Trump wettert auf NATO-Gipfel gegen Deutschland und Europa

Gestern wurde der zweitägige NATO-Gipfel in Brüssel in einer Krisenatmosphäre eröffnet. US-Präsident Donald Trump stellte Deutschland und andere europäische NATO-Länder an den Pranger. Einen Monat nach dem Scheitern des G7-Wirtschaftsgipfels in Quebec, auf dem die US-Handelskriegsmaßnahmen gegen Europa scharf kritisiert wurden, zerfallen auch die diplomatischen und militärischen Beziehungen zwischen Washington und der Europäischen Union (EU).

Trump begann den Tag bei einem gemeinsamen Frühstück mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit einer Tirade gegen die großen EU-Mächte. Er machte deutlich, dass die wiederholten Forderungen der USA nach mehr europäischen Militärausgaben Teil einer umfassenderen Strategie sind, die verstärkte Angriffe auf die Arbeiterklasse auf internationaler Ebene und umfangreiche Zugeständnisse der EU an die wirtschaftlichen Interessen der USA verlangt.

Trump erklärte: „Es ist öffentlich bekannt. Viele Länder zahlen nicht das, was sie sollten. Und, offen gesagt, viele Länder schulden uns seit vielen Jahren einen enormen Geldbetrag, sodass sie, was mich betrifft, straffällig sind, weil die Vereinigten Staaten für sie zahlen mussten. Gehen Sie einmal 10 oder 20 Jahre zurück und zählen Sie alles zusammen. Es sind riesige Mengen an Geld geschuldet. Die Vereinigten Staaten haben gezahlt und draufgelegt wie kein anderer. Das geht übrigens schon seit Jahrzehnten so. Das hat sich für viele Präsidenten fortgesetzt. Aber kein anderer Präsident hat es so deutlich angesprochen wie ich.“

Trump wies die Zusagen der EU-Mächte, bis 2024 zusätzliche 266 Milliarden Dollar für Verteidigung auszugeben und dies durch einschneidende Angriffe auf Arbeitsplätze und Sozialleistungen zu finanzieren, als völlig unzureichend zurück. Er sagte: „In diesem Jahr, seit unserem letzten Treffen, wurden Zusagen über Mehrausgaben von 40 Milliarden Dollar von anderen Ländern abgegeben. Das ist schon ein Schritt, aber es ist ein sehr kleiner Schritt.“

Flankiert von US-Verteidigungsminister James Mattis, Stabschef des Weißen Hauses John Kelly, US-Außenminister Mike Pompeo und US-Botschafter bei der NATO Kay Bailey Hutchinson, ließ Trump dann eine Tirade gegen Deutschland vom Stapel:

„Ich finde es sehr traurig, wenn Deutschland einen massiven Öl- und Gasvertrag mit Russland abschließt. Da soll man sich vor Russland schützen, aber Deutschland zahlt Abermilliarden von Dollar pro Jahr nach Russland. Also beschützen wir Deutschland. Wir beschützen Frankreich. Wir beschützen all diese Länder. Und dann gehen viele dieser Länder hin und schließen einen Pipeline-Deal mit Russland, wo sie Milliarden von Dollar in die Kassen Russlands einzahlen.“

Trump hatte zuvor die Nordstream-2-Gaspipeline von Russland über die Ostsee nach Deutschland scharf kritisiert und verlangt, dass Europa teureres Erdgas aus Amerika kauft. Im vergangenen Jahr drohte er sogar mit Sanktionen gegen deutsche und österreichische Unternehmen, die am Nordstream-Projekt beteiligt sind. Gestern warnte Trump: „Deutschland wird vollständig von Russland kontrolliert, weil es 60 bis 70 Prozent seiner Energie aus Russland und einer neuen Pipeline beziehen wird“.

Trump fuhr Stoltenberg über den Mund, als der NATO-Generalsekretär kurz für die Einheit der NATO plädierte und sagte: „Ich glaube, zwei Weltkriege und der Kalte Krieg haben uns gelehrt, dass wir zusammen stärker sind als getrennt ... Wir verstehen, dass wir gemeinsam, auch im Umgang mit Russland, stärker sind.“

Trump unterbrach Stoltenberg: „Nein, ihr macht Russland nur reicher. Ihr habt es nicht mit Russland zu tun. Ihr macht Russland reicher.“

Unbeeindruckt von Stoltenbergs Hinweis auf zwei Weltkriege, in denen die Vereinigten Staaten die von Deutschland angeführten europäische Mächte bekämpften, machte Trump deutlich, dass seine Forderungen nicht verhandelbar sind: „Und Sie haben ein Land wie Polen, das das Gas nicht akzeptiert. Werfen Sie einen Blick auf einige der Länder – sie werden es nicht akzeptieren, weil sie nicht Geiseln Russlands sein wollen. Aber für mich ist Deutschland eine Geisel Russlands, weil es so viel Energie aus Russland bezieht.“

