Bund und Kommunen: Verdi organisiert Warnstreiks auf Sparflamme

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, der Deutsche Beamtenbund (dbb), die GEW und die Polizeigewerkschaft (GdP) führen die Tarifauseinandersetzung für die 2,3 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen derzeit auf Sparflamme, obwohl absehbar ist, dass die kommunalen Arbeitgeberverbände und die Bundesregierung zu keinen Zugeständnissen bereit sind. Bei der ersten Verhandlungsrunde, die am 26. Februar in Potsdam stattfand, legten sie kein Angebot vor.

Die Gewerkschaften fordern eine Lohnerhöhung von 6 Prozent, mindestens aber einen Sockelbetrag von 200 Euro im Monat, sowie ein Plus bei der Ausbildungsvergütung von mindestens 100 Euro. „Die Wirtschaft brummt. Die Staatseinnahmen sprudeln. Seit Jahren haben wir es mit anhaltenden Steuermehreinnahmen zu tun“, begründet dies Verdi-Chef Frank Bsirske.

Doch obwohl die Friedenspflicht am 28. Februar auslief und die Kampfbereitschaft groß ist, organisiert Verdi nur spärliche Warnstreiks in wenigen Regionen. So nahmen am 1. März etwa tausend Beschäftigte in Südost-Niedersachsen an Warnstreiks teil. In Göttingen, Peine, Salzgitter und anderswo wurden Jobcenters, städtische Behörden, die Müllabfuhr und die Stadtwerke bestreikt. Schon ab vier Uhr früh stellten sich mehrere hundert Busfahrer trotz klirrender Kälte vor die Depots der Göttinger Verkehrsbetriebe.

Bei der Post, wo Verdi ebenfalls Tarifverhandlungen für 130.000 Beschäftigte führt, hat die Gewerkschaft ein ungewöhnliches Verfahren gewählt, um einer Streikabstimmung zuvorzukommen. Statt das miserable Angebot der Post abzulehnen und eine Urabstimmung durchzuführen, lässt Verdi die Mitglieder über das Angebot der Arbeitgeber abstimmen, ohne selbst eine Empfehlung abzugeben. Dadurch herrscht erst einmal vier bis fünf Wochen Ruhe, ohne dass es zu Streiks kommt oder die Postler gleichzeitig mit den Müllmännern und Busfahrern in den Ausstand treten.

Um den Grund für diese Hinhaltetaktik zu verstehen, muss man den Koalitionsvertrag lesen, auf den sich SPD und CDU/CSU geeinigt haben. Sowohl der DGB wie seine Einzelgewerkschaften sind entschiedene Befürworter der Großen Koalition. Deshalb unterbinden sie alles, was im Widerspruch zu den darin getroffenen Vereinbarungen steht.

Der Koalitionsvertrag legt klar fest, dass die „sprudelnden Staatseinnahmen“ (Bsirske) nicht für die Verbesserung der Einkommen und Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst verwendet werden, sondern für die militärische Aufrüstung. Es heißt darin ausdrücklich, man wolle „zusätzlich entstehende Haushaltsspielräume“ dazu nutzen, die „Verteidigungsausgaben“ und „die Mittel für Krisenprävention, humanitäre Hilfe … angemessen zu erhöhen“.

Das heißt im Klartext: Wo immer die kommende Regierung einen Euro einspart und locker macht, wird sie ihn in die Verteidigungsausgaben, in die Finanzierung der so genannten „Krisenprävention“ und in ihre imperialistischen „humanitären Hilfsprojekte“ wie in Mali, dem Nahen Osten oder an der russischen Grenze stecken.

Die militärische Aufrüstung durchdringt sämtliche Bereiche des Koalitionsvertrags. Im Kapitel „Europäische Außen- und Sicherheitspolitik“ heißt es: „Wir wollen eine Europäische Union, die nach Innen erfolgreich ist und zugleich in der globalisierten Welt unsere Interessen wahrt … Hierzu braucht sie eine kraftvolle gemeinsame Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik, die weit intensiver als bisher mit einer Stimme spricht und mit gut ausgestatteten und aufeinander abgestimmten zivilen und militärischen Instrumenten arbeitet.“ Zu diesem Zweck soll die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im militärischen Bereich (PESCO)“ zu einer Europäischen Armee ausgebaut werden.

Der Koalitionsvertrag verpflichtet die Regierung auch, das Nato-Ziel von 2 Prozent des BIP zu erfüllen, was nahezu eine Verdoppelung der Militärausgaben auf 70 Milliarden Euro im Jahr bedeutet. Gleichzeitig soll „schwarze Null“ aufrecht erhalten, also keine neuen Schulden gemacht werden. Die zusätzlichen Rüstungsausgaben müssen deshalb anderswo eingespart werden.

