickelt: Russland soll im November 2016 etwa 100.000 Dollar aufgewendet haben, um durch Werbeanzeigen in sozialen Netzwerken einen Stimmungsumschwung zu Gunsten von Donald Trump herbeizuführen.

Zunächst haben die Abgeordneten die Technologieunternehmen gezwungen, Listen der Accounts zusammenzustellen, die „mit Russland verbunden sind“. Jetzt nehmen sie ihr eigentliches Ziel ins Visier: sogenannte „organische Inhalte“ oder, einfacher ausgedrückt: politische Äußerungen im Internet.

Laut der Zeitung The Hill werden Warner und Schiff die Social-Media-Konzerne zu dem Eingeständnis drängen, Russland habe „organische Inhalte“ eingestellt, um die Amerikaner zu spalten und zu manipulieren.

Schiff erklärte Anfang der Woche gegenüber The Hill: „Noch wichtiger ist vermutlich, welche Inhalte sie außer Werbung noch veröffentlicht haben. Das dürfte die bezahlte Werbung in den Schatten stellen.“

Am Montagabend veröffentlichte die Presse eine Erklärung von Facebook, laut der das Unternehmen fortan auch „organische Inhalte“ in die Liste aufnimmt, auf der „mit Russland verbundene“ Onlineaktivitäten aufgeführt werden. Zehntausende von „aufrührerischen“ Posts von „Fake“-Accounts, die mit Russland in Verbindung stünden, hätten in den USA 126 Millionen Facebook-Nutzer erreicht.

Zu diesen „aufrührerischen Inhalten“ werden zweifellos auch Postings von linken und oppositionellen Medien gezählt, die damit direkt ins Fadenkreuz der Ermittler des Kongresses geraten. Die New York Times erklärte Anfang des Monats, Inhalte, die „von Amerikanern aufgezeichnet, gepostet oder geschrieben wurden... wurden zu Wasser auf den Mühlen eines Netzwerks von Facebook-Seiten im Umfeld eines undurchsichtigen russischen Unternehmens, das Propagandakampagnen für den Kreml organisiert hat“.

Die führende Demokratin im Justizausschuss des Senats, Dianne Feinstein, schickte am Freitag letzter Woche einen Brief an den CEO von Twitter. Darin fordert sie das Unternehmen auf, Informationen auszuhändigen, anhand derer sich die Identität der User ermitteln lässt, die „organische Inhalte“ posten. Sie bezog sich ausdrücklich auf „alle organischen Inhalte, die von mit Russland verknüpften Nutzern gepostet wurden und sich gegen irgendeinen Teil der Vereinigten Staaten richten, egal, ob die betreffende Person gegen eine Regel von Twitter verstoßen hat oder nicht“. Die Definition von „mit Russland verknüpft“ ist sehr breit gefasst: Sie erstreckt sich „auf jede natürliche oder juristische Person, die in irgendeiner Form mit Russland in Verbindung stehen könnte“.

In ihrem Brief fordert Feinstein Twitter auf, vollständige „Angaben zu den Abonnenten“ vorzulegen, die solche „organischen Inhalte“ verbreiten. Das Unternehmen wird aufgefordert, die vollständigen Namen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen und IP-Adressen dieser Personen aushändigen, sodass ihr Aufenthaltsort ermittelt werden kann.

Angesichts der neuen Konzentration der Ermittler im Kongress auf „Inhalte, die von Amerikanern aufgezeichnet, gepostet oder geschrieben“ und von „mit Russland verknüpften“ Accounts aus weiterverbreitet werden, kann man davon ausgehen, dass Feinstein mit „organischen Inhalten“ auch Inhalte von linken Websites und ihren jeweiligen Social-Media-Accounts meint. Sie verlangt also eine Liste mit den Namen, Telefonnummern und Aufenthaltsorten prominenter Gegner der US-Regierung.

Genauso beunruhigend ist, dass Feinstein in ihrem Brief alle „Inhalte aller [privaten] Direktnachrichten“ zwischen bestimmten Twitter-Accounts und den Accounts von WikiLeaks, Julian Assange und der Bürgerrechtsanwältin Margaret Ratner Kunstler anfordert. (Sie hat ihrem Brief eine entsprechende Liste von Accounts beigefügt, die allerdings nicht veröffentlicht wurde.)

Laut ihrer offiziellen Biografie hat Kunstler „Unterstützer von WikiLeaks und Bradley [Chelsea] Manning in Zusammenhang mit Vorladungen vor Grand Jurys, Begegnungen mit dem FBI... und staatlichen Repressalien“ vertreten.

Die haarsträubende Forderung, dass ein Unternehmen die vertrauliche Korrespondenz einer Anwältin aushändigen soll, stellt einen groben Verstoß gegen das Anwaltsgeheimnis dar, von den schwerwiegenden Folgen für das Verfassungsrecht auf Meinungsfreiheit ganz zu schweigen.

