Betriebsratswahl bei ThyssenKrupp in Duisburg: Opposition büßt Mandate ein

Am Dienstagabend endete die Betriebsratswahl im größten deutschen Stahlstandort, dem ThyssenKrupp-Werk Duisburg-Hamborn/Beeckerwerth. Mehr als 12.000 Beschäftigte waren aufgerufen, ihre Stimme für eine von insgesamt sechs Listen abzugeben.

Trotz des wachsenden Misstrauens gegenüber der IG Metall angesichts ihrer engen Zusammenarbeit mit dem Vorstand konnte die innerbetriebliche Opposition ihren Einfluss nicht ausbauen. Stattdessen erhielt die offizielle IG-Metall-Liste einen Sitz mehr und hat jetzt 27 von 39 Sitzen im Betriebsrat.

Der Grund dafür ist die Weigerung der Oppositionslisten, den Widerstand gegen die IG Metall auf einer prinzipiellen Grundlage zu organisieren. Statt ohne Umschweife die Dinge beim Namen zu nennen und zu erklären, dass die Verteidigung der Arbeitsplätze einen Kampf gegen den Kapitalismus, das heißt ein sozialistisches Programm und eine internationale Strategie erfordert, beschränken sich die oppositionellen Betriebsräte auf Forderungen nach unmittelbaren betrieblichen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Ihre Forderungen nach familienfreundlichen Arbeitszeiten und besseren Schichtplänen sind durchaus berechtigt, aber erwecken den Eindruck, als ginge es darum, auf dem Deck der sinkenden Titanic neue Tischdecken aufzulegen und bessere Stühle bereitzustellen.

Vor drei Jahren erzielte die von Fred Wans und Binali Demir angeführte oppositionelle „Belegschaftsliste“ noch 9 Sitze. Jetzt sackte sie auf 3 Sitze ab. Als Wans und seine Anhänger 2014 die Liste „Interessengemeinschaft 35-Stundenwoche“ ins Leben riefen und die Betriebsratsmehrheit scharf kritisierten, reagierten die IGM-Betriebsräte in Zusammenarbeit mit Konzernvertretern mit massiver Einschüchterung und Wahlbeeinflussung. Vier Mitglieder der Oppositionsliste, darunter Listenführer Wans, fochten daraufhin die Betriebsratswahl vor dem Arbeitsgericht in Duisburg an und bekamen Recht. Im Mai 2015 musste eine Neuwahl stattfinden.

Dass sich Wans und seine Anhänger damals weder einschüchtern noch kaufen ließen, sondern die mafiösen Strukturen der IGM im Werk aufdeckten, brachte ihnen viel Sympathie und Unterstützung ein. Die Machenschaften der Betriebsratsmehrheit, die zusammen mit der Gewerkschaft zahlreiche Lohnkürzungen und einen stetigen Arbeitsplatzabbau gegen die Belegschaft durchgesetzt hat, waren bekannt und berüchtigt.

Doch dann wurde die begonnene Rebellion gegen die IG Metall nicht fortgesetzt. Obwohl immer deutlicher wurde, dass es um die Existenz ganzer Werke und tausende Arbeitsplätze geht, beschränkten sich die oppositionellen Betriebsräte auf die unmittelbaren Probleme im Betrieb.

Es ist kein Geheimnis, dass der neue IGM-Vertrag mit dem zynischen Namen „Tarifvertrag Zukunft“ den Ausstieg aus der Stahlproduktion bei ThyssenKrupp einleitet. Er regelt die Fusion mit dem indisch-britischen Stahlunternehmen Tata Steel und beinhaltet massive Angriffe auf die Belegschaft.

Die Oppositionellen riefen bei der Abstimmung über den Vertrag zwar zu einer Nein-Stimme auf, aber sie organisierten keinen aktiven Widerstand, nahmen auch keine Verbindung zu Arbeitern anderer deutscher Standorte oder zu denen in Großbritannien auf, die durch die Fusion ebenfalls von umfassendem Arbeitsplatzabbau betroffen sind, um gemeinsame Kampfmaßnahmen zu organisieren. Einzig ein Besuch bei den Arbeitern des niederländischen Werks in Ijmuiden kam zustande.

Stattdessen schrieben Wans und Demir in einem ihrer Flugblätter, es gelte im Interesse der Arbeitnehmer, auf die Entwicklung von ThyssenKrupp Steel Einfluss zu nehmen. „Dies bedeutet eine konstruktive aber auch kritische Auseinandersetzung mit den Ankündigungen unseres Vorstandes, Arbeitsplätze abzubauen und Anlagen stillzusetzen.“ Im Klartext heißt das: Kritische Begleitung des Arbeitsplatzabbaus, statt entschlossene Mobilisierung der Beschäftigten dagegen.

Dann folgt eine lange Liste von innerbetrieblichen gewerkschaftlichen Forderungen (Erhöhung der Altersteilzeit, mehr Freischichten durch tägliche Arbeitszeiterhöhung auf 8 Stunden, familienfreundliche Arbeitszeiten, feste Übernahme der Azubis usw.). Aber die Verbesserung der Arbeitsbedingungen setzt die Verteidigung der Arbeitsplätze voraus. Wenn diesem Kampf ausgewichen wird, kann auch kein anderes Problem gelöst werden.