Nach diesen aus dem Rahmen fallenden Äußerungen unterzeichnete Trump dennoch ein 20-seitiges Kommuniqué, das eine detaillierte und aggressive Weltpolitik für die NATO skizziert. In dem ausufernden Dokument werden Russland, Syrien und die „irreguläre Migration“ von Millionen von Flüchtlingen, die vor den NATO-Kriegen im Nahen Osten und in Afrika fliehen, als große Bedrohung gebrandmarkt. Außerdem werden Pläne für Raketenabwehrstützpunkte für Russland, NATO-Operationen in Afghanistan, auf dem Balkan, in der Ukraine und im Kaukasus sowie ein ausgedehntes Netz von Gefangenenlagern für Flüchtlinge in ganz Europa und Nordafrika vorgestellt.

Als Trump nach dem NATO-Gipfel nach Großbritannien und dann nach Helsinki zu einem Gipfel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aufbricht, ist unklar, welche Vereinbarungen Washington und seine nominalen EU-Verbündeten letztlich treffen werden. Doch ob der NATO-Gipfel wie der G7-Gipfel zusammenbricht oder mit einem brüchigen Konsens endet, der auf zügellosem Militarismus und Angriffen auf die Arbeiterklasse beruht – klar ist, dass die Beziehungen zwischen den großen Militär- und Wirtschaftsmächten der Welt zusammenbrechen.

Trump spricht für eine breite Fraktion der amerikanischen Kapitalistenklasse, die bestürzt ist über den Zerfall der US-Weltherrschaft infolge ihres langfristigen wirtschaftlichen Niedergangs. Ihre – über das Vierteljahrhundert seit der stalinistischen Auflösung der Sowjetunion verfolgte – Politik, die industrielle Schwäche der USA durch militärische Stärke auszugleichen, ist gescheitert. Immer deutlicher wird, dass ihre endlosen Kriege kein „Krieg gegen den Terrorismus“ sind, sondern, wie die Weltkriege des 20. Jahrhunderts, ein erbitterter Kampf um die Aufteilung der Märkte, Profite und strategischen Vorteile zwischen den imperialistischen Mächten.

Die Gefahr, dass solche Kriege wie im 20. Jahrhundert zu einem Weltkrieg zwischen den Großmächten, diesmal mit Atomwaffen, eskalieren könnten, wird auch in herrschenden Kreisen zunehmend erkannt. Nachdem die USA, Großbritannien und Frankreich im April gemeinsam Syrien bombardiert hatten, unterzeichneten hochrangige Vertreter des deutschen Staats eine Erklärung der Weizsäcker-Stiftung, in der es hieß: „Keiner der strukturellen Gründe, die zum Ersten Weltkrieg geführt haben, ist wirklich überwunden.“

Der historische Bankrott des Kapitalismus tritt immer deutlicher zutage. Die Gefahr, dass NATO-Operationen gegen Russland inmitten eskalierender militärischer Übungen und Einsätze in Osteuropa einen globalen Konflikt auslösen könnten, ist sehr real. Was jedoch auf diesem Gipfel vorherrscht, sind die Spaltungen zwischen den NATO-Mächten selbst.

Trump hat sich nicht die Mühe gemacht, seine langjährige Feindseligkeit gegenüber Deutschland zu verbergen. In seinem Wahlkampf bezeichnete er die deutschen Autoexporte in die Vereinigten Staaten als „schlecht“. Das Wall Street Journal berichtete am Sonntag, dass Trump die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem ersten Besuch in Washington nach seiner Wahl mit den Worten begrüßte: „Angela, du schuldest mir 1 Billion Dollar.“

Die erste Reaktion der deutschen Regierung auf Trumps Nordstream-Bemerkung war, dass sie keine Zugeständnisse machen werde. „Ich möchte aus gegebenen Anlass hinzufügen, dass ich erlebt habe, auch selber, dass ein Teil Deutschlands von der Sowjetunion kontrolliert wurde. Ich bin sehr froh, dass wir heute in Freiheit vereint sind als die Bundesrepublik Deutschland und dass wir deshalb auch sagen können, dass wir unsere eigenständige Politik machen können und eigenständige Entscheidungen fällen können.“

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen wies die Kritik von Trump gegenüber der BBC zurück: „Wir kommen damit klar. Wir haben ihn schon mal gehört und die Tweets gesehen. Wir haben eine unabhängige Energieversorgung, wir sind ein unabhängiges Land, wir diversifizieren nur.“

Der wachsende deutsch-amerikanische Konflikt wird zweifellos Berlins Bestreben verstärken, drastische Angriffe auf die Arbeiterklasse zu unternehmen, um eine militärische Aufrüstung zu finanzieren, die es Deutschland und anderen EU-Mächten