Perspektive

Die Oligarchen gegen die Gesellschaft

Vor fast 150 Jahren zitierte Karl Marx den französischen Ökonomen des frühen 19. Jahrhunderts Jean Charles Léonard de Sismondi und merkte an: „Das römische Proletariat lebte auf Kosten der Gesellschaft, während die moderne Gesellschaft auf Kosten des Proletariats lebt.“

Noch nie waren diese Worte so zutreffend wie heute. Es gibt täglich und wöchentlich neue Berichte darüber, wie die Finanzoligarchie ungeheure Reichtümer auf Kosten der Arbeiterklasse anhäuft.

Der jüngste dieser Berichte ist das Bloomberg-Ranking der Milliardäre, das am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde. Der Bericht zeigt, dass die Vermögen der reichsten 500 Milliardäre im letzten Jahr um 23 Prozent gestiegen sind. Am Ende des Jahres 2017 sind sie damit um eine Billion Dollar reicher als noch Ende 2016. Die Summe des Reichtums dieser Gruppe erreicht inzwischen 5,3 Billionen Dollar. Mit einer zusätzlichen Billion Dollar in diesem Jahr sind die Vermögen zudem viermal schneller gestiegen als im Jahr davor.

Die Bloomberg-Studie zeigt, dass die Gruppe der 500 reichsten Menschen der Welt an jedem Tag im Jahr 2017 durchschnittlich um 2,7 Milliarden Dollar reicher wurde. Das bedeutet, dass jede dieser Personen im Durchschnitt jeden Tag um 5.400.000 Dollar und jede Stunde um 225.000 Dollar reicher wurde. Sie verfügten damit über so viel Einkommen pro Stunde wie etwa fünf Arbeiterhaushalte pro Jahr zusammengenommen.

Dieses rasante Vermögenswachstum der Finanzoligarchie geht mit immer mehr Anzeichen für soziales Elend am entgegengesetzten Pol der Gesellschaft einher. Dafür steht beispielhaft ein Bericht des US-amerikanischen Zentrums für Seuchenkontrolle. Laut dem Bericht ist die Lebenserwartung in den USA das zweite Jahr hintereinander gefallen.

Diese gewaltige Konzentration von Reichtum, deren Ausmaß sich in den Berichten widerspiegelt, hat enorme gesellschaftliche Implikationen. Es ist unmöglich, irgendein gesellschaftliches Problem ernsthaft in Angriff zu nehmen, ohne sich der wirtschaftlichen Ungleichheit zu stellen. Die Finanzoligarchie verbraucht in ungeheurem Ausmaß Ressourcen für die Anhäufung privater Vermögen und entzieht der Gesellschaft praktisch die Mittel, um die grundlegendsten Probleme zu lösen.

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen würde es pro Jahr nicht mehr als 30 Milliarden Dollar kosten, um den Hunger weltweit zu besiegen. Diese Summe ist nur ein Bruchteil des Reichtums, den sich die Milliardäre dieser Welt jedes Jahr aneignen. 34,2 Milliarden Dollar fügte allein der Amazon-Gründer Jeff Bezos in diesem Jahr seinem Vermögen hinzu.

Die 159 Milliardäre der USA stockten ihre Vermögen im vergangenen Jahr um 315 Milliarden Dollar auf. Sie besaßen damit ein Nettovermögen von insgesamt zwei Billionen Dollar. Das ist doppelt so viel wie die Gesamtausgaben der US-Regierung für Gesundheit (980 Milliarden), Bildung (70 Milliarden) und Wohnen (63 Milliarden) im Jahr 2015.

Das Abfließen dieser gigantischen Summen auf die Konten der Superreichen – ergänzt durch fast eine Billion Dollar, die jährlich zur Finanzierung des Militärs beiseite gelegt wird, um die finanziellen Interessen der Oligarchie in aller Welt durchzusetzen – lässt so gut wie nichts zur Reparatur der bröckelnden gesellschaftlichen und materiellen Infrastruktur der Vereinigten Staaten (Straßen, Brücken, Eisenbahnen, öffentlicher Nahverkehr) übrig.

