Diese Woche in der Russischen Revolution

18.–24. Dezember: Beginn der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk

Am 22. Dezember treffen die Delegierten der Mittelmächte erstmals persönlich auf die Vertreter der Oktoberrevolution. Trotzki schreibt später darüber: „Historische Umstände hatten es so gefügt, dass die Delegierten des revolutionärsten Regimes, das die Menschheit je gekannt hat, an einem Tisch sitzen mussten mit den diplomatischen Vertretern der allerreaktionärsten Kaste unter allen regierenden Klassen.“

Berlin, 18. Dezember: Filmproduktionsgesellschaft UFA zum Zwecke der Kriegspropaganda gegründet

Standbild aus dem Film „Bei unseren Helden an der Somme“

Mit einem Grundkapital von 25 Millionen Reichsmark wird heute die Universum Film AG (UFA) gegründet.

Die Initiative dazu ist von General Erich Ludendorff ausgegangen. Am 4. Juli hat er in einem Brief an das Königliche Kriegsministerium eine „Vereinheitlichung der deutschen Filmindustrie“, gefordert, um „nach einheitlichen großen Gesichtspunkten eine planmäßige und nachdrückliche Beeinflussung der großen Massen im staatlichen Interesse zu erzielen“. Ludendorff beklagt, dass die Kriegsgegner, insbesondere Frankreich, Großbritannien und die USA beim Einsatz des neuen Mediums Film Deutschland weit voraus seien.

Die Filmindustrie sei eine „wirkungsvolle Kriegswaffe“, so Ludendorff. Die verschiedenen Gesellschaften sollten vom Staat aufgekauft werden: „Bekannt werden darf aber nicht, dass der Staat der Käufer ist. Die gesamte finanzielle Transaktion muss durch eine fachkundige, einflussreiche, erfahrene, zuverlässige und vor allen Dingen der Regierung unbedingt ergebene private Hand (Bankhaus) erfolgen. Die Unterhändler dürfen in keiner Form wissen, wer der wirkliche Auftraggeber des Beauftragten ist.“

Unter Führung der Deutschen Bank wird der Plan Ludendorffs umgesetzt. Zu dem Grundkapital steuern auch die Elektrokonzerne AEG und Robert Bosch AG bei, sowie die Reedereien Hapag und Norddeutscher Lloyd und die Grammophongesellschaft Carl Lindström AG. Als organisatorischer Kern geht in der UFA das bereits im Januar von der OHL gegründete Bild- und Film-Amt (BUFA) mit 450 Mitarbeitern auf. Major Alexander Grau, persönlicher Referent Ludendorffs für Presse- und Propagandafragen, wird Direktor.

Propaganda, nicht Kunst, ist das von der Obersten Heeresleitung (OHL) vorgegebene Ziel. So werden im Auftrag des Militärs sogenannte „Dokumentarfilme“, wie zum Beispiel „Die Brieftaube im Deutschen Heeresdienst“, „Die Frau als Kriegshelferin bei der Herstellung von Wurfminen“, oder ganz aktuell „Der Waffenstillstand von Brest-Litowsk“ gedreht. Es sind Filme, in denen Regisseur und Darsteller sich bemühen, die vom Militär gewünschte und von der Zensur erlaubte „Wirklichkeit“ zusammenzubasteln. Die daraus resultierenden Machwerke werden in den Wochenschauen der Kinos und als Vorfilme gezeigt oder zu Ausbildungszwecken bei der Armee eingesetzt. Auf der Website filmportal.de sind viele dieser Filme heute auch online zu sehen.

Bei unseren Helden an der Somme“ ist zum Beispiel ein dreiaktiger Propagandafilm, der in nachgestellten Szenen den „heroischen Kampf“ der Frontsoldaten zeigt und die „deutsche Kampfgemeinschaft“ stärken soll. Er ist eine Antwort auf den abendfüllenden britischen Propagandafilm „The Battle of the Somme“, der in Frankreich und Großbritannien die Kinos füllt.

