Unterstützt die Sozialistische Gleichheitsgruppe in der Türkei!

Erklärung der SE-Gruppe, Unterstützer des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), zu den vorgezogenen Wahlen in der Türkei

Am 24. Juni sind mehr als 59 Millionen türkische Bürger zur Stimmabgabe bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen aufgerufen, die von der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) unter Präsident Recep Tayyip Erdogan einberufen wurden.

Bei den Wahlen treten drei große Bündnisse an, in denen sich rivalisierende Fraktionen der herrschenden Klasse und ihre kleinbürgerlichen Anhänger zusammengeschlossen haben: die „Volksallianz“ unter der Führung von Erdogans AKP, die „Allianz der Nation“ unter der Führung der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) und die Allianz aus kurdischen Nationalisten und Teilen der türkischen Pseudolinken unter der Führung der Demokratischen Volkspartei (HDP). Keines dieser Bündnisse bietet einen Weg nach vorn für die Arbeiter, d.h. die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung.

Die Wahlen finden im Schatten des Krieges statt. Inmitten des anhaltenden Blutvergießens im Irak und in Syrien hat Washington in Zusammenarbeit mit seinen regionalen Verbündeten Israel, Saudi-Arabien und Ägypten eine diplomatische und wirtschaftliche Offensive gegen den Iran gestartet, die zu einem regionalen Krieg oder sogar zu einem Weltkrieg zwischen den größten Atommächten, den Vereinigten Staaten und Russland, eskalieren könnte. Gleichzeitig führt die Türkei Krieg in Syrien und droht in Zusammenarbeit mit der irakischen und der iranischen Regierung in die nordöstliche irakische Region Qandil, eine Hochburg der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), einzudringen.

Die Sanktionen der USA gegen den Iran, die Zerrüttung der Wirtschaft des Nahen Ostens durch jahrzehntelangen Krieg und die steigenden Militärausgaben der Türkei aufgrund der Invasion in Syrien haben das innere Gleichgewicht der Türkei untergraben. Angesichts steigender Arbeitslosigkeit und einer Welle von Fabrikschließungen hat die türkische Lira mehr als ein Viertel ihres Werts gegenüber dem US-Dollar verloren. Erdogan hält die vorgezogenen Wahlen am 24. Juni 17 Monate früher als geplant ab, unter einem Ausnahmezustand und vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Unzufriedenheit und wachsender Klassenkämpfe.

Die Gruppe Sosyalist Esitlik (SE-Sozialistische Gleichheit) ist zwar nicht in der Lage, eigene Kandidaten aufzustellen, greift aber in die Wahlen ein, um eine politische Alternative für die Arbeiterklasse aufzubauen. In politischer Solidarität mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI), der von Leo Trotzki gegründeten Weltpartei der sozialistischen Revolution, kämpft sie dafür, Arbeiter und Jugendliche gegen imperialistischen Krieg und Sozialkürzungen zu mobilisieren und eine Sozialistische Gleichheitspartei (SEP) in der Türkei als Sektion der IKVI aufzubauen. Sie ruft auf zur Vereinigung der Arbeiterkämpfe gegen imperialistische Kriege und soziale Sparmaßnahmen in der Türkei und im gesamten Nahen Osten.

Die einzige soziale Kraft in der Türkei, die erfolgreich gegen den in imperialistischer Manier geführten Krieg und die diktatorische innenpolitische Agenda der AKP kämpfen kann, ist die Arbeiterklasse. Sie muss sich dazu mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern im Nahen Osten und in den imperialistischen Zentren Amerikas und Europas zusammenschließen.

Während Erdogan hofft, die Position seiner Regierung durch Neuwahlen zu sichern, bevor er noch mehr Unterstützung verliert, setzen sich die bürgerlichen Gegner der AKP alle für enge Beziehungen zur NATO und zur Europäischen Union ein. Sie alle sprechen für die eine oder andere nationale Fraktion der Bourgeoisie des Nahen Ostens, die selbst wesentlich an der Kriegsführung in der Region beteiligt ist. Aus Angst vor dem wachsenden Widerstand unter den Arbeitern streben sie letztlich Übereinkunft mit dem Imperialismus an.

Diese Parteien haben den Arbeitern nichts zu bieten. Sie kritisieren zwar die Massenverhaftungen und die Angriffe auf die demokratischen Grundrechte unter dem Ausnahmezustand der AKP, würden aber selbst den Polizeistaatsapparat genauso rücksichtslos einsetzen wie Erdogan, wenn sie an die Macht kämen. Ihre nationalistische Politik ebnet den Weg für einen eskalierenden Krieg in Syrien, im Irak und in der gesamten Region.

