London: Sechs Monate seit dem Brand des Grenfell Towers

Am 14. Juni breitete sich in dem gesamten 24-stöckigen Grenfell Tower in London ein Feuer aus. Millionen sahen mit Entsetzen die Fernsehbilder der grausamen Szenen, die in die ganze Welt übertragen wurden. Sie zeigten, wie ein kleines Feuer, das im vierten Stock ausgebrochen war, sich innerhalb von Minuten an den Außenwänden des Gebäudes ausbreitete und es in ein wütendes Inferno verwandelte. Es kostete mindestens 71 Menschenleben und hinterließ Hunderte, die um ihre Lieben trauern.

Die Socialist Equality Party (SEP) drückt den überlebenden Opfern des Grenfell-Brandes sechs Monate nach dem furchtbaren Ereignis noch einmal ihr Mitgefühl aus.

Grenfell ist zu einem Symbol für alles geworden, was in diesem Gesellschaftssystem verfault ist. Es wird beherrscht von einer korrupten Finanzoligarchie, die dem Schicksal der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung völlig gleichgültig gegenübersteht. Diese vollkommen vermeidbare Katastrophe steht sinnbildlich für die Verwüstung, die der Kapitalismus nicht nur in Großbritannien, sondern überall auf der Welt angerichtet hat, durch den systematischen und historisch einmaligen Transfer des gesellschaftlichen Reichtums von der Arbeiterklasse hin zu den Superreichen.

In den Tagen nach dem Brand ging der Schock in der Öffentlichkeit immer mehr in Wut über. Schnell wurde klar, dass in dem reichsten Stadtteil einer der reichsten Hauptstädte der Welt Menschen aus der Arbeiterklasse verbrannten, weil ihr Wohngebäude in eine Todesfalle verwandelt worden war.

Das Feuer konnte sich so rasch ausbreiten, weil der von den Konservativen regierte Londoner Stadtteil Kensington und Chelsea und seine Behörde für Wohnmanagement, die Kensington and Chelsea Tenant Management Organisation (KCTMO), das Gebäude mit einer billigen leicht entflammbaren Verkleidung versehen hatte. Die Maßnahme wurde im Rahmen eines kosmetischen „Verschönerungsprogramms“ durchgeführt, um die jahrzehntelange Vernachlässigung bei der Instandsetzung des Hochhauses zu verdecken. Dadurch wollte man den reicheren Einwohnern von North Kensington einen passableren Anblick verschaffen.

Denn diese waren besorgt, den Wert ihrer Häuser zu erhalten, der zum Teil mehrere Millionen Pfund beträgt.

Die leicht entzündliche Verkleidung war gewählt worden, weil nicht-entflammbare Alternativen ein paar tausend Pfund mehr gekostet hätten. Aus dem gleichen Grund wurde die Sicherheit der Bewohner missachtet, indem keine Sprinkleranlage in dem Hochhaus installiert wurde. Das führte dazu, dass viele von denen, die versuchten über das einzige Treppenhaus den Ausgang zu erreichen, von den giftigen Dämpfen überwältigt wurden, die große Mengen Cyanwasserstoff (Blausäure) enthielten und durch die brennende Fassadenverkleidung freigesetzt wurden.

Das Schicksal der Flammenopfer wurde besiegelt, als die Feuerwehrfahrzeuge nur unter Schwierigkeiten zu dem Brand vordringen konnten. Eine schlecht geplante, aber finanziell lukrative ehemalige Parkeinrichtung versperrte ihnen den Weg. Dazu kam, dass infolge der Sparmaßnahmen bei den Feuerwachen der Hauptstadt durch den früheren Londoner Oberbürgermeister und jetzigen Außenminister Boris Johnson die Löscharbeiten stark eingeschränkt waren.

