Frankreich: Machtprobe zwischen Macron und Eisenbahnern

Der Eisenbahnerstreik, der Montagabend um 19 Uhr in Frankreich begann, gilt vielen internationalen Beobachtern als bisher größte Machtprobe zwischen Präsident Emmanuel Macron und der Arbeiterklasse.

In den nächsten Wochen werde sich entscheiden, schreibt die deutsche Wochenzeitung Die Zeit, „ob es bei der bloßen Absicht bleibt und Macron unter dem Widerstand der Straße einknickt, wie viele seiner Vorgänger. Oder ob Frankreich sich tatsächlich wandelt.“

Das deutsche Handelsblatt kommentiert, es gehe „in diesen Tagen um sehr viel mehr als nur die Reform der Bahngesellschaft“. Die Streikenden hofften, „dass eine entschärfte oder gar ganz gestoppte Reform der Bahn auch das Ende weiterer Projekte von Macron, wie etwa die tiefgreifende Rentenreform, einläuten wird. Sollte der Streik dagegen nach ein paar Tagen zusammenbrechen, öffnet sich vor Macron ein Boulevard für die Modernisierung Frankreichs.“

Unter „Reform“ und „Modernisierung“ verstehen Macron und seine internationalen Unterstützer die Beseitigung sozialer Errungenschaften und Rechte, die sich die französische Arbeiterklasse über Jahrzehnte hinweg erkämpft hat.

Bereits im letzten Jahr hatte Macrons Regierung per Dekret eine Arbeitsmarktreform verabschiedet, die Massenentlassungen erleichtert und prekäre Arbeitsverhältnisse ausweitet. Den massiven Widerstand dagegen lähmte und unterdrückte sie mit Hilfe der Gewerkschaften.

Doch nun hat sich Macron weit mehr vorgenommen. Zentrales Projekt ist die Umgestaltung der staatlichen Eisenbahngewerkschaft SNCF. Hier soll das Mitarbeiterstatut, das den Bahnarbeitern Kündigungsschutz und die Möglichkeit zur Frühverrentung bietet, beseitigt werden. Die Bahn soll in drei Aktiengesellschaften – Netz, Bahnbetrieb, Bahnhöfe – aufgespalten und für den internationalen Wettbewerb geöffnet werden. Die Ausgaben der SNCF sollen zu Lasten der Belegschaft um 27 Prozent reduziert und der Schuldenberg von 50 Milliarden Euro abgebaut werden.

Vier Gewerkschaften – CGT, Unsa, SUD und CFDT – haben dagegen zu Arbeitskämpfen aufgerufen. In den nächsten drei Monaten, bis zum 28. Juni, sollen die Eisenbahner abwechselnd zwei Tage streiken und drei Tage arbeiten. Die Gewerkschaften stellen dies als Zermürbungstaktik dar, die gleichzeitig die Streikenden schonen soll. Anders als etwa in Deutschland erhalten sie in Frankreich kein Streikgeld.

Der erste Streiktag ist am heutigen Dienstag. Die SNCF geht davon aus, dass der Ausstand massiv befolgt wird. Sie rechnet damit, dass in ganz Frankreich nur einer von acht Hochgeschwindigkeitszügen TGV und einer von fünf Regionalzügen verkehren werden.

Der Streik erinnert an das Jahr 1995, als die Eisenbahner das Land drei Wochen lang lahmlegten und den konservativen Regierungschef Alain Juppé zum Rückzug einer geplanten Rentenreform zwangen. Diesmal beteiligen sich aber nicht nur die Arbeiter, sondern auch viele Angestellte der Bahn an dem Streik.

Parallel zum Angriff auf die Bahn plant Macron einen drastischen Stellenabbau im öffentlichen Dienst, eine Reform der Arbeitslosenversicherung, die Arbeitslose mit empfindlichen Geldstrafen zur Aufnahme einer neuen Arbeit zwingt, und eine Bildungs- und Ausbildungsreform, die das Universitätsstudium erschwert und verteuert.

Bereits am 22. März waren in ganz Frankreich mehrere Hunderttausend gegen Macrons Pläne auf die Straße gegangen. Nun kommt der Arbeitskampf bei der Bahn mit geplanten Streiks bei der Müllabfuhr, im Elektrizitäts- und Energiesektor zusammen.

Auch bei der Fluggesellschaft Air France findet ein Arbeitskampf für eine Lohnerhöhung von 6 Prozent statt. Nach einem eintägigen Streik am Karfreitag hat eine Bündnis von sechs Gewerkschaften zu weiteren Streiks am heutigen Dienstag sowie am 7., 10. und 11. April aufgerufen.

Air France geht davon aus, dass heute ein Drittel der Lang- und Mittelstrecken-Flüge sowie 15 Prozent der Kurzstreckenverbindungen ausfallen werden. Da auch die Bahn weitgehend stillsteht, wird mit einem Verkehrschaos und kilometerlangen Staus auf den Autobahnen gerechnet.

Macron, seine Regierung und seine Partei La République en Marche zeigen sich bisher entschlossen, der Streikbewegung zu trotzen. „Wir erwarten eine sehr umfangreiche, starke soziale Bewegung mit harten Auswirkungen auf die Bahnkunden“, zitiert das Magazin Le Point eine Regierungsquelle. „Umso wichtiger ist es, dass wir am beschlossenen Kurs festhalten.“

Am 14. März hat die Regierung ein Ermächtigungsgesetz verabschiedet, das sie in die Lage versetzt, die Bahnreform zügig und notfalls per Dekret umzusetzen. Es soll demnächst vom Parlament, wo die Regierungspartei die Mehrheit hat, verabschiedet werden.

Vor allem aber zählt die Regierung auf die Gewerkschaften, um ihre Angriffe durchzusetzen. Diese haben kein Interesse daran, Präsident Macron, den sie bei der Wahl unterstützt haben, in Schwierigkeiten zu bringen oder gar zu stürzen. Sie hatten im vergangenen Jahr bereits die Verabschiedung der Arbeitsmarktreform ermöglicht und haben jahrzehntelange Übung darin, militante Arbeitskämpfe zu spalten und zu lähmen.

Einige Kommentare zweifeln allerdings, ob Macron stark genug ist, der wachsenden Bewegung standzuhalten. So weist der bereits zitierte Zeit-Artikel darauf hin, dass „der Rückhalt für seine Agenda in der Bevölkerung nicht so groß ist, wie das Wahlergebnis suggerieren könnte“. Im ersten Wahlgang der Präsidentenwahl 2017 hätten „75 Prozent für andere Bewerber votiert“, und bei der anschließenden Parlamentswahl hätten „seiner Bewegung La République en Marche wegen des französischen Mehrheitswahlrechts sowie einer niedrigen Wahlbeteiligung 13 Prozent der Stimmen alle Wahlberechtigten für die absolute Mehrheit der Mandate“ gereicht.

Es ist auch keineswegs sicher, dass es den Gewerkschaften gelingen wird, die Empörung und Wut der Arbeiter zu zügeln. Die Streikbewegung in Frankreich ist Teil einer internationalen Offensive der Arbeiterklasse – Lehrerstreiks in den USA, Streiks an den Universitäten in Großbritannien, Sri Lanka und Kenia, Tarifstreiks in der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst in Deutschland, um nur einige Kämpfe zu nennen.

Ihr Erfolg wird davon abhängen, dass die Arbeiter die beschränkte nationale Perspektive der Gewerkschaften überwinden, sich international zusammenschließen und die Verteidigung ihrer Rechte und Errungenschaften mit dem Kampf gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Gesellschaft verbinden.

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