Jetzt geht es um das Schicksal der Arbeiterklasse in der Türkei und international. Basierend auf dem ununterbrochenen Kampf des IKVI gegen den Imperialismus und die stalinistischen und pablistischen Kräfte, die die Arbeiter an eine bankrotte, nationalistische Perspektive fesseln, kämpft die SE für die Vereinigung der Kämpfe aller Arbeiter – türkisch, kurdisch, arabisch, iranisch, jüdisch und darüber hinaus. Die grundlegende Aufgabe der Arbeiter besteht darin, den Krieg und die imperialistische Plünderung des Nahen Ostens durch einen revolutionären Kampf gegen den Imperialismus und „ihre“ eigene Bourgeoisie zu durchkreuzen.

Die Kriegstreiberei und die Arbeiterklasse in der Türkei

Die soziale Krise der türkischen Arbeiter ist das Ergebnis einer internationalen Krise des Kapitalismus, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat. Die Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie 1991 hatte verheerende Folgen, hatte die UdSSR doch ein objektives Hindernis für neokolonialistische NATO-Kriege im Nahen Osten und grenzenlose Sozialkürzungen gegenüber der europäischen Arbeiterklasse dargestellt.

Der von den USA geführte Golfkrieg 1990-1991, an dem prokapitalistische Kräfte der sowjetischen Bürokratie mitwirkten, markierte den Beginn von drei Jahrzehnten schrecklichen Blutvergießens. Die imperialistischen Kriege im Irak, Syrien und Libyen haben Millionen das Leben gekostet oder sie zu Flüchtlingen gemacht. Tausende sind im Mittelmeer ertrunken, während die EU ihre „Festung Europa“ aufbaut, um Flüchtlingen den Zugang zum Kontinent zu verwehren.

Die politische Krise, aufgrund derer sich Erdogan zu vorgezogenen Wahlen gezwungen sah, wurde durch den Crash an der Wall Street 2008 und den Krieg gegen Syrien und den Irak geprägt. Das Wirtschaftswachstum der Türkei ist drastisch von 9,2 Prozent im Jahr 2010 auf 2,2 Prozent gesunken, ohne Aussicht auf eine nachhaltige Erholung.

Da die exportorientierte Wirtschaft der Türkei nach 2008 unter den lähmenden Auswirkungen der Sparmaßnahmen in ihren wichtigsten europäischen Exportmärkten litt, wandte sich Erdogan zunächst dem Handel mit dem Nahen Osten und Afrika zu. Allerdings hat der Krieg in Syrien den Handel mit diesen Regionen weitgehend unterbunden. Zudem hat er die Türkei gezwungen, 3,5 Millionen Flüchtlinge aufzunehmen, die unter entsetzlichen Bedingungen vegetieren müssen, und Erdogan veranlasst, die Militärausgaben von 14 Milliarden Dollar auf 19,5 Milliarden Dollar zu erhöhen.

Die jüngste Wiedereinführung der Sanktionen der USA gegen den Iran und die Pläne Washingtons, andere Länder zu zwingen, ihrem Beispiel zu folgen, haben einen gewaltigen Kapitalabfluss und einen Zusammenbruch der türkischen Lira ausgelöst, der die Kaufkraft der Arbeiter beschneidet und Forderungen nach Lohnerhöhungen nach sich zieht. Das innere Klassengleichgewicht der Türkei wurde durch den umfassenden Zerfall des Nahen Ostens in Jahrzehnten des Krieges und der Weltwirtschaftskrise untergraben. Wie wir in unserer Erklärung zum Referendum vom 16. April 2017 für Verfassungsänderungen geschrieben haben:

„Wir sind Zeuge der Todeskrise des Staatensystems, das im Nahen Osten vor hundert Jahren, nach dem Ersten Weltkrieg Gestalt annahm. Das Sykes-Picot-Abkommen von 1916 teilte die Länder des östlichen Mittelmeerraumes (Levante) zwischen Großbritannien und Frankreich auf, der Vertrag von Lausanne von 1923 legte die heutigen Grenzen der Türkei fest. Jede herrschende Klasse im Nahen Osten fürchtet ethnisch und sektiererisch motivierten Separatismus und Erhebungen der Arbeiter und unterdrückten Massen.

