Staatsanwaltschaft will Puigdemont ausliefern

Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein hat für den ehemaligen katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont Auslieferungshaft beantragt. Sie hält das Auslieferungsersuchen der spanischen Regierung für zulässig und hat gleichzeitig erklärt, es bestehe Fluchtgefahr.

Eine „intensive Prüfung“ des von der spanischen Justiz erwirkten Europäischen Haftbefehls habe ergeben, dass ein zulässiges Auslieferungsersuchen vorliege, teilte die Behörde mit. Es sei mit einem „ordnungsgemäßen Auslieferungsverfahren“ zu rechnen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein argumentiert folgendermaßen: Der, von der spanischen Justiz erhobene Vorwurf der Rebellion gegen Puigdemont beinhalte „im Kern den Vorwurf der Durchführung des als verfassungswidrig eingestuften Referendums über eine Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien – trotz zu erwartender gewaltsamer Ausschreitungen“. Dieser Vorwurf der Rebellion finde eine vergleichbare Entsprechung im deutschen Strafrecht in den Paragrafen 81 und 82 des Strafgesetzbuchs (Hochverrat). Eine wortgleiche Übereinstimmung der deutschen und spanischen Vorschriften sei gesetzlich nicht gefordert.

Mit dieser Entscheidung stellt sich die Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein hinter die spanische Justiz und übernimmt die Argumentation der Regierung in Madrid. Nun muss das Oberlandesgericht (OLG) in Schleswig entscheiden, ob die Überstellung von Puigdemont nach Spanien zulässig ist. Das Gericht hat dafür 60 Tage Zeit. Es wird allerdings erwartet, dass die Entscheidung bereits in wenigen Tagen getroffen wird.

Folgt das Gericht der Argumentation der Staatsanwaltschaft und erklärt die Auslieferung für zulässig, liegt die politische Entscheidung in den Händen der Bundesregierung. Nur wenn Justizministerin Katarina Barley (SPD) zustimmt, darf Puigdemont an die spanische Justiz übergeben werden.

Vieles deutet darauf hin, dass die Entscheidung der Bundesregierung zur Auslieferung von Puigdemont bereits gefallen ist. Denn hätte die Bundesjustizministerin sich bereits jetzt dagegen ausgesprochen, entfiele der Haftgrund für Puigdemont. Dazu kommt, dass die Staatsanwalt weisungsgebunden ist. Man muss also davon ausgehen, das Generalstaatsanwalt Wolfgang Zepter in Schleswig seine Entscheidung nicht ohne Rücksprache mit der Landesjustizministerin Sabine Sütterlin-Waack getroffen hat, die ihrerseits als frühere CDU-Bundestagsabgeordnete sowohl mit Kanzlerin Angela Merkel und der SPD-Bundesjustizministerin Rücksprache genommen hat.

Liefert die Bundesregierung Puigdemont aufgrund der 69 Seiten langen Anklageschrift der spanischen Justiz aus, wäre das keine juristische Entscheidung, wie Justizministerin Barley und andere Regierungsvertreter unermüdlich betonen, sondern es wäre eine politische Entscheidung in Richtung Polizeistaat. Denn es würde einen Präzedenzfall für die Verfolgung jeder Form von Protest und Widerstand gegen die herrschenden Mächte schaffen.

Juristisch ist der Europäische Haftbefehl, mit dem die spanischen Behörden Puigdemont verfolgen, sehr schwach. Er sei unpräzise, unhaltbar und abenteuerlich, erklärte der deutsche Anwalt des früheren katalanischen Ministerpräsidenten, Wolfgang Schomburg, in der vergangen Woche.

Der Hauptvorwurf gegen Puigdemont und 24 weitere Angeklagte lautet auf Rebellion. Diese setzt auch nach spanischem Gesetz dringend eine gewaltsame Erhebung gegen die Staatsgewalt voraus. Eine solche lässt sich der separatistischen Führung um Puigdemont aber nicht nachweisen. Sie ist durch demokratische Wahlen an die Macht gelangt, hat den Einsatz von Gewalt stets abgelehnt und sich auf Massendemonstrationen und Parlamentsentscheidungen gestützt.

Nachdem es dem zuständigen spanischen Richter Pablo Llarena trotz monatelanger Ermittlungen nicht gelungen ist, Puigdemont und seinen Mitstreitern den aktiven Aufruf zu Gewalt nachzuweisen, wirft er ihnen vor, sie hätten für ihre Ziele die „Macht der Massen“ eingesetzt. Medienberichten zufolge, die offenbar Einblick in die Anklageschrift hatten, spricht Richter Llarena „von einem ‚kriminellen Plan‘ mit dem Ziel der katalanischen Unabhängigkeit“. Dazu habe gehört, „die Grundlagen für einen eigenen Staat zu schaffen und die Massen zu mobilisieren“ (FAZ).

Wenn die „Mobilisierung der Massen“ zum Straftatbestand erhoben wird und die Bundesregierung einen Europäischen Haftbefehl auf dieser Grundlage anerkennt und eine Auslieferung durchführt, ist das ein direkter Schritt zur Abschaffung der Demokratie und Errichtung eines europäischen Polizeistaats. Mit derselben Begründung können dann künftig Streiks, Massendemonstrationen und Proteste jeglicher Art illegalisiert und ihre Organisatoren juristisch verfolgt und kriminalisiert werden.

Das einzige „Verbrechen“, dessen sich Puigdemont schuldig gemacht hat, ist sein Eintreten für die Abtrennung Kataloniens von Spanien. Dasselbe Ziel – die Abspaltung ganzer Regionen und Staaten – haben die europäischen Mächte und die USA im Falle Jugoslawiens und der Sowjetunion mit rücksichtsloser Gewalt verfolgt. Im Gegensatz dazu haben sich die katalanischen Separatisten demokratischer und friedlicher Mittel bedient – Wahlen, Parlamentsbeschlüsse und Demonstrationen.

