Eine politische Perspektive für die streikenden Dozenten und Studierenden in Großbritannien

Am vergangenen Dienstag organisierten die britische Socialist Equality Party und die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) eine Onlineveranstaltung über die Streiks von Lehrkräften und Hochschulbeschäftigten. An dem Education Fightback Forum mit dem Titel „Nein zum Verrat der UCU! Bildet Basiskomitees!“ nahmen Dozenten und Studierende aus ganz Großbritannien teil.

Der Moderator der erfolgreichen Veranstaltung war Tom Scripps von den IYSSE. Er erklärte, das Ziel sei die Schaffung eines demokratischen Forums, um das weitere Vorgehen zu diskutieren, vor allem die Notwendigkeit einer Rebellion gegen die Gewerkschaftsbürokratie und die Gründung von Basiskomitees.

Einen besonders herzlichen Empfang genoss Jerry White, der Redakteur der World Socialist Web Site für Arbeitskämpfe in den USA. Er sprach über die Bedeutung des neuntägigen Streiks von 30.000 Lehrkräften in West Virginia, der Anfang März zu Ende ging.

Dozenten und Studierende auf einer Demonstration in London

Robert Stevens, WSWS-Redakteur für Großbritannien, stellte zu Beginn der Veranstaltung die Streiks in den USA und Großbritannien in den Kontext einer weltweit anwachsenden Streikwelle. Seit Beginn des Jahres gab es u.a. Arbeitskämpfe von Lehrkräften in Indien, große Streiks und Proteste in Tunesien, dem Iran, Deutschland und Griechenland, und Massendemonstrationen in Frankreich gegen die Angriffe der Macron-Regierung auf Arbeitsplätze und -bedingungen sowie ihre Privatisierungspläne.

Am vorherigen Wochenende hatten in den USA hunderttausende Schüler gegen die alltägliche Gewalt in Schulen und allgemein in der Gesellschaft demonstriert.

Stevens betonte, es sei „von entscheidender Bedeutung, die Lehren aus den weltweiten Kämpfen der Arbeiter zu ziehen“. Den Arbeitskampf in West Virginia hatten die Lehrkräfte selbst begonnen, während ihre Gewerkschaftsführung untätig blieb. Als die Gewerkschaften WVEA und die AFT-WV widerwillig zu einem begrenzten Streik im gesamten Bundesstaat aufriefen, wollten sie die Bewegung nur möglichst schnell eindämmen und durch einen Tarifvertrag mit Gouverneur Jim Justice ausverkaufen.

Die Lehrer leisteten Widerstand gegen diese Pläne und begannen, auf ihren Streikposten und im Internet Treffen zu organisieren, obwohl sie vom Management und ihren eigenen Gewerkschaften bedroht wurden. Stevens erklärte weiter, weil die Lehrer keinen Weg sahen, ihre Rebellion fortzusetzen, konnten die Gewerkschaften sie wenige Tage später verraten und in abgewandelter Form faktisch genau den Tarifvertrag unterschreiben, den die Lehrer zuvor abgelehnt hatten. Die Gewerkschaften ließen den Lehrern nicht einmal die Gelegenheit, darüber zu diskutieren und abzustimmen, und schickte sie zurück an die Arbeit.

Stevens erklärte: „Was in den USA passiert ist, hat große Ähnlichkeit mit dem Streik der Dozenten in Großbritannien nur wenige Tage später. Genau wie die Lehrer in West Virginia aus eigenem Antrieb versucht haben, den Verrat der Gewerkschaften zu verhindern, mussten auch hier die Dozenten einschreiten und sicherstellen, dass ihr Streik nicht durch einen schäbigen Kuhhandel beendet wurde.“

Weiter erklärte er: „Einzig die SEP hat die Dozenten und andere Arbeiter davor gewarnt, welche Rolle die Gewerkschaften spielen, und was die UCU [University and College Union] versuchen würde.“ Die SEP verbreitete unter Universitätsbeschäftigten eine Erklärung mit dem Titel „Dozentenstreik in Großbritannien: Die Lehren aus dem Lehrerstreik in West Virginia“.

Die Erklärung enthielt die weitsichtige Warnung: „Die Lehrer in West Virginia zeigen mit ihrer Revolte gegen die Gewerkschaften den Weg vorwärts. Wenn die Gewerkschaftsbürokratie die Kontrolle über den Streik der Dozenten in Großbritannien behält, wird er scheitern. Die Folgen für diese und künftige Generationen von Arbeitern wären katastrophal. Um ihre Forderungen durchzusetzen, müssen neue Kampforganisationen gegründet werden, die von den Gewerkschaften unabhängig sind.“

Diese Warnung bestätigte sich nur wenige Tage später, als die Gewerkschaft UCU und der Arbeitgeberverband Universities UK (UUK) am 12. März ein Tarifabkommen verkündeten, das einem Verrat gleichkam. Als klar wurde, wie schlecht es war, organisierte das Universitätspersonal Veranstaltungen und Demonstrationen mit hunderten Teilnehmern vor dem Hauptsitz der UCU in London und forderte die Ablehnung des Tarifabkommens.

Stevens erklärte: „Das war ein sehr wichtiger Schritt und hat die UCU daran gehindert, den Streik zu den Bedingungen der Arbeitgeber zu beenden. Aber wie sich in West Virginia gezeigt hat, wird allein die Zurückweisung die UCU nicht an dem Versuch hindern, in den nächsten Tagen ein vergleichbares, leicht abgewandeltes Tarifabkommen umzusetzen.“

„Die Streiks hier und in den USA zeigen, dass die Arbeiter ihre Kämpfe gemeinsam führen müssen, und dass sie organisatorisch und politisch von den Gewerkschaften unabhängig agieren müssen.“

„Die Gewerkschaften kämpfen nicht im Interesse der Arbeiterklasse. Sie sind Werkzeuge der Konzerne, des Managements und des Staates. Sie existieren, um den Kapitalismus zu verteidigen und die Arbeiterklasse unter Kontrolle zu halten.“

Weiter erklärte er, man dürfe sich auch nicht auf die Labour Party unter Jeremy Corbyn verlassen. Labour hat nicht nur viele der Angriffe auf den Bildungssektor begonnen, die jetzt von der Tory-Regierung ausgeweitet werden, sondern setzt auch auf kommunaler Ebene im ganzen Land die Kürzungen der Tories um.

