IYSSE-Veranstaltungen in Leipzig und Frankfurt am Main

Die Aktualität des Marxismus

Mit zwei weiteren Veranstaltungen in Leipzig und Frankfurt erreichte die Reihe zur „Aktualität des Marxismus“ der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) einen neuen Höhepunkt. Trotz des Widerstands rechter Tendenzen in den Studierendenvertretungen wurden beide Veranstaltungen zum großen Erfolg. Zuvor hatten an den Universitäten in Berlin, Bochum, München und Bonn schon hunderte Studierende und Arbeiter den Vortrag über Marx‘ 200. Jahrestag gehört.

Veranstaltung in der Moritzbastei Leipzig

Den Vortrag über Karl Marx, die bedeutendste Persönlichkeit der modernen Geschichte, hielt in beiden Städten Peter Schwarz, Chefredakteur der deutschen Ausgabe der World Socialist Web Site (WSWS) und Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI). Er schilderte Karl Marx, den entscheidenden Theoretiker der Arbeiterbewegung, als revolutionären Kämpfer.

Schwarz erläuterte den Inhalt des historischen und dialektischen Materialismus und verteidigte ihn gegen seine zahlreichen Fälschungen im zwanzigsten Jahrhundert, wie sie Stalin, die Frankfurter Schule, die Postmoderne und der Pablismus eingeführt hatten. Schwarz skizzierte die Geschichte des Kommunismus‘ und die Kontinuität der revolutionären Partei von Lenin, Trotzki und Rosa Luxemburg über die Gründung der Vierten Internationale bis hin zum IKVI. Anschaulich wies er die Aktualität des Marxismus für die heutige Zeit sozialer Not und der Gefahr eines neuen Weltkriegs nach.

In Leipzig folgten am 14. Juni etwa 100 Jugendliche, Arbeiter, Studierende und Akademiker dem Vortrag. Der Sprecher der IYSSE Leipzig, Christopher, wies auf die Bedeutung hin, die Leipzig für die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung hat. Vor 155 Jahren wurde hier mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) ein Vorgänger der SPD gegründet.

30 Jahre nach Auflösung der Sowjetunion und der stalinistischen Staaten Osteuropas hat sich der Kapitalismus als unfähig erwiesen, für Wohlstand, Demokratie und Frieden zu sorgen. Wie die Veranstaltung zeigte, ist gerade auf dem ehemaligen Staatsgebiet der DDR, wo Arbeiter statt „blühenden Landschaften“ einen immensen sozialen Kahlschlag erlebt haben, das Interesse an Marx und dem Marxismus groß.

In der Diskussion kamen Fragen auf, ob nicht Lenins Parteimodell notwendigerweise zum Stalinismus führe, und worin genau der Unterschied läge zwischen Stalinismus und Trotzkismus.

Peter Schwarz erläuterte, dass Lenins Partei auf dem Grundsatz des demokratischen Zentralismus beruhte, der bei innerer Demokratie das geschlossene Handeln nach außen sicherstellte und die Partei gegen den Druck des Opportunismus schützte. Der Stalinismus sei dagegen entstanden, weil die erste erfolgreiche Arbeiterrevolution von 1917 durch das Ausbleiben der Revolutionen im Westen isoliert blieb. Die daraus hervorgegangene Bürokratie habe Programm und Prinzipien der Kommunistischen Internationale verraten.

Peter Schwarz betonte die Notwendigkeit, die Geschichte der Arbeiterbewegung zu studieren und sich mit der politischen Tendenz auseinanderzusetzen, die bewusst gegen die stalinistische Degeneration kämpfte, nämlich der Vierten Internationale, die Leo Trotzki 1938 gegründet hatte. Das IKVI verkörpert heute die 80-jährige Geschichte des Kampfs gegen Stalinismus und Opportunismus.

Frankfurter Veranstaltung im Haus der Jugend

In Frankfurt fand die Veranstaltung fernab der Universität, im Haus der Jugend in Sachsenhausen statt, weil der von den Juso geführte Asta unter Einfluss der Antideutschen den IYSSE einen Raum an der Universität entzogen hatte. Der Asta hatte die IYSSE auf eine Stufe mit „Antisemiten und Faschisten“ gestellt, mit der einzigen Begründung, dass ihre Haltung zum Zionismus und zu Israel „zweifelhaft“ sei. Die IYSSE reagierten darauf mit einem Offenen Brief („Gegen rechte Zensur an der Uni Frankfurt“), der in mehreren tausend Exemplaren an der Goethe-Universität Frankfurt verteilt wurde.