Die dafür Verantwortlichen können sich nicht dadurch herausreden, dass sie uninformiert gewesen seien. Die Bewohner hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass das Gebäude nicht sicher sei. Ein Blogpost der Grenfell Aktionsgruppe hatte erst sieben Monate vor dem Feuer davor gewarnt, dass „offenbar erst ein katastrophales Ereignis eintreten muss, damit die Inkompetenz unseres Hauseigentümers, der KCTMO, ans Licht kommt und die lebensgefährlichen Verhältnisse und die Vernachlässigung der Gesundheits- und Sicherheitsgesetze aufgedeckt und beseitigt werden können, die er seinen Mietern und Pächtern zumutet.“

Bedauerlicherweise hat die Gruppe recht behalten. Aber die Vernachlässigung und Verachtung für die Bewohner aus der Arbeiterklasse hörte mit dem Brand nicht auf. In den Stunden und Tagen danach erhielten die Überlebenden und ihre Familien, die alles verloren hatten, keine Hilfe vom Stadtrat oder der Regierung. Kein Nothilfeprogramm wurde aufgelegt, so dass die Nachbarn aus der Umgebung die Sache schließlich selbst in die Hand nahmen und den Opfern halfen. Trotz aller Krokodilstränen, Reuebekundungen und all den vielen Versprechen von Seiten der Behörden blieb das Verhalten gegenüber den Grenfell-Opfern grausam bis an die Grenze des Sadismus.

In den sechs Monaten seitdem hat der Stadtrat, der zur Zeit des Feuers über Rücklagen von nahezu 300 Millionen Pfund verfügte, herzlich wenig unternommen, um den Opfern ein neues Zuhause zu verschaffen. Von den 208 Grenfell-Haushalten, die eine neue Wohnung benötigten, sind 118 immer noch in Hotels und Bed-and-Breakfast-Pensionen untergebracht oder wohnen bei Freunden. Darunter befinden sich 29 Familien mit Kindern. Weitere 48 Haushalte haben zwar eine dauerhafte Wohnung angeboten bekommen, sind aber noch nicht eingezogen. Das sind zusammen 166 Haushalte. Dazu kommen Bewohner von benachbarten

Wohnblocks, die auch ihre Wohnungen verlassen mussten, insgesamt wird eine atemberaubende Zahl von 857 Menschen, darunter 303 Kinder, Weihnachten in Notunterkünften verbringen.

Obwohl hier ein schreckliches Verbrechen verübt wurde, ist keine einzige Person oder Organisation für das, was geschehen ist, vor Gericht gestellt worden. Am Tag nach dem Brand begann die Londoner Metropolitan Police eine Kriminaluntersuchung, dennoch ist bis heute keine einzige Person verhört, oder gar festgenommen oder angeklagt worden. In einer Erklärung, die die Polizei in der zweiten Dezemberwoche im Zusammenhang mit der offiziellen Untersuchung der Regierung herausgab, heißt es, dass vor dem Herbst nächsten Jahres keine Aussicht bestehe, irgendeinen „Verdächtigen“ zu verhören, da die forensischen Untersuchungen des Gebäudes noch andauerten.

Die Polizeikommissarin Cressida Dick berichtete auf einer Versammlung in London zum Stand der forensischen Untersuchung, dass diese wahrscheinlich nicht vor 2019 fertig sein würde und die Gesamtuntersuchung noch Jahre dauern könne.

Sowohl die polizeilichen Ermittlungen als auch die von Premierministerin Theresa May initiierte Untersuchung sind nichts als eine vom Staat organisierte Vertuschungsaktion.

