Nach neuen Raketenangriffen auf Syrien

Israel verurteilt das Atomabkommen mit dem Iran

Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu hielt am Montag eine aggressive Rede gegen den Iran. Er warf darin der iranische Regierung mehrfach vor, während und nach den Verhandlungen zum Atomabkommen von 2015, dem so genannten Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), gelogen zu haben.

Netanyahus Rede folgte auf Raketenangriffe am Sonntagabend gegen zwei Militärbasen in Syrien, bei denen Berichten zufolge 18 iranische Militärberater und weitere Menschen getötet wurden.

Insgesamt deuten die Entwicklungen auf eine zunehmende Kriegsgefahr im Nahen Osten. Die israelische Regierung versucht dabei gemeinsam mit Teilen der US-Regierung, eine direkte militärische Konfrontation zwischen Washington und Teheran zu provozieren.

Netanyahu hielt seine Rede zuerst auf Englisch und erst dann auf Hebräisch. Er signalisierte damit, dass er sich nicht zuerst an die Bevölkerung Israels, sondern an Washington wandte. Die theatralische Fernsehansprache wurde begleitet von einer Präsentation, in der es heißt: „Der Iran hat gelogen.“

Zweifellos wurde die Rede im Vorfeld mit der Trump-Regierung abgestimmt. Netanyahu hatte sich am Sonntag mit dem neuen US-Außenminister Mike Pompeo im israelischen Militärhauptquartier in Tel Aviv getroffen. Zudem führte er ein Telefongespräch mit Trump, bevor er am Montag vor die Kameras trat. Im Mittelpunkt beider Gespräche stand der Iran.

Pompeo reiste von einem NATO-Außenministertreffen in Brüssel über die Zwischenstation Saudi-Arabien nach Israel. An allen drei Orten konzentrierte er sich darauf, den Iran zu verurteilen und dem Land zu drohen.

„Ich bin sicher, er [US-Präsident Trump] wird das Richtige für die Vereinigten Staaten, für Israel und für den Frieden der Welt tun“, sagte Netanyahu in seiner Rede am Montag.

Der Ton und die Atmosphäre von Netanyahus Auftritt erinnern an seinen lächerlichen Auftritt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2012. Damals zeigte er die Karikatur einer Bombe mit brennender Zündschnur, um falsche Behauptungen über die angeblich bevorstehende Entwicklung von Atomsprengköpfen im Iran zu illustrieren.

Zusätzlich zum Bild präsentierte er eine Reihe Aktenordner und einen Behälter, der angeblich mit Datenträgern gefüllt war. All dies seien „belastende“ Dokumente, behauptete der Premierminister, die angeblich von israelischen Geheimdiensten zusammengetragen wurden. Sie lieferten, so Netanyahu, „neue und schlüssige“ Beweise, dass der Iran in Bezug auf sein Atomprogramm die Welt hinters Licht führe. In Wirklichkeit hat Netanyahu keinen einzigen Beweis geliefert.

„Der Junge, der immer ruft ,Der Wolf ist da!‘, hat mal wieder zugeschlagen“, kommentierte der iranische Außenminister Javad Zarif in einem Tweet die Rede von Netanyahu.

Auf einer Pressekonferenz im Rosengarten des Weißen Hauses sagte Trump kurz nach Netanyahus Rede, er läge zu „100 Prozent richtig“ in Bezug auf das iranische Atomabkommen.

„Wir werden sehen, was passiert, ich sage Ihnen nicht, was ich tue“, fügte er hinzu. Er bestätigte, dass „wir eine Entscheidung treffen werden“, entweder am 12. Mai oder noch früher. An diesem Tag endet die Frist für das Weiße Haus, um den Verzicht auf einseitige US-Sanktionen gegen den Iran zu verlängern. Diese waren als Teil des Atomabkommens ausgesetzt worden.

Trump wiederholte seine Behauptung, die USA hätten dem Iran „150 Milliarden Dollar und 1,8 Milliarden Dollar in bar gegeben... und wir haben nichts zurück bekommen“. Die 150 Milliarden Dollar sind eine Erfindung der politischen Rechten in den USA. Sie bezeichnen damit angebliche iranische Vermögenswerte in Übersee, die im Rahmen des Atomdeals nicht eingefroren wurden. Seriöse Schätzungen gehen vielmehr von 25 bis 50 Milliarden Dollar aus. Die 1,8 Milliarden Dollar sind etwas mehr als der Betrag, den die USA für ein geplatztes Waffengeschäft an den Iran zurückzahlen mussten.

In der Fixierung des amerikanischen Präsidenten auf Geld, das an den Iran ging, spiegelt sich eine größere Sorge innerhalb der amerikanischen Oligarchie: Die geplante Öffnung des iranischen Marktes könnte den Interessen der Eliten in Europa, China und Russland zugute kommen, aber nicht US-Banken und Unternehmen.

Die vielen Kontakte zwischen Washington und Tel Aviv seit dem Wochenende deuten an, dass die jüngsten Besuche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der US-Hauptstadt nicht erfolgreich waren. Den europäischen Vertretern gelang es nicht, Trump davon zu überzeugen, den US-Sanktionsverzicht zu erneuern und den Zusammenbruch des iranischen Atomdeals zu verhindern. Im Ergebnis erhöht sich die Kriegsgefahr in der gesamten Region Nahost.