So konnte IYSSE-Sprecher Philipp am 21. Juni über 60 Zuhörer begrüßen, darunter zahlreiche Studierende und auch Arbeiter und ältere Sympathisanten. Die Teilnehmer folgten dem Vortrag mit größter Aufmerksamkeit und beteiligten sich lebhaft an der Diskussion.

Die Frankfurter Diskussion zeigte indessen, welche feindlichen bürgerlichen Ideologien an der Universität kursieren. So versuchte ein Teilnehmer vehement, Stalin zu verteidigen. Mehrere Studierende stellten Fragen zur #MeToo-Kampagne und zur Identitätspolitik. So wurde gefragt, ob nicht der „Feminismus und der Zionismus die Bedingungen für diese Minderheiten verbessert“ hätten.

Die Antworten waren konkret, ausführlich und überzeugend und wurden von der Versammlung mit Applaus honoriert. Schwarz erklärte, dass Stalin die tragende Säule des Marxismus, den Internationalismus, abgelehnt und in sein Gegenteil verkehrt habe, als er 1924 den „nationalen Weg zum Sozialismus“ ausrief. Leo Trotzki habe damals eine Politik entwickelt, die den Internationalismus‘ verteidigte und die Widersprüche, mit denen der junge, isolierte Arbeiterstaat belastet war – zum Beispiel zwischen den sowjetischen Arbeitern und Bauern –, hätte beherrschen können.

Zur Haltung der Trotzkisten zur Sowjetunion erklärte Schwarz, diese hätten sie stets verteidigt, weil das nationalisierte Eigentum durch die Bürokratie nicht beseitigt worden war. Sie hätten die Arbeiter zum Sturz der Bürokratie aufgerufen, weil die Errungenschaften der Oktoberrevolution nur so verteidigt werden konnten. 1989/1990 sei es dann die stalinistische Bürokratie und nicht deutsche Panzer gewesen, die in der kapitalistischen Restauration die Errungenschaften der Revolution preisgab.

Zu den Fragen über Identitätspolitik erläuterte Schwarz, dass diese Politik in den 1970er Jahren als politische Waffe gegen die militante Bewegung der Arbeiterklasse lanciert wurde. Als die Bürgerrechtsbewegung in wachsendem Maße einen Klassencharakter annahm, wurde die Identitätsbewegung bewusst gefördert, um die afroamerikanische Mittelklasse gegen die Arbeiter in Stellung zu bringen.

„Mit der #MeToo-Kampagne hat man einen Hebel geschaffen, elementare demokratische Grundrechte wie beispielsweise das Unschuldsprinzip außer Kraft zu setzen“, erklärte Schwarz. „All diesen Fragen liegen Klassenfragen zu Grunde, und man kann sie nur lösen, indem man schwarze und weiße Arbeiter gemeinsam mobilisiert, um die demokratischen Rechte aller zu verteidigen.“

Den Versammlungen in beiden Städten folgten weitere Diskussionen am Büchertisch, und Dutzende Teilnehmer erklärten ihr Interesse an der Arbeit der IYSSE und trugen sich im Newsletter ein. Viele Versammlungsteilnehmer äußerten sich voller Hochachtung über den Vortrag und die Verteidigung marxistischer Prinzipien durch die IYSSE.

„Diese Veranstaltung war sehr wichtig“, sagte Simon (24), ein Auszubildender im Garten- und Landschaftsbau, nach der Versammlung in Frankfurt. „Der Vortrag ging auf den historischen Hintergrund ein. Er war konzentriert, aber verständlich zusammengefasst.“ Simon wies auf die Parallelen zwischen der Situation am Vorabend des Ersten Weltkriegs im Vergleich mit heute hin: „Das sticht einfach so deutlich hervor.“ Ihm sei sehr klar geworden, dass „die ganzen Probleme – die soziale Ungleichheit, Kriege, Armut, beziehungsweise die Weltkriege – dass das alles keine isolierten Dinge sind, die einfach so vorkommen, sondern dass es Symptome desselben Systems sind“.

Der Vortrag sei „ein ziemlicher Gewaltritt, aber gut gemacht“ gewesen, fand Florian (44), ein Arbeiter im Bus-Reparaturbetrieb, der die WSWS schon seit geraumer Zeit liest. „Man bekommt wirklich Sorgen; ein mulmiges Gefühl von kurz vor der dritten Halbzeit“, fuhr er fort, womit er die Gefahr eines bevorstehenden dritten Weltkriegs meinte. „Es gibt immer noch dieselben ungelösten Konflikte.“

Die nächste Versammlungen zur Aktualität des Marxismus finden am Mittwoch, 27. Juni in Karlsruhe und am 12. Juli in Dresden statt.

IYSSE-Kampagne vor dem Campus Westend der Frankfurter Goethe-Universität
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