Perspektive

Österreich: Lehren aus dem Aufstieg der extremen Rechten

Der Eintritt der rechtsextremen FPÖ in die österreichische Regierung kennzeichnet einen politischen Einschnitt für ganz Europa. In einem traditionellen westeuropäischen Land, in dem der Antifaschismus nach den Verbrechen der Nazi-Diktatur zur Staatsräson gehörte, sitzen wieder Politiker an den Schalthebeln der Macht, die über enge Verbindungen zum Neonazi- und rechten Burschenschaftsmilieu verfügen. Die Polizei, das Militär und die Geheimdienste unterstehen alle FPÖ-Ministern.

Als die konservative Volkspartei (ÖVP) vor 17 Jahren zum ersten Mal eine Regierung mit der FPÖ, damals noch unter Jörg Haider, bildete, löste dies einen internationalen Sturm der Entrüstung aus. Die Europäische Union belegte Wien mit Sanktionen. Diesmal ist nichts dergleichen der Fall. Stattdessen stößt die neue Regierung auf Lob und Unterstützung.

„Die FPÖ ist im Mainstream der europäischen Politik angekommen“, schreibt der Wiener Standard. Die Neue Zürcher Zeitung bescheinigt dem Regierungsprogramm, es sei „rechtskonservativ mit einiger Symbolpolitik, aber insgesamt solid und mit guten Ansätzen“. Für die Frankfurter Allgemeine ist die neue Regierung „zunächst einmal ein Stück demokratischer Normalität“. Man müsse sie nicht mögen, „sollte sie aber respektieren“.

Die Welt findet, es bringe nichts, „die neue Regierung Österreichs an den Schandpfahl zu stellen“. Sie solle „ihre Chance bekommen“. Das Springer-Blatt empfiehlt, „gelassen zu reagieren. Österreich steht nicht am Abgrund, wie es von links tönt.“ Der deutsche Regierungssprecher ließ verlauten, dass Kanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung insgesamt offen seien, für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Der Grund für diese beifällige Reaktion ist nicht, dass sich die FPÖ inzwischen gemäßigt hätte. Sie ist unter der Führung von Heinz-Christian Strache, dem neuen Vizekanzler, radikaler geworden. Aber die Positionen, die 2000 Anstoß erregten – Ausländerfeindlichkeit, Nationalismus, Missachtung demokratischer Rechte, Staatsaufrüstung und Militarismus –, sind inzwischen zur offiziellen Politik aller bürgerlichen Regierungen und Parteien geworden.

Die kapitalistische Gesellschaft ist überall viel ungleicher als vor zwei oder drei Jahrzehnten. Das hat der kürzlich veröffentlichte „World Inequality Report“ soeben wieder überzeugend aufgezeigt. Während der Reichtum einer kleinen Minderheit explodiert, rackern sich Millionen Menschen unter immer unerträglicheren Bedingungen ab. Die Folge sind wachsende Wut und soziale Opposition.

Die herrschende Klasse reagiert darauf, indem sie scharf nach rechts rückt, das Programm der Rechtsextremen übernimmt oder sie – wie jetzt in Österreich – direkt in die Regierung holt. Sie bereitet sich auf kommende Klassenauseinandersetzungen vor, indem sie den Staat aufrüstet, die reaktionärsten Elemente stärkt und Rassismus und Fremdenhass schürt. Die Entwicklung erinnert an die 1930er Jahre, nur dass diesmal der Islam und nicht das Judentum als Sündenbock herhalten muss.

Man kann den Aufstieg der Rechtsextremen in Österreich, in Europa oder auch in den USA nur vor dem Hintergrund des Rechtsrucks aller etablierten Parteien verstehen, insbesondere jener, die einst vorgaben, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten.

In Österreich hat die Sozialdemokratie (SPÖ) seit 1970 mit einer Unterbrechung von nur sieben Jahren permanent den Bundeskanzler gestellt. Obwohl sie sich längst von ihren sozialistischen Zielen verabschiedet hatte, galt sie in den 1970er Jahren noch als Garant umfangreicher Sozialreformen. Doch seither ist sie ununterbrochen nach rechts gerückt und hat sich der FPÖ angenähert.

