Finanzinvestor Singer steigt bei Thyssenkrupp ein

Die Arbeiter von Thyssenkrupp stehen erneut vor unruhigen Zeiten. Derzeit treibt der Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger die Abspaltung des europäischen Stahlgeschäfts über eine Fusion mit dem europäischen Stahlgeschäft des Tata-Konzerns voran. Mitte Juni ist eine entscheidende Aufsichtsratssitzung geplant. Nun hat der aggressive Investmentfonds Elliott des Milliardärs Paul Singer bekanntgegeben, dass er eine „signifikante Beteiligung“ am Thyssenkrupp-Gesamtkonzern erworben habe.

Die Nachrichtenagentur Bloomberg, die zuerst über den Einstieg des US-Hedgefonds berichtete, schrieb, Singers Fonds könnte schon bald die meldepflichtigen Stimmrechtsschwellen von 3 und 5 Prozent erreichen, was er aber bislang nicht getan hat. Gestützt auf einen Insider schrieb die Nachrichtenagentur, Singer verfolge mit seinem Einstieg das Ziel, Hiesinger zu ersetzen. Dem Manager werde eine Wende bei dem Unternehmen nicht mehr zugetraut. Der Thyssenkrupp-Aktienkurs schnellte sofort um fast zehn Prozent nach oben.

Eine Woche vorher war der Aktienkurs gesunken, weil Hiesinger einräumen musste, dass die Technologiegeschäfte mit Anlagen, Aufzügen und Autoteilen im letzten Quartal die Renditeziele weit verfehlt und nur die hohen Gewinne in der Stahlsparte das Gesamtergebnis gerettet hatten. „Hiesingers Tage sind gezählt“, zitiert das österreichische Industriemagazin einen „mit Thyssenkrupp vertrauten Banker“, wenn es keine 180-Grad Wende bei der Strategie gebe. Alles müsse auf den Prüfstand.

Während die Gewerkschaften seit fast zwei Jahren hinter den Kulissen mit dem Thyssenkrupp-Management die Bedingungen für die Fusion aushandeln – darunter den Abbau von je 2000 Arbeitsplätzen bei Thyssenkrupp in Deutschland und bei Tata in Großbritannien und den Niederlanden – schaffen die Finanzmärkte Fakten. Der von der IG Metall in Deutschland als Erfolg gepriesene „Tarifvertrag Zukunft“ über die Bedingungen beim Übergang in das Joint Venture mit Tata Steel Europe könnte schon bald wieder Makulatur sein.

Finanz- und Wirtschaftsmedien spekulierten sofort, dass der Elliott-Hedgefonds „gemeinsame Sache mit dem schwedischen Finanzinvestor Cevian“ machen könnte. Cevian ist mit einem Anteil von rund 18 Prozent der zweitgrößte Einzelaktionär nach der Krupp-Stiftung mit rund 21 Prozent. Cevian fordert seit langem, dass Hiesinger und das Management den Thyssenkrupp-Konzern zerschlagen, also nicht nur den Stahlbereich abstoßen, sondern auch alle anderen Sparten. Dazu gehören der Anlagen- und U-Boot-Bau, Aufzüge und Fahrtreppen, Autoteile und der Werkstoffhandel.

Cevian hat sich zum Einstieg Elliotts noch nicht ausdrücklich geäußert, ließ aber verbreiten, „eine gemeinsame Agenda gebe es nicht“. Anders als Elliott plane man langfristig. Elliott und vor allem dessen Tochterfirma NML Capital sind wegen der Ausplünderung Argentiniens berüchtigt.

Nach dem argentinischen Finanzzusammenbruch im Jahr 2001 hatten die meisten Besitzer von Staatsanleihen Zahlungen in Höhe von 95 Milliarden US-Dollar akzeptiert, mussten dabei aber bis zu 70 Prozent ihrer Investments abschreiben. Anders NML Capital und einige andere Hedgefonds in dessen Schlepptau. Diese „Geierfonds“ hatten argentinische Staatsanleihen gekauft, als sie kaum noch etwas wert waren, und forderten anschließend den vollen Nennwert zurück. Allein bei NML Capital waren das 1,5 Milliarden Dollar plus Zinsen. Sie klagten jahrelang in den USA auf die Zahlung. 2015 schlossen sie mit der argentinischen Regierung einen Vergleich ab, der ihnen 4,65 Milliarden Dollar einbrachte. NML erzielte eine über 1000-prozentige Rendite.

