Ungarn: Orbán startet Wahlkampf mit Angriff auf Flüchtlinge

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán will die Tätigkeit von Flüchtlingsorganisationen in seinem Land beenden und damit die ohnehin katastrophale Lage von Flüchtlingen massiv verschärfen.

Vergangenen Dienstag begann das Budapester Parlament mit der Debatte der entsprechenden Gesetzesentwürfe, die Kabinettschef Antal Rogan als sogenanntes „Stopp-Soros-Paket“ eingebracht hat. Seit Monaten führt die Regierung in Budapest eine Kampagne gegen den US-Milliardär George Soros, die deutliche antisemitische Untertöne trägt.

Die Fidesz-Regierung unterstellt dem aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden, er lenke Millionen von muslimischen Migranten bewusst nach Europa, um die europäischen Völker ihrer christlichen und nationalen Identität zu berauben. Soros bezahle und beeinflusse Politiker und Parteien in den westlichen Ländern und der EU-Zentrale in Brüssel, damit sie eine zuwanderungsfreundliche Politik machten.

Mit der Verschärfung der Kampagne gegen Flüchtlinge reagiert Orbán auf den wachsenden Druck, unter dem seine Partei sechs Wochen vor der Parlamentswahl vom 8. April steht. Die Fidesz-Partei, die sich durch die Gleichschaltung der Medien, der Justiz, der Verwaltung und durch enge Beziehungen zu Oligarchen in der Wirtschaft an der Macht hält, liegt zwar in den Umfragen mit 46 Prozent noch immer weit vorn. Sie hat aber seit Anfang des Monats rund 6 Prozent eingebüßt.

Am Sonntag erlitt sie in einer ihrer Hochburgen, der 50.000-Einwohne-Gemeinde Hódmezövásárhely, eine spektakuläre Wahlniederlage. Der unabhängige Kandidat Péter Márki-Zay gewann dort die Bürgermeisterwahl mit 57 Prozent der Stimmen, der Kandidat von Fidesz erhielt nur 41 Prozent.

Aus Hódmezövásárhely stammt Orbáns rechte Hand, der Leiter der Staatskanzlei János Lázár, der dort jahrelang Bürgermeister war. Bisher hatte Fidesz dort Wahlen regelmäßig mit 60 Prozent der Stimmen gewonnen. Der Ort war auch Ausgangspunkt eines Korruptionsskandals, in den Orbáns Schwiegersohn verwickelt war.

Márki-Zay, ein konservativer Katholik, der früher selbst Fidesz-Anhänger war, profitierte davon, dass ihn sämtliche Oppositionsparteien unterstützten, von der sozialistischen MSZP über die Liberalen und Grünen bis zur faschistischen Jobbik. Das dürfte sich bei der Parlamentswahl kaum wiederholen. Dort profitiert Fidesz zudem von dem auf sie zugeschnittenen Wahlsystem, das 106 der 199 Parlamentssitze nach dem Mehrheitssystem an die stärkste Partei im jeweiligen Wahlkreis vergibt.

Dennoch hat das Wahlergebnis von Hódmezövásárhely in der Regierungspartei Panik ausgelöst. Sie fürchtet um den Verlust ihrer Zweidrittelmehrheit, mit der sie bisher die Verfassung ändern konnte. Das Ergebnis ist ein Symptom wachsender politischer und sozialer Opposition in einem Land, das von hoher Arbeitslosigkeit und grassierender Armut geprägt ist.

Neben sinkender Zustimmungswerte ist Orbán auch mit einer wachsenden Streikbewegung konfrontiert. 7300 Angestellte im öffentlichen Dienst von 112 Gemeinden sind in der vergangenen Woche in einen fünftägigen Streik getreten. Gefordert wird eine spürbare Gehaltssteigerung für die rund 18.000 öffentlichen Angestellten der Kommunen. Die Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten MKKSZ erklärte, die Löhne seien seit zehn Jahren nicht angehoben worden. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten in diesem Zeitraum explodiert.

MKKSZ-Chefin Péterné Boros erklärte, man sehe sich zum Streik gezwungen, da die Regierung bisher alle Angebote für Verhandlungen ignoriert habe. Wie die anderen Gewerkschaften Ungarns hat sich auch die MKKSZ längst mit der rechten Regierung arrangiert. Sie rief nur aufgrund des starken Drucks der Beschäftigten zum Streik auf. Bereits im letzten Jahr hatten in Ungarn Beschäftigte im Einzelhandel gestreikt.

Mit ihrem verschärften Vorgehen gegen Flüchtlinge versucht die Regierung gezielt, rechte Stimmungen zu schüren und ihre Gegner einzuschüchtern. Mit Hilfe des „Stop-Soros-Pakets“ werde man Flüchtlingshelfer an die kurze Leine nehmen und, wenn sie nicht parieren, „aus dem Land werfen“, drohte Orbán. Kurz davor hatte er in einer „Rede zur Lage der Nation“ behauptet, bald würden die europäischen Großstädte mehrheitlich muslimisch sein. Nur Ungarn werde sich dieser Entwicklung widersetzen.

Die Fidesz-Regierung hat bereits 2015 brutale Gesetze gegen Flüchtlinge erlassen, als Zehntausende auf der sogenannten Balkanroute durch Ungarn reisten. Neben Grenztruppen der Polizei sichern seither auch das Militär und faschistische paramilitärische Einheiten die Grenzen, die unter stillschweigender Duldung der Regierung Jagd auf Flüchtlinge machen. In den letzten Jahren wurden Hunderte sogenannte „Grenzverletzer“ aufgegriffen, in Lager gebracht und im Schnellverfahren abgeschoben.

Das benachbarte Serbien wurde zum „sicheren Drittland“ deklariert, obwohl es dort kein geregeltes Asylsystem gibt. Die Übertretung oder Beschädigung der Grenzanlagen wird seither als Straftat gewertet. Bereits 14-Jährige können als Erwachsene behandelt werden. Die zahlreichen Anklagen und Urteile müssen nicht einmal in die Muttersprache der Angeklagten übersetzt werden.

Allein diese „Regelungen verstoßen gegen alle völkerrechtlichen Verpflichtungen Ungarns und auch gegen europäisches Recht“, erklärte die Anwältin Tímea Kovács von der Nichtregierungsorganisation Helsinki Komitee.

Mit dem neuen Gesetzespaket wird die rechte Regierung die Menschenrechtsverletzungen verschärfen. Marta Pardavi, Ko-Vorsitzende der ungarischen Sektion des Helsinki-Komitees, bezeichnete es als “Aushungern- und Erwürgen-Gesetz“.

So werden NGOs, die Flüchtlingen helfen und sie unterstützen, künftig die Genehmigung des Innenministeriums benötigen, das diese kaum erteilen dürfte. Ungarn, die Migranten juristisch beraten, wird der Zugang zum Grenzgebiet verboten. Ausländer können bei Betreten des Grenzgebiets des Landes verwiesen werden. Auf Spenden aus dem Ausland wird eine 25-prozentige Steuer erhoben, was für viele Hilfsorganisationen das finanzielle Aus bedeuten wird.

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