Alle politischen und historischen Fragen, die 1923, bei Gründung der türkischen Republik nach einem dreijährigen Unabhängigkeitskrieg gegen imperialistische Besatzung, ungelöst blieben, besitzen heute große Sprengkraft. Die türkischen Nationalisten traten die kulturellen und politischen Rechte der größten Minderheit in der Türkei, der Kurden, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung stellten, mit Füßen. Sie verweigerten den Kurden sogar die Anerkennung als Nationalität mit eigener Sprache und Kultur. Auch die Arbeiterbewegung unterdrückten sie blutig. Beinahe hundert Jahre später ächzt die Türkei unter den gleichen unlösbaren Spannungen zwischen den Ethnien und Klassen.“

In diesem Jahr gab es erste Ausbrüche des Klassenkampfs. Unter den Arbeitern in der Türkei wächst die Wut über die Kriegspolitik Washingtons und seiner Verbündeten. Die Arbeiter können jedoch nicht gegen Sparpolitik und Krieg ankämpfen, indem sie sich der militaristischen und nationalistischen Politik der einen oder anderen Fraktion der Bourgeoisie anschließen. Der Weg nach vorn besteht darin, die Kämpfe der Arbeiter des Nahen Ostens mit denen ihrer Klassenbrüder und -schwestern international zu vereinen. Dazu muss man den Arbeitern aufzeigen, wofür es zu kämpfen gilt: für den Aufbau einer revolutionären, sozialistischen Antikriegsbewegung der Arbeiterklasse.

Die Wende der AKP zu Militarismus und Diktatur

Während des aktuellen Wahlkampfs hat Erdogan sich als antiimperialistischer Kämpfer ausgegeben und behauptet, eine Stimme für die AKP sei eine Stimme gegen den Imperialismus und gegen die Unterdrückung der Palästinenser durch den Zionismus. Das ist eine Lüge. Erdogans Konflikt mit den imperialistischen Mächten – der im Laufe der zahlreichen Wendungen des imperialistischen Krieges in Syrien, an dem die AKP voll beteiligt war, entstanden ist – ist kein Kampf gegen den Imperialismus, sondern ein Streit unter Dieben.

Nach den revolutionären Kämpfen der Arbeiterklasse in Tunesien und Ägypten, die 2011 zwei proimperialistische Diktatoren stürzten, unterstützte Erdogan die imperialistische Aggression. Er versuchte, seinen Status als islamistischer „starker Mann“ einzubringen, um sich eine zentrale Rolle im US-geführten Krieg zu sichern. Dazu unterstützte er islamistische Milizen, um das syrische Regime zu stürzen und so die Türkei als dominierende Regionalmacht zu etablieren. Mit dem Verzicht auf die Politik der „Null Probleme mit den Nachbarn“, mit der die Türkei in die regionalen Märkte eingedrungen war, begann er, den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad als „Mörder“ zu brandmarken und seinen Sturz zu fordern.

Gleichzeitig eröffnete die AKP-Regierung Friedensgespräche mit der kurdisch-nationalistischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), in der Hoffnung, die PKK als militärischen Stellvertreter einzusetzen, um Ankaras Rolle im Irak und in Syrien zu stärken, und sie im eigenen Land zur Spaltung und Desorientierung der Opposition der Arbeiterklasse zu nutzen.

Doch die Intensivierung des Kriegs und des Klassenkampfs im Nahen Osten machte sämtliche Berechnungen zunichte. Vor dem Hintergrund der Empörung der Arbeiterklasse gegen den islamistischen Präsidenten Mohammad Mursi in Ägypten und sozialer Proteste im Istanbuler Gezi-Park in der Türkei unterstützten die imperialistischen Mächte 2013 einen Armeeputsch, mit dem Mursi gestürzt wurde. Als der Islamische Staat (IS) in Syrien erstarkte und in den Irak einmarschierte, griffen die imperialistischen Mächte auf die kurdischen nationalistischer Gruppen als ihre Stellvertreter gegen den IS zurück.

Erdogan konnte sich diesen plötzlichen, gewaltsamen Veränderungen in der imperialistischen Kriegspolitik nicht anpassen, und Ankaras imperialistische Verbündete sahen ihn bald nicht mehr als „strategischen“, sondern als unzuverlässigen Partner an.

