Perspektive

Ken Livingstone aus der britischen Labour Party gedrängt

Der ehemalige Abgeordnete und Bürgermeister von London, Ken Livingstone, hat die Labour Party nach fünfzig Jahren Mitgliedschaft verlassen.

Sein Rücktritt ist das Ergebnis einer Verleumdungskampagne, die von den Blair-Anhängern innerhalb der Labour Party und verschiedenen zionistischen Gruppen geführt wurde. Sie betreiben seit zwei Jahren eine Hexenjagd, in der sie behaupten, dass die Labour Party und die gesamte „Linke“ von Antisemitismus durchsetzt seien. Diese Kampagne verfolgt zwei Ziele:

 Mit umfangreicher Finanzierung und Unterstützung der israelischen Regierung von Benjamin Netanjahu versucht sie, die Kritik an Israels brutalem Vorgehen gegen die Palästinenser durch die verleumderische Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus zum Schweigen zu bringen – und damit meist linke Politik als rassistisch und reaktionär zu brandmarken.

 Sie benutzen den Vorwurf des Antisemitismus als Hebel, um die Labour Party weiter nach rechts zu drängen und im Idealfall Jeremy Corbyn und seine Anhänger aus der Führung zu entfernen.

Die World Socialist Web Site hat grundlegende Differenzen mit Livingstone und seiner pro-Labour und pro-kapitalistischen Perspektive. Aber ihn des Antisemitismus zu bezichtigen, ist eine schmutzige Verleumdung.

Die Ideologie des Antisemitismus ist historisch mit der faschistischen und extremen Rechten verbunden, die den Hass auf die Juden schürte, um Teile der ruinierten Mittelschicht gegen die Arbeiterklasse und die sozialistische Bewegung zu mobilisieren.

In den letzten dreißig Jahren wurde der Begriff verwendet, um die politische Opposition gegen den Zionismus und den Staat Israel zum Schweigen zu bringen, was nichts mit Rasse, Religion oder Ethnizität zu tun hat. Schließlich gibt es unter den rechten Verteidigern Israels, die vom Konflikt mit den muslimischen Völkern und der proimperialistischen Politik angezogen werden, prominente Persönlichkeiten, die tollwütige Antisemiten sind.

Warum es für die rechte Kampagne politisch notwendig ist, jedem Antizionismus die Legitimation abzusprechen, offenbarte sich auf blutige Weise im Gaza-Massaker am 14. Mai, bei dem 62 Palästinenser getötet wurden. Die Heuchelei der Regierung zeigte sich darin, dass Netanjahu noch am selben Tag den 70. Jahrestag Israels gemeinsam mit rechtsextremen Politikern und christlich-fundamentalistischen Predigern feierte, die auf die endgültige Zerstörung des jüdischen Volkes als Vorbote der Wiederkunft Christi auf Erden hoffen.

Der renommierte Nahost-Analyst Jonathan Cook veröffentlichte diese Woche einen Artikel, in dem er die Entstehung der Vorwürfe eines „neuen Antisemitismus“ innerhalb der europäischen Linken untersucht und diese direkt mit der Kriegspolitik im Nahen Osten in Verbindung bringt. Er verweist auf einen Artikel, den Daniel Goldhagen 2003, als der Irakkrieg begann, für die amerikanisch-jüdische Wochenzeitung Forward geschrieben hatte. Darin behauptete Goldhagen, es gebe einen „globalisierten Antisemitismus“, der „in seinem Fokus auf Israel im Zentrum der heute konfliktreichsten Region der Welt und auf die Vereinigten Staaten als allgegenwärtige Macht der Welt voll und ganz international“ sei.

Diese These wurde von einer Gruppe britisch-jüdischer Intellektueller in dem Buch „Ein neuer Antisemitismus? Eine Debatte über Judenfeindlichkeit im Großbritannien des 21. Jahrhunderts“ aufgegriffen. Zu den Autoren gehören der Chefredakteur des Guardian, Jonathan Freedland, die Kolumnistin der Daily Mail, Melanie Phillips, ehemals Guardian, und der damalige britische Oberrabbiner, Jonathan Sacks, die alle eine führende Rolle dabei spielten, den Corbyn-Anhängern der Labour-„Linken“ Antisemitismus vorzuwerfen.

Cook schreibt: „Das Buch zum neuen Antisemitismus wurde schnell aktualisiert, nachdem Corbyn Labour-Chef geworden war.“ Denn er war „der erste Vorsitzende einer großen modernen europäischen Partei, der das Leiden der Palästinenser über das Recht Israels auf die Kolonisierung des Heimatlandes der Palästinenser stellte“.

