CDU, CSU und SPD einigen sich auf Koalitionsverhandlungen

Nach fünftägigen Sondierungen und einer durchwachten Nacht haben sich CDU, CSU und SPD am Freitag früh darauf geeinigt, Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition aufzunehmen.

Der Übereinstimmung muss am 21. Januar noch ein SPD-Parteitag zustimmen. Danach können die Koalitionsverhandlungen beginnen, deren Ergebnis durch die Parteigremien und, im Falle der SPD, durch eine Mitgliederbefragung genehmigt werden muss. Läuft alles glatt, kann voraussichtlich Ende März, ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl, die neue Regierung gebildet werden.

Die drei Parteivorsitzenden, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD), zeigten sich „hocherfreut“ und zufrieden über die Einigung. Sie legten ein 28-seitiges Papier über das Ergebnis der Sondierungsgespräche vor, hinter dessen salbungsvoller Rhetorik über „Aufbruch“, „Demokratie“, „Frieden“ und „Gerechtigkeit“ sich ein zutiefst reaktionäres, rechtes Programm verbirgt.

Gleich der erste Punkt befasst sich mit Europa. Auch hier ist viel von „Solidarität“, „Werten“, „Chancen“ und „Frieden“ die Rede. Das bedeutet aber keine Abkehr von der bisherigen Europapolitik, die darauf abzielte, die deutsche Vorherrschaft über Europa zu errichten.

Im Gegenteil, das Papier bekennt sich ausdrücklich zur Fortsetzung der bisherigen Austeritätspolitik, die Griechenland, Spanien und andere Länder sozial verwüstet, die Jugendarbeitslosigkeit auf Rekordhöhe getrieben und überall zum Anwachsen rechter, nationalistischer Strömungen geführt hat. „Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit der EU im Kontext der Globalisierung“ stärken, heißt es darin, und: „Wir wollen fiskalische Kontrolle in der EU vorantreiben.“

Befürwortete Berlin die Europäische Union bisher vor allem aus wirtschaftlichen Gründen – die deutsche Wirtschaft profitiert wie keine andere vom europäischen Binnenmarkt und der gemeinsamen Währung –, legt das Sondierungspapier das Schwergewicht nun auf ihre geostrategische Bedeutung.

„Die globalen Kräfteverhältnisse haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert – politisch, wirtschaftlich und militärisch“, lautet eine der Kernpassagen des Dokuments. „Neue Schwerpunktsetzungen der USA, das Erstarken Chinas und die Politik Russlands machen deutlich: Europa muss sein Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände nehmen. Nur gemeinsam hat die EU eine Chance, sich in dieser Welt zu behaupten und ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen.“

Um sich „in der Welt zu behaupten“, streben die Koalitionäre eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich und dessen Präsidenten Emmanuel Macron an. „Die Erneuerung der EU wird nur gelingen, wenn Deutschland und Frankreich mit ganzer Kraft gemeinsam dafür arbeiten. Deshalb wollen wir die deutsch-französische Zusammenarbeit weiter stärken und erneuern,“ heißt es in dem Papier. Sie sind sogar bereit, höhere Beiträge an die EU zu leisten sowie einem Investitionshaushalt für die Eurozone und einem Europäischen Währungsfonds zuzustimmen – Kernforderungen Macrons, die vor allem die CSU bisher abgelehnt hat.

Die Durchsetzung der „gemeinsamen Interessen in der Welt“ bedeutet vor allem auch den Einsatz militärischer Gewalt. „Wir wollen die Zusammenarbeit bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik (PESCO) stärken und mit Leben füllen“, heißt es in dem Papier, das sich explizit für die Fortsetzung und sogar für die Ausweitung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan und Mali ausspricht.

Auffallend ist, dass das Sondierungspapier zwar die Bedeutung der europäischen Verteidigungspolitik unterstreicht, die Nato aber mit keiner Silbe erwähnt. Das kann kein Versehen sein; ohne ausdrückliches Bekenntnis zur Nato kam bisher kein programmatisches Dokument einer deutschen Regierung aus. Es zeigt vielmehr, dass Deutschland seine Großmachtinteressen zunehmend unabhängig von den USA und gegen diese verfolgt.

Die ungeheuren Kosten des Militarismus werden in dem Papier vertuscht. Vor allem die SPD will offensichtlich vermeiden, dass darüber eine öffentliche Auseinandersetzung entbrennt. So wird das Ziel, die Militärausgaben auf 2 Prozent des BIP zu erhöhen, was nahezu einer Verdoppelung auf 60 Milliarden Euro jährlich entspricht, nicht erwähnt, obwohl sich bereits die bisherige Regierung darauf festgelegt hat.

