„Die Lehrer haben weltweit die gleichen Probleme“

Die Lehrerstreiks in den USA, die in West-Virginie begonnen haben, weiten sich auf weitere Bundesstaaten aus. Mit ihrem March for our liveshaben hunderttausende Schüler und Studenten den sozialen Widerstand ausgeweitet. Auf der ganzen Welt verfolgen Lehrer, Arbeiter und Jugendliche die Rebellion mit Anteilnahme.

In Frankfurt am Main sprachen wir mit Evangelos, einem Naturkunde- und Physik-Lehrer der Mittelstufe, der in Griechenland und Deutschland arbeitet. Er erklärte sich mit den Lehrerstreiks in den USA solidarisch und berichtete über einen Lehrerstreik in Griechenland.

Evangelos

Evangelos: Ich hoffe, dass sich die Kämpfe der amerikanischen Lehrer ausweiten und dass sie erfolgreich sind. Offenbar berühren die Lehrer einen wunden Punkt, denn die Medien versuchen die Streiks völlig totzuschweigen. Ich habe davon nur über euch von der WSWS erfahren.

Im Grund wundert es mich nicht, dass eine weltweite Bewegung jetzt von den USA ausgeht. Dort sind die sozialen Unterschiede einfach enorm. In andern Ländern ist aber ebenfalls ein starker Druck zu spüren. Auch in Griechenland haben die Lehrer vor kurzem gestreikt.

Marianne Arens: Kannst du über den griechischen Lehrerstreik berichten?

Vor vier Wochen haben die Lehrer Anfang März einen ganzen Tag lang die Arbeit niedergelegt. Es gab Kundgebungen in Athen und Thessaloniki. Etwa tausend Lehrer sind vor das Bildungsministerium in Maroussi im Norden Athens gezogen und haben Einlass verlangt. Sie wollten mit Kostas Gavroglu sprechen, das ist der Syriza-Minister, der jetzt das Ministerium für Bildung, Forschung und Religion leitet. Darauf ging die Polizei mit Reizgas gegen die Lehrer vor. Später setzten sie auch Schlagstöcke ein, um die Menge auseinander zu treiben.

Die griechischen Lehrer streiken, weil sie praktisch keine Chance mehr haben, überhaupt jemals fest eingestellt zu werden. Wer nicht vom griechischen Staat als Beamter eingestellt wird, erhält praktisch nur noch einen befristeten Vertrag für ein paar Monate. Nach den großen Ferien müssen sich die Lehrer jedes Mal neu bewerben. Wenn sie Glück haben, werden sie wieder eingestellt, und sonst sind sie arbeitslos.

Manche können nur sieben Monate pro Jahr arbeiten und Geld verdienen. Viele werden nur mit einem halben Vertrag eingestellt, und die Bezahlung wird entsprechend halbiert. Wenn ein Lehrer für eine volle Stelle auf 1100 Euro im Monat kommen würde, verdient er für die halbe Stelle nur 550 Euro. Das sind echte Armutslöhne. Das gab es früher nicht.

Was sind die Auswirkungen auf die griechischen Schulen im Ausland?

Diese Schulen haben den Anspruch, den griechisch-sprachigen Schülern eine vollwertige Bildung bis zum Abitur zu bieten. Der griechische Staat unterhält im Ausland mehrere solche Schulen. Doch der Staat kümmert sich sehr wenig um sie. Aus Finanzmangel fällt deshalb oft der Unterricht aus. Ich habe schon erlebt, dass Fächer wie Geschichte, griechische Sprache oder Biologie gar nicht angeboten wurden. Das sind doch elementare Bildungsfächer, die wichtig sind. Selbst die EU-Troika müsste verlangen, dass Fächer wie Griechisch oder Geschichte nicht ausfallen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Mit dem aktuellen Sparpaket der EU wird der Druck noch steigen.

Von den Lehrern in West-Virginia habe ich gelesen, dass sie Schulmaterial selbst einkaufen müssen. Das kommt mir sehr bekannt vor. Offenbar sind die staatlichen Lehrer überall auf der Welt unterfinanziert. Das kenne ich auch vom Unterricht an den griechischen Schulen. Wir haben zum Beispiel kein Physiklabor, und ich muss mir für den Unterricht alles selbst besorgen. Ich habe mir bestimmte Hilfsmittel auch schon auf dem Flohmarkt zusammengesucht. Manchmal fehlen uns die einfachsten Sachen.

