Whistleblower Falciani auf Schweizer Antrag in Spanien verhaftet

Am Mittwoch wurde Hervé Falciani in Madrid verhaftet. Der Whistleblower muss befürchten, an die Schweizer Behörden ausgeliefert zu werden. Er wurde nach 24 Stunden am Donnerstag unter strengen Auflagen wieder freigelassen.

Falciani, ein früherer Informatiker bei der HSBC-Bank in Genf, hat den französischen, britischen und deutschen Steuerbehörden große Dienste erwiesen: Er hat ihnen die Daten von Tausenden Steuerbetrügern verschafft. Die Schweiz hat ihn 2015 hingegen wegen „Wirtschaftsspionage“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und fordert seine Auslieferung. Bisher hat sich Spanien immer geweigert, dem Antrag Folge zu leisten.

Dies könnte sich jetzt ändern. Als Falciani am Donnerstag wieder aus der Haft entlassen wurde, behielt das Gericht seinen Reisepass ein. Ein Richter ordnete strenge Auflagen an: Er darf das Land nicht verlassen und muss sich regelmäßig beim Gericht melden.

Das Vorgehen der spanischen Justiz gegen Falciani steht offenbar im Zusammenhang mit der Unterdrückung der katalanischen Seperatisten und der europaweiten Verfolgung des früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont. Wie vermutet wird, könnte Falciani als Pfand in einem Tauschhandel gegen zwei emigrierte katalanische Politikerinnen, Anna Gabriel und Marta Rovira, eingesetzt werden. Beide sind vor einigen Wochen in die Schweiz emigriert.

Falciani lebt seit fünf Jahren unbehelligt in Spanien. Wie The Guardian und andere Zeitungen berichten, hatte der italo-französische Programmierer bis 2008 bei der Genfer Tochter der britischen HSBC-Bank, der zweitgrößten Bank der Welt, als Informatiker gearbeitet.

Vor fast zehn Jahren verließ Falciani die Schweiz und zog Ende 2008 nach Frankreich um. Im Gepäck hatte er eine Liste von 130.000 Namen und Organisationen, von denen er aus seiner Tätigkeit bei der HSBC-Bank wusste, dass sie das Schweizer Bankgeheimnis nutzten, um Geldwäsche und Steuerhinterziehung zu betreiben. Sein Wissen stellte er den französischen, britischen und deutschen Behörden zur Verfügung, ein Vorgang, der als „Swiss-Leaks“-Affäre in die Bankengeschichte einging.

In der Schweiz wurde Falciani in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, weil er Bankdaten an europäische Steuerbehörden weitergereicht hatte. Im Juli 2012 wurde er in Barcelona verhaftet und monatelang inhaftiert.

Die spanische Justiz lehnte jedoch vor fünf Jahren das Auslieferungsgesuch an die Schweiz ab. Im Mai 2013 urteilte die spanische Staatsanwaltschaft, die Vorwürfe, die Falciani zur Last gelegt wurden, seien in Spanien überhaupt nicht strafbar. Im Gegenteil habe Falciani in voller Übereinstimmung mit den spanischen Gesetzen gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung gehandelt.

Die Unterlagen des Skandals wurden 2015 veröffentlicht und belegten, dass tausende Kunden der HSBC, darunter auch Staatsoberhäupter, Könige, Spitzensportler und prominente Stars Steuern hinterzogen und Geldwäsche betrieben hatten. Auch der spanische Staat profitierte von Falcianis Enthüllungen und konnte über 300 Millionen Euro an Steuergeldern zusätzlich eintreiben.

Am Mittwoch wurde der Whistleblower nun festgenommen, als er gerade auf dem Weg zu einer Versammlung an der Universität war. Unter der Überschrift „Wenn es heroisch ist, die Wahrheit zu sagen“, sollte er dort einen Vortrag über Steuerhinterziehung und Korruption halten.

Offensichtlich arbeitet die spanische Regierung darauf hin, nicht nur Puigdemonts, sondern auch anderer katalanischer Politiker habhaft zu werden. Am 23. April ist ein Besuch des spanischen Außenministers Alfonso Dastis in Bern angesetzt. Eine Auslieferung Falcianis an die Schweiz könnte als Teil eines Deals genutzt werden, um im Gegenzug die Auslieferung der zwei Katalaninnen Gabriel und Rovira zu veranlassen.

Anna Gabriel i Sabaté, Fraktionsführerin der CUP (Kandidatur der Volkseinheit) im Parlament von Barcelona, unterstützte letztes Jahr das Referendum vom 1. Oktober über die Unabhängigkeit Kataloniens. Als Gabriel Anfang dieses Jahres eine Vorladung vor das Oberste Gericht Spaniens erhielt, verließ sie das Land, um der Haft zu entgehen.

Auch Marta Rovira, Generalsekretärin der ERC (Republikanische Linke Kataloniens) emigrierte in die Schweiz, um nicht ins Gefängnis geworfen zu werden. Seit dem Referendum hat die spanische Justiz bereits eine Reihe von katalanischen Politikern inhaftiert.

Die Schweiz erneuerte am Donnerstag ihren Auslieferungsantrag an Spanien. Wie Folco Galli, Sprecher des Bundesamts für Justiz (BJ), erklärte, habe man erneut ein offizielles Gesuch auf schnellstmögliche Auslieferung des Whistleblowers übermittelt.

Einen Zusammenhang mit der Auslieferung der katalanischen Politikerinnen wies Galli zurück und sagte, es gebe „keinerlei Ermessensspielräume für irgendwelche Deals“. Allerdings weigerte sich der Sprecher, die Frage nach einem Auslieferungsgesuch Spaniens für Gabriel oder Rovira zu beantworten. Er begründete dies mit der Behauptung, internationale Fahndungen seien vertraulich und unterstünden dem Amtsgeheimnis.

Das Vorgehen gegen Falciani kommt mit dem Aufbau polizeistaatlicher Strukturen in ganz Europa zusammen. Um die Interesse der Banken durchzusetzen, arbeiten die europäischen Regierungen, einschließlich des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz, immer enger zusammen.

Loading