Mildes Urteil im Fall Schlecker

Ein wahrhaft mildes Urteil fällte das Landgericht Stuttgart am 27. November im Fall Schlecker. Der Drogeriemarkt-Unternehmer Anton Schlecker konnte den Gerichtssaal mit einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung verlassen. Bezahlen muss er gerade 54.000 Euro.

Die Insolvenz des Schlecker-Imperiums hatte vor fast sechs Jahren über 25.000 Verkäuferinnen in die Arbeitslosigkeit getrieben. Seither ist der Name Schlecker sogar in den Sprachgebrauch eingegangen: Mit „Schleckerisierung“ bezeichnet man einen Unternehmenskurs, der auf die radikale Senkung von Gehältern und Zerschlagung von Arbeitsbedingungen abzielt.

Um Gerechtigkeit für die betroffenen Schlecker-Frauen herzustellen, hat sich das Gericht als völlig untauglich erwiesen. Wie der Vorsitzende Richter Roderich Martis betonte, ist eine Insolvenz an sich keine Straftat. Das Gericht musste nur den betrügerischen Bankrott beurteilen, der darin bestand, dass die Familie Schlecker vor der Zahlungsunfähigkeit bewusst Geld beiseite geschafft hatte.

Dass dies der Fall war, stellte das Gericht einwandfrei fest. Millionenbeträge waren in Form von Geldgeschenken und überhöhten Rechnungszahlungen an die Firma LDG verschoben worden. LDG war eine Logistik- und Dienstleistungsgesellschaft, die sich vollständig in Händen der Familie befand. Gesellschafter der inzwischen insolventen Firma waren Schleckers Sohn und Tochter, Lars und Meike Schlecker.

Gegen diese beiden verhängte das Gericht etwas höhere Strafen als gegen den Vater. Wegen Untreue, Insolvenzverschleppung, Bankrott und Beihilfe zum Bankrott wurde Lars Schlecker zu zwei Jahren und neun Monaten und Meike Schlecker zu zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Diese Haftstrafen sind nicht zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig, und sie haben die Möglichkeit, Revision einzulegen.

Die Gewerkschaft Verdi hat die Haftstrafen für Lars und Meike Schlecker als „Antwort des Rechtsstaates auf diese Form der Wirtschaftskriminalität und fehlenden Unternehmensverantwortung“ bezeichnet. Bernhard Franke, der damalige Verdi-Verhandlungsführer, kommentierte: „Dass es jetzt ein Urteil gibt, ist wichtig für den sozialen Frieden und die psychische Beruhigung.“

Diese Worte können nur als zynisch bezeichnet werden. Gerade der Fall Schlecker hat die Rolle von Verdi klar gezeigt. Sie hat die Pleite an der Seite der Betriebsleitung und des Insolvenzverwalters auf Kosten der Schlecker-Frauen bis zum bitteren Ende mitorganisiert. Das zeigt ein Blick auf die Geschichte des Bankrotts.

Vor vierzig Jahren war Anton Schlecker stolz auf sein Image als „Lieblingsfeind der Gewerkschaften“. Er verkörperte den Typus des bundesdeutschen Unternehmers, der von 1975 an einen Familienbetrieb zum riesigen Filialnetz in Deutschland und darüber hinaus ausbaute. Der Metzgersohn aus Ehingen in Baden-Württemberg stieg zum Unternehmenspatriarch auf und konnte nach der deutschen Wiedervereinigung einen Konzern mit 11.000 Filialen und weit über 50.000 Mitarbeitern von Portugal bis Budapest sein eigen nennen.

Ab 2005 wuchsen die Finanzprobleme, die Gewinne blieben aus. Besonders in der Finanzkrise von 2008 erwies sich der Konzern als Riese auf tönernen Füßen. Da vollzog Schlecker eine Wende: Der Unternehmer stellte erstmals einen geschäftsführenden Vorstand, einen Wirtschaftsberater und eine Werbefirma ein – und er holte die Gewerkschaft Verdi ins Boot.

Von Anfang an verhielt sich Verdi als marktorientierter Juniorpartner des neu eingesetzten Vorstands. 2011 lobte Verdi-Chef Frank Bsirske die Schlecker-Unternehmensleitung öffentlich für ihre „Anstrengungen im Umgang mit den Mitarbeitern“.

Während des ganzen Zerschlagungsprozesses übernahm Verdi die Aufgabe, den Widerstand der Verkäuferinnen zu unterdrücken und die Ansprüche von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz durchzusetzen. Die Schlecker-Familie, die Insolvenzverwaltung, der Gläubigerausschuss und die Gewerkschaft Verdi arbeiteten Hand in Hand, um die Abwicklung des Konzerns reibungslos über die Bühne zu bringen.

Mit Hilfe der Verdi-Betriebsräte in den Filialen gelang es, den Schlecker-Frauen weiszumachen, dass sie Lohnverzicht üben und Entlassungen und Filialschließungen akzeptieren müssten, angeblich um die restlichen Arbeitsplätze zu retten. Anfang 2012 wurden so 12.000 Schlecker-Frauen, fast die Hälfte der Belegschaft, widerstandslos entlassen.