Zahlreiche Spielfilme werden produziert, in denen die Kriegspropaganda bewusst in romantische Liebes-, Helden- und Schurkengeschichten verpackt wird. Hinter der Front werden in kürzester Zeit nicht weniger als 900 Soldatenkinos errichtet, um die Frontsoldaten in ihren kurzen Kampfpausen bei Laune zu halten. Natürlich wird ihnen dort der Krieg nicht so gezeigt, wie sie ihn ohnehin erleben, sondern als ein sinnhafter, legitimer Kampf zur Befreiung der „vom Feind unterdrückten Völker“.

Erst einige Jahre später kann sich die UFA in der Weimarer Republik über das Niveau dieser Propaganda-Schnulzen etwas erheben. Aber die schwere Hypothek ihrer Geburt als Kind des deutschen Militarismus und imperialistischen Krieges wird sie nie los.

New York City, 19. Dezember: Lehrer wegen „subversiver“ Ansichten entlassen

De Witt Clinton High School

Drei Lehrer der De Witt High School werden entlassen, weil die Schulbehörde von New York City entscheidet, dass sie „subversive Ansichten“ hätten und „die Disziplin und das staatsbürgerliche Verhalten unterminieren“. Die Lehrer haben offenbar deutsche oder europäisch anmutende Nachnamen: Samuel Schmalhausen, Thomas Mufson und A. Henry Schneer.

Ein Anwalt der Lehrer nennt ihre Entlassung ein „Lynchen ohne Beweise“. Einer von Schmalhausens Schülern soll sich in einem Aufsatz über Präsident Woodrow Wilson kritisch geäußert haben. Die Schulbehörde behauptet, dass die Randbemerkungen bei dem Aufsatz nicht kritisch genug gewesen seien und nicht ausreichende Empörung an den Tag gelegt hätten. Schneer wird wegen ein paar Gedichtzeilen verurteilt. Mufson wird teilweise deswegen entlassen, weil er sich weigert, an seinem „Inquisitions“-Verhör teilzunehmen, wie ein Anwalt seine Anhörung nennt.

Am 24. Dezember empfiehlt das Schulamt eine sechsmonatige Suspendierung ohne Gehalt für die Grundschullehrerin Fannie Ross. Grund seien ihr Verhalten, das sich für eine Lehrerin nicht zieme, sowie „taktlose Bemerkungen“. Im Rahmen ihrer Freiwilligentätigkeit für den Staatszensus soll sich Ross gegen die Wehrpflicht geäußert haben.

Das Schulamt beabsichtigt, am 26. Dezember einen Vorschlag aufzugreifen und den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule gänzlich einzustellen.

Australien, 20. Dezember: Antikriegsstimmung führt im Referendum zu Ablehnung der Wehrpflicht

Plakat gegen Wehrpflicht

Auch ein zweiter Versuch der Regierung von Premierminister Billy Hughes, die Wehrpflicht per Volksabstimmung einzuführen, scheitert, da sich unter Arbeitern und jungen Menschen eine starke Ablehnung des Kriegs ausbreitet.

Die Regierung versucht, den dramatischen Einbruch bei der Rekrutierung von Freiwilligen für den Militärdienst dadurch zu kompensieren, dass sie eine auf zwölf Monate begrenzte Wehrpflicht einführt. Die australischen Truppen erleiden in den Schlachten von 1916 und 1917 hohe Verluste an der Westfront, und gleichzeitig wächst die soziale Krise im Innern. Dies hat die Spannungen im Lande stark erhöht. Die Rekrutierung von Freiwilligen bricht von einem Höchststand von 166.000 im Jahre 1915 auf nur noch 45.000 im Jahre 1917 ein.

Im November 1916 ist der erste Versuch, die Wehrpflicht durchzudrücken, in einer Volksabstimmung gescheitert. Dies hat die Labor Party gespalten und infolgedessen zur Bildung der Nationalistischen Regierung unter Hughes geführt.

In der Volksabstimmung von 1917 wird die Frage enger gefasst. Anstatt eine volle Wehrpflicht zu genehmigen, wird vorgeschlagen, nur 18- bis 44-Jährige einzuziehen, und zwar nur in den Monaten, in denen sich weniger als 7.000 Männer freiwillig melden. Aber auch dieser Vorschlag wird mit mehr als 53 Prozent abgelehnt.