Du hast die EU-Troika angesprochen. Was denkst du über die neue deutsche Regierung, die Große Koalition in Berlin?Hast du gehört, dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) jetzt einen Manager von Goldman Sachs als Staatssekretär berufen hat?

Vor kurzem habe ich es gehört. Der Leiter der Deutschland-Filiale von Goldman Sachs wird Staatsekretär. Offenbar übernehmen die Banken überall das Sagen. In Griechenland ist das schon länger bekannt. Das wirkt sich umso heftiger aus, weil sie so stark verschuldet sind und enorme Kredite zurückzahlen müssen.

Mit jeder Regierung, die in irgendeinem Land jetzt neu ins Amt kommt, geht die Politik immer weiter nach rechts. Sie sparen an der Bildung, der Gesundheit und der Kindererziehung, wo sie nur können. Damit wächst die Kluft zwischen Reich und Arm, wie auch die Obdachlosigkeit.

Ich möchte was sagen zum Fall der Essener Tafel. Ich habe nicht verstanden, mit welcher Begründung sie jetzt die Tafeln kürzen. Ich glaube nicht, dass es so wenig Unterstützung gibt, dass sie deshalb die Ausländer wegschicken. Sondern sie wollen offenbar das Recht der Menschen in Frage stellen, sich Hilfe zu suchen wo es geht. Für mich ist das offener Rassismus.

Sind Ausländer nicht auch wichtige Arbeitskräfte? Es ist mir schon bei der Kopftuchfrage aufgefallen [Verbot für Muslimas, im öffentlichen Dienst Kopftuch zu tragen; MA.]. Die Leute aus dem Ausland werden zwar dringend als Arbeitskräfte gebraucht, aber gleichzeitig will man sie auf keinen Fall integrieren. Damit wird versucht, die Arbeiter zu spalten und auch zu verhindern, dass sie sich zusammenschließen.

Ähnlich ist es mit den Folgen der Privatisierungen. Hier in Frankfurt ist der Busverkehr schon privatisiert. Deshalb merkt man auch nicht viel, wenn es – wie jetzt – Streiks im Öffentlichen Dienst gibt. Viele Betriebe sind, wie der Busverkehr in Frankfurt, aus dem öffentlichen Nahverkehr schon ausgegliedert und privatisiert worden. Die Löhne werden verschlechtert, aber die Busfahrer dürfen nicht mitstreiken.

David North hat bei seiner Rede in Leipzig betont, wie wichtig es sei, dass man „die Niederlagen der Arbeiter im zwanzigsten Jahrhundert verstehen“ müsse. Man muss verstehen, wie das alles organisiert wird, und wie die SPD und die Gewerkschaften, auch Verdi und die GEW, das alles mitorganisieren. Die SPD ist ja Teil der Regierung.

In West Virigina haben die Gewerkschaften den Lehrerstreik so rasch wie möglich abgewürgt.

Ja, genau. Die Lehrer wollten weiterstreiken, aber die Gewerkschaften haben den Streik abgebrochen, obwohl die Forderungen noch gar nicht erfüllt waren. Das ist bei uns nicht anders.

In den griechischen Lehrerstreiks sind die meisten Gewerkschaftsführer Syriza-Mitglieder. Sie sind in derselben Partei wie der Bildungsminister, der ihnen die befristeten Verträge aufzwingt. Die Gewerkschaftsführer haben betont, dass Gavroglu versprochen habe, im Oktober mehr Lehrer fest einzustellen. In Wirklichkeit hat er es davon abhängig gemacht, was im dritten Finanzpakt der EU drinsteht.

Und hier in Deutschland ist es nicht anders. Wir haben an unsrer Schule zum Beispiel noch nie was von der GEW gehört. Die GEW fühlt sich für uns nicht zuständig, denn unsre Schule wird in Deutschland als Privatschule behandelt. Die Gewerkschaften sind völlig nationalistisch. Das ist in jedem Land so.

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