Die britische Premierministerin Theresa May gab eine Erklärung ab, nach der sie und ihre französischen und deutschen Amtskollegen ihre Unterstützung für den Deal am Sonntag in getrennten Telefonaten bekräftigt hatten. Auf russischer Seite wurde ein ähnliches Gespräch zwischen Macron und Präsident Wladimir Putin bestätigt.

Die europäischen Mächte blicken beklommen auf die Entschlossenheit der Trump-Administration, das Atomabkommen zu zerreißen und einen Weg der militärischen Konfrontation mit dem Iran zu beschreiten. Dies rührt nicht nur aus dem absehbaren Verlust potenziell lukrativer Handels- und Investitionsabkommen, von denen seit der Unterzeichnung des Abkommens im Jahr 2015 nur wenige tatsächlich abgeschlossen wurden. Mit Sorge sieht Europa auch, dass man selbst die Folgen eines solchen Krieg zu spüren bekommt, in Hinblick auf die regionale Destabilisierung und einen neuen Exodus von Flüchtlingen.

Die Ereignisse in Syrien eskalieren täglich, und die Wahrscheinlichkeit eines neuen und noch katastrophaleren Krieges im Nahen Osten steigt.

Mindestens zwei Dutzend Menschen wurden am Sonntagabend durch israelische Raketenangriffe auf zwei syrische Militärbasen in der Nähe der Städte Hama und Aleppo getötet. Berichten zufolge waren zwischen 11 und 18 iranische Militärberater unter den Toten. Der Iran hat Militärpersonal nach Syrien geschickt, um die Regierung von Präsident Baschar al-Assad gegen islamistische Milizen zu unterstützen. Letztere werden von der CIA und Washingtons europäischen und regionalen Verbündeten im Krieg für einen Regimewechsel bewaffnet und finanziert.

Die massiven Militärschläge waren offenbar auf Lagerbestände von Oberflächenraketen und anderen Waffen mit Bunkerbomben gerichtet. Sie verursachten Explosionen, die als Erdbeben der Stärke 2,6 bei Hama registriert wurden.

Israel äußerte sich wie üblich nicht zu den Angriffen, während Syrien die Militärschläge zunächst den USA und Frankreich anlastete. Beide Länder hatten zusammen mit Großbritannien am 14. April Marschflugkörper gegen Syrien abgefeuert. Vorwand war ein angeblicher syrischer Chemiewaffenangriffs, der seitdem als Fälschung entlarvt wurde. Iranische Vertreter hatten zunächst bestätigt, dass eigenes Militärpersonal bei dem Angriff getötet wurde. Später aber bestritt Teheran eben dies.

In der Zurückhaltung von Damaskus und Teheran zeigt sich Angst, dass die Ereignisse die Region in einen neuen großen Krieg stürzen. Der Iran hatte bereits Vergeltung für einen israelischen Schlag im letzten Monat gegen einen syrischen Luftstützpunkt angekündigt, bei dem iranisches Militärpersonal getötet wurde.

In Tel Aviv ist eine Zurückhaltung nicht zu beobachten. Die israelischen Raketen schlugen ein, nachdem Verteidigungsminister Avigdor Liberman kurz zuvor auf der Jahreskonferenz der Jerusalem Post in New York City eine Rede gehalten hatte. Er sagte dabei, Tel Aviv werde „die Operationsfreiheit in ganz Syrien aufrechterhalten“ und jede iranische Militärpräsenz dort um jeden Preis ablehnen.

Die israelische Knesset verabschiedete am Montag ein Gesetz, das es dem Premierminister erlaubt, mit Zustimmung des Verteidigungsministers in „Extremsituationen“ den Krieg zu erklären.

Die USA ihrerseits weiten ihre eigene Intervention in Syrien aus. Am Sonntag wurde von amerikanischen Luftschlägen gegen syrische Regierungstruppen berichtet, die ihre Kontrolle von der Provinz Deir Ezzor auf die benachbarten Öl- und Gasfelder auszudehnen versuchen.

Trump hatte zwar versprochen, US-Truppen „nach Hause“ zu bringen. Doch das Pentagon hat die mehr als 2.000 amerikanischen Spezialeinheiten, die in Syrien stationiert sind, noch verstärkt. Zusammen mit Stellvertretertruppen, die vor allem aus der syrisch-kurdischen YPG-Miliz bestehen, bauen die US-Einheiten eine Art US-Protektorat auf, das etwa ein Drittel des syrischen Territoriums einschließlich der wichtigsten Energiereserven des Landes umfasst.

Die US-Angriffe auf syrische Regierungstruppen, die von Russland unterstützt werden, und die Drohungen Israels, Vergeltungsmaßnahmen gegen den Einsatz russischer S-300-Luftverteidigungssysteme zu ergreifen, die Moskau Damaskus zugesagt hat, birgt noch eine größere Gefahr: Der syrische Konflikt könnte sich ausweiten zu einem katastrophalen Krieg unter den größten Atommächten der Welt.

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