Über die gewerkschaftlichen Forderungen entwickelten sich dann Konflikte und die Opposition spaltete sich. Yasar Firat, der vor drei Jahren von der offiziellen IGM-Liste zu Wans und Demir gestoßen war, machte seine eigene Liste namens „Interessengemeinschaft Zukunft“ auf und holte sich Frank Klein an seine Seite, der früher Vorsitzender des Betriebsrats bei ThyssenKrupp Nirosta in Bochum war und den dortigen Arbeitsplatzabbau mit organisiert hat. Auch sie erzielten drei Sitze.

All das führte dazu, dass sich die IGM-Betriebsräte gestärkt fühlen und noch aggressiver als Co-Manager auftreten als bisher. Tekin Nasikkol, Spitzenkandidat der IG Metall, wird nun erwartungsgemäß der kommende Gesamtbetriebsratsvorsitzende des ThyssenKrupp-Stahlkonzerns.

Er tritt die Nachfolge des langjährigen Vorsitzenden Günter Back an, der vor der Wahl genauso wie der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des ThyssenKrupp-Mutterkonzerns Wilhelm Segerath seinen Rückzug angekündigt hatte. CDU-Mitglied Back und SPD-Mitglied Segerath waren beide 35 Jahre im Betriebsrat des Konzerns, die meiste Zeit in führenden Funktionen.

Nachfolger Nasikkol sitzt seit 2016 auch im Aufsichtsrat, war also an der Ausarbeitung des „Tarifvertrags Zukunft“ und der Vorbereitung des Arbeitsplatzabbaus frühzeitig beteiligt.

Die Erfahrung der vergangenen drei Jahre beinhaltet wichtige Lehren.

Wir wiederholen, was wir im Frühjahr 2015 geschrieben haben: „Der Zusammenschluss von Wans, Demir und Firat wird mit der Forderung begründet, die Opposition müsse geschlossen auftreten. Um das zu gewährleisten, sei es notwendig, ‚Politik herauszuhalten‘. Ein erster Schritt sei es, sich im Werk gemeinsam gegen die IGM für Belegschaftsinteressen einzusetzen. Dementsprechend begnügt sich die gemeinsame Liste von Wans, Demir und Firat vor allem damit, der Belegschaft zu versprechen, die Betriebsvereinbarungen des IGM-Betriebsrats mit den größten Angriffen auf Löhne und Arbeitsbedingungen zurückzunehmen.

Diese Beschränkung auf minimale gewerkschaftliche Forderungen kann die grundlegenden Probleme der Belegschaft nicht lösen und hat eine unerbittliche Logik. Sie führt zur Unterordnung unter die sogenannten betrieblichen und wirtschaftlichen Sachzwänge und verwandelt die oppositionellen Betriebsräte von heute in korrupte Sozialpartner von morgen.“

Wir fragten damals: „Was ist, wenn der weltweite Stahlmarkt aufgrund der anhaltenden Weltwirtschaftskrise einbricht und der Vorstand oder ein Finanzinvestor wie Cevian Capital die Zerschlagung des Stahlstandorts in Duisburg verlangt? Wird die Opposition im Betriebsrat dann fordern, eine Zerschlagung durch Lohnsenkungen und Arbeitsplatzabbau zu verhindern, um so den ‚Standort zu retten‘? Wird sie eine Zerschlagung des Standorts ‚sozialverträglich gestalten‘?

Oder wird sie den Kampf zur bedingungslosen Verteidigung der Arbeitsplätze als Auftakt für eine breite Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse zum Sturz der Regierung ansehen, um die Überführung der Großkonzerne und Banken in gesellschaftliches Eigentum vorzubereiten? Dies ist angesichts der weltweiten Krise des Kapitalismus die einzige realistische Möglichkeit, der sozialen Abwärtsspirale ein Ende zu bereiten. Diese Fragen müssen gründlich durchdacht und diskutiert werden.“

Heute bestätigt sich diese Einschätzung.

Die neue Regierung plant massive Angriffe. Um die Milliarden für die Aufrüstung aufzubringen und angesichts zunehmender Handelskriege werden umfangreiche Sparmaßnahmen und soziale Kürzungen vorbereitet. Große soziale und politische Klassenkämpfe sind damit unvermeidbar und entwickeln sich bereits in vielen Ländern, wie der wachsende Widerstand in Frankreich gegen die Arbeitsmarktgesetze zeigt.

Der Kampf gegen Arbeitsplatzabbau und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kommt direkt mit dem Kampf gegen Militarismus und Kriegsvorbereitung zusammen. Das erfordert ein internationales sozialistisches Programm. Nur auf dieser Grundlage ist eine konsequente Vertretung von Arbeiterinteressen möglich. Das Ergebnis der jetzigen Betriebsratswahl unterstreicht das. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die World Socialist Web Site (WSWS) rufen dazu auf, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um eine schlagkräftige, sozialistische Opposition in den Betrieben aufzubauen.

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