Treuhand: Symbol des brutalen Kapitalismus im Osten

Mit der angekündigten Stilllegung der letzten Großbetriebe von Siemens und Bombardier in Ostdeutschland taucht ein Gespenst der Geschichte wieder auf: Die Treuhandanstalt, das Instrument der kapitalistischen Restauration in der ehemaligen DDR im Zuge der Wiedervereinigung. Mit der Privatisierung von über 8000 Betrieben zerschlug sie die volkseigene ostdeutsche Industrie und trieb Millionen in die Arbeitslosigkeit und Armut.

In der vergangenen Woche wurde eine neue Studie zur Treuhand veröffentlicht, die die Ostbeauftragte der Bundesregierung Iris Gleicke (SPD), selbst aus Thüringen, an der Bochumer Ruhruniversität beauftragt hatte. Sie demonstriert, wie sehr diese Erfahrung noch heute lebendig ist und zu wütenden Reaktionen führt.

27 Jahre nach der Wende sehen Arbeiter die Treuhand als Symbol des brutalen Kapitalismus. In den Worten der Autoren der Studie, Constantin Goschler und Marcus Böick, gleicht sie einer „erinnerungskulturellen Bad Bank“ und ist ein zentrales „(Negativ-)Symbol einer umfassenden, regelrecht schockartigen Überwältigung des Ostens durch den Westen“.

Von Anfang an stieß die Rückkehr kapitalistischer Ausbeutung auf große Opposition unter DDR-Arbeitern. Der Schwall demokratischer Floskeln, mit denen damals alle Parteien im Bunde mit den alten SED-Eliten die Wiedervereinigung propagierten, diente dazu, diese antikapitalistische Opposition zu verwirren und zu unterdrücken. Unter der Oberfläche blieb sie trotz aller Jubelpropaganda über die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus und der Treuhand jedoch immer bestehen.

Die Bochumer Studie mit dem Titel „Wahrnehmung und Bewertung der Arbeit der Treuhandanstalt“ stellt die üblichen Rechtfertigungs- und Beschönigungsversuche dieser Geschichte in Frage, die den sozialen Niedergang mit dem Verweis auf die „sozialistische Misswirtschaft“ der SED begründen.

Anders als viele Beiträge zum Thema Treuhand haben die Bochumer Wissenschaftler und Studenten sich nicht auf die Meinung der damaligen „Akteure“ beschränkt: der Investoren, Treuhandmanager, Verwaltungsbürokraten, Gewerkschaftsfunktionäre und sonstigen Beteiligten aus Politik und Wirtschaft, die die Wiedervereinigung durchgesetzt und oftmals selbst davon profitiert haben. Stattdessen haben sie auch eine Feldstudie „von unten“ durchgeführt und die betroffenen Menschen vor Ort befragt.

In der ersten Hälfte dieses Jahres interviewten sie 500 Personen in Leipzig und im thüringischen Eisenach nach dem Zufallsprinzip, unterteilt in Jüngere sowie Ältere, die vor 1978 geboren wurden und daher Zeitzeugen der Ereignisse von 1989/90 waren. Dabei trafen sie auch auf 158 Westdeutsche.

Die Bewertung der Treuhand vor allem unter den über 40-Jährigen und insbesondere in der Arbeiterbevölkerung in Eisenach fällt drastisch aus. Zur „Treuhand“ fielen den meisten nur Schlagworte wie „Abwicklung“, „Ausverkauf“ oder „Betrug“ ein. Manche nannten auch „Kriminalität“, „Ungerechtigkeit“, „Zerstörung“, „Korruption“ und „Abzocke“. Auch wenn einige Teilnehmer neutralere Begriffe anführten wie „Privatisierung“ oder „Verkauf“, überwiegen laut Studie die negativen Schlagworte. Eine Gruppe hätte „sehr drastische Termini“ gewählt, wie: „Ganoven, Elend, Schindluder, Nazis, Stasi, Chaos, Katastrophe, Ausplünderung, Verschleuderung, Verramschung oder Verbrechen“.

Diese „negativ besetzten“ Schlagworte seien von älteren Ostdeutschen „sehr impulsiv“ vorgetragen worden, hebt die Studie hervor. Hier sei „eine erhebliche Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft bis hin zur ganz offen geäußerten Kapitalismuskritik zum Ausdruck“ gekommen (Studie S. 90, im Folgenden nur Seitenzahl).

Die Treuhand-Anstalt wurde am 1. März 1990 von der letzten SED-Regierung der DDR unter Hans Modrow und Christa Luft gegründet. Die damalige Behauptung von Modrow und Luft sowie den DDR-Oppositionellen am Runden Tisch, man wolle nur das „Volksvermögen“ vor fremden Händen schützen und für die spätere „Verteilung“ an die Bevölkerung „bewahren“, war nichts als Augenwischerei und Betrug.

Bis Juni wurden der Treuhandanstalt knapp 380 Kombinate mit über 8000 Betrieben, in denen etwa vier Millionen Beschäftigte arbeiteten, übertragen. Hinzu kamen unzählige Immobilien, Ferienanlagen, Geschäfte, Buchhandlungen, Kinos, Hotels und Agrarflächen. Das Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990 legte schließlich fest, dass die Betriebe am Tag der Währungsunion, dem 1. Juli 1990, in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden. Der Auftrag lautete explizit, diese schnellstmöglich zu privatisieren und ihre „Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit“ zu sichern (§ 8 Treuhandgesetz).