Während die Insolvenz schon lief, wurde den Großlieferanten versprochen, dass sie aus der Konkursmasse vorrangig bedient würden. Verdi und der Betriebsrat, die je einen Vertreter im Gläubigerausschuss hatten, taten alles in ihrer Macht Stehende, um zugunsten der Konkursmasse die Ansprüche der Arbeiterinnen klein zu halten. So riet die Gewerkschaft den Schlecker-Frauen davon ab, gegen die Firma zu klagen. Monatelang begründete sie es mit dem Argument, nur so könne der Restkonzern für Investoren attraktiv bleiben.

Stattdessen empfahl Verdi den Verkäuferinnen, auf eine künftige Transfergesellschaft zu setzen, die vorerst nur in ihrer Phantasie existierte. Eine solche Gesellschaft (die schließlich am Widerstand der Politiker scheiterte) würde die Entlassenen sechs Monate lang weiter beschäftigen, um sie anschließend in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Dafür sollten die Schlecker-Frauen im Voraus entsprechende Einverständniserklärungen unterschreiben. Sie verzichteten damit ausdrücklich auf jedes Recht, juristisch gegen die Kündigungen vorzugehen.

Im Juni 2012 gab Gleiwitz das endgültige Aus für Schlecker bekannt. Nun wurden auch die letzten 13.000 Schlecker-Frauen entlassen.

Verdi sorgte nicht nur dafür, dass möglichst viele Arbeiterinnen von Klagen absahen, sondern die Gewerkschaft organisierte auch die Entlassungen selbst. Vertreter der Insolvenzverwaltung bestätigten immer wieder die enge Zusammenarbeit mit den Betriebsräten. So sagte Insolvenzverwalter Geiwitz: „Die endgültige Sozialauswahl wurde gemeinsam mit dem Betriebsrat getroffen.“

Auch als die Zerschlagung schon feststand, blieb Verdi dabei, den Schlecker-Frauen von Klagen abzuraten. „Ich sehe nicht furchtbar viel Sinn in Kündigungsschutzklagen, vor allem wenn sie jetzt massenhaft erhoben würden“, erklärte damals Verdi-Verhandlungsführer Bernhard Franke – derselbe, der am Montag das Schlecker-Urteil zynisch als „wichtig für den sozialen Frieden und die psychische Beruhigung“ bezeichnet hat.

Fast sechs Jahre nach der Schlecker-Pleite arbeiten heute noch etwa zehn Prozent der damaligen Schlecker-Frauen als Verkäuferin unter ähnlichen Bedingungen wie damals. Der größte Teil hat bis heute nichts Vergleichbares gefunden. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Jobcenter keine Statistik darüber führen.

Schon im Juli 2012 gewann eine Schlecker-Verkäuferin den ersten Arbeitsgerichtsprozess gegen ihre Kündigung. Doch nur 4500 Schlecker-Frauen klagten gegen die Kündigung, fast 7000 hatten auf Verdi gehört und unterschrieben, dies nicht zu tun. Dadurch verzichteten sie auf Löhne und Abfindungen, die ihnen zustanden. Diese wurden stattdessen der Insolvenzmasse zugeschlagen und unter den Gläubigern aufgeteilt.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (damals noch „Partei für Soziale Gleichheit“) kämpfte unter den Schlecker-Frauen für eine sozialistische Perspektive. Im Juni 2012 zog sie in einer Erklärung die „politischen Lehren aus der Zerschlagung von Schlecker“. Darin schrieb sie: „Die Abwicklung des Konzerns ist das Ergebnis der engen Zusammenarbeit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit Insolvenzverwaltung, Gläubigern und dem Eigentümer Anton Schlecker. Verdi kam dabei die Aufgabe zu, den Widerstand der Arbeiterinnen zu unterdrücken.“

In der Erklärung wurde damals schon auf den Zusammenhang der Insolvenz mit umfassenderen Angriffen auf die sozialen Rechte der Arbeiter hingewiesen: „Immer häufiger werden gerade in Deutschland Insolvenzen genutzt, um entweder die Löhne zu minimieren und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern oder Massenentlassungen zu organisieren.“ Das hat sich bei Schlecker vollauf bestätigt, und es wiederholt sich seither immer wieder, wie die Verkäuferinnen bei Neckermann, Kaufhof, Tengelmann und in zahlreichen weiteren Konsumketten bestätigen können.

Wie es in der Erklärung heißt, erfordert die Verteidigung der Arbeitsplätze und Löhne heute mehr denn je ein sozialistisches Programm und eine neue, internationale Führung: „Die Kämpfe können aber nur erfolgreich sein, wenn sie sich gegen die Logik des Profitsystems richten. Dazu müssen Arbeiter nicht nur Aktionskomitees, sondern eine internationale, sozialistische Partei aufbauen, die Arbeiter über alle Grenzen hinweg vereint und sich den Angriffen auf die sozialen Rechte widersetzt.“

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