Andernach: Stahlarbeiter-Protest gegen ThyssenKrupp-Tata-Fusion

Am 23. November protestierten in Andernach am Rhein mehrere tausend Stahlarbeiter gegen die geplante Fusion von ThyssenKrupp mit der Stahlsparte des indischen Tata-Konzerns.

ThyssenKrupp Azubis: „Werden wir nach der Ausbildung noch übernommen?“

„Werden wir nach unserer Ausbildung bei ThyssenKrupp noch übernommen?“ fragten sich mehrere Azubis, die an der Demonstration teilnahmen. Eine Gruppe junger Arbeiter aus Bochum berichtete: „Bisher haben wir nur leere Versprechungen bekommen, aber keine konkrete Zusage für eine Übernahme. Sind das alles Lügen?“ Auch die älteren Kollegen machen sich große Sorgen und fürchten um Löhne und Betriebsrenten. „Wir werden seit Jahren verraten und verkauft“, so ein Arbeiter aus Gelsenkirchen.

Durch die Fusionspläne sind vorerst 4000 Arbeitsplätze (davon 2000 bei ThyssenKrupp und 2000 bei Tata Steel in Großbritannien und wahrscheinlich in den Niederlanden) und mehrere Stahlstandorte bedroht. In den letzten zehn Jahren hat der ThyssenKrupp-Konzern weltweit rund 50.000 Arbeitsplätze abgebaut; heute hat er noch knapp 160.000 Mitarbeiter, davon 60.000 in Deutschland. Im Stahlbereich sind es noch 27.000 Arbeitsplätze. Schon jetzt sorgen der Personalabbau, die Ausgliederung an Subunternehmen und zuletzt auch die Arbeitszeitverkürzung in den Betrieben dafür, dass sich der Stress am Arbeitsplatz und der Druck auf die Löhne ständig erhöht.

Aus all diesen Gründen kamen mehrere tausend Stahlarbeiter von den ThyssenKrupp-Standorten in Duisburg, Bochum, Gelsenkirchen, Dortmund, Hagen, Finnentrop und dem belgischen Antwerpen nach Andernach und demonstrierten zusammen mit Kollegen der Stahlwerke Salzgitter, Mannesmann, ArcelorMittal, Saarstahl Völklingen, sowie den Deutschen Edelstahlwerken in Witten und Siegen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. In Andernach betreibt ThyssenKrupp das Weißblechwerk Rasselstein. Hier wurde im letzten Jahr die Belegschaft durch Schließung des Nachbarstandorts Neuwied halbiert.

Demonstrationsbeginn am Werk Rasselstein

Am gleichen Donnerstag verkündete ThyssenKrupp-Vorstandschef Heinrich Hiesinger auf der Bilanzpressekonferenz in Essen, dass die Gewinne – auch aufgrund der Stahlsparte – im letzten Jahr um ein Drittel auf 1,9 Milliarden Euro gestiegen seien. Dennoch werde er an der Fusion festhalten, zu der er aufgrund der „strukturellen Probleme und Überkapazitäten“ gezwungen sei. Schon Anfang 2018 sollen alle Einzelheiten des neuen Joint Ventures feststehen, und ab 2020 werden sämtliche Konzernteile erneut auf den Prüfstand gestellt werden.

Um die Pläne durchzusetzen, arbeitet der Vorstand eng mit der IG Metall zusammen. Diese spielt ein abgekartetes Spiel. Den Arbeitern gegenüber behauptet sie, bisher nicht zu wissen, was die Fusion für die Belegschaften bedeuten wird. In Wirklichkeit besetzen ehemalige oder aktuelle IG Metall-Funktionäre hohe Positionen im Konzern und sind an allen Entscheidungen beteiligt.

Der Aufsichtsrat hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der alle Betriebsratsvorsitzenden von ThyssenKrupp angehören. Geleitet wird die Gruppe vom Konzern-Personalvorstand Oliver Burkhard, dem früheren Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, sowie dem stellvertretenden Aufsichtsratschef der ThyssenKrupp AG und IG Metall-Sekretär, Markus Grolms. Sehr wahrscheinlich sitzt auch der Personalvorstand von ThyssenKrupp Steel Europe, Thomas Schlenz, mit in der Arbeitsgruppe. Auch er ist als ehemaliger Betriebsratsvorsitzender des Gesamtkonzerns ein früherer hoher Gewerkschaftsfunktionär.