Die Volksabstimmung folgt auf größere soziale Unruhen wie zum Beispiel den großen Streik von Australien, einen sechswöchigen Arbeitskampf von 100.000 Arbeitern in New South Wales und Victoria im August und September. Er richtet sich gegen Versuche der Regierung, die Kriegsproduktion durch Angriffe auf die Arbeitsbedingungen zu steigern. Der Unterdrückung des Großen Streiks folgen Unruhen von tausenden Arbeiterfrauen in Melbourne wegen Lebensmittelknappheit.

Vor der Volksabstimmung rufen Sozialisten und andere Kriegsgegner zu Antikriegsversammlungen und Demonstrationen auf. Während einer Rede in Warwick (Queensland) für die Wehrpflicht wird Hughes von einem jungen Arbeiter mit einem Ei beworfen. Der Zwischenfall wird zum Symbol für eine breitere Opposition gegen den Krieg.

Die Regierung setzt ihre repressiven Maßnahmen fort, die sie schon in der ganzen Kriegszeit angewandt hat. Jetzt befielt sie der Armee, eine Razzia in der Druckerei der Regierung von Queensland durchzuführen, weil dort angeblich „subversives“ Material gegen die Wehrpflicht gelagert werde.

Russland, 20. (7.) Dezember: Sowjetregierung richtet WTscheka ein

WTscheka-Mitglieder 1921. (V.l.n.r.) J.Kh. Peters, I.S. Unschlicht, A.J. Belenky, F.E. Dserschinski, W.R. Menschinski

Die Reste des alten Regimes sabotieren die neue Macht nach Kräften. Nach einem landesweiten Streik der Staatsangestellten gründet der Sownarkom eine Sonderkommission. Sie soll prüfen, welche Maßnahmen oder Gremien für den Kampf gegen konterrevolutionäre Elemente und Sabotageversuche geeignet seien. Aufgrund des Berichts dieser Kommission entsteht die „Außerordentliche Gesamtrussische Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“, abgekürzt WTscheka. Felix Dserschinski, ein polnisch-russischer Revolutionär, wird zu ihrem Chef ernannt.

Gewaltige Anspannung und Druck lasten auf der neuen revolutionären Regierung. Nicht nur finanzieren die Imperialisten marodierende Weiße Armeen und rüsten sie aus. Die Sowjetregierung ist auch gezwungen, sich gegen Industriesabotage, Diebstahl, Korruption, Profitmacherei, Spekulation, Mordversuche auf ihre Führer und alle Arten von konterrevolutionären Intrigen zu verteidigen. Diese Bedingungen lassen der Sowjetregierung keine andere Wahl. Sie muss Maßnahmen ergreifen, um sich gegen die innere Bedrohung zur Wehr zu setzen.

Die Einrichtung der WTscheka ist außerdem mit der Auflösung des Militärischen Revolutionskomitees verbunden. Dieses hat im Oktoberaufstand eine Schlüsselrolle gespielt und unmittelbar danach die Verantwortung für elementare öffentliche Dienstleistungen übernommen. Um sicherzustellen, dass weiterhin revolutionäre Politik ausgeübt wird, wird auch ein Organ benötigt, das einige der Aufgaben des Militärischen Revolutionskomitees übernimmt. In dieser Hinsicht dient die WTscheka als notwendiges Gegengewicht zu den Linken Sozialrevolutionären. Diese üben in den Volkskommissariaten des Innern und der Justiz einen nicht unbeträchtlichen Einfluss aus und hintertreiben die Bemühungen der Revolutionstribunale.

Die Schaffung der WTscheka fällt mit der Entscheidung des Sownarkoms zusammen, im Großen und Ganzen den Vorschlag der Linken Sozialrevolutionäre zu akzeptieren und nach wochenlangen Verhandlungen eine Koalitionsregierung zu bilden. Besonders die Ernennung des Linken Sozialrevolutionärs Isaak Steinberg zum Volkskommissar für Justiz erregt Lenins Befürchtungen. Sie werden sich als vollkommen gerechtfertigt herausstellen, da Steinberg schon in der ersten Woche im Amt eine politische Amnestie für die Gefangenen im Smolny ausruft und versucht, die Gefangenen der Revolutionstribunale ohne Rücksprache mit dem Sownarkom freizulassen.

