Wien: Großkundgebung gegen die rechtsradikale Regierung

Mehrere zehntausend Teilnehmer nahmen am Samstag an einer Großkundgebung in Wien gegen den rechten Kurs der neuen Regierung aus ÖVP und FPÖ teil. FPÖ-Innenminister Herbert Kickl hatte zwei Tage zuvor wortwörtlich gefordert, Asylbewerber künftig „konzentriert“ unterzubringen – und damit offen an die „Konzentrationslager“ der Nationalsozialisten angeknüpft.

Nach Angaben der Veranstalter waren es 70- bis 80.000, nach Polizeiangaben 30.000 Teilnehmer, die sich zum „Neujahrsempfang“ versammelten. Sie marschierten vom Wiener Westbahnhof quer über den Ring zum Heldenplatz vor der Wiener Hofburg, wo sie trotz Regen und Dunkelheit mit Hilfe ihrer Handys ein Lichtermeer erzeugten und „Widerstand, Widerstand“ skandierten.

Auf einem mehrfach verbreiteten Poster stand: „Konzentrier dich selbst“, als Antwort auf die provokante Nazi-Bemerkung des Innenministers. Andere Teilnehmer trugen selbst gemalte Plakate mit Parolen wie „Aufstehn gegen Rechtsextreme“ und „Lasst Nazis nicht regieren“, und sie forderten Kickl zum Rücktritt auf.

Der österreichische Standard zitierte in einem ausführlichen Bericht mehrere Demonstranten, die erklärten, warum sie es für wichtig hielten, jetzt auf die Straße zu gehen: „Was sie [die Regierenden] mit den Ausländern vorhaben, ist furchtbar“, betonte die 74-jährige Svanlind Keller, die vor einer Rückkehr des Faschismus warnte. „Davor graust mir und ich habe Angst, ich habe wirklich Angst und ich glaube, wir müssen Widerstand leisten und sie in die Schranken weisen.“

Auf einem Transparent stand: „Wer Kurz & Strache toleriert, hätt‘ 38 applaudiert“. In der Tat ist die Koalition unter Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) die rechteste österreichische Regierung seit dem Austrofaschismus unter Kurt Schuschnigg 1934 und dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland 1938.

Ein Mann bezeichnete Innenminister Kickls Aussage, die Regierung werde Asylbewerber in Lagern „konzentrieren“, als „wirklichen Skandal – die Ausdrucksweise genauso wie die Idee, die dahinter steckt. Das muss beides aufs Schärfste zurückgewiesen werden. So ein Innenminister ist für Österreich eine Schande.“

Viele Plakattexte wandten sich ausdrücklich gegen den Sozialkahlschlag der neuen Regierung, die wesentliche soziale Errungenschaften angreift. Sie will zum Beispiel den Zwölfstundentag als Regel-Arbeitstag legalisieren und die Notstandshilfe für Arbeitslose kippen. Auf Plakaten stand: „Gleiche Chancen und Bildung für alle“ oder die sarkastische Feststellung: „Alle Menschen sind gleich, nur Reiche sind gleicher.“ Ein pensionierter Unternehmer sprach sich ausdrücklich „gegen Sechzig-Stundenwoche und Sozialabbau“ aus und sagte: „Ich halte das einfach nicht aus, dass man mit den Arbeitern so umgeht.“

Zur Demonstration hatten mehrere Flüchtlingsinitiativen, die „Offensive gegen Rechts“ und die Plattformen „Radikale Linke“ und „für eine menschliche Asylpolitik“ aufgerufen. Es ist die erste große Demonstration gegen die Kurz-Regierung, die seit Mitte Dezember amtiert.

Auch die SPÖ und die Grünen hatten zuletzt zu der Aktion aufgerufen, allerdings nur äußerst halbherzig und kurzfristig – erst am Tag vor der Demonstration. Die Gewerkschaften weigerten sich überhaupt, die Demonstration offiziell zu unterstützen. Ähnlich wie in den USA, wo die Gewerkschaften heute Donald Trumps „America-First“-Kurs unterstützen, gehört auch in Österreich ein Teil der Gewerkschaften zu den offenen Befürwortern einer Zusammenarbeit mit der FPÖ.

Auch die Aufrufe von SPÖ und Grünen zur Demonstration können nur als zynisch und durch und durch heuchlerisch bezeichnet werden. Am selben Wochenende kritisierte SPÖ- Bundesgeschäftsführer Max Lercher die Regierung klar von rechts, als er hetzte, sie verrate ihre Wahlversprechen, weil sie „bis zu 150.000 Menschen aus Nicht-EU-Staaten“ nach Österreich hole.