Dass Feinstein Assange und WikiLeaks ins Visier nimmt, macht deutlich, dass es in Wirklichkeit nicht um ausländische Agenten, sondern um politischen Widerstand im Inland geht.

Dies bestätigte auch ein Bericht des Wall Street Journal vom Montag, in dem ohne Tatsachenbeweise behauptet wurde, „mit Russland verknüpfte“ Accounts hätten zur Organisation von Veranstaltungen und Demonstrationen beigetragen, bei denen u. a. gegen Polizeigewalt protestiert wurde. Die Zeitung schrieb, „mindestens 60 Veranstaltungen, Demonstrationen und Protestmärsche“ seien von russischen Accounts beworben oder finanziert worden. Durch diese Vorwürfe weitet sich der Fokus der antirussischen Hetzkampagne aus: Sie richtet sich nicht nur gegen die Meinungsfreiheit, sondern auch gegen die Versammlungsfreiheit, die ebenfalls vom 1. Zusatzartikel zur US-Verfassung garantiert wird.

In dieselbe Richtung weist ein Bericht mit dem Titel „Experten befürchten, dass Demonstranten als Terrorgefahr im Inland abgestempelt werden“, der Anfang der Woche vom Medienkonzern McClatchy veröffentlicht wurde. Demnach hat das FBI eine Kategorie von „inländischen terroristischen Gruppen“ namens „Black-Identity-Extremisten“ angelegt, in die Personen aufgenommen werden können, die an Demonstrationen gegen Polizeigewalt teilnehmen.

Die Beziehung von Google, dem größten und mächtigsten Technologieunternehmen, zu der Hetzkampagne des Kongresses gestaltete sich bislang reibungsloser und unauffälliger als die von Facebook und Twitter. Laut der Financial Times hat sich Google „eher unauffällig verhalten“, sich „im privaten Rahmen mit dem Geheimdienstausschuss getroffen“ und „seine Algorithmen stillschweigend verändert“.

Im Hintergrund hat das Unternehmen sehr viel umfassendere Maßnahmen eingeleitet als seine Konkurrenten. Im April hatte Google die Förderung „autoritativer Inhalte“ gegenüber „alternativen Ansichten“ angekündigt. Danach ging der Suchtraffic zu linken Websites um mehr als 55 Prozent zurück. Vor allem die World Socialist Web Site hat darunter zu leiden, ihr Suchtraffic von Google ist um 74 Prozent zurückgegangen.

Während die Trump-Regierung versucht, eine rechtsextreme und autoritäre politische Bewegung aufzubauen, konzentriert sich die offizielle Opposition unter Führung der Demokratischen Partei auf den hysterischen und kriegslüsternen Vorwurf, Russland habe die Wahl 2016 manipuliert. Ähnlich wie die Kommunistenhatz der McCarthy-Ära wird politischer Widerstand in den USA den Umtrieben „ausländischer Agitatoren“ bzw. „ausländischer Agenten“ zugeschrieben.

Dieser umfassende Angriff auf die freie Meinungsäußerung, die Grundlage jeder Demokratie, widerspiegelt die Angst der herrschenden Elite vor einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus. Trotz aller Differenzen mit Trump besteht die größte Sorge der Demokraten darin, dass sich die Wut über Ungleichheit und Krieg in Form einer sozialistischen Bewegung gegen den Kapitalismus Bahn bricht.

Die Demokratische Partei und die ganze herrschende Klasse haben weitaus mehr Angst vor der internationalen Arbeiterklasse als vor Russland. Deshalb war die WSWS das Hauptangriffsziel von Google.

Die Öffentlichkeit muss aufgerüttelt werden! Die WSWS hat eine energische Gegenoffensive begonnen. Unsere Petition gegen Googles Zensur wurde bereits von Tausenden Arbeitern aus über 100 Ländern unterzeichnet. Doch der Kampf hat gerade erst begonnen.

Arbeiter und Jugendliche auf der ganzen Welt müssen erkennen, was hier gespielt wird. Wir rufen alle Teile der Arbeiterklasse auf, sich am Kampf gegen Zensur und schwarze Listen und für die Verteidigung der Meinungsfreiheit zu beteiligen. Dieser Kampf muss mit dem Kampf gegen soziale Ungleichheit und die Kriegsgefahr verknüpft werden.

Im Mittelpunkt des Aufbaus einer solchen Bewegung steht die World Socialist Web Site. Wir brauchen die Unterstützung unserer Leser mehr als je zuvor. Spendet noch heute, um der WSWS zu helfen, den Angriff der US-Regierung und der Technologiekonzerne abzuwehren. Engagiert euch! Nehmt den Kampf für den Sozialismus auf!

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