Bosheit und Ignoranz: Die Kolumnisten der New York Times laufen Amok

Die New York Times hat sich an die Spitze einer Kampagne gegen sexuelles Fehlverhalten insbesondere in der Unterhaltungsindustrie gesetzt. Diese Kampagne wird gerade in absurder Manier (im Fall des Senators Al Franken) auf die politische Bühne ausgeweitet. Dazu hat die Zeitung unter großem Aufwand seit Anfang Oktober Dutzende von Artikeln und „Exposés“ veröffentlicht, beginnend mit einem Bericht über Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein.

Die Kampagne hat einen zutiefst reaktionären und antidemokratischen Charakter. Durch bloße Anschuldigungen haben die Times und andere Presseorgane bereits das Privatleben und die berufliche Stellung zahlreicher Menschen ruiniert, und es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sie damit aufhören. Die Times behandelt das Thema unter völliger Missachtung elementarer Verfassungsrechte einschließlich der Unschuldsvermutung, des Rechts auf ein ordentliches Verfahren sowie des Rechts der Beschuldigten, sich mit den Zeugen auseinanderzusetzen und ihnen zu antworten. Die betreffenden Individuen werden zu Monstern stilisiert, entweder von der Times oder von den Medien, welche sie zitiert.

Die Methoden der Hexenjagd aus der McCarthy-Ära in den 1950er Jahren werden aus der Mottenkiste geholt und ohne große Gegenwehr der Kunst-Szene eingesetzt. Erneut werden Einzelne namentlich angeprangert und denunziert, für schuldig erklärt und ausgestoßen, ohne dass sich nennenswerter Widerspruch regt. Und das alles ohne eine einzige Anklage, geschweige denn einen gerichtlichen Schuldspruch.

Es mag die Herausgeber der Times empören und einen Großteil ihrer Leserschaft überraschen, aber Weinstein, Bret Ratner und James Toback – nicht zu vergessen Kevin Spacey, Louis C.K., Franken und zahlreiche andere, die in das Visier der Boulevardpresse geraten sind – haben wie jeder andere Bürger auch Anspruch auf rechtlichen Schutz.

Der Angriff auf demokratische Rechte beginnt oft mit relativ einfachen Schuldzuweisungen und setzt sich von dort aus fort. Wenn in einer Zeit, in der die herrschende Elite geradezu mit Lichtgeschwindigkeit in Richtung autoritärer Staatsführung und Krieg steuert, Verfassungsgarantien außer Kraft gesetzt werden, hat dies extrem gefährliche Implikationen für die ganze Bevölkerung. Die heutigen Moralapostel könnten sich durchaus daran mitschuldig machen, dass es in absehbarer Zeit zu offen diktatorischen und faschistischen Maßnahmen kommt.

Zwei neuere Artikel der Times belegen die ignorante und böswillige Art der gegenwärtigen Offensive unter der Flagge sexueller Themen, nämlich „Wie der Mythos der künstlerischen Genialität den Missbrauch von Frauen entschuldigt“ von Amanda Hess und „Louis C.K. und Hollywoods Galerie der Widerlinge“ von Manohla Dargis.

Keine der beiden Autorinnen lässt irgendwie erkennen, dass sie die Dinge durchdacht hätte. Hess ergeht sich in weitschweifenden Ergüssen zu Kunst und Kunstgeschichte, die auf oberflächlichen Beobachtungen neuerer Entwicklungen in der amerikanischen Unterhaltungswelt beruhen. Sie schreibt wie eine verklärte Lifestyle-Kolumnistin, und genau das ist sie auch. Auf ihrer eigenen Website zitiert sie bezüglich ihrer eigenen Arbeit den befreundeten Kolumnisten Benjamin Freed mit den Worten: „Ich kann mir niemanden vorstellen, der intelligenter und engagierter über persönliche Identität und Beziehungen schreibt.“