Der US-Imperialismus und seine europäischen Verbündeten haben sich darauf geeinigt, anstelle der von Ankara unterstützten Freien Syrischen Armee (FSA) Unterstützer der PKK – die Partei der Demokratischen Union (PYD) und die Miliz der Volksschutzeinheiten (YPG) – als ihre wichtigsten Vertreter in Syrien einzusetzen. In dieser Unterstützung der NATO für die PYD/YPG sah die AKP eine wesentliche Bedrohung für die territoriale Integrität der Türkei. Auf die Gefahr hin, sich von Washington zu entfremden, verstärkte sie ihre Offensive gegen die kurdischen Nationalisten und führte einen nicht erklärten Krieg gegen die kurdische Bevölkerung der Türkei.

Gleichzeitig ging die Türkei wieder auf Russland zu und rückte von den NATO-Mächten ab, Zuvor, im November 2015, hatten türkische Jets einen russischen Kampfflieger über Syrien abgeschossen, was beinahe einen bewaffneten Konflikt auslöste und zu einer weitgehenden Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und der Türkei führte.

Die imperialistischen Mächte antworteten mit dem gescheiterten Staatsstreich vom 15. Juli 2016, der von der NATO-Flugbasis Incirlik ausging und von Washington und Berlin unterstützt wurde. Sie scheiterten, weil Erdogan, von Moskau alarmiert, an seine Wähler appellieren konnte, den Putsch zu stoppen. Massen von Menschen, einschließlich breiter Schichten von Arbeitern, wurden mobilisiert, um sich gegen Pro-Putsch-Militäreinheiten zu wehren. Hunderte kamen dabei ums Leben.

In der Außenpolitik setzte Erdogan seine Annäherung an Russland und den Iran fort, während er den Krieg in Syrien eskalierte. Am 24. August 2016, nur fünf Wochen nach dem Putschversuch, befahl er die erste türkische Invasion in Syrien, die Operation Euphratschild, die auf die PYD/YPG abzielte. Im Januar 2018 folgte die „Operation Olivenzweig“. Sein zentrales Ziel ist es, Washington davon zu überzeugen, dass die Türkei für die US-Politik in Syrien nach wie vor lebenswichtig ist und dass ihre territorialen Forderungen in Nordsyrien legitim sind.

Zu Hause verhängte die AKP den Ausnahmezustand und ging massiv gegen die politische Opposition vor. Sie entließ 150.000 Beamte, darunter Tausende von Armeeoffizieren, Richtern und Staatsanwälten sowie Lehrer und Akademiker, und verhaftete Zehntausende. Sie schloss mindestens 1.500 Vereine, Hunderte von Universitäten und Privatschulen, zahlreiche Medien und mehrere Gewerkschaften wegen angeblicher Verbindungen zu den Putschisten. Arbeitskampfmaßnahmen wurden unter dem Vorwand der „nationalen Sicherheit“ praktisch verboten.

Im vergangenen Jahr gewann die AKP auch ein Verfassungsreferendum, das dem Präsidenten unkontrollierte diktatorische Befugnisse einräumte.

Arbeiter können die reaktionäre, militaristische und antidemokratische Politik Erdogans nicht bekämpfen, indem sie ihn einfach durch einen neuen Präsidenten ersetzen. Die Quelle der Wende zur Diktatur liegt in einer internationalen Krise des kapitalistischen Systems. Wie Leo Trotzki, der Mitführer der Oktoberrevolution und Gründer der Vierten Internationale, 1929 im Exil in der Türkei schrieb, als er das Entstehen diktatorischer Regime in Europa kommentierte:

„In Analogie zur Elektrotechnik könnte man die Demokratie als ein System von Sicherheitsschaltern und Leistungsschaltern zum Schutz vor durch den nationalen oder sozialen Kampf überlasteten Stromleitungen definieren. Keine Periode der Menschheitsgeschichte ist – auch nur im Entferntesten – so überladen mit Antagonismen wie unsere. Die Überlastung von Leitungen tritt immer häufiger an verschiedenen Stellen im europäischen Stromnetz auf. Unter dem Einfluss von zu hoch aufgeladenen Klassen- und internationalen Widersprüchen brennen die Sicherungen der Demokratie durch oder explodieren. Das ist im Wesentlichen der Kurzschluss der Diktatur.“

Während die Bourgeoisie zu Krieg und Diktatur Zuflucht nimmt, wenden sich die Arbeiter zunehmend dem Klassenkampf zu. Im Mai 2015, kurz vor den Wahlen vom 7. Juni, bei denen die AKP ihre Mehrheit verlor, traten Zehntausende von Metallarbeitern in einen spontanen Streik – gegen die Türkische Metallgewerkschaft. Im Januar 2018 konnten die Arbeitgeber und die AKP-Regierung 130.000 Metallarbeiter nur knapp daran hindern, trotz Streikverboten und Absprachen ihrer Gewerkschaften in den Streik zu treten. Sie taten dies, indem sie den Metallarbeitern eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 24,6 Prozent gewährten.