Das zeigt, dass die IG Metall-Führer, die auf der Kundgebung große Reden schwangen und den Arbeitern lautstark „Wir sind kampfbereit!“ zuriefen, in Wirklichkeit eine Gruppe von höchstbezahlten Funktionären im Dienst des Managements sind. Sie spielen eine Doppelrolle und wechseln problemlos die Seiten, wie das Beispiel des besagten Oliver Burkhard zeigt. Als gelernter Verwaltungsfachangestellter hat er niemals im Stahlwerk gearbeitet, aber sein Aufstieg vom IG Metall-Führer zum Arbeitsdirektor und Vorstandsmitglied hat ihn zum Millionär gemacht.

Rednertribüne mit Andrea Nahles (zweite von links) und Detlef Wetzel (rechts)

„Wir fordern ein Jahrzehnt Sicherheit für Beschäftigung, Standorte, Anlagen und Investitionen“, rief in Andernach Detlef Wetzel, IG-Metall-Vertreter im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp Steel Europe. Er kritisierte, dass der Hauptsitz in Amsterdam sein solle, und bezeichnete das als „Verrat am Standort Deutschland“. Wilfried Stenz, Betriebsratsvorsitzender von ThyssenKrupp Rasselstein, der die Kundgebung leitete, rief lauthals: „Stahl hat Zukunft! Wir kämpfen um unsre Standorte und Industrie-Arbeitsplätze!“

Wilfried Stenz stellte als Hauptsprecherin seine SPD-Parteikollegin Andrea Nahles vor. Sie ist bei den Stahlarbeitern keine Unbekannte. Schon im September hatte sie auf der Kundgebung in Bochum gesprochen. Die ehemalige Sozialministerin und heutige SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag hat ihren Wahlbezirk in Ahrweiler, einer Nachbargemeinde von Andernach. Vor den Rasselstein-Arbeitern war sie als IG-Metall-Vertreterin schon vor zwei Jahren zur Schließung des Standorts Neuwied an der Seite von Wilfried Stenz aufgetreten.

„Ihr seid mein Rasselstein!“ rief sie zu Beginn ihrer Rede, um danach zu einem Lobgesang auf den „Industriestandort Deutschland“ anzuheben. Die Fusion, so Nahles, sei „eine Entscheidung gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland“. Sie wiederholte die Behauptung, die Konzernspitze informiere ihre Mitarbeiter nicht ausreichend und schaffe zu wenig Transparenz. Vulgär schrie sie: „Herr Hiesinger: Hosen runter! Wir wollen wissen, was Sie vorhaben.“

Spätestens der Auftritt von Andrea Nahles machte deutlich, worum es der IG Metall mit ihrer Aktion in Wirklichkeit ging: Sie sieht ihre Aufgabe darin, ein Ventil für die wachsende Wut der Arbeiter zu schaffen, während sie gleichzeitig aktiv die Bildung der neuen Regierung unterstützt.

Unmittelbar nach ihrem Auftritt auf den Rheinwiesen von Andernach flog Nahles auf direktem Weg nach Berlin zurück, wo sie noch am selben Abend an den Verhandlungen der SPD über die künftige Regierung teilnahm. Schon bisher hat Nahles der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Sozialministerin loyal gedient.

Die SPD hatte schon vor fünfzehn Jahren, als sie mit Gerhard Schröder den Kanzler stellte, die rot-grüne Regierung in den Dienst der Konzerne gestellt. Mit Unterstützung der Gewerkschaften hatte sie damals mit Hartz IV und Agenda 2010 der sozialen Polarisierung den Weg bereitet. Auch den Kurs der kommenden Regierung wird die SPD mit gestalten: entweder als Teil einer neuen Großen Koalition, oder durch die Tolerierung einer Merkel-Minderheitsregierung.

Diese neue Regierung wird ohne jeden Zweifel einen extrem rechten, militaristischen und arbeiterfeindlichen Kurs einschlagen. Den Standort Deutschland wird sie im Interesse der deutschen Banken und Konzerne verteidigen und die Weichen auf Handelskrieg und Krieg stellen.

Das zeigt, dass die Stahlarbeiter heute vor der Aufgabe stehen, politisch aktiv zu werden. Wie die Demonstration in Andernach – und die praktisch zeitgleich stattfindenden Aktionen der Arbeiter von Siemens, Air Berlin, Amazon etc. – zeigen, wächst die Unruhe und Wut in der Arbeiterklasse.

Die Arbeitsplätze, die Löhne und der Lebensstandard können nur verteidigt werden, wenn die Arbeiter eine politische Entscheidung treffen: Sie müssen sich von den Gewerkschaften und ihrer nationalistischen „Standort-Deutschland“-Politik abwenden und sich stattdessen mit ihren internationalen Kollegen zusammenschließen. Gemeinsam müssen sie den Kampf für eine sozialistische Lösung aufnehmen.

Dafür kämpfen die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die Vierte Internationale, der sie angehört, sowie ihre Internet-Plattform, die World Socialist Web Site.

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