Der wahre Grund für das brutale juristische Vorgehen gegen Puigdemont besteht darin, Widerstand zu kriminalisieren. Jede Form von Opposition und Protest einzuschüchtern und im Keim zu unterdrücken.

Es ist kein Zufall, dass die Kriminalisierung von Widerstand und die Einführung von Polizeistaatsmaßnahmen in Europa mit der größten Streikbewegung in Frankreich gegen die Arbeitsmarktgesetze der Macron-Regierung und vermehrten Warnstreiks in Deutschland zusammenfällt. In Spanien ist die wirtschaftliche und soziale Krise besonders zugespitzt. In der vergangenen Woche streikten nicht nur Amazon-Arbeiter, auch Rentner organisierten Massendemonstrationen, um eine angemessene Rente und verbesserte Sozialleistungen zu erreichen.

Katalanische, baskische und spanischen Arbeiter sind gleichermaßen mit einer schockierenden sozialen Krise konfrontiert. Fast dreieinhalb Millionen Spanier sind arbeitslos. Dazu kommen Millionen, die nur eine befristete, schlecht bezahlte Arbeit haben. Oxfam Intercom stuft Spanien als Land ein, das innerhalb der EU seit 2007 die drittgrößte Zunahme an Ungleichheit zu verzeichnen hat. Dem Bericht zufolge besitzt das reichste Prozent der spanischen Bevölkerung ein Viertel des nationalen Reichtums. Das Vermögen der drei reichsten Spanier entspricht dem Vermögen der ärmsten 30 Prozent, d.h. von mehr als 14 Millionen Menschen.

Über 10 Millionen Menschen leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Das ist eine Armutsquote von 22,3 Prozent, die dritthöchste in der EU. 9 Millionen Familien leben von weniger als 684 Euro pro Monat, und mehr als eine Million leben von knapp 342 Euro. Fast 30 Prozent der armen Spanier leben in Unterkünften ohne Beleuchtung, mit undichten Wasserleitungen, Moder an den Wänden und den Böden und in einer schmutzigen Umgebung.

Unter diesen Bedingungen wächst der Widerstand gegen die verhasste Regierung von Mariano Rajoy, dessen Volkspartei (PP) direkt auf die Tradition der Franco-Diktatur zurückgeht, die Spanien von 1936 bis 1975 beherrschte. Wie damals arbeiten heute wieder in Europa wieder extrem rechte Regierungen daran, einen Polizeistaat zu errichten, der jede Form von Opposition brutal unterdrückt.

Angesichts der wachsenden sozialen und politischen Krise und der Ankündigung großer Klassenkämpfe schwenken Teile des Kleinbürgertums, die sich bisher als „liberal“ bezeichneten, nach rechts und rufen nach einem starken Staat. Typisch für diese Entwicklung ist ein offener Brief des Chefredakteurs von El País, José I. Torreblanca. Unter der Überschrift „Warum Deutschland Carles Puigdemont ausliefern sollte“, schreibt er, der ehemalige katalanische Ministerpräsident habe „ernste Straftaten“ begangen, die spanische Verfassung gebrochen, „unsere Demokratie verraten“ und den „sozialen Frieden gefährdet“.

Dann folgt eine Lobeshymne auf die Rajoy-Regierung, die zwar nicht perfekt, „aber das Beste seit 40 Jahren“ sei. Die Verfassung von 1978 garantiere allen Spaniern politische und soziale Rechte und habe „ein Leben in Frieden und Prosperität“ erlaubt. Dieser Friede werde nicht etwa durch die sozialen und politischen Angriffe der Regierung gestört, sondern durch die katalanischen Separatisten.

Der Angriff auf die Demokratie durch die Separatisten müsse abgewehrt werden. Die spanische Justiz möge nicht vollkommen sein, aber all ihre Institutionen unterstünden dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Deshalb müsse Carles Puigdemont von der deutschen Regierung ausgeliefert werden.

Ganz ähnlich argumentieren die Grünen. Jürgen Trittin, der dem „linken“ Flügel zugeordnet wird, erklärte, es gäbe „ein rechtsstaatliches Verfahren“, Spanien verfüge „über eine unabhängige und mutige Justiz“ und „wenn ein europäischer Haftbefehl“ vorliege, könne man „davor nicht einfach die Augen verschließen“, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung.

Die Linkspartei fürchtet, dass eine Auslieferung von Puigdemont heftige Auseinandersetzungen in Katalonien und auch hier in Deutschland auslösen könnte, und bietet sich als Vermittlerin an. Am Osterwochenende besuchten Parteifunktionäre der Linken Puigdemont im Gefängnis, und am Dienstag sagte Andrej Hunko, der europapolitische Sprecher der Linken im Dlf: „Ich glaube, es muss hier einfach an den Verhandlungstisch mit internationaler Vermittlung.“ Nur so könne verhindert werden, dass die Frustrationen, die eine Auslieferung schaffen würde, in Gewalt umschlage.

Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) haben die Verhaftung von Puigdemont von Anfang an verurteilt und seien Freilassung gefordert. Wir schrieben: „Das Vorgehen der deutschen Behörden gegen ihn ist eine Warnung. Der einzige Weg, den Aufbau eines Polizeistaats und die Rückkehr zu Krieg und Militarismus zu verhindern, ist die Entwicklung einer sozialistischen Bewegung, die die europäische und internationale Arbeiterklasse im Kampf gegen soziale Ungleichheit, Diktatur und Krieg vereint.“

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