Türkei: Kleinbürgerliche Linke stützt Nato-freundliche Opposition

Nach der Entscheidung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Parlaments- und Präsidentschaftswahl auf den 24. Juni vorzuziehen, stellen sich die pseudolinken Parteien und Organisationen hinter die Nato- und EU-freundlichen Oppositionsparteien. Obwohl sie über die Frage des kurdischen Nationalismus uneins sind, lehnen sie alle eine von den diskreditierten bürgerlichen Lagern unabhängige Perspektive der Arbeiterklasse ab.

Erdogan hatte aufgrund der zunehmenden Klassenspannungen beschlossen, die Wahl um 17 Monate vorzuziehen. Weitere Gründe sind die eskalierende Finanz- und Wirtschaftskrise, der andauernde Krieg in Syrien und die Vorbereitungen der USA auf einen Krieg gegen den Iran.

Die amtierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) hat zusammen mit der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und der Partei der Großen Einheit (BBP) das Wahlbündnis „Volksallianz“ gegründet.

Die wichtigste bürgerliche Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei (CHP), bildet gemeinsam mit der neu gegründeten Guten Partei (IYI, einer landesweiten Abspaltung von der MHP) und der Partei der Glückseligkeit (SP, einer kleineren islamistischen Partei, von der sich 2001 die AKP abspaltete) das Wahlbündnis „Nationalallianz“.

Solche Wahlbündnisse verschiedener Parteien wurden durch ein neues Wahlgesetz legalisiert und erleichtern es kleineren Parteien, die schwer zu überwindende Zehn-Prozent-Hürde zu nehmen.

Die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker durfte der „Nationalallianz“ aufgrund des Widerstands türkischer Nationalisten nicht beitreten, sondern tritt mit einer eigenen Wahlliste an. Sie hat zwar kein eigenes Bündnis gebildet, platziert auf ihrer Wahlliste aber führende Mitglieder kleinerer kurdischer nationalistischer Parteien und eines Großteils der türkischen Pseudolinken.

Bei der Präsidentschaftswahl treten die drei Hauptparteien der „Nationalallianz“, die CHP, die IYI und die SP, mit eigenen Kandidaten gegen Erdogan an. Die HDP und die ehemals maoistische, türkisch-nationalistische Heimatpartei haben ebenfalls eigene Kandidaten aufgestellt.

Am Sonntag, dem 13. Mai, gab das größte pseudolinke Bündnis der Türkei, die Vereinigte-Juni-Bewegung (BHH), ihre Position in der kommenden Wahl bekannt, die sich mit der Parole „Nein zum Bündnis von AKP und MHP“ zusammenfassen lässt. Die Bewegung ist nach den regierungsfeindlichen Protesten im Gezi-Park von Mai-Juni 2013 benannt.

An dem Treffen der BHH nahmen zwei Abgeordnete der CHP teil, der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes des öffentlichen Dienstes (KESK) und mehrere weitere Gewerkschafter. Fatih Yaldi, eine führende Persönlichkeit der BHH, erklärte über seine Bewegung, sie werde einen „aktiven Kampf zur Schwächung des Blocks von AKP und MHP führen“.

Die BHH kündigte an, eine „Kampagne gegen das Ein-Mann-Regime“ zu organisieren, und versprach, die „Wahlurnen zu schützen“. Sie rief „alle Kräfte, die für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stehen, und die Millionen, die für Gerechtigkeit auf die Straße gegangen sind [eine Anspielung auf den „Gerechtigkeitsmarsch“ der CHP im Juni und Juli 2017]“ dazu auf, „für die Zukunft unseres Landes zu stimmen“.

Damit ruft die BHH stillschweigend zur Wahl der „Nationalallianz“ der CHP auf. Allerdings konnte sie den Namen der von ihr unterstützten Partei aus gutem Grund nicht offen nennen.