Die Erfüllung der offiziellen Tarifforderung in den Kommunen würde laut Bsirske 6,4 Milliarden Euro kosten. Das ist nicht einmal ein Zehntel der vorgesehenen Militärausgaben. Aber dafür ist im Koalitionsvertrag offensichtlich kein Geld vorgesehen.

Dabei ist die 6-Prozent-Forderung nicht nur berechtigt, sondern längst überfällig. Zwei von fünf Kommunen waren in den letzten Jahren überschuldet und wurden gezwungen, Arbeitsplätze abzubauen und soziale Leistungen einzuschränken. Nach dem jahrelangen Sparen, den Stellenstreichungen, Ausgliederungen und Privatisierungen arbeiten die meisten Krankenschwestern und -Pfleger, Flughafen- und Hafenarbeiter, Müllmänner und Feuerwehrleute, Sozial- und Erziehungsdienste, kommunal beschäftigte Lehrerinnen und Lehrer, Beschäftigte im Bauwesen, an den Bühnen und Musikschulen oder in den städtischen Verwaltungen tatsächlich am Limit und benötigen dringend eine Verbesserung.

Längst gärt es in den Betrieben. Wie schon die Warnstreiks in der Metall- und Elektrobranche im Januar, sind auch die jetzigen Warnstreiks im öffentlichen Dienst ein klarer Ausdruck der Unzufriedenheit und hohen Streikbereitschaft.

Diese gibt es auch im privaten Bereich und in Industriebetrieben, die von Entlassungen bedroht sind, wie Opel, Siemens und Bombardier. Zudem mehren sich weltweit die Streiks und Arbeitskämpfe, wie in Großbritannien zur Verteidigung des National Health Service (NHS), bei den Autoarbeitern von Skoda in Tschechien oder bei den Lehrern von West-Virginia (USA).

Aber die Gewerkschaften tun alles in ihrer Macht Stehende, um eine größere Streikbewegung zu unterdrücken, da sie sofort in Konflikt mit der Großen Koalition und ihren Großmacht- und Aufrüstungsplänen geraten würde. Eine um sich greifende Streikbewegung wäre das Letzte, was die Herrschenden und ihre Partner in den DGB-Zentralen wollen.

Deshalb organisieren IG Metall, Verdi und die andern Gewerkschaften nur symbolische Ministreiks und isolieren sie sorgfältig voneinander.: Letztes Jahr die Flughafenarbeiter, im Januar die Metall- und Elektroarbeiter, darauf die Postler, zurzeit der öffentliche Dienst, in vier Wochen vielleicht wieder die Postler und immer so weiter.

Die Männer und Frauen, die sich bei den Tarifverhandlungen gegenüber sitzen, kennen und schätzen sich seit vielen Jahren. Frank Bsirske ist Mitglied der Grünen und war früher Personaldezernent in Hannover, wo er 1000 Arbeitsplätze abbaute. Der Leiter der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) Thomas Böhle ist Mitglied der SPD und auch Mitglied von Verdi.

Alle Tarifabschlüsse der letzten dreizehn Jahre hatten eine Laufzeit von mindestens zwei Jahren und boten den öffentlichen Arbeitgebern so ausreichend Zeit, die Kosten durch Kürzungen und Stellenstreichungen an anderer Stelle wettzumachen und zu übertreffen.

Gleichzeitig wurden große Teile der staatlichen Dienstleistungen ausgegliedert und privatisiert. Öffentliche Nahverkehrsstrecken wurden an private Bus- und Bahnfirmen delegiert, Krankenhäuser zu großen Verbänden fusioniert und/oder privatisiert. So hat sich die Zahl der Beschäftigten des öffentlichen Diensts seit 2005 von über fünf Millionen auf 2,1 Millionen in den Gemeinden, 800.000 in den Ländern und 150.000 beim Bund mehr als halbiert.

Dieser verheerende Prozess ist nur zu stoppen, wenn die Beschäftigen im öffentlichen Dienst die Zwangsjacke der DGB-Gewerkschaften sprengen und den Kampf in die eigenen Hände nehmen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei sagt: Bildet Aktionskomitees, die von Verdi unabhängig sind, in allen Betrieben und Dienststellen! Nehmt Kontakt zu Arbeitern anderer Branchen und auch anderer Länder auf und organisiert den Arbeitskampf gemeinsam! Die Interessen der Beschäftigten – Einkommen und Arbeitsbedingungen – müssen im Mittelpunkt stehen, und nicht die Haushaltsdisziplin oder die „schwarze Null“. Und schon gar nicht die militaristischen Pläne der Großen Koalition.

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