Solche Rückzüge und Zugeständnisse der Kapitalisten dienen nur der gründlicheren Vorbereitung des Angriffs auf die Arbeiterklasse, der nach den Wahlen unter den Bedingungen steigender Inflation, Kapitalflucht, Entlassungen und Fabrikschließungen zwangsläufig kommen muss. Diese Krise stellt, wie die SE erklärt hat, dringend die Aufgabe, eine neue politische Führung der Arbeiterklasse aufzubauen. Die nominell „oppositionellen“ Parteien werden nicht die Arbeiter, sondern die Kapitalisten verteidigen, sollte ein ernsthafter Klassenkampf ausbrechen.

Der Bankrott der bürgerlichen Opposition

Die eskalierenden geostrategischen Spannungen im Nahen Osten haben scharfe Konflikte in der türkischen herrschenden Klasse hervorgerufen, doch diese Konflikte sind rein taktischer Natur. Die herrschende Klasse kämpft für eine Neuaufteilung der Beute im Nahen Osten, fürchtet die wachsende Wut in der Arbeiterklasse und unterstützt einmütig Diktatur und Krieg. Die CHP und die HDP sprechen für türkische bzw. kurdische Teile der herrschenden Klasse, die befürchten, dass Erdogans Politik über ihre Verbindungen zu Washington oder der NATO hinweggeht.

Wenn sie an die Macht kämen, würden sie in enger Abstimmung mit der NATO und der EU die gleichen Polizeistaatsmethoden gegen Arbeiter und Jugendliche anwenden wie Erdogan.

Nach den Wahlen vom 7. Juni 2015 verhandelte die CHP 32 Tage lang erfolglos mit der AKP über die Bildung einer Koalitionsregierung. Zur gleichen Zeit ging die Regierung brutal gegen kurdische Städte vor. 4.000 Menschen wurden getötet, mehr als 10.000 inhaftiert und 200.000 zur Flucht gezwungen. Im Mai 2016 stimmte die CHP für eine von der AKP unterstützte Verfassungsänderung zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität. Damit wurden ein CHP-Abgeordneter und 11 HDP-Abgeordnete ihres Status als Parlamentarier enthoben, was zu ihrer Inhaftierung führte.

Die HDP war während des „Friedensprozesses“ mit der PKK ein wichtiger Unterstützer der AKP bei deren arbeiterfeindlicher, proimperialistischer Politik. Sie geriet erst in Konflikt mit Erdogan, nachdem sich dieser mit Ankaras NATO-Partnern zerstritten und gegen die kurdischen Nationalisten vorgegangen war. Während der Proteste im Gezi-Park im Juni/Juli 2013, als mehr als 2,5 Millionen Menschen gegen die AKP auf die Straße gingen, hielt die HDP (damals Frieden- und Demokratie-Partei – BDP) kurdische Arbeiter und Jugendliche vom Protest zurück und schloss sich der Linie der CHP und der Gewerkschaften an.

Im August 2015, während der blutigen Militäroperationen in kurdischen Städten, nahm die HDP an einer von der AKP geführten „Wahlregierung“ teil, die bis zur Neuwahl am 1. November jenes Jahres im Amt blieb.

In ihrem Konflikt mit der AKP stützen sich CHP und HDP auf die Unterstützung der imperialistischen Mächte und sind der Arbeiterklasse unerbittlich feindlich gesonnen. Beide Parteien hielten sich – zusammen mit allen Pro-NATO, Pro-EU-Gegnern von Erdogan – während des Staatsstreichs vom 15. Juli bereit und verurteilten den Putschversuch erst dann mit hohlen Phrasen, als sein Scheitern offenkundig wurde.

Seit dem sehr knappen Sieg Erdogans im Verfassungsreferendum vom 16. April 2016, bei dem sie eine „Nein“-Kampagne führten, bemühen sich CHP und HDP, die Wut der Bevölkerung über weit verbreitete Vorwürfe des Wahlbetrugs zu beruhigen. Die CHP legte beim türkischen Verfassungsgericht, der Erdogans Maßnahmen absegnete, und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte unter Berufung auf das Wahlrecht Beschwerde ein.

