Nationalversammlung debattiert über Privatisierung der Eisenbahn:

Wachsende Streiks in Frankreich

Seit gestern streiken die Arbeiter von Air France für höhere Löhne. Die französischen Eisenbahner haben außerdem am Montag mit dem vierten Streiktag ihrer rotierenden Streiks gegen die Sparmaßnahmen von Präsident Emmanuel Macron begonnen. Gewerkschaftsfunktionäre und Studenten protestieren gegen Macrons Versuch, härtere Aufnahmeverfahren durchzusetzen, besetzen Universitäten und demonstrieren vor der Nationalversammlung. Dort begann am Dienstag eine zweiwöchige Debatte über die geplante Privatisierung der Französischen Eisenbahn (SNCF).

Der Eisenbahnerstreik wurde auch gestern fortgesetzt, und ein Viertel der Eisenbahner nahmen offiziell an dem Ausstand teil, darunter 75 Prozent der Lokführer und 71 Prozent des Bordpersonals. Es fuhr nur jeder fünfte Hochgeschwindigkeitszug (TGV), jeder dritte Regional- Express und jeder sechste Intercity-Zug. Die SNCF gab bekannt, dass der Streik das Unternehmen bereits 100 Millionen Euro an Einnahmen gekostet hat.

Protestierende Arbeiter nahe der Französischen Nationalversammlung

Die Zahl der offiziell als streikend registrierten Arbeiter ging am Montag zurück, es gab jedoch zahlreiche Anzeichen wachsender Militanz unter den Arbeitern und von Misstrauen gegenüber der Strategie der Gewerkschaften, bis zum Juni an zwei Tagen in der Woche rotierende Streiks durchzuführen. Im Juni soll die Nationalversammlung dem Eisenbahngesetz zustimmen.

Gewerkschaftsfunktionäre und Arbeiter am Nord- und am Saint-Lazare-Bahnhof in Paris haben dafür gestimmt, unbefristete Streiks zu genehmigen. Damit haben sie die Strategie der Gewerkschaftsführung faktisch zurückgewiesen, die befristete und rotierende Streiks befürwortet, während sie mit Macron weiterhin über die Kürzungen verhandelt. Das war ganz insbesondere eine Ansage für Philippe Martinez, den Führer der stalinistischen CGT, der am Montag im Radiosender Europe1 erklärte, dass er „keinen anhaltenden Arbeitskampf will“.

Während die Gewerkschaftsfunktionäre bezeichnenderweise berichten, dass die Arbeiter ihren Streiktreffen fern bleiben, erschienen eine Reihe von Arbeitern am Montag auf einem Treffen am Nordbahnhof zusammen mit protestierenden Studenten der Pariser Universität von den Standorten Tolbiac und Saint Denis. Ein Gewerkschaftsfunktionär erklärte gegenüber der Zeitung Libération: „Alle waren da.“ Er zitierte einen Eisenbahner, der auf dem Treffen erklärt hatte: „Sie spielen nur mit uns, wir müssen das jetzt voll durchziehen. Wir müssen Macron kleinkriegen.“

Ein CGT-Mitglied distanzierte sich am Nordbahnhof von der Politik der CGT: „Ich bin CGT-Mitglied, aber ich bin für einen unbefristeten Streik. So wie ich das sehe, müssen wir das jetzt durchziehen, wir können nicht einfach wochenlang so warten.“

Breite Schichten der französischen und europäischen Gesellschaft radikalisieren sich sehr schnell und bewegen sich auf eine Konfrontation mit der Regierung Macron und der Europäischen Union (EU) zu. Die größte Herausforderung, vor der die Arbeiter und Jugendlichen stehen, ist es, die Tragweite des Kampfs zu verstehen, der sich entwickelt, wenn sie Widerstand gegen die EU-Agenda von Militarismus und Krieg leisten. Es wird keine friedliche Verhandlungslösung geben, der die herrschende Elite kampflos zustimmt.

Der massive Ausbau der Polizei überall in Europa, die dauerhafte Aufnahme von Bestimmungen des Ausnahmezustands in Frankreichs Anti-Terror-Gesetze und die ständigen Drohungen der Nato gegen Syrien und Russland sind scharfe Warnungen, dass die herrschende Elite ein hartes Durchgreifen und eine militärische Eskalation erwägt. Angetrieben von der wachsenden militärischen und wirtschaftlichen Krise des Weltkapitalismus ist sie entschlossen, die Angriffe mit Gewalt durchzusetzen und die Klassenbeziehungen in Europa nach autoritären Maßstäben neu zu strukturieren, damit der französische Imperialismus angesichts der Kriegsentwicklung konkurrenzfähig bleibt und beim Kampf um Profite international mitmischen kann.

Die Arbeiter, die den Kampf gegen die EU und Macron aufnehmen, werden gezwungen sein, für den Sturz der Macron-Regierung zu kämpfen und die Arbeiter in ganz Frankreich und Europa in einem Kampf um die Staatsmacht zu mobilisieren.

WSWS-Reporter nahmen an der Kundgebung teil, die von der CGT und der Gewerkschaft SUD (Solidarität, Einheit, Demokratie) in der Nähe der Nationalversammlung organisiert worden war, während die Parlamentarier mit der Debatte über die Privatisierung der Eisenbahn begannen. Obwohl die Kundgebung von Gewerkschaftsfunktionären und Abgeordneten mit engen Verbindungen zur Gewerkschaftsbürokratie beherrscht wurde, sprachen einige Arbeiter und Jugendliche mit der WSWS über ihre wachsende Opposition gegen Austerität und Krieg.