Die Steuerreform, die vor kurzem von der Trump-Regierung durchgesetzt wurde, wird die soziale Ungleichheit in den USA und weltweit weiter anwachsen lassen. Sie hat schon jetzt das höchste Niveau seit dem Wirtschaftsboom des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dem sogenannten Vergoldeten Zeitalter („Gilded Age“), erreicht.

Das wirtschaftliche Leben des Planeten wird vom Streben der herrschenden Elite nach immer größerer Bereicherung bestimmt. Die Politik aller kapitalistischen Regierungen und Parteien, ob rechts oder vermeintlich „links“, wird von den Ansprüchen dieser herrschenden Elite getrieben. Die beispiellosen Höhenflüge der Finanzmärkte wurden von den Zentralbanken der Welt, angeführt von der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), bewusst herbeigeführt, um der Kapitalistenklasse zu ermöglichen, ihre Verluste wieder aufzuholen und ihren Anteil am Reichtum und an den Einkommen nach der Finanzkrise von 2008 wieder zu erhöhen. Zuerst unter Bush und dann unter Obama stellte sich die Fed an die Spitze einer Politik im Interesse der Finanzoligarchie. Sie hat die Banken gerettet, Billionen mit Hilfe extrem niedriger Zinsen in die Finanzmärkte gepumpt und unter dem Stichwort „quantitative Lockerung“ Geld gedruckt.

Um dies im Kontext zu betrachten: Das Vermögen der reichsten 500 Menschen der Welt ist mit einer Summe von 5,3 Billionen Dollar größer als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) von Großbritannien und Frankreich zusammen. Die zwei Billionen Dollar der US-amerikanischen Milliardäre sind fast doppelt so viel wie die BIPs Argentiniens, Chiles und Perus zusammengenommen.

Bezos’ Gewinn im vergangenen Jahr ist selbst nur geringfügig kleiner als die Summe der BIPs von Jamaika, Niger und Simbabwe (14 Milliarden, 7,5 Milliarden bzw. 16 Milliarden). In diesen Ländern leben insgesamt 40 Millionen Menschen.

Die Finanzelite hat klare gesellschaftliche Interessen, die sie durchsetzt, indem sie Politikern und ganze Parteien kauft. Die Demokratie verkommt dadurch im Kapitalismus zu einer leeren Hülse.

Was hätte man als Antwort auf jeden ernsthaften Versuch zu erwarten, diesen Zustand zu reformieren, auch nur eine moderate Umverteilung der gesellschaftlichen Mittel im Rahmen des kapitalistischen Systems vorzunehmen oder sicherzustellen, dass jeder Mensch Zugang zu einem Mindestmaß an Ernährung, Gesundheitsversorgung und Bildung erhält?

Ohne jeden Zweifel würde sich die Finanzoligarchie heftig dagegen zur Wehr setzen. Sie kontrolliert alle Hebel der Staatsmacht und kann sich nicht nur auf Gerichte und Politiker stützen, sondern auch – was noch entscheidender ist – auf Polizei und Armee.

Wenn soziale Reformen unmöglich werden, wird eine soziale Revolution unvermeidlich. Es ist ganz offensichtlich eine Notwendigkeit, den Reichtum der Finanzoligarchie zu enteignen.

Diese Reichtümer sind durch die gesellschaftliche Arbeit der Arbeiterklasse geschaffen worden, die die Quelle allen gesellschaftlichen Reichtums ist. Die Arbeiterklasse ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die diese historische Aufgabe erfüllen kann und sie erfüllen muss. Die einzige Antwort auf zunehmende Armut und Verelendung auf der einen und immer obszöneren Reichtum auf der anderen Seite der Gesellschaft ist der Sozialismus. Dessen Grundlage besteht in gemeinschaftlichem Eigentum und demokratischer Kontrolle über die Produktivkräfte und über eine rationale und geplante Koordinierung des Wirtschaftslebens auf der ganzen Welt.

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