Streikende im öffentlichen Dienst befürchten Ausverkauf

Am Warnstreik vom gestrigen Mittwoch in Darmstadt war die Unzufriedenheit mit Händen zu greifen. Neben mehreren tausend Kita-Erzieherinnen, Krankenschwestern, Müllwerkern und Beschäftigten im sozialen Dienst demonstrierten auch Tausende Telekom-Mitarbeiter.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nutzt die Aktionen dieser Woche, um „Dampf abzulassen“. Nach Möglichkeit soll schon am Wochenende, bei der dritten Verhandlungsrunde, ein Abschluss unterzeichnet werden. Was die Arbeiter betrifft, so empfinden sie nicht nur das bisherige Lohnangebot der öffentlichen Arbeitgeber als Provokation – das Angebot sieht gerade einmal 3,3 Prozent für zwei Jahre und keinen Sockelbetrag für Niedriglöhner vor. Viele fordern eine wirkliche Veränderung.

Im öffentlichen Dienst arbeiten weite Bereiche unter unerträglichen Bedingungen und für einen Sklavenlohn. Mit Interesse nahmen die Streikenden die WSWS-Flyer über den Arbeitskampf der Eisenbahner in Frankreich und über die Lehrerstreiks in den USA mit, um sich zu informieren. „Darüber hört man überhaupt nichts. Es ist richtig, dass sie sich wehren!“ sagten junge Pflegekräfte aus dem Odenwald. „Wir hoffen, dass sich hier auch endlich was ändert. Wie es momentan läuft, kann es nicht weitergehen.“

Azubis und junge Arbeiter prägten das Bild in Darmstadt

Azubis und junge Arbeiter prägten in weiten Teilen das Bild. Eine Gruppe von ihnen hatte ein selbstgemaltes Transparent mitgebracht mit der Aufschrift: „Geld her für Flüchtlingshilfe, Krankenhäuser, Ausbildung und soziale Arbeit!“ Immer wieder äußerten sich Teilnehmer beunruhigt und zornig über die Rechtswende in der Politik und über den jahrelangen Ausverkauf der Gewerkschaften.

So hatten zum Beispiel viele Erzieherinnen und Kita-Beschäftigte schon den Streik vor drei Jahren mitgemacht. „Ich hoffe wirklich, dass es nicht wieder so läuft wie vor drei Jahren“, sagte Katharina, eine Erzieherin aus Darmstadt. „Wir haben damals alle gestreikt, aber unser Streik wurde abgewürgt. Was kam dabei raus? Ein paar Euro mehr – die waren schnell wieder weg. Wir fanden das alle nicht gut.“

Joshua

Joshua, der im Pflegebereich in Südhessen arbeitet, sagte: „Die Bundesregierung gibt zurzeit ganz schön viel Geld für die Rüstung aus. Und uns sagen sie, wir haben kein Geld für den sozialen Bereich, für die Kitas etc. Das ist eine Lüge: Das Geld ist da, man muss es nur anders verteilen. Auch wie sie mit den Flüchtlingen umgehen, dass sie sie gar nicht mehr nach Europa reinlassen, das ist eine Schweinerei, das dürfte es alles gar nicht geben.“

Er war als Teil einer ganzen Gruppe aus dem Gesundheitszentrum Odenwaldkreis in Erbach angereist. „Bei uns bekommen zum Beispiel die medizinischen und labortechnischen Angestellten und die Ergotherapeuten in der Ausbildung überhaupt kein Geld“, berichtet Joshua. „Sie müssen alles komplett aus eigener Tasche bezahlen. Für manche, die keine reichen Eltern haben, ist es ganz schön hart.“

Niklas

Seine Kollegen ergänzen, dass gerade im Pflegebereich viele Arbeiter völlig unterbezahlt seien. Die zusätzlichen 8000 Pflegekräfte, die die Große Koalition versprochen hat, fänden sie „absolut nicht ausreichend“. „Wir kämpfen um etwas ganz anderes“, sagt eine junge Kollegin.

Niklas berichtet: „Momentan ist es für die Patienten ganz schlimm. Da herrscht eine derartige Hektik, dass Fehler passieren könnten, das ist vollkommen unsinnig.“ Er sei mit nach Darmstadt gekommen, sagt Niklas, weil er die Hoffnung habe, „dass sich endlich richtig was ändert, nicht nur für uns, sondern generell für die Pflege“.

Ganze Arbeiterkontingente waren auch von den Stadtwerken, der Müllabfuhr und aus den Verwaltungsstellen anwesend. Wer mit den Streikenden sprach, konnte die große Unzufriedenheit mit den Zuständen spüren, die weit über die unmittelbare Tarifforderung von Verdi hinausgeht.