Im Wahlkampf 2017 hat SPÖ-Chef Christian Kern ausdrücklich seine Bereitschaft erklärt, auf Bundesebene mit der rechtsradikalen FPÖ zu koalieren, und hat dazu einen entsprechenden Parteibeschluss durchgesetzt. Im Burgenland führt die SPÖ schon seit mehreren Jahren selbst eine Koalition mit der FPÖ.

Die SPÖ hat in über zehnjähriger Regierungszeit die arbeitende Bevölkerung durch ihre rechte Sozialkahlschlags-Politik gegen sich aufgebracht und damit der heutigen rechten Regierung den Weg bereitet. Nur in diesem Zusammenhang ist es überhaupt erklärlich, dass die rechtsradikale ÖVP-FPÖ-Koalition im Dezember so reibungslos an die Macht gelangen konnte.

Die rechte Regierung Kurz/Strache baut direkt auf dem Programm der Vorgängerregierung unter SPÖ-Kanzler Christian Kern auf. Sebastian Kurz war selbst Europa-, Integrations- und Außenminister unter Kern, der eine Koalition der SPÖ mit der ÖVP führte.

Das Programm der jetzigen Kurz/Strache-Regierung („Zusammen. Für unser Österreich“) sieht eine weitere massive Rechtswende vor. Es beinhaltet die Aufrüstung nach Innen und Außen, einen massiven Sozialabbau, Steuersenkungen für die Reichen und die repressivsten Asylgesetze, die man sich vorstellen kann.

Vizekanzler Strache hat vorgeschlagen, Geflüchtete in Wien in Kasernen unterzubringen und abends und über Nacht einer Ausgangssperre zu unterwerfen. Ähnlich, wie es auch in Deutschland geplant ist, soll eine medizinische Altersfeststellung bei eingewanderten Jugendlichen als Reihenuntersuchung eingeführt werden.

Straches FPÖ arbeitet auf EU-Ebene mit Marine Le Pens französischem Front National, Geert Wilders niederländischer PVV und der italienischen Lega Nord zusammen.

FPÖ-Innenminister Kickl will durchsetzen, dass Asylbewerber ihr ganzes Bargeld abgeben müssen, dass ihr Handy beschlagnahmt wird, die Daten ausgelesen und beim Asylverfahren gegen sie verwendet werden. Geflüchtete sollen vom Staat keinerlei Bargeld mehr erhalten, sondern nur noch Nahrungsmittel und materielle Hilfe. Sie sollen in so genannten „Grundversorgungszentren“ untergebracht werden.

Kickls provokante Wortwahl, die Flüchtlinge „konzentriert“ zu halten, zeigt, wie offen und schamlos die Politiker heute wieder an die Nazi-Traditionen anknüpfen. Nur wenige Tage zuvor hatte in Bayern der CSU-Politiker Manfred Weber gefordert, das zentrale Thema 2018 müsse die „finale Lösung der Flüchtlingsfrage“ sein, eine Bemerkung, die an die „Endlösung der Judenfrage“ anklang. Das hindert die deutsche SPD nicht daran, eine Koalition mit der CDU/CSU anzustreben.

Bundeskanzler Kurz und Bundespräsident Alexander Van der Bellen haben Kickl kritisiert, allerdings nur wegen seiner Wortwahl und nicht wegen seiner Pläne. Van der Bellen bezeichnete Kickls Aussage als „unbedacht gewählte Formulierungen“. Van der Bellen hat die aktuelle Koalition persönlich mit der Regierungsbildung beauftragt, und auch seine Partei Die Grünen hat keine prinzipiellen Einwände gegen die ausländerfeindlichen Vorhaben.

Die Großdemonstration in Wien ist Teil einer wachsenden Radikalisierung der arbeitenden Bevölkerung in ganz Europa und weltweit gegen die Rückkehr von Faschismus und Krieg. Am selben Samstag gingen in Athen zehntausende griechische Arbeiter gegen die pseudolinke Syriza-Regierung auf die Straße, um gegen die massiven sozialen Angriffe und die Einschränkung des Streikrechts zu protestieren. Gleichzeitig wächst in Ländern wie dem Iran und Tunesien ein sozialer Aufstand heran.

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