Im Gegensatz zum Militärischen Revolutionskomitee und dem Sownarkom setzt sich die WTscheka ausschließlich aus verlässlichen Bolschewiki zusammen. In den kommenden Wochen wetteifern die bolschewistischen Mitglieder des Sownarkoms und die Linken Sozialrevolutionäre, besonders Steinberg, um die Kontrolle über die WTscheka, doch die Bolschewiki entscheiden diesen Kampf für sich.

Die WTscheka, die den Auftrag hat, „den Widerstand der Ausbeuter auszulöschen“, besteht anfangs aus etwa 40 Beauftragten, denen ein Regiment und eine Gruppe der Roten Garden unterstellt werden. In den kommenden Jahren, als der Bürgerkrieg und der Klassenkampf zunehmen, entstehen im ganzen Land hunderte regionale Komitees auf verschiedenen amtlichen Ebenen.

Petrograd, 21. (8.) Dezember: Trotzki rät Botschafter von US-Intervention ab

David R. Francis

Trotzki veröffentlicht ein Schreiben an den US-Botschafter D.R. Francis, in dem er die USA vor einer Intervention auf Seiten von Kaledins Weißen warnt. Die Sowjetregierung hat entdeckt, dass H.W. Anderson, der Leiter des amerikanischen Roten Kreuzes in Rumänien, mit Hilfe eines Briefs von Francis die Lieferung von 72 Autos an Kaledins konterrevolutionäre Kräfte in Rostow organisiert hat. Die Dokumente werden bei einer als „Oberst Kolpaschnikoff“ bezeichneten Person in Petrograd entdeckt. Der Oberst wird verhaftet und in die Peters- und Pauls-Festung gebracht. Die USA leugnen jede Verantwortung und behaupten, die Fahrzeuge seien für den Nahen Osten bestimmt gewesen und sollten via Rostow über das Schwarze Meer dorthin gelangen.

Wie die New York Times berichtet, wird Trotzkis Rede an einer Versammlung von „revolutionären Organisationen“ mit Begeisterung aufgenommen.

Vergangene Nacht haben wir entdeckt, dass sich amerikanische Agenten in Russland an der Kaledin-Bewegung beteiligen. Wir haben Oberst Kolpaschnikoff, einen Mitarbeiter der amerikanischen Mission in Rumänien, verhaftet, der versucht hat, eine Zugladung voller Automobile, Kleidung und Nachschub nach Rostow zu bringen. Unter seinen Dokumenten befand sich ein Brief von David R. Francis mit der Aufforderung, dem Zug freie Durchfahrt zu gewähren, da er für die Mission in Iași bestimmt sei. In einem weiteren Brief von Oberst Anderson, Chef des amerikanischen Roten Kreuzes in Rumänien, an Kolpaschnikoff heißt es, falls Geld gebraucht würde, sei Botschafter Francis bereit, 100.000 Rubel auf das Konto des Roten Kreuzes zu überweisen.

Wir sind der Meinung, es ist an der Zeit, dass der amerikanische Botschafter sein Schweigen bricht. Seit der Revolution ist er der stillste Diplomat in ganz Europa. Offensichtlich gehört er der Schule Bismarcks an, in der gelehrt wird, dass Schweigen Gold sei. Er muss seine Verbindung zu dieser Verschwörung offenlegen.

Wir sagen allen Botschaftern: „Wenn ihr glaubt, dass ihr mit Hilfe des amerikanischen Goldes und unter dem Deckmantel des Roten Kreuzes Kaledin unterstützen und finanzieren könnt, dann liegt ihr falsch. Wenn ihr das glaubt, dann seid ihr nicht länger Vertreter Amerikas, sondern Abenteurer auf eigene Rechnung, und der schwere Arm der Revolution wird euch erreichen.“

Ich möchte, dass die Vertreter aller ausländischen Mächte wissen, dass wir nicht so blind sind, zuzulassen, dass man über uns hinwegtrampelt … [D]ie revolutionäre Regierung hat ihre Würde und ihren Stolz, und wir handeln nicht unter dem Einfluss der anglo-amerikanischen Bourgeoisie, sondern aufgrund klarer Prinzipien, für die wir siegen oder sterben werden.