Keine Partei unter den bürgerlichen Gegnern der AKP steht in Opposition zu imperialistischen Kriegen und Regimewechseloperationen im Nahen Osten. Die CHP und ihre nationalistischen und islamistischen Partner in der „Allianz der Nation“ sind leidenschaftliche Unterstützer der andauernden türkischen Invasion in Nordsyrien. Im Parlament hat die CHP wiederholt für Resolutionen gestimmt, die die AKP-Regierung ermächtigen, grenzüberschreitende Operationen in Syrien und im Irak zu starten.

Die Behauptung des Präsidentschaftskandidaten Muharrem Ince, die CHP werde die demokratischen Grundrechte der Kurden verteidigen, wenn sie an die Macht kommt, ist ein Betrug. Die SE-Gruppe warnt kurdische Arbeiter und Jugendliche vor dem zutiefst heuchlerischen Charakter dieser leeren Worte: Die CHP steht seit der Gründung der Türkischen Republik für die brutale Unterdrückung des kurdischen Volkes.

Die SE-Gruppe verteidigt kompromisslos die demokratischen und kulturellen Rechte des kurdischen Volkes und aller ethnischen und religiösen Minderheiten in der Türkei und im gesamten Nahen Osten. Unsere Verteidigung dieser Rechte bedeutet jedoch nicht, dass wir bürgerliche nationalistische Parteien unterstützen. Nur durch die Vereinigung türkischer und kurdischer Arbeiter im Kampf gegen imperialistischen Krieg und Kapitalismus, zusammen mit ihren Klassenbrüdern und Schwestern anderer Ethnien, können diese demokratischen Rechte verteidigt werden.

Die Mitwirkung der kurdischen Nationalisten an den imperialistischen Interventionen der USA im Irak und in Syrien ist eine scharfe Warnung, dass ihr separatistisches und kommunalistisches Programm, das die Arbeiterklasse nach ethnischen, kulturellen und religiösen Gesichtspunkten spaltet, keinen wirklich demokratischen oder fortschrittlichen Inhalt hat.

Tatsächlich ist die Opposition der HDP ein Spiegelbild der Position der türkischen Nationalisten. Sie verurteilt die türkische Invasion und die militärischen Operationen in Syrien und Irak auf das Schärfste, während sie die militärischen Interventionen der USA und Europas unterstützt und behauptet, die Imperialisten würden „Menschenrechte“, „Demokratie“ und das „Recht auf Selbstbestimmung“ verteidigen.

Das Ziel der CHP-geführten „Allianz der Nation“ ist es, die AKP zu verdrängen, nur um eine militaristische Agenda zu entwerfen, die den Anteil der Türkei an der imperialistischen Zerstückelung des Nahen Ostens in enger Zusammenarbeit mit Washington, Berlin, London und Paris besser sichert. Dazu müssen sie die Unzufriedenheit der Arbeiterklasse ebenso effektiv unterdrücken wie Erdogan. Ihre Wahlversprechen, die sozialen Bedingungen zu verbessern, die demokratischen Rechte wiederherzustellen und zu einem parlamentarischen System zurückzukehren, sind wertlos.

Die Gruppe Sozialistische Gleichheit warnt die Arbeiter, dass es unter der Führung irgendeiner Fraktion der Kapitalistenklasse keine Lösung für die sozialen Probleme der Massen oder für das Blutvergießen der Kriege in der Region geben kann. Wer die Wahlen vom 24. Juni gewinnt, wird den Vorsitz führen über eskalierenden Militarismus, brutale Sparmaßnahmen und die Unterdrückung der Opposition der Arbeiterklasse durch die gleichen Polizeikräfte, die jetzt von der AKP eingesetzt werden.

Die reaktionäre Rolle der Pseudolinken

Die Wahl am 24. Juni offenbart erneut den proimperialistischen und arbeiterfeindlichen Charakter der pseudolinken Gruppen, die sich dafür einsetzen, die Opposition hinter die CHP und die HDP zu kanalisieren. Sie kämpfen „gegen das Ein-Mann-Ein-Parteien-Regime“ und stehen hinter der CHP-geführten „Allianz der Nation“ und der HDP.

Der Wahlslogan der Vereinigten Juni-Bewegung (Birleşik Haziran Hareketi, BHH), des größten pseudolinken Bündnisses der Türkei unter Führung der Partei für Freiheit und Solidarität (ÖDP) und der Arbeitspartei (EMEP), ist derselbe: „Nein zum Bündnis AKP-MHP“. Sie verbreiten Illusionen, dass die Türkei zu einem demokratischen Paradies wird, wenn nur Erdogan die Wahlen verliert.