Die Rechtsextremen hätten nicht so reibungslos an die Macht gelangen können, wenn ihnen die Sozialdemokraten nicht den Weg geebnet hätten. Im Burgenland bildete die SPÖ schon vor zweieinhalb Jahren eine gemeinsame Landesregierung mit der FPÖ. Und im jüngsten Wahlkampf erklärte Bundeskanzler Christian Kern, der Spitzenkandidat der SPÖ, seine Bereitschaft, auch auf Bundesebene mit den Rechtsextremen zu koalieren.

Ähnliche Entwicklungen finden überall in Europa und auch in den USA statt. Angesichts wachsender sozialer Spannungen und drohender Klassenkämpfe rücken die etablierten Parteien enger zusammen und gemeinsam nach rechts. Die Rechtsextremen profitieren davon in zweifacher Hinsicht: Sie werden durch die Übernahme ihrer Politik durch die anderen Parteien gestärkt und stoßen mit ihrer populistischen Demagogie in das Vakuum vor, das der Rechtsruck der Sozialdemokratie hinterlässt. Die angestaute Wut, Empörung und Opposition der Massen findet dagegen keinen fortschrittlichen Ausdruck.

In Deutschland hat sich die SPD mit den Hartz-Gesetzen bereits vor zwölf Jahren an die Spitze der sozialen Konterrevolution gesetzt und seither als Juniorpartner der Konservativen ein Programm der inneren und äußeren Aufrüstung verfolgt. Nun fordert der frühere SPD-Vorsitzende und amtierende Außenminister Sigmar Gabriel, dass die SPD auf den Kurs der rechtsextremen AfD einschwenkt. Statt auf „Fragen nach Umverteilung“ solle sich die SPD auf die Sehnsucht nach „Identität“, „Heimat“ und „Leitkultur“ – die Schlagwörter der Rechtsextremen – konzentrieren, fordert er in einem Gastbeitrag für den Spiegel.

In Italien haben Jahre des Sozialabbaus durch sogenannte Mitte-Links-Regierungen, in denen die sozialdemokratische PD die führende Rolle spielte, mehreren rechtsextremen Parteien und der Protestbewegung Cinque Stelle, die ebenfalls ausländerfeindliche Standpunkte vertritt, Auftrieb verschafft.

In Griechenland hat die Regierung von Alexis Tsipras, die durch eine Welle des Widerstands gegen die Spardiktate der EU an die Macht gehoben wurde, ein Regierungsbündnis mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen (ANEL) geschlossen, um noch viel brutalere Sparmaßnahmen durchzusetzen.

Auch in den USA hat die Symbiose der Demokraten mit der Wall Street und dem Militär- und Geheimdienstapparat erst die Voraussetzungen geschaffen, unter denen Donald Trump die Präsidentenwahlen gewinnen konnte. Nun, da der reaktionäre Charakter der Trump-Regierung immer offensichtlicher wird, attackieren ihn die Demokraten von rechts. Sie greifen ihn nicht wegen seinen Steuersenkungen für die Reichen, seinen Angriffen auf Migranten und soziale Errungenschaften und seinen Kriegsdrohungen gegen Nordkorea und Iran an, sondern weil er nicht aggressiv genug gegen Russland vorgeht.

Der Rechtsruck in Österreich unterstreicht, dass der Kampf gegen rechts, gegen Armut, Sozialabbau, Diktatur und Krieg die Entwicklung einer unabhängigen, sozialistischen Massenbewegung in der internationalen Arbeiterklasse erfordert.

Zahlreiche pseudolinke Organisationen, die sich teilweise als Sozialisten oder sogar als Marxisten bezeichnen, klammern sich an die Rockschöße der Sozialdemokratie, der Linkspartei und der US-Demokraten. Sie behaupten, man könne diese rechten Parteien unter Druck setzen und für eine fortschrittliche Politik gewinnen. Doch das ist eine gefährliche Illusion, die die Arbeiterklasse lähmt und die Rechten stärkt.

Die soziale Krise, die internationalen Spannungen und die damit verbundene Kriegsgefahr haben ein Ausmaß angenommen, das keine sozialen und politischen Kompromisse mehr zulässt. Deshalb heißen die bürgerlichen Medien und Parteien die rechtsextreme FPÖ „im Mainstream der europäischen Politik“ willkommen.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale und seine Sektionen, die Sozialistischen Gleichheitsparteien, sind weltweit die einzige politisch Tendenz, die für den Aufbau einer unabhängigen sozialistischen Partei in der Arbeiterklasse kämpft. Alle, die ernsthaft gegen den Aufstieg der Rechten kämpfen wollen, sollten sich ihnen anschließen.

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