[aus dem Englischen]

Petrograd, 22. (9.) Dezember: Koalitionsregierung von Bolschewiki und Linken Sozialrevolutionären

Isaak Steinberg, Linker Sozialrevolutionär und Volkskommissar für Justiz

Nach wochenlangen hitzigen Diskussionen bilden die Bolschewiki und die Linken Sozialrevolutionäre eine Koalitionsregierung.

Die Linken Sozialrevolutionäre haben sich erst wenige Wochen zuvor von der kleinbürgerlich-demokratischen Sozialrevolutionären Partei abgespalten. Sie sind außer den Bolschewiki die einzige Partei, die im November die Machtübernahme des Sowjetkongresses unterstützt hat. Darin unterscheiden sie sich von den Sozialrevolutionären und den Menschewiki. Als politische Tendenz sind die Linken Sozialrevolutionäre Ausdruck des gewaltigen Linksrucks unter großen Schichten der Bauern und des städtischen Kleinbürgertums. Deshalb sehen die Bolschewiki in ihnen einen wichtigen, wenn auch nicht besonders verlässlichen Verbündeten.

Die Linken Sozialrevolutionäre haben es anfangs abgelehnt, mit den Bolschewiki in eine Regierung einzutreten, und haben darauf bestanden, eine „gesamt-sozialistische Koalitionsregierung“ zu schaffen, zu der auch die Menschewiki und Sozialrevolutionäre gehören sollten.

In den Verhandlungen mit den Bolschewiki bestehen die Linken Sozialrevolutionäre darauf, die Kontrolle über wichtige Kommissariate zu erhalten. Schließlich akzeptieren die Bolschewiki ihre Forderungen und übertragen ihnen mehrere wichtige Volkskommissariate, darunter das für Landwirtschaft, für Justiz, für Inneres und für das Postwesen.

Indessen wird diese Regierung von Anfang an von Konflikten erschüttert. Besonders geht das Kommissariat für Justiz unter einem Linken Sozialrevolutionär, dem Rechtsanwalt Isaak Steinberg, dazu über, den Kampf der Bolschewiki gegen die Konterrevolution systematisch zu untergraben, besonders wenn dieser Kampf sich gegen Mitglieder der Menschwiki und Sozialrevolutionäre richtet.

Noch deutlich schärfere Konflikte gibt es um die Friedensverhandlungen mit Deutschland. Im März 1918 ziehen sich die Linken Sozialrevolutionäre aus Protest gegen den Friedensvertrag von Brest-Litowsk aus der Koalition zurück. Im Juli 1918 organisieren die Linken Sozialrevolutionäre eine Revolte, um – allerdings ohne Erfolg – den Bolschewiki die Macht zu entreißen.

Brest-Litowsk: 22. (9.) Dezember: Beginn der Friedensverhandlungen zwischen der Sowjetregierung und den Mittelmächten

Die Sowjet-Delegation in Brest-Litowsk, 1918. Sitzend (von links): Lew Kamenew, Adolf Joffe, Anastassija Bizenko. Stehend: V. Lipskiy, Pēteris Stučka, Leo Trotzki, Lew Karachan.

Völlig neuartige Friedensverhandlungen beginnen nahe der Stadt Brest-Litowsk, nicht weit von der Front, wo ein kurzer Waffenstillstand herrscht. Am 22. Dezember kommen Delegierte der Zentralmächte erstmals persönlich mit Vertretern der Oktoberrevolution zusammen.

Auf der einen Seite des Tischs nehmen die blutbesudelten Vertreter des Imperialismus Platz. Anwesend ist der deutsche Außenminister Richard von Kuhlmann wie auch Graf Ottokar Czernin, Vertreter Österreich-Ungarns, und Talat Pascha mit Außenminister Nassimy Bey für das Osmanische Reich. Bulgarien sendet seinen Justizminister, später gefolgt von Premierminister Wassil Radoslawow.