Dargis, Filmkritikerin der Times, hat ihren Beitrag über sexuelles Fehlverhalten offensichtlich aus einem Gefühl von Groll und persönlicher Bitterkeit geschrieben. Ihr Artikel besteht aus kaum mehr als einer Reihe wenig aufschlussreicher Klagen und Nörgeleien über Louis C. K. und Woody Allen und deren angebliche Verhältnisse zu jungen Frauen oder entsprechende Fantasien. Überhaupt ist ihre Stellungnahme noch rachsüchtiger und bewegt sich auf noch niedrigerem Niveau als die von Hess. Sie beginnt ihren Artikel mit den Worten: „Direkt, nachdem Harvey Weinstein als sexuelles Raubtier geoutet wurde, schrieb ich ein Dokument mit dem Titel ‚Widerlinge‘, in dem ich versuchte, jeden Mann aufzulisten, der mich sexuell belästigt oder vergewaltigt hatte.“ Ganz ehrlich: Wen interessiert das? Wollen wir hoffen, dass Dargis die Willenskraft findet, dem Drang zu widerstehen, der Welt diese Geschichte zu erzählen.

Hess und Dargis sind zwei hochbezahlte, privilegierte Mitglieder der wohlhabenden Klasse Amerikas, sie schreiben für ein „Prestige-“Organ. Niemand kann uns weismachen, sie seien schrecklich unterdrückt. Sie bieten nichts als unsinniges Selbstmitleid für Anfänger, und das muss einfach gesagt werden.

Um die Dinge ins rechte Licht zu rücken, ist es auch nützlich sich vor Augen zu führen, dass Hess und Dargis für eine Zeitung schreiben, die unverfrorene Lügen über „Massenvernichtungswaffen“ im Irak veröffentlicht hat (wohlgemerkt verfasst von der berüchtigten Judith Miller), um die kriminelle US-Invasion zu rechtfertigen, die Millionen den Tod gebracht hat. Doch tote Iraker, Afghanen, Syrer, Libyer, Somalier, Jemeniten und Pakistaner stören unsere Autorinnen nicht. Beide unterstützen mit Sicherheit Hillary Clinton und die Demokratische Partei, eine der beiden Kriegs-Parteien.

Letztendlich geht es solchen Leuten – genauso wie ihren Ebenbildern an den Universitäten, die eine Art „geschlechtliche Säuberung“ betreiben – darum, sich einen Karriere- und Einkommensvorteil zu verschaffen. Hier wird knallhart abgerechnet. Gibt es etwas Skrupelloseres als einen Kleinbürger, der Blut geleckt hat? Das aktuelle Motto in diesen Kreisen ist völlig klar: Wenn man im richtigen Augenblick auf den Zug aufspringt, macht man den großen Reibach.

Ein sehr großer Anteil der Führungspositionen in der Unterhaltungs- und Medienbranche ist von Männern besetzt. Hess und Dargis hätten gerne, dass sie hinausgeworfen würden. Das würde die Dinge in Bewegung bringen und Leuten wie den Autorinnen das Leben insgesamt angenehmer – und lukrativer – machen.

Würde der weibliche Teil der Managementspezies, wenn er dieses Ziel erreichen würde, auf seine Weise weniger versaut (oder talentierter) sein als Weinstein und die anderen? Man darf es bezweifeln. Ihr Mangel an Mitgefühl und Empathie, das Fehlen jeder demokratischen Sensibilität in ihren Artikeln lassen erahnen, wie Hollywood und andere Bereiche unter ihrer Herrschaft aussehen würden. Und das wäre keine schöne Aussicht.