Zum einen ist die BHH ein pseudolinkes Bündnis aus einer breiten Palette von Parteien, Gewerkschaften, Gruppen und Personen, die zuvor in stalinistischen, den bewaffneten Kampf befürwortenden, oder pablistischen Organisationen waren und unterschiedliche Positionen zum kurdischen Nationalismus haben. Deshalb war es der Führung der BHH unmöglich, sich offen zwischen der CHP und der HDP zu entscheiden; dies hätte eine offene innere Spaltung zur Folge gehabt. Im anhaltenden Krieg in Syrien befinden sich die CHP und die HDP auf unterschiedlichen Seiten. Die CHP unterstützt die massiven Militär- und Polizeieinsätze der türkischen Armee gegen die kurdischen Nationalisten in Syrien und der Türkei, die HDP hingegen lehnt sie ab.

Die Führung der BHH ist sich auch bewusst, dass die beiden größten bürgerlichen Oppositionsparteien CHP und HDP, die sie als „linke“ Alternative“ zu Erdogan und seiner AKP darzustellen versuchen, bei Arbeitern und Jugendlichen zutiefst verhasst sind. Beide unterstützen den imperialistischen Kriegskurs im Nahen Osten und kooperieren mit der AKP bei ihren Angriffen auf die Arbeiterklasse.

Die treibende Kraft der BHH, die Partei der Freiheit und Solidarität (ÖDP) hat ebenfalls angekündigt, sich in der kommenden Wahl auf die Seite der CHP zu stellen. Die ÖDP wurde 1996 von mehreren bewaffneten Gruppen und ex-stalinistischen Organisationen sowie mit voller Unterstützung durch die türkischen Pablisten gegründet.

Am 10. Mai rechtfertigte das führende ÖDP-Mitglied Alper Tas in einem Interview mit der Parteizeitung Birgün seine Unterstützung für die traditionelle Partei der türkischen Bourgeoisie mit den Worten: „Durch dieses Gesetz [das neue Wahlgesetz] ist das Bündnis fast eine Pflicht geworden... Wir mussten ein arithmetisches Bündnis bilden, dem sogar diejenigen angehören, denen wir nicht trauen.“ Tas erklärte weiter: „Wenn die AKP und Erdogan weg sind, wird es natürlich keine Revolution in der Türkei geben. Doch das Land wäre von der wichtigsten Quelle von Instabilität und Unruhe befreit. Und das ist durchaus nicht unbedeutend.“

Der Vertreter der ÖDP behauptete außerdem: „Im neuen Parlament werden Abgeordnete der BHH und ihres Umfelds sitzen. Gemeinsam mit ihnen werden wir unseren Kampf fortsetzen.“ Zweifellos meint er damit die Abgeordneten, die auf der Wahlliste der „Nationalallianz“ antreten.

Eine weitere führende Kraft unter den türkischen Pseudolinken, die Partei der Arbeit (EMEP), unterstützt die HDP mit der gleichen Parole, mit der die BHH das CHP-geführte Bündnis unterstützt: „Gegen das Ein-Mann-Ein-Parteien-Regime“.

Zahlreiche kleinere stalinistische, ex-stalinistische, maoistische und pablistische Organisationen bewegen sich im Umfeld der ÖDP und der EMEP oder unterstützen selbst die CHP oder die kurdisch-bürgerlichen Nationalisten, wie sie es bereits in früheren Wahlen getan haben.

Um ihre betrügerischen „revolutionären“ oder „sozialistischen“ Fassaden an den proimperialistischen, militaristischen und reaktionären Charakter der CHP und der HDP anzupassen, halten diese pseudolinken Organisationen jetzt politisch gesprochen stets mehrere Bälle in der Luft: Ihre Aufrufe variieren zwischen Unterstützung für die HDP in der Parlaments- und Präsidentschaftswahl, einem Boykott des zweiten Wahlgangs und der Forderung nach einem vollständigen Boykott der Präsidentschaftswahl.