Auf der andern Seite sitzt eine Delegation der Sowjetregierung unter Führung des Bolschewiken Adolph Joffe. An der ersten Delegation nehmen ein Soldat, ein Bauer und ein Arbeiter teil. Zur Sowjetdelegation gehört auch die erste Diplomatin der Welt, Anastassija Bizenko.

1905 verübte Bizenko ein Attentat auf den zaristischen General Wiktor Sacharow, den berüchtigten „Schlächter von Saratow“. Erst durch die Revolution 1917 wurde sie aus Gefängnis und Verbannung befreit. An den Verhandlungen in Brest-Litowsk nimmt sie nun als Vertreterin der Linken Sozialrevolutionäre teil, aber bald tritt sie zur Kommunistischen Partei über, wie sich die Bolschewiki ab 1918 nennen.

Leo Trotzki wird in seiner Autobiographie darüber schreiben: „Historische Umstände hatten es so gefügt, dass die Delegierten des revolutionärsten Regimes, das die Menschheit je gekannt hat, an einem Tisch sitzen mussten mit den diplomatischen Vertretern der allerreaktionärsten Kaste unter allen regierenden Klassen“ („Mein Leben“, S.329)

Am 28. Dezember (10. Januar) wird in Petrograd eine massive Demonstration zu Ehren des demokratischen Friedens stattfinden. Die Sowjet-Vertreter vertreten den Standpunkt, dass der Krieg ohne Annexionen und Kontributionen beendet werden muss, und dass kein Land und keine Nation gewaltsam annektiert oder einem andern Land untergeordnet werden darf. Dieses Programm findet nicht nur in ganz Russland, sondern auf der ganzen Welt Zustimmung.

Die Vertreter der Zentralmächte haben vollkommen entgegengesetzte Ziele. Das deutsche Oberkommando besteht darauf, dass jeder Vertrag, der in Brest-Litowsk unterzeichnet wird, „die materielle Macht Deutschlands vergrößern muss“. Weiter haben es die Mittelmächte unter dem Vorwand der „nationalen Selbstbestimmung“ darauf abgesehen, reaktionäre nationale Monarchien in den Gebieten zu installieren, die sie Russland abnehmen.

Die Waffenruhe fällt mit einer Welle von Fraternisierungen und Desertionen auf der ganzen Frontlinie zusammen. Die bolschewistische Führung betrachtet es als ihre beste Strategie, die Verhandlungen so lange wie möglich zu verzögern. „Für die Verschleppung der Verhandlungen ist ein Verschlepper nötig“, sagt Lenin, und Trotzki wird mit dieser Aufgabe betraut. Als neuer Außenminister reist er nach Brest-Litowsk, um die Verhandlungen zu führen.

(Empfohlene Literatur: Leo Trotzki, „Mein Leben“, Kapitel: Verhandlungen in Brest)

Berlin, 22. Dezember: August Thyssen reicht beim Reichskanzler seinen Wunschzettel für Brest-Litwosk ein

August Thyssen

Pünktlich zum Weihnachtsabend lässt August Thyssen, Herr über den neben Krupp größten deutschen Kohle-, Eisen-, Stahl- und Rüstungskonzern, beim Reichskanzler seinen Forderungskatalog für die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk überreichen. An erster Stelle steht der Wunsch nach dem uneingeschränkten Zugriff auf die für die Stahlerzeugung wichtigen, in der Ukraine und im Kaukasus besonders phosphorarmen und eisenreichen Erze, sowie Mangan.

Wie lebenswichtig diese Forderung für den deutschen Imperialismus ist, wird daran deutlich, dass Deutschland über fast keine Erzgruben verfügt. Bis 1914 hatte Russland einen Anteil von 50% der Weltproduktion von Mangan und drei Viertel des gesamten deutschen Bedarfs an Manganerzen gedeckt. Inzwischen sind die Manganerzgruben von Indien und Brasilien ausgebaut worden – aber im Besitz der Kriegsgegner USA und Großbritannien.