Stevens erklärte, Labour „ist weiterhin eine Partei des Großkapitals, auch wenn sie jetzt von Jeremy Corbyn angeführt wird“. Er wies darauf hin, dass sich der Labour-Vorsitzende nur in den Arbeitskampf der Dozenten eingeschaltet hatte, um zu Gesprächen mit dem Management aufzurufen. Das Ergebnis dieser Gespräche war das erwähnte Abkommen.

Zuletzt erklärte Stevens, der Kampf der Lehrkräfte sei im Grunde „ein Kampf gegen den Kapitalismus. Letztlich geht es darum, welche Klasse die Verteilung der Ressourcen in der Gesellschaft kontrolliert, und wer über diese Fragen entscheidet.“

Jerry White betonte den internationalen Charakter des Kampfes der Lehrkräfte: „Zehn Jahre nach dem globalen Finanzcrash setzen die Regierungen ihren unablässigen Austeritätskurs fort, nachdem sie Billionen für Bankenrettungen, Steuersenkungen für Unternehmen und für Kriege ausgegeben haben.“

In West Virginia, Arizona, Oklahoma und anderen US-Bundesstaaten erhalten Lehrer ein Grundgehalt von 31.000 US-Dollar. Wie White erklärte, haben viele von ihnen durch Studentendarlehen massive Schulden angehäuft, müssen in zwei Jobs arbeiten und Lebensmittelmarken beantragen, um ihre Familien zu ernähren. Nachdem sie jahrelang von den Gewerkschaften verraten wurden, organisierten sie Facebook-Gruppen und drängten auf Streiks im gesamten Bundesstaat. White erklärte, die SEP habe die Arbeiter dazu angehalten, entschieden mit den Gewerkschaften zu brechen und Basiskomitees zu bilden, um die ganze Arbeiterklasse gegen die Parteien des Großkapitals und die Finanzelite zu mobilisieren, die das öffentliche Bildungswesen zerstören will.

Er erklärte, unter Lehrern herrsche weltweit großer Rückhalt für die egalitären Prinzipien, die das öffentliche Bildungswesen verkörpert. Der große amerikanische Revolutionär Thomas Jefferson habe das öffentliche Bildungswesen als das einzige Mittel bezeichnet, die Rückkehr der Tyrannei und Unterdrückung durch „Könige, Priester und Adelige“ zu verhindern. White ergänzte, die „heutigen Könige, Priester und Adligen, d.h. die kapitalistischen Milliardäre, wollen keine aufgeklärte Bevölkerung, sondern unwissende Sklaven, die sie ausbeuten und in den Krieg schicken können. Deshalb bleibt es der Arbeiterklasse überlassen, das Recht auf ein qualitativ hochwertiges öffentliches Bildungswesen zu verteidigen. Dies ist nur möglich durch einen Frontalangriff auf den Reichtum und die Macht der Kapitalistenklasse.“

Einer der Kommentare zu der Diskussion stammte von einer Universitätsdozentin, laut der die Versuche der UCU, den Streik um höhere Renten zu verraten, nicht nur Folgen für älteres Personal haben wird (die jeweils bis zu 200.000 Pfund verlieren könnten), sondern auch das Ende des Rechts auf eine angemessene Rente für die jüngere Generation bedeuten wird. Sie erklärte: „Das entspricht den Forderungen der Arbeitgeber nach ,flexiblen’ Renten, die sich an den Bedürfnissen der Universitäten orientieren. Sie bereiten sich auf eine stärkere Marktausrichtung und den Wettbewerb um Stundenten auf dem internationalen Markt vor.“

Im Bereich Erwachsenenbildung sei die Lage noch schlimmer. Die UCU hat eine Lohnerhöhung von nur einem Prozent durchgesetzt, die viele Hochschulen gar nicht eingeführt haben. „Jetzt bereitet sie einen weiteren Verrat vor und drängt ihre Mitglieder dazu, vor Ort Verhandlungen aufzunehmen, sodass es keine Flächentarife mehr gibt.“

Ein weiterer Dozent, der seit zwanzig Jahren in der höheren Bildung tätig ist, sprach über das Ausmaß der Prekarisierung im Bildungswesen. Er erklärte, er verdiene heute weniger als zu Beginn seiner Berufslaufbahn.

Ein besonders bewegender Beitrag einer Förderschullehrerin aus Südengland unterstrich Whites Erklärungen, die herrschende Elite habe die Finanzkrise von 2008 zum Anlass für einen weltweiten Angriff auf das Bildungswesen benutzt. Sie erklärte, die Folgen seien besonders für die anfälligsten Kinder katastrophal.

Auf der Veranstaltung wurde beschlossen, am Dienstag, den 10. April, ein weiteres Education Fightback Forum abzuhalten, um die Diskussion weiterzuführen und die Bildung von Basiskomitees vorzubereiten. Weitere Details folgen.

Education Fightback Forum

Dienstag, 10. April, 20:30 Uhr (MEZ)

Teilnahme über bit.ly/efb100418 ab Beginn der Veranstaltung oder telefonisch unter +44 330 221 0088 mit dem Zugangscode 274-739-237.

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