In der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl wird sich der arbeiterfeindliche und proimperialistische Charakter dieser pseudolinken Organisationen noch deutlicher manifestieren. Zweifellos werden fast alle von ihnen für den Kandidaten der „Nationalallianz“ gegen Erdogan stimmen. Eine pablistische Gruppe gab zu: „Im zweiten Wahlgang werden wir jedoch für die Gesamtstärke der Antiautokraten stimmen“, d.h. entweder für den Kandidaten der CHP oder der IYI, der „ihn zu einem Referendum über Erdogan und das Ein-Mann-Regime machen wird“.

Bevor sich die pseudolinken Parteien und Organisationen hinter eines der beiden großen bürgerlichen Bündnisse gegen Erdogan stellten, hatten sie heuchlerisch die „Kräfte der Arbeit, des Friedens und der Demokratie“ beschworen, ein „demokratisches Bündnis“ zu bilden und mit einem „gemeinsamen Kandidaten gegen das Ein-Mann-Regime anzutreten“. Auf ihrem neunten Parteitag am 10. und 11. März beschloss die ÖDP, die „Verantwortung für die Nominierung eines gemeinsamen Kandidaten der progressiven, linken, sozialistischen und revolutionären Kräfte“ auf sich zu nehmen, um eine weitere Zusammenarbeit mit der CHP zu ermöglichen.

EMEP veröffentlichte am 25. April einen Aufruf an „alle Kräfte, die für Arbeit, Frieden und Demokratie stehen“, vor allem die BHH, die HDP und die Volkshäuser (Halkevleri), ein „demokratisches Bündnis zu bilden, um mit einem gemeinsamen Kandidaten gegen das Ein-Mann-Regime anzutreten“.

Dazu kam es natürlich nicht. Die türkischen Pseudolinken sind weiterhin nach nationalistischen Gesichtspunkten gespalten. In der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl werden sie den stärksten Kandidaten der türkischen herrschenden Klasse unterstützen. Die HDP wird entweder mit Erdogan oder seinem Rivalen über die Bedingungen für ihre potenzielle Unterstützung verhandeln.

Die anstehende Wahl am 24. Juni ist die erste seit der Verwandlung der Türkei aus einem parlamentarischen in ein Präsidialregime. Sie entlarvt erneut die pro-imperialistische und arbeiterfeindliche Rolle der Pseudolinken.

Durch ihren Versuch, die wachsende Wut der Arbeiter und Jugendlichen über die Verschärfung von Militarismus und sozialer Konterrevolution zu desorientieren, stärken die Pseudolinken in Wirklichkeit den Kurs auf Krieg und Diktatur. Indem sie mit ihrem Widerstand gegen Erdogan die demokratischen Forderungen und die Antikriegshaltung der Arbeiter und Jugendlichen zu Gunsten von Parteien manipulieren, die die Nato und die EU unterstützen, machen sie sich zu Handlangern der Regimewechseloperation des US-Imperialismus und seiner europäischen Verbündeten.

Erdogans bürgerliche Gegner haben keine andere Lösung für die zunehmende wirtschaftliche und politische Krise des türkischen Kapitalismus, als verstärkten Militarismus, brutale Austeritätspolitik und die Unterdrückung des Widerstandes der Arbeiterklasse durch den Ausbau und Einsatz des Polizeistaatsapparats, den Erdogans AKP für ihre eigenen Zwecke aufgebaut hat.

Im Gegensatz zu den Fraktionen der herrschenden Klasse und den kleinbürgerlichen Gegnern Erdogans wird die türkische Arbeiterklasse im Bündnis mit den Arbeitern im Nahen Osten, Amerika und Europa gegen den Kurs auf imperialistischen Krieg und seine verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen kämpfen, zu denen auch die in der Türkei vorherrschenden autoritären Herrschaftsformen gehören.

Die türkische Arbeiterklasse kann diesen Katastrophenkurs nur beenden, wenn sie die Grundlagen für eine unabhängige politische Führung schafft, die auf der internationalistischen, revolutionären sozialistischen Perspektive und dem Programm basiert, das vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale formuliert wurde. Diese Führung ist die Sozialistische Gleichheitspartei.

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