Außer von Thyssens Liste trifft im Reichskanzleramt und seinem von Karl Helfferich geleiteten Sonderbüro für die Friedensverhandlungen in diesen Tagen eine wahre Flut von Eingaben, Denkschriften und Forderungskatalogen ein. Sie stammen von der gesamten Schwer- und Leichtindustrie, vom Deutschen Handelstag und von anderen Wirtschaftsverbänden. Alle von Russland aus- und eingeführten Waren sollen für Deutschland nicht nur zollfrei bleiben, sondern bevorzugt werden. Die USA und Großbritannien sollen sogar ganz vom Handel mit Russland ausgeschlossen werden.

Zum Ausbau der Vormachtstellung der deutschen Wirtschaft in ganz Ost- und Mitteleuropa sollen alle baltischen Länder, weite Teile Polens und am Ende die ganze Ukraine unter dem Deckmantel des „Selbstbestimmungsrechts einer Nation“ für „selbstständig“ erklärt und dadurch faktisch von Deutschland beherrscht werden. Und was Russland selbst angeht, so erklärt der Deutsche Handelstag in seiner Denkschrift wörtlich, es solle „durch Oktroyierung entsprechender wirtschaftlicher Verträge zum Ausbeutungsobjekt gemacht werden“.

Das sind 1:1 die bereits im Septemberprogramm von 1914 festgelegten Eroberungsziele des deutschen Imperialismus. Sie sollen jetzt unter zynischer Ausnutzung der Friedensbereitschaft der bolschewistischen Regierung und der Friedenssehnsucht der Volksmassen in Russland wie in Deutschland nicht durch Krieg, sondern mit „friedlichen“ Mitteln durchgesetzt werden.

Narwa, 23. (10.) Dezember: Anschluss an Gouvernement Estland nach Referendum

Gustav Suits, estnischer Dichter und führender Sozialrevolutionär

Am 10. Dezember (nach altem, julianischem Kalender) findet ein Referendum darüber statt, ob die Region Narwa, eine Stadt mit alter, von Esten geprägter Geschichte, dem Gouvernement Estland zugeschlagen werden sollte. Das Referendum ergibt eine Mehrheit von achtzig Prozent für den Anschluss. Das Exekutivkomitee des Sowjets von Narwa hat die Volksabstimmung unterstützt. Es hat sich vom Sownarkom die Erlaubnis erbeten, Narwa in das Gouvernement Estland einzugliedern. Die bolschewistische Partei hat den Antrag entsprechend ihres Grundsatzes gutgeheißen, alle Überreste der früheren zaristischen Unterdrückung nationaler Minderheiten auszurotten.

In der nächsten Woche führen die Komitees der bolschewistischen Partei Estlands und Tallins einen Kongress durch, um zu klären, ob Estland eine autonome Sowjetrepublik bilden solle. Die Delegierten kommen zur Entscheidung, dass dies nicht notwendig sei, weil die Region über ausreichend Freiheiten und Autonomie verfüge. Gleichzeitig haben die Delegierten keinerlei Interesse daran, sich von der revolutionären Arbeiterklasse Petrograds und ganz Russlands abzugrenzen. Die Sozialrevolutionäre, unter ihnen auch Gustav Suits, setzen sich dagegen für eine unabhängige estnische Republik ein, gewinnen jedoch dafür nur geringe Unterstützung.

Seit dem Waffenstillstand der Sowjetregierung mit den Zentralmächten desertieren massenhaft Soldaten von der Front. In Estland existiert nur noch ein Bruchteil der bisherigen Truppen. Im Januar gibt der Sownarkom angesichts einer drohenden deutschen Invasion die Bildung neuer sozialistischer Verbände, der Roten Armee und der Roten Marine, bekannt. Aber die einfallenden deutschen Verbände erreichen Estland, bevor die sozialistischen Regimenter einsatzbereit sind.

London, 24. Dezember: Lloyd George legt britische Kriegsziele vor

Lloyd George um 1917

Die New York Times veröffentlicht den vollen Text einer Rede des britischen Premierministers David Lloyd George zu den Kriegszielen Londons.

Die Ansprache kommt einer direkten Antwort auf die Forderung der Bolschewiki nach einem sofortigen Frieden gleich, die bei Arbeitern in aller Welt auf großen Widerhall trifft. Lloyd George versucht, die Fortsetzung der Schlächterei mit Verweisen auf „Gerechtigkeit“ und „Demokratie“ zu rechtfertigen.