Was Hess selbst angeht, so würde sie gerne die Kunst- und Kulturgeschichte neu schreiben. Sie möchte „die Trennung von Kunst und Künstler“ abschaffen … Wann immer ein kreativer Typ (meistens ein Mann) wegen Misshandlung (meistens von Frauen) angeklagt wird, erhebt sich eine mahnende Stimme, um zu verhindern, dass diese unerfreulichen biographischen Kleinigkeiten sich in die Beurteilungen seines künstlerischen Werks einschleichen.“

Mit Bezug auf „die Hollywood-Größen, die sexueller Belästigungen beschuldigt werden – Harvey Weinstein, James Toback, Kevin Spacey und Louis C.K.“, fährt Hess fort, dass „wir jeden Tag mehr darüber lernen, wie die Unterhaltungsindustrie durch Machtmissbrauch geprägt worden ist. Es wird Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wie ihre Kunst ebenso davon geprägt worden ist.“

Es mag an der Zeit für solche Überlegungen sein, doch dieses Vergnügen versagt Hess ihren Lesern. Nachlässig wirft sie ihnen einige Brocken vor die Füße, beispielsweise Bernardo Bertoluccis angebliche Misshandlung von Maria Schneider während der Dreharbeiten für „Der letzte Tango in Paris“ (1972) und den verworrenen kineastischen Unfug des dänischen Filemachers Lars von Trier, bei dem das „Knallen von Schauspielerinnen“ schwerlich seine schlimmste Untat ist. Aber sie bietet sehr wenig an Substanz. Sie kann es nicht lassen, im Vorübergehen Roman Polanski zu verunglimpfen, aber da sie kein einziges filmisches Werk von Polanski konkret analysiert, bleibt ihre Ankündigung, die „Kunst“ im Licht der sexuellen Verfehlungen zu untersuchen, ein unerfülltes Versprechen.

Hess, genauso wie Dagris, verwendet einen Großteil ihrer Zeit und Energie auf den Fall des Louis C.K. Ihre Beschreibung seiner Werke macht jedoch deutlich, dass der Stand-Up-Comedian trotz all seiner Eigenheiten und Exzesse in der Lage war, mehr Einblicke in sexuelle und soziale Beziehungen zu gewähren als Hess selbst. Missbilligend schreibt sie angesichts der aktuellen Anschuldigungen, „was einst wie kreative Provokation aussah, liest sich jetzt wie die Rechtfertigung eines moralischen Universums, in dem Frauen sich an sexuellen Übergriffen genau wie Männer mitschuldig machen und wo gewaltsam begonnener Sex ohne Weiteres in gegenseitiges Verlangen übergeht.“

Man beachte den Subjektivismus ihrer Herangehensweise: „Früher haben wir Louis C.K. für seine Verdienste um die Komik bewundert“, erklärt Hess, „doch nun haben wir herausgefunden, dass sie etwas ganz Anderes bedeutet.“

Hess behauptet, dass „die Neigung zu verwerflichen Taten genau zum Mythos des künstlerischen Genies passt – eine Bezeichnung, die selten für Frauen verwendet wird … Die Kunst entschuldigt das Verbrechen“. Und während Hess mit großer Geste die ganze Kultur des 19. Jahrhundert über diesen Kamm schert, führt sie auch hier kein einziges Beispiel für den von ihr behaupteten Trend an.

Das Verhältnis zwischen dem Leben und persönlichen Verhalten der Künstler zu ihrem Kunstschaffen ist komplex. Natürlich kann man mit Begabung oder sogar Genie nicht alles entschuldigen. Wie wir schon vor Jahren aus Anlass der Rehabilitierung des Hollywood-Filmemachers und Denunzianten Elia Kazan festgestellt haben, erfordert eine angemessene Beurteilung künstlerischer Leistung eine gewisse Trennung zwischen dem Künstler und seinem Werk. „Es liegt uns fern, alle Abfalltonnen nach Beweisen für die diversen Sünden eines Dichters, Malers oder Komponisten zu durchwühlen. Aber der Unterschied ist relativ und nicht absolut.“ An Mozart erinnert man sich als liebenswerten Menschen, nicht aber an Wagner, der sehr viel schöne Musik komponiert hat, aber ein antisemitisches Ekel war.