Diese kleinbürgerlichen Kräfte sind national gespalten. Die BHH, angeführt von der ÖDP, die traditionell der CHP nahe steht, befürwortet stillschweigend die Wahl der „Allianz der Nation“, ohne jedoch deren Namen zu nennen; denn sie hat Angst vor einer offenen Spaltung in ihren Reihen, die sowohl Anhänger des türkischen als auch des kurdischen Nationalismus enthalten. Die EMEP hingegen ist ihrer traditionellen Haltung gefolgt und hat sich für das prokurdische HDP-geführte Bündnis ausgesprochen.

In einem Interview mit der Tageszeitung seiner Partei, Birgün, begründete das führende ÖDP-Mitglied Alper Tas am 8. Mai seine Unterstützung für die CHP, die traditionelle Partei der türkischen Bourgeoisie: „Dieses Gesetz [das neue Wahlgesetz] hat das Bündnis fast zur Pflicht gemacht... Wir mussten ein arithmetisches Bündnis eingehen, auch mit denen, denen wir nicht trauen.“ Tas weiter: „Wenn die AKP und Erdogan weg sind, wird es natürlich keine Revolution in der Türkei geben. Aber das Land wäre von der wichtigsten Quelle der Instabilität und Unruhe befreit. Und das ist nicht unbedeutend.“

In einer Erklärung vom 26. Mai , „,No pasaran‘ dem Ein-Mann-Ein-Parteien-Regime“, forderte die EMEP, für die HDP und ihren inhaftierten Präsidentschaftskandidaten Selahattin Demirtas zu stimmen, um „das Ein-Mann-Regime zu verhindern oder zu schwächen“. Die EMEP erklärte ferner, dass sie den Kandidaten der CHP gegen Erdogan im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen unterstützen werde, wie die HDP und ihre kleinbürgerlichen Anhänger ebenfalls andeuten. Birgün und Evrensel, die Tageszeitungen von ÖDP und EMEP, haben sich weitgehend als Propagandaorgane für die CHP herausgestellt. ÖDP und EMEP sind kleinbürgerliche Parteien, die mit den Fraktionen der Bourgeoisie und vor allem mit dem Imperialismus verbunden sind. Ihnen geht es vor allem darum, einen unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse zu blockieren. Ihre internationalen verwandten Organisationen, wie die NPA Frankreichs oder die SWP Großbritanniens, sind bürgerliche Parteien, die seit langem die imperialistischen Kriege in Libyen, Syrien und darüber hinaus unterstützen und die Machtübernahme von Syriza samt ihrer brutalen Sparpolitik in Griechenland unterstützen.

In all diesen Ländern haben diese kleinbürgerlichen und proimperialistischen Kräfte, die von Fragen des Lebensstils und der Identitätspolitik besessen sind, Kriege und Sparmaßnahmen gegen die Arbeiter unterstützt. Der einzige Weg für die Arbeiterklasse im Kampf gegen Krieg und für einen besseren Lebensstandards besteht darin, eine revolutionäre und internationalistische politische Alternative zu diesen korrupten Vertretern der wohlhabenden Mittelschicht aufzubauen. Die Gruppe Sozialistische Gleichheit bemüht sich, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse herzustellen, indem sie die politische und Klassenkluft aufzeigt, die den Kampf des IKVI für den Trotzkismus in der Arbeiterklasse des Nahen Ostens von diesen kleinbürgerlichen pseudolinken Gruppen trennt.

Unterstützt die Gruppe Sozialistische Gleichheit!

Vor dem Hintergrund der Verwicklung der Türkei in den imperialistisch geführten Krieg und die Wirtschaftskrise im Nahen Osten stellt sich die entscheidende Frage nach einer politischen Perspektive für die Arbeiterklasse. Das Blutvergießen im Irak und in Syrien und die Kriegsdrohungen gegen den Iran, die Drohungen der AKP, die PKK-Führung „auszurotten“ (die den Bürgerkrieg in den kurdischen Gebieten der Türkei anheizen) und der Kapitalabfluss, der den Zusammenbruch der Lira antreibt, schließen eine stabile und friedliche Entwicklung aus. Enorme Schocks und Krisen stehen bevor, in die die Arbeiterklasse eingreifen wird.