Singer kann als Erfinder dieser modernen Raubzüge gegen Firmen und Staaten gelten. Viele andere Länder fielen seinen Hedgefonds zum Opfer, darunter Panama, Peru und die Republik Kongo, zuletzt kaufte er Staatsanleihen Griechenlands. Während die Bevölkerung der betroffenen Ländern dafür mit Sozialkürzungen und Massenentlassungen, Armut und Tod zahlt, wird Singers Vermögen aktuell auf 2,8 Milliarden Euro geschätzt.

Die Website Der Aktionär jubelte, als Singer seinen Einstieg bei Thyssenkrupp bekanntgab. Anleger würden vom „Engagement des aktivistischen Investors“ profitieren. „Bei weiteren Abspaltungen oder einer neuen Strategie sollte neues Potenzial freigesetzt werden. Die einzelnen Bereiche sind deutlich mehr wert als das Konglomerat.“

Während die Hedgefonds eine Zerschlagung des gesamten Thyssenkrupp-Konzerns mit seinen weltweit rund 150.000 Beschäftigten vorbereiten, spielen die Gewerkschaften die Stahlarbeiter von Thyssenkrupp und Tata gegeneinander aus. Die Fusion der beiden Stahlsparten würde mit rund 48.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 15 Milliarden Euro den zweitgrößten Stahlkonzern Europas nach ArcelorMittal formen.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte waren von Anfang an in den Fusionsprozess eingebunden. Zwei Jahre lang verhandelten sie hinter dem Rücken der Arbeiter. Kurz vor Weihnachten setzte die IG Metall einen Tarifvertrag durch, der Arbeitsplatzabbau, Werksschließungen und Rationalisierungsmaßnahmen beinhaltet.

Nun sind die britischen und niederländischen Tata-Betriebsräte und Gewerkschaften damit beschäftigt, ähnliche Mechanismen auszuhandeln. Tata Steel beschäftigt mehr als 11.000 Arbeiter in den Niederlanden, die meisten von ihnen – rund 9000 – im Stahlwerk in IJmuiden, nahe Amsterdam. In der niederländischen Hauptstadt soll auch der Firmensitz des neuen fusionierten Unternehmens sein. Der niederländische Tata-Betriebsratschef Frits van Wieringen sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass ein Ergebnis möglicherweise erst Anfang August erzielt werden könne.

Der Abbau von mindestens 2000 Arbeitsplätzen bei Thyssenkrupp in Deutschland wurde durch eine Zusage auf den Verzicht betriebsbedingter Kündigungen bis September 2026 erkauft. Auch bei Tata-Steel sollen 2000 Arbeitsplätze abgebaut werden, davon allerdings „nur“ 300 bis 400 in den Niederlanden. Auch die niederländischen Gewerkschaften fordern den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis „mindestens 2026“. Zudem soll das Werk in IJmuiden der Hauptsitz der Forschungsabteilung des Joint Ventures werden und weiterhin die Verfügungsgewalt über die dort erzielten Gewinne behalten. Letzteres wiederum brachte die IG Metall in Stellung. Die Stahlkocher aus Duisburg würden nicht der Zahlmeister für die Tata-Geschäfte sein.

Diese national-bornierte Standortpolitik der Gewerkschaften – in Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden – wird genutzt, um die Forderungen beider Konzerne gegen die Belegschaften durchzusetzen. Die Fusionsverhandlungen laufen auf Hochtouren. Nach Informationen der lokalen Zeitungen der Funke Mediengruppe ist bei Thyssenkrupp für Mitte Juni eine Aufsichtsratssitzung geplant, bei der die Vertragsunterzeichnung mit Tata besiegelt werden soll. „Eine entsprechende Entscheidung wird derzeit in Sitzungen von Arbeitsgruppen und Ausschüssen vorbereitet.“

Man kann sicher sein, dass die IG Metall und ihre Betriebsräte mit in diesen „Arbeitsgruppen und Ausschüssen“ sitzen. Eine Verteidigung der Arbeitsplätze und -bedingungen gegen die nie endenden Forderungen der Hedgefonds und der anderen Anteilseigner kann nur durch eine Rebellion gegen die Gewerkschaften und ihrer betrieblichen Vertreter erfolgreich sein. Dazu müssen sich Stahl- und alle anderen Arbeiter europa- und letztlich weltweit zusammenschließen, um den Aktienbesitzern die Verfügungsgewalt über die Produkte der Arbeit von Hunderttausenden zu entreißen. Mit anderen Worten: sie müssen für ein internationales sozialistisches Programm kämpfen.

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