Innerhalb von zwei Jahren, Ende 1992, hatte die Treuhand fast 90 Prozent ihres Bestands an vornehmlich westdeutsche Investoren verkauft beziehungsweise stillgelegt. Sogenannte „Transfer-Eliten“ und eine Vielzahl von Glücksrittern ergatterten sich bei der Treuhand Schnäppchen zum Nulltarif.

Anfang 1993 flog ein Skandal um ein kriminelles Netzwerk aus West-Investoren und regionalen Treuhand-Managern in der bereits Ende 1992 geschlossenen Niederlassung Halle auf, die „alle bis dahin bekannten Ausmaße an struktureller Kriminalität und Korruption“ überstieg. (40/41)

In der Industrieregion Halle hatte eine regelrechte Mafia von Treuhand-Managern, windigen westdeutschen Investoren und gewendeten ehemaligen VEB-Direktoren die Filetstücke der ehemaligen DDR-Kombinate verschachert. Später erinnerte sich IG Metall Funktionär Günther Meißner laut Mitteldeutscher Zeitung: „Auf dem Parkplatz wurden Briefumschläge mit Millionen in den Sportwagen des Privatisierungsdirektors rübergereicht, ...dafür durfte Herr Greiner dann in 14 Tagen vier Firmen übernehmen.“ Greiner war ein Göppinger Unternehmer, der durch diese Ankäufe seine eigene Firma im Westen sanieren wollte.

Solche Fälle waren gang und gäbe. Tausende von Treuhand-Akten, die diese kriminellen Machenschaften ans Tageslicht fördern könnten, liegen derzeit unter Verschluss im Logistikdepot in Großbeeren bei Berlin. Forderungen, alle Akten vor dem Ende der gesetzlichen Dreißig-Jahresfrist, also 2020, zugänglich zu machen, hat das Bundesfinanzministerium abgelehnt.

Ende 1992 verschärfte sich der Widerstand in den verbliebenen Betrieben. Vor allem in der Großindustrie war es seit Ende 1991 immer wieder zu Streiks und Protesten gegen die Treuhand gekommen, beispielsweise in Hennigsdorf, wo im November 1991 das Stahlwerk von Arbeitern besetzt wurde.

Die Studie nennt auch den Hungerstreik der Kali-Bergarbeiter von 1993 in Bischofferode in Thüringen. Die Arbeiter hielten monatelang ihre Gruben besetzt und konnten nur mit der geballten Anstrengung von ehemaligen FDGB-Gewerkschaftsbürokraten, PDS-Politikern und westdeutschen Gewerkschaftsfunktionären wie Bodo Ramelow, damals HBV-Sekretär und heute thüringischer Ministerpräsident der Linkspartei, zur Aufgabe gezwungen werden.

Zur Rolle von Gewerkschaften, SPD und PDS in dieser Zeit, deren Vertreter für die Studie ebenfalls interviewt wurden, heißt es, es habe eine „pragmatische Kooperation mit seinerzeit zuständigen Treuhand-Vertretern“ gegeben, mit denen man „hinter den Kulissen“ zusammenarbeitete. Und weiter: „Gerade westdeutsche Gewerkschaftsvertreter beschreiben so insgesamt retrospektiv eine charakteristische Doppelrolle als öffentlicher Konfliktgegner und diskreter Kooperationspartner.“ (74)

Tatsache ist, dass sowohl die Gewerkschaften, als auch die aus der SED entstandene PDS die Wiedereinführung kapitalistischer Verhältnisse in der DDR voll unterstützt haben. Ihre Kritik an der Treuhand betraf lediglich die Forderung, etwas vorsichtiger und langsamer vorzugehen, um keinen umfassenden Aufstand der DDR-Arbeiterklasse mit revolutionären Ausmaßen zu provozieren.

Die PDS stritt sich mit der Treuhand vor allem über die Privatisierung der Parteieinrichtungen und über das Parteivermögen der SED, weil sie um ihre eigenen Posten im Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturbetrieb fürchtete. Mit „Ungerechtigkeit“ meinte sie die Benachteiligung der alten SED-Eliten nach der Wiedervereinigung, nicht die soziale Misere für die Arbeiterklasse.

Hans Modrow, nach seiner Abwahl 1990 langjähriger Ehrenvorsitzender der PDS und heute Vorsitzender des Ältestenrats der Linken, schrieb später über diese Zeit: „Nach meiner Einsicht war der Weg zur Einheit unumgänglich notwendig und musste mit Entschlossenheit beschritten werden.“ Seine Wirtschaftsministerin Christa Luft schrieb ein Buch mit dem Titel: „Die Lust am Eigentum.“ Später war sie wirtschaftspolitische Sprecherin der PDS und wurde Vorsitzende des Wirtschaftsverbands für kleine und mittelständische Betriebe OWUS.

Heute wird das Modell der Treuhand-Anstalt in Griechenland wiederholt. Die von der deutschen Regierung durchgesetzte Privatisierungsbehörde setzt den Ausverkauf aller öffentlichen Einrichtungen in enger Zusammenarbeit mit der angeblich linken Syriza-Regierung durch, die die Linkspartei als ihre Schwesterorganisation betrachtet.

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