Aus der Sicht der Rechten ist die Vertreibung von Livingstone aus der Labour-Partei ein wichtiges Ziel, da er im Licht der Öffentlichkeit steht. Sein Rücktritt wird spürbare Auswirkungen haben.

Livingstones Entscheidung ist ein unverzeihlicher Rückzug vor dieser Hexenjagd. Aber die treibende Kraft hinter seinem Rücktritt scheinen Corbyn und seine Berater gewesen zu sein. Corbyn hat Livingstone nicht ein einziges Mal verteidigt, seit dieser vor zwei Jahren suspendiert wurde, und viele von Corbyns Verbündeten, einschließlich der Abgeordneten Shami Chakrabarti, der ehemaligen Leiterin der Bürger- und Menschenrechtsorganisation Liberty, hatten die Forderung nach einem Parteiausschluss unterstützt.

Corbyn scheint einen solchen Schritt vermieden zu haben, indem er an Livingstones Loyalität appellierte und ihn dazu drängte, sich selbst ans Messer zu liefern. In einer Erklärung sagte Livingstone: „Die anhaltenden Probleme um meine Suspendierung von der Labour-Partei haben dazu geführt, von der wichtigsten politischen Frage unserer Zeit abzulenken. [...] Wir brauchen dringend ein Ende der Tory-Herrschaft und eine von Corbyn geführte Regierung, um Großbritannien zu transformieren und die Austeritätspolitik zu beenden. Ich werde weiter daran arbeiten.“

Corbyn unterstützte Livingstones Entscheidung und meinte, er habe „das Richtige“ getan. Warum machte er dieses Statement?

Der einzige Sinn und Zweck, einen solchen Schritt als „das Richtige“ zu bezeichnen, ist die Beschwichtigung der Labour-Rechten in der Hoffnung auf einen Kompromiss, der die Einheit der Partei erhalten soll. Hätte Corbyn Widerstand gegen die Hexenjagd gegen seinen langjährigen Verbündeten mobilisiert, hätte dies eine starke Resonanz unter seinen Hunderttausenden Unterstützern in der Parteibasis gefunden. Stattdessen ist Livingstone im Einvernehmen mit Corbyn leise gegangen.

Corbyn verfolgt entschlossen sein strategisches Ziel eines Kompromisses und ist bereit, dafür jedes politische Prinzip und sogar seine treuesten Verbündeten zu opfern. Dass er Livingstone den Wölfen zum Fraß vorwirft, ist hier nur das jüngste Beispiel. Vor weniger als einem Monat hatte Corbyn erneut auf Duldung gedrängt, als der langjährige Labour-Abgeordnete und Anti-Rassismus-Aktivist Marc Wadsworth aus der Partei ausgeschlossen wurde, nachdem er die führende zionistische Abgeordnete Ruth Smeeth beschuldigt hatte, bei einem rechtsgerichteten Medienangriff mitgewirkt zu haben.

Ein echter Kampf gegen die Rechte der Labour Party und ihre zionistischen und konservativen Verbündeten kann nicht unter der Führung von Corbyn und dem Rest der parlamentarischen „Linken“ geführt werden, die ihre Karriere in der pro-kapitalistischen und pro-imperialistischen Parteibürokratie gemacht haben.

Weit davon entfernt, nach der „Opferung“ Livingstones besänftigt zu sein, hat der rechte Parteiflügel jetzt Blut geleckt. Livingstones Rücktritt wird den Startschuss für eine Jagd auf alle Linken geben, die Israel kritisieren, während die Rechte die Zügel der Partei weiter anzieht.

Die Labour-Abgeordnete Luciana Berger, eine der führenden Inquisitoren in der Antisemitismus-Kampagne, begrüßte den Rücktritt, machte aber deutlich, dass sie noch mehr rollende Köpfe sehen wolle: „Es gibt eine Reihe ausstehender hochrangiger Fälle, die die Partei bearbeiten muss und auf die wir noch warten.“

Darüber hinaus wird der Einfluss der pro-zionistischen Rechten, die in diesem Fall einen Sieg verzeichnen konnten, international spürbar sein. Die Hexenjagd und Ausschlüsse innerhalb der Labour Party werden von rechten Kräften in der ganzen Welt – vor allem in Israel und den Vereinigten Staaten – als Beweis für den angeblich grassierenden Antisemitismus der Linken und als Rechtfertigung für systematische politische Zensur und Verfolgung hochgehalten werden.

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