Der die staatliche Untersuchung leitende Richter Sir Martin Moore-Bick hat keine Befugnis, irgendjemanden zu belangen, hat jedoch vollständige Kontrolle darüber, welche Fragen von Rechtsvertretern der Überlebenden oder anderen interessierten Parteien gestellt werden dürfen. Die Vorgaben dieser Untersuchung schließen von vornherein aus, dass irgendwelche „sozialen, wirtschaftlichen oder politischen“ Themen behandelt werden. Eine Petition von Überlebenden und ihren Familien, dass Moore-Brick ein repräsentatives Gremium akzeptieren und ihm nicht erlaubt sein solle, Fragen auszuschließen, konnte 16.000 Unterschriften sammeln. Wie für die polizeilichen Ermittlungen ist auch für seine Untersuchung nicht vorgesehen, vor Herbst nächsten Jahres auch nur Zwischenergebnisse zu der Frage vorzulegen, wie das Feuer begann und sich ausbreitete.

Die Skepsis der Öffentlichkeit in die offizielle Untersuchung hat ein Ausmaß erreicht, dass in der zweiten Septemberwoche die britische Organisation zur Überwachung der Menschenrechte, die Equality and Human Rights Commission (EHRC), angekündigt hat, eine eigene Untersuchung durchzuführen. Im Zentrum soll die Frage stehen, warum mehr als 70 Menschen in „staatlich verwalteten“ Wohnungen umkamen. Der Antrag der EHRC, als Hauptteilnehmer der Untersuchung von Moore-Bick zugelassen zu werden, wurde abgelehnt.

Unmittelbar nach dem Brand schrieb die World Socialist Web Site:

„Es gibt weltgeschichtliche Ereignisse, die zu einem grundlegenden Wandel im Bewusstsein führen und die Grundlage für die Entwicklung einer sozialistischen Orientierung in der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung schaffen. Das Inferno im Grenfell Tower vom 14. Juni ist ein solches Ereignis.

In den kommenden Jahren wird man das politische Leben in Großbritannien in „vor“ und „nach“ Grenfell unterscheiden müssen. […]

Millionen erkennen, dass Grenfell kein Unfall war, sondern ein Verbrechen. Diese Tragödie war voll und ganz vorhersehbar und ist das direkte Ergebnis von vier Jahrzehnten Deregulierung unter Tory- und Labour-Regierungen und ihren kommunalen Vertretern. Sie alle sind mitschuldig an diesem Massenmord.“

Die SEP beschrieb den Grenfell-Brand als „sozialen Mord“, weil die Behörden die Bewohner in eine Situation gezwungen haben, deren potentiell schrecklichen Folgen durchaus absehbar waren.

Im August führte die SEP eine öffentliche Versammlung in Nordkensington durch, zu der über 100 Personen kamen. Die Versammlung forderte, dass die Schuldigen aus politischen wie aus Unternehmerkreisen verhaftet, angeklagt und vor Gericht gestellt werden müssen und sie forderte die Überlebenden, Anwohner und Arbeiter auf, „kein Vertrauen in Mays verkommene Untersuchung zu setzen“. Genauso wenig sollten sie dem Versuch der Labour Partei trauen, ihnen „die Untersuchung doch noch schmackhaft zu machen“.

Die SEP verpflichtete sich, ein Forum einzurichten, um „die betrügerische Regierungsuntersuchung zum Grenfell-Brand zu entlarven“. Das Grenfell Fire Forum traf sich erstmals am 30. September.

Alles, was bisher erreicht wurde, um den Grenfell-Opfern Gerechtigkeit zu verschaffen, wurde durch unabhängige Aktionen der Einwohner und ihrer Unterstützer durchgesetzt. Das Forum ist ein politischer Mechanismus, durch den die Arbeiterklasse eine sozialistische und internationalistische Gegenoffensive beginnen kann. Sie ist gegen alle Versuche gerichtet, den Zorn der Öffentlichkeit unter einem Schwall von heuchlerischen Moralpredigten über die „Einheit der Nation“ und „verstandene Lehren“ verrauchen zu lassen, um so den Kampf für Gerechtigkeit in die Sackgasse der Moore-Bick-Untersuchung zu lenken.

Näheres ist auf der Facebook Seite des Forums facebook.com/GrenfellForum nachzulesen.

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