„Wir haben die schwierigste Stunde in diesem schrecklichen Konflikt erreicht“, erklärt der Premierminister vor einem Publikum von Gewerkschaftern am 5. Januar 1918, „und bevor eine Regierung die schicksalsschwere Entscheidung trifft, unter welchen Bedingungen sie den Kampf beenden oder fortsetzen soll, sollte sie sich sicher sein, dass die Nation hinter diesen Bedingungen steht. Denn nur so kann die Anstrengung aufgebracht werden, die notwendig ist, ein gerechtes Ende dieses Krieges zu erreichen.“

Seine Anerkennung gilt auch der entscheidenden Rolle der Labour Party und der Gewerkschaften bei der Unterdrückung der Arbeiterklasse für die Fortsetzung des Kriegs. Er fügt hinzu: „Letzte Woche hatte ich das Privileg, die Erklärung der Kriegsziele der Labour Party nicht nur zu lesen, sondern im Detail mit den Labour-Führern zu diskutieren, was die Bedeutung und die Absicht hinter dieser Erklärung betrifft.“

Der heuchlerischste Teil von Lloyd Georges Rede dreht sich um den Ausbruch des Kriegs und die Ansichten der Regierung über seine Beendigung. George beteuert, dass Großbritannien in den Konflikt eintrat, um Belgien zu verteidigen, nachdem es angegriffen worden sei. Dann fordert er „Selbstbestimmung“ für die deutschen Kolonien und freien Zugang vom Mittelmeer zum Schwarzen Meer. Polen müsse unabhängig sein, erklärt er, und die Nationalitäten im Österreichisch-Ungarischen Reich müssten Autonomie erhalten. Natürlich ist keine Rede von „Selbstbestimmung“ für Indien oder für die britischen Besitzungen in Afrika und Südostasien, die alle Teil des größten Empires der Welt sind.

„Wenn wir also gefragt werden, wofür wir kämpfen“, schließt Lloyd George, „dann antworten wir, wie wir schon oft geantwortet haben: Wir kämpfen für einen gerechten und dauerhaften Frieden, und wir glauben, dass ein solcher Frieden erst dann vorstellbar ist, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss die Unverletzlichkeit von Verträgen garantiert sein, zweitens müssen territoriale Vereinbarungen auf der Grundlage der Selbstbestimmung oder der Zustimmung der Betroffenen getroffen werden, und drittens müssen wir die Schaffung einer internationalen Organisation anstreben, um die Last der Rüstung zu begrenzen und die Wahrscheinlichkeit von Krieg zu vermindern.“

Petrograd, 24. (11.) Dezember: Dekret über Arbeitslosenversicherung

Ein sowjetisches Dekret begründet ein System voll finanzierter Arbeitslosenentschädigung. Wer arbeitslos wird, hat Anspruch auf Beihilfe, wenn sein Einkommen zuvor den örtlichen Einkommensdurchschnitt nicht um das Dreifache überstiegen hat. Die Beihilfe soll dem örtlichen Durchschnittslohn entsprechen, jedoch den bisherigen Lohn nicht übersteigen.

Arbeiter, die ihre Stellung ohne Grund aufgegeben haben, oder die sich ohne Grund weigern, eine neue Arbeit aufzunehmen, sind von dieser Beihilfe ausgeschlossen. Arbeitslose Arbeiter, die Zahlungen erhalten, werden an einer Arbeitsbörse registriert, und die sowjetischen Behörden engagieren sich aktiv, um ihnen eine neue Arbeitsstelle zu finden. Private Arbeitsvermittlungen werden aufgelöst.

Am 27. Dezember (nach alter, julianischer Zeitrechnung) folgt ein weiteres Dekret mit ähnlichen Beihilfen für Krankheit. Diese Maßnahmen sollen durch eine besondere Unternehmenssteuer finanziert werden. Kurze Zeit später wird eine progressive Einkommenssteuer eingeführt. Das Ziel der Sowjetregierung besteht in Vollbeschäftigung und der schnellen Einführung einer vernünftigen und demokratischen Planung, die soweit irgend möglich die gesamte Wirtschaft umfassen soll.

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