Benjamin äußerte gegenüber der WSWS: „Ich arbeite bei der Post; was sie jetzt mit der SNCF machen, ist das, was sie mit uns bei der Post gemacht haben und sogar noch übler mit meinen Freunden bei der Orange/France Telecom. Das bedeutet, immer prekärere Bedingungen einzuführen, mehr Wettbewerb bedeutet, die Arbeitsbedingungen systematisch zu verschlechtern, die Löhne einzufrieren; außerdem Jobs, bei denen man neben Zeitarbeitern arbeitet, die überhaupt nicht zu denselben Bedingungen arbeiten.“

Benjamin erklärte: „Die Regierungsvertreter erzählen uns die ganze Zeit, es gebe kein Geld für Krankenhäuser, für Schulen, für irgendwelche öffentliche Dienstleistungen. Aber dann finden sie immer das Geld, um Rafale-Kampfjets zu kaufen. Natürlich lehne ich das ab.“

Benjamin erklärte, er sei gegen soziale Angriffe auf die Arbeiter, die dann benutzt werden, um die Kriege im Irak und Syrien zu finanzieren, die auf Lügen basieren: „Sie haben das schon mit Saddam Hussein und den Massenvernichtungswaffen gemacht. Ich bin jetzt kein großer Spezialist in syrischer Politik, aber ich denke, es sind dieselben Leute, die unbedingt alle diese Länder bombardieren wollen und die hier in Frankreich die Arbeiter niederschlagen und Elend verbreiten wollen.“

Die WSWS sprach auch mit zwei Studenten der Universität Paris-Tolbiac. Sie erklärten, dass sie aus Solidarität mit den Eisenbahnern zur Kundgebung gekommen seien. „Wir wollen bei ihnen sein, und vor allem organisieren wir am Samstag eine Party für die Eisenbahner auf dem Campus von Tolbiac, um Unterstützung für ihre Streikkasse zu leisten. Wir denken, die Eisenbahner werden genau in dem Moment angegriffen, in dem wir mit dem Studenten-Plan angegriffen werden. Wir wollen eine stärkere Bewegung dagegen aufbauen.“

Sie erklärten, die Angriffe von Macron hätten umfassende Auswirkungen auf die Studenten: „Wir wissen, wenn die Privatisierung kommt, dann wird es Entlassungen geben, es wird die Arbeitsplätze und die Löhne treffen. Wir werden bald auf dem Arbeitsmarkt sein, sehr bald sogar, und wir wollen nicht, dass unsere sozialen Rechte abgebaut werden, wir wollen nicht das Recht auf eine Rente verlieren [...] Wir wissen, wenn sie mit dem Angriff auf die Eisenbahner durchkommen, dann wird als nächstes der öffentliche Dienst dran sein, und letztlich wird das allen möglichen Angriffen Tür und Tor öffnen.“

Sie ließen auch ihr Misstrauen gegenüber den Gewerkschaften erkennen: „Die Gewerkschaftsverbände, SUD-Rail, sie alle rufen nur zu rotierenden Streiks für zwei Tage in der Woche auf. Das ist nicht genug, um die Regierung zum Nachgeben zu zwingen. Macron will die sozialen Rechte der Eisenbahner vernichten, und die Gewerkschaftsverbände haben keinen Plan, der dieser Aufgabe gewachsen wäre.“

Die Manöver in der Nationalversammlung am Montag während der ersten Diskussion über Macrons Privatisierungspläne widerspiegelten die Versuche des politischen Establishments, das Gesetz durchzusetzen. Gleichzeitig wird versucht, den wachsenden Widerstand gegen Macrons Agenda anzuerkennen und zynisch zu manipulieren.

Nach den einleitenden Bemerkungen der Transportministerin Elisabeth Borne, mit denen sie das Gesetz vor dem fast leeren Plenarsaal der Nationalversammlung lobte, machte Olivier Faure von der Sozialistischen Partei (PS) einige zynische Bemerkungen. Faure hatte die Arbeitsgesetzgebung eingeführt, auf deren Grundlage Macron die SNCF angreift. Er erklärte, die PS habe „Differenzen“ mit dem vorgeschlagenen Gesetz, und warnte, Macron werde auf „die Feindschaft der Eisenbahner“, der „Pendler und von ganz Frankreich treffen“.

Auch die rechte Partei Die Republikaner (LR) gab zu verstehen, dass sie sich entscheiden werde, ob sie sich bezüglich der Privatisierungsmaßnahmen der Stimme enthält oder mit „Nein“ stimmt – nicht weil sie mit dem Angriff auf die Eisenbahner nicht einverstanden wäre, sondern weil sie meint, dass Macron dazu auf Dekrete zurückgreift, was das Gesetz in Verruf bringen würde. Ein LR-Abgeordneter erklärte gegenüber der Zeitung Le Parisien: „Warum sollte man die Arbeitsrechtsdekrete anwenden? Macron könnte genauso gut sein Vertrauen in die Nationalversammlung und den Senat setzen.“

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