Kita-Personal, Darmstadt. Marcel (links), Claudia (Mitte)

Marcel und Claudia gehören zum Kita-Personal der Stadt Darmstadt. Sie gehen, wie sie sagten, realistischerweise nicht davon aus, dass die Forderungen eins zu eins durchgesetzt werden. Dabei „wäre es wirklich an der Zeit, unsern Beruf aufzuwerten!“ sagt Claudia. „Die Eltern vertrauen uns ihr Liebstes an, ihre Kinder. Wir arbeiten am lebenden Menschen, wir legen den Grundstock für das ganze Leben der Kinder.“ Marcel ergänzt: „Ehe ein Staat aufrüstet und 70 Milliarden in seine Bundeswehr steckt, sollte er 70 Milliarden in die Kindererziehung stecken. Es sind die Kinder, die unsre Zukunft bestimmen.“

Anton (50), ein Müllwerker aus Rüsselsheim, erklärte kategorisch: „Das jetzige Angebot werden wir nicht akzeptieren.“ Er war mit zehn Bussen aus Rüsselsheim nach Darmstadt gekommen, alle vom öffentlichen Dienst. „Unsere Bedingungen werden immer schlechter. Das geht immer weiter runter“, berichtete Anton. „Wer neu dazu kommt, muss mit schlechteren Konditionen anfangen. Man spielt uns gegeneinander aus. Das ist nicht in Ordnung – aber wo soll man mit 55 Jahren noch eine andere Arbeit finden?“

Manuela, die in Darmstadt in der Jugend- und Berufshilfe arbeitet, sprach das Thema Altersarmut an: „Oft sind es Frauen, die im Pflegebereich und in der Erziehung arbeiten. Und wenn sie in Rente kommen, fallen sie komplett in die Altersarmut. Viele haben ein Leben lang gearbeitet und sind als Rentner doch auf die Tafeln angewiesen.“

Über Politik wolle sie gar nicht erst reden: „Mein Prass ist zu groß. Wo soll ich da anfangen?“ Sie sei vor allem aus Solidarität mitgekommen: „Die Kluft zwischen Arm und Reich wird mittlerweile enorm. Auch der Mittelstand kämpft. Wenn man es damit vergleicht, was der öffentliche Dienst früher war, sieht man, wie stark das alles heruntergewirtschaftet wurde.“

Mehrere ältere Beschäftigte der Telekom aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland, die zwei Tage lang streikten, sahen die Tarifrunde eher skeptisch. „Ob der Warnstreik ein Erfolg wird, das muss sich erst noch zeigen“, sagte Frank, ein etwa 40jähriger Telekomarbeiter.

Udo, Deutsche Telekom

Udo, der bei der Deutschen Telekom arbeitet,sagte, er erwarte „einen vernünftigen Abschluss über vier Prozent für zwölf Monate. Ein Abschluss darunter wäre für uns untragbar“. Es könne nicht sein, fährt er fort, „dass die Gewinne, die dieser Konzern auf dem Rücken der Mitarbeiter einfährt, nur dem Vorstand zugutekommen“.

Mit großem Interesse hörte Udo von den Streiks in Frankreich, Großbritannien und den USA. Es sei „richtig, sich gegen die globalen Konzerne weltweit zu organisieren“, kommentierte er. „Die Telekom ist mittlerweile ein weltweiter ‚Carrier‘, deshalb müssen wir uns nicht nur national, sondern auch international zusammenschließen und uns mit Kollegen in den Staaten und auf der ganzen Welt, überall wo die Arbeiter unterdrückt werden, gemeinsam organisieren.“

Udo rechnete durchaus damit, dass Verdi am Ende nicht abschließt, was die Kollegen gefordert haben. „Es wäre nicht das erste Mal.“ Dann könnte es sein, dass viele austreten. Er sah einen Zusammenhang mit der Zerschlagung der Telekom in viele Einzelbereiche. „Die Struktur der Telekom hat sich völlig verändert, die alten Strukturen sind zerschlagen worden.“ Systematisch sei Personal abgebaut worden. „Bei Engpässen werden, genau wie in der Autoindustrie, wie bei Opel-Peugeot, auch bei der Telekom heute Fremdfirmen angeheuert, bei denen die Kollegen zu schlechteren Konditionen arbeiten.“

Ein anderer Telekom-Mitarbeiter erklärte, man müsse „eigentlich die Heugabeln rausholen und nach Berlin marschieren. Dort sitzen korrupte und asoziale Politiker an der Macht, die ausschließlich in die eigene Tasche wirtschaften.“

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