Die SE-Gruppe kämpft für den Aufbau einer trotzkistischen Partei in der Türkei, um das Programm der internationalen sozialistischen Revolution, das jetzt auf der Tagesordnung steht, in die Arbeiterklasse zu bringen. Sie stützt sich auf den jahrzehntelangen Kampf des IKVI gegen den Imperialismus und seine kleinbürgerlichen nationalistischen und pseudolinken Verbündeten. Sie widersetzt sich den türkischen stalinistischen und pablistischen Kräften, die jahrzehntelang daran gearbeitet haben, die Arbeiter an verschiedene ethnische und religiöse Gruppen der besitzenden Klassen und durch sie an den Imperialismus zu binden.

Das 21. Jahrhundert hat viele heldenhafte Aufstände und Klassenkämpfe im Nahen Osten erlebt. Die Massen wehrten sich gegen die Besetzung Afghanistans und des Irak durch die USA und gegen den von der NATO unterstützten Putschversuch 2016 in der Türkei. Im Jahr 2011 stürzten revolutionäre Aufstände der Arbeiterklasse pro-imperialistische Diktatoren in Tunesien und Ägypten. Doch auch dort konnten die alten Regime an der Macht bleiben. Nicht, weil die Arbeiterklasse nicht kämpfte, sondern weil sie nicht über ein Programm und eine politische Vorhut verfügte, die diese antiimperialistischen Kämpfe vereinen und zur Machtergreifung führen konnte.

Die SE-Gruppe will die Sozialistische Gleichheitspartei der Türkei aufbauen, eine trotzkistische politische Avantgarde, die diese revolutionäre Führung in der Türkei anbieten und für die Verbreitung des Einflusses des IKVI im Nahen Osten kämpfen wird. Sie ruft Arbeiter, Jugendliche und sozialistisch orientierte Intellektuelle zu ihrer Unterstützung auf. Jetzt geht es darum, das IKVI als politische Avantgarde der Arbeiterklasse in der Türkei und im gesamten Nahen Osten aufzubauen.

Die neokolonialen Kriege und Bürgerkriege des letzten Vierteljahrhunderts haben Leo Trotzkis Theorie der permanenten Revolution bestätigt. Er erklärte, dass die kapitalistische Klasse in Ländern mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung kein demokratisches Regime aufbauen oder die irrationalen ethnischen und sektiererischen Spaltungen überwinden kann, die das Erbe der imperialistischen Unterdrückung in den ehemaligen Kolonialländern sind. Diese Aufgaben fallen der Arbeiterklasse zu, die einen internationalen Kampf für die proletarische sozialistische Revolution führt.

Wie Leo Trotzki in Die Permanente Revolution schrieb,

„Der Abschluss einer sozialistischen Revolution ist im nationalen Rahmen undenkbar. Eine grundlegende Ursache für die Krisis der bürgerlichen Gesellschaft besteht darin, dass die von dieser Gesellschaft geschaffenen Produktivkräfte sich mit dem Rahmen des nationalen Staates nicht vertragen. Daraus ergeben sich einerseits die imperialistischen Kriege, andererseits die Utopie der bürgerlichen Vereinigten Staaten von Europa. Die sozialistische Revolution beginnt auf nationalem Boden, entwickelt sich international und wird vollendet in der Weltarena. Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: Sie findet ihren Abschluss nicht vor dem endgültigen Sieg der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten.“

Wie vor einem Jahrhundert, als die Bolschewistische Partei die Arbeiterklasse im Oktober 1917 in Russland auf der Grundlage dieser Perspektive an die Macht brachte, so ist dies auch heute wieder die einzige tragfähige Perspektive für die Arbeiter in der Türkei und auf der ganzen Welt, um sozialen Angriffen, imperialistischen Kriegen und ethnischen Bürgerkriegen entgegenzutreten.

Die SE-Gruppe appelliert an Arbeiter und Jugendliche in der Türkei und in der gesamten Region, ihre Arbeit zu unterstützen, die World Socialist Web Site zu lesen, zu verbreiten und mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie setzt sich für eine breite Diskussion über ihre Perspektiven und die revolutionären Aufgaben der Arbeiterklasse in den kommenden Kämpfen ein. Wir appellieren an die Arbeiter und Jugendlichen, uns beim Aufbau einer türkischen Sektion des IKVI, der Sozialistischen Gleichheitspartei der Türkei, zu unterstützen und sich uns anzuschließen. Dies ist Teil des umfassenderen Kampfs für den Aufbau des IKVI zur revolutionären Führung der Arbeiterklasse im gesamten Nahen Osten.

Für eine sozialistische Arbeiterbewegung gegen Krieg und soziale Konterrevolution!

Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!

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