Das Papier betont aber, die Bundeswehr bleibe „ein unverzichtbarer Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik“. „Damit sie die ihr erteilten Aufträge in allen Dimensionen sachgerecht erfüllen kann, werden wir den Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung zur Verfügung stellen.“

Die zweite Frage, an der die reaktionär Stoßrichtung der zukünftigen Regierung deutlich wird, ist die Flüchtlingspolitik. Hier haben CDU, CSU und SPD weitgehend die Forderungen der AfD übernommen.

So heißt es in dem Papier: „Wir wollen Fluchtursachen umfassend bekämpfen, die Außengrenzen der EU wirksamer gemeinsam schützen sowie eine solidarische Verantwortungsteilung in der EU schaffen.“ Die Koalitionäre sind sich „darüber einig, dass die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft nicht überfordert werden darf“, und wollen „die Migrationsbewegungen nach Deutschland und Europa“ begrenzen.

Zu diesem Zweck soll Frontex „zu einer echten europäischen Grenzschutzpolizei weiterentwickelt“, der Familiennachzug für subsidiär Geschützte auf maximal 1000 Menschen pro Monat beschränkt, Flüchtlinge, die Asyl beantragen, in „zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (ANkER)“ eingesperrt werden und Algerien, Marokko und Tunesien sowie weitere Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.

Auch die Forderung nach einer Obergrenze, die Bundeskanzlerin Merkel und die SPD öffentlich stets abgelehnt hatten, hat Eingang in die Sondierungsvereinbarung gefunden. Sie legt fest, „dass die Zuwanderungszahlen die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden“.

Viel Platz im Sondierungspapier nehmen einige minimale soziale Reformen, vor allem im Bereich der Familien, ein, für die ein kleiner Teil der 45 Milliarden Euro, die als Haushaltsüberschuss zur Verfügung stehen, eingesetzt werden sollen. Angesichts der enormen Zunahme von Armut, sozialer Ungleichheit und Niedriglohnarbeit in den vergangenen Jahren sind sie nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. Sie dienen vor allem als Feigenblatt für den reaktionären Charakter des gesamten Programms. Im Gegenzug verzichtete die SPD auf ihre Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes.

In den Sondierungsverhandlungen wurde darüber erbittert gestritten, und die Unternehmerverbände, die massive Steuersenkungen verlangen, reagierten mit Empörung. „Eine Wiederauflage der Großen Koalition kommt Deutschland teuer zu stehen“, protestierte Mittelstandspräsident Mario Ohoven.

Dass die Koalitionäre mit heftigem sozialem Widerstand gegen ihr rechtes Programm und die wachsende soziale Ungleichheit rechnen, in der Metall- und Elektroindustrie beteiligen sich derzeit Hunderttausende an Warnstreiks, zeigt die massive Aufrüstung des Staatsapparats, auf die sie sich geeinigt haben. Um „den Rechtsstaat handlungsfähig zu erhalten“, haben sie beschlossen, die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern „um zusätzlich 15.000 Stellen (7500 im Bund, 7500 in den Ländern) auszubauen“. Zusätzlich sollen „mindestens 2000 neue Stellen in der Justiz (Gerichte, Staatsanwaltschaften, Vollzugsbehörden) sowie eine bessere IT- und Gebäudeausstattung sowie effiziente Verfahren“ geschaffen werden.

Vor vier Tagen warnte die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP): „In den vergangenen Tagen haben führende Vertreter aller drei Parteien immer wieder deutlich gemacht, dass eine Neuauflage der Großen Koalition nicht einfach die Politik der vorangegangenen weiterführen wird. Ihre Kurs wird noch viel reaktionärer sein.“

Wir forderten Neuwahlen mit der Begründung: „Es darf nicht zugelassen werden, dass eine Clique von rechten Verschwörern ohne jedes Mandat der Bevölkerung ihren Willen bekommt. Die SGP würde im Wahlkampf die wirklichen Ziele der bürgerlichen Parteien – darunter SPD, Linkspartei und Grüne – entlarven und eine sozialistische Alternative zu Kapitalismus, Krieg und Autoritarismus aufbauen.“

Diese Warnung ist nun bestätigt worden. Die Forderung nach Neuwahlen ist dringender denn je.

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