Zur Zeit von Kazan wurde häufig komplett anders argumentiert, als Hess es heute tut: Künstler wie Kazan prahlten in ihren Memoiren mit ihrem üblen Benehmen und unterstellten, dass Verderbtheit unbedingt zum künstlerischen Genie gehöre. Wir stellten fest, dass „auch unvollkommene Menschen Kunst hervorbringen, und nicht nur Kunst. Sie verletzen andere und sich selbst“, schrieben wir, „aber warum sollte man solche unvermeidlichen Fehler und Übeltaten zur Tugend oder gar zum Programm erheben? Die Geschichte lehrt uns, dass die Klassengesellschaft gelegentlich begabte Menschen derart verstümmelt, dass sich in ihnen künstlerischer Genius und persönliche Niedertracht vereint. Warum sollte man darin nicht einfach einen unglücklichen Umstand sehen, ein weiteres Zeichen dafür, dass diese Gesellschaft mit der Forderung nach menschlichem Glück unvereinbar ist, und nicht als Beweis, dass Genialität Niederträchtigkeit voraussetzt?“

Jedoch sind Hess und Dargis von Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung und dem, was sie Menschen zufügt, weit entfernt. Beide sind sie außerordentlich selbstzufriedene Kleinbürger.

Auf der Grundlage ihres Gedankengangs müsste Hess eigentlich dringend verlangen, das Werk jedes männlichen Künstlers, der Frauen misshandelt hat (oder von dem man es nur vermuten könnte), neu zu bewerten oder sogar zu verbieten. Und tatsächlich freuen sich sie und Dargis über die Vernichtung von Louis C.K und Kevin Spacey. Dargis schreibt über Ersteren: „Ich habe nichts gegen ihn, noch betrauere ich das mögliche Ende seiner Karriere. Er ist reich und kann sich in ein gemütliches Loch verkriechen.“ Wer es fertig bringt, einen derart schäbigen Satz zu schreiben, und sich nicht schämt, Häme über die Erniedrigung eines anderen Menschen zu äußern, hat nur Verachtung verdient.

Ganz abgesehen von den äußerst unerquicklichen Auswirkungen auf mögliche weitere gesellschaftliche Bereiche werden die Hexenjagd und die damit verbundenen Artikel gegen Spacey und Louis C.K. tatsächlich einen unmittelbaren Einfluss insbesondere auf das Fernsehen haben und dazu beitragen, dieses Medium weniger kritisch und konventioneller zu machen. Wenn Hess und Dargis ihre Säuberungen in die Tat umsetzen dürften, wäre das Ergebnis für das kulturelle Leben desaströs.

Bereits jetzt wird Spacey aus einem fertiggestellten Film herausgeschnitten, aus Ridley Scotts „All the Money in the World“, und seine Szenen werden mit Christopher Plummer neu gedreht. Ein erschreckender Präzedenzfall: Stalin kommt nach Hollywood! Scott und Plummer sollten sich schämen – aber leider deutet nichts darauf hin, dass sie es tun.

Louis C.K. hat es nicht verdient, als Teufel liquidiert zu werden. Er scheint an einer emotionalen Störung zu leiden, die zu zwanghaftem Exhibitionismus führt. Es hätte doch eine Möglichkeit geben müssen, mit dieser emotionalen Fehlsteuerung umzugehen, ohne seine Karriere als Schauspieler und Stand-Up-Comedian zu beenden. Vielleicht hätte einer seiner Produzenten, Regisseure oder Agenten etwas tun können, um ihm zu helfen, wenn sie nur nicht so darauf fixiert gewesen wären, möglichst viel Geld aus den Auftritten des Stand-Up-Comedian herauszuschlagen.

Was wäre, wenn man die von Hess und Spacey verfochtenen moralischen Kriterien rückwirkend anwenden würde?

Möglicherweise sollten die Schriften von Ernest Hemingway, August Strindberg und Lord Byron (berüchtigt für ihre stürmischen oder schwierigen Beziehungen zum anderen Geschlecht), die Filme von Charlie Chaplin (der die 18-jährige Oona O’Neil heiratete, als er 54 war) und die Gemälde von Egon Schiele (verhaftet wegen Sex mit einer Teenagerin) und Fra Filippo Lippi (der Renaissance-Künstler, der in anstößiger Weise eine junge Nonne verführt hatte) aus den Bibliotheken, Kinos und Galerien verbannt werden. Charles Dickens verließ seine Frau wegen einer Jüngeren, Leo Tolstoi trennte sich von seiner Frau am Vorabend seines Todes.

Oscar Wilde könnte wegen seiner Beziehungen zu Jugendlichen aus der Arbeiterklasse leicht als sexuelles „Raubtier“ angesehen werden. Und vergessen wir nicht, dass Lord Alfred „Bosie“ Douglas noch nicht einmal 21 war, als er zum ersten Mal Sex mit Wilde hatte. Natürlich gibt es Hinweise darauf, dass Bosie der Anstifter gewesen sein mag, aber lasst uns nicht an Tatsachen herumdeuteln und darüber das moralische Gesamtbild aus den Augen verlieren. Vielleicht sollten wir dem Marquess von Queensberry, dem Vater von Lord Alfred, nachträglich dafür danken, dass er Wilde den Garaus machte.

Setzen wir die Liste von Schurken aus der Kunst fort, deren Werke im Licht ihrer berüchtigten Untaten vielleicht besser der Vernichtung anheimfallen sollten. Der Maler Caravaggio und der Dichter François Villon könnten Mörder gewesen sein. Balzac, etwas weniger rücksichtslos und blutrünstig, hatte mit einer verheirateten Frau ein Kind und führte eine jahrzehntelange intime Korrespondenz mit einer anderen. Konservative Zeitgenossen haben ihn und seine Kunst allgemein als unmoralisch und gefährlich eingestuft. Was ist mit Frida Kahlo, die Ikone der heutigen Feministinnen, die hemmungslos ihren sexuellen Eroberungen unter beiden Geschlechtern frönte?

Hess, Dargis und die übrigen Moralisten der Mittelschicht halten nie inne, um darüber nachzudenken, ob es etwas in der Kunst gibt, was das individuelle Leben und das persönliche Verhalten transzendiert.

Tatsächlich haben klügere Autoren zu Fragen der Ästhetik der vergangenen zweihundert Jahre verstanden, dass der große Künstler sich so weit irgend möglich in seinen Stoff vertieft und dabei in hohem Maße von seiner Persönlichkeit und seinen individuellen Eigenschaften absieht. Der Künstler wird zum besonderen Medium, das von dem Thema geformt wird, das ihn ergriffen hat.

Das Kunstverständnis von Hess und Dargis dagegen ist beschränkt und subjektiv, so, wie es ihren kleingeistigen und kleinkarierten Dimensionen entspricht. Natürlich ist das Handeln des Künstlers von Empfindungen und Wahrnehmungen bestimmt, wie aber Marxisten betonen, ist die Frage aller Fragen: „Haben unsere subjektiven Empfindungen objektive Bedeutung?“

Unsere Autorinnen befassen sich nie damit, ob die Arbeit eines bestimmten Künstlers, sogar im Rahmen seiner oder ihrer sozialen Deformation, zu unserem Verständnis der Welt oder von uns selbst beiträgt. Eine der Schwierigkeiten ist, dass beide in den flachen und stehenden Gewässern der zeitgenössischen gängigen Kultur Amerikas verhaftet sind, in der zurzeit wirklich nichts besonders Erhellendes passiert.

Dargis schreibt: „Es wäre ein Trugschluss unserer Kunstkritik zu glauben, sie könne objektiv betrieben werden, als ob wir Filme sehen und darüber wie in einer Art körperloser Erfahrung schreiben könnten. Als ob es mir möglich wäre, einen Film anzusehen, in dem Frauen aus keinem ersichtlichen Grund missbraucht werden – ohne die geringste Vorspiegelung einer vernünftigen Begründung –, und als könnte ich diese Ausbeutung einfach als ein formales Attribut ansehen, wie das Drehbuch, den Soundtrack oder hervorragende Kameraführung.“

Nach Art aller Philister setzt Dargis „Objektivität“ mit passiver Unparteilichkeit gleich. In Wirklichkeit geht es nicht darum, Filme aus einer „irgendwie körperlosen Erfahrung“ zu besprechen oder zu betrachten, sondern sie mit Rücksicht auf ihre Wahrhaftigkeit und der Art, wie sie der Welt entsprechen, zu behandeln. Filme, die Frauen oder irgendeinen anderen Teil der Menschheit in verlogener oder ausbeuterischer Weise darstellen, müssen abgelehnt werden, doch auch führt Dargis selektive Wahrnehmung zu gar nichts. Sie ist offensichtlich nicht über Filme entsetzt, die die Verbrechen des US-Imperialismus verteidigen und Iraker als eine außerirdische Lebensform darstellen, hat sie doch Clint Eastwoods miserablen, den Militarismus verherrlichenden „American Sniper“ an die Spitze der Filme aus dem Jahr 2014 gesetzt, „die mir am meisten zugesagt haben“.

Kunst führt wie die Wissenschaft auch zu objektiven Erkenntnissen über die Wirklichkeit, jedoch natürlich auf andere Weise. Die aktuelle Serie „Genius“ handelt von Albert Einsteins angeblichen Verfehlungen als Ehemann. Darin wird unterstellt, wie die WSWS bereits kritisch anmerkte, dass seine erste Frau Mileva Maric „die Ideen und Berechnungen zur speziellen Relativitätstheorie entwickelte und Einstein ihre Ideen im Wesentlichen gestohlen hat“. Das war schon verschroben genug, aber nehmen wir einmal an, ein anderer Film oder eine andere Serie würde in eine andere Richtung weisen: dass die Relativitätstheorie selbst verdorben sei und überprüft werden müsse, weil Einstein in seinem Leben unglückliche Beziehungen zu bestimmten Frauen hatte.

Die von Hess und Dargis vertretenen rückschrittlichen Auffassungen gehen auf eine längere geistige und gesellschaftliche Entwicklung zurück, sind sie doch in der gut betuchten akademischen Mittelschicht entstanden und dort zur Blüte gelangt.

Zum einen haben wir schon Jahrzehnte des Postmodernismus und der Identitätspolitik mit ihrem extremen Subjektivismus und Relativismus durchlitten, womit die Möglichkeit, eine objektive Erkenntnis über Gesellschaft und Geschichte zu erlangen, für ausgeschlossen erklärt wurde. Zum anderen wurde jeglicher dürftige Überrest an Demokratie, der noch im öffentlichen Leben Amerikas übrig war, durch den endlosen „Krieg gegen den Terror“ ausgehöhlt, durch Rechtfertigungen für militärische Interventionen im Namen der „Menschenrechte“ durch Internierungen ohne Gerichtsurteil, Folter und andere Gräueltaten, zeitgleich mit einer Reihe manipulierter Sexskandale.

Der gesamte Pöbel an Identitätspolitikern in den USA, ebenso wie das gesamte Establishment, wendet sich scharf nach rechts, zur Unterstützung von Zensur, politischer oder moralischer Hexenjagd, und offener Repression. Die Weinstein-Spacey-Louis-C.K.-Affären (weitere werden folgen!), in Kombination mit den „Fake News“-und Anti-Russland Kampagnen, boten diesen Leuten schlicht einen Anlass, sich noch dreister zu einer reaktionären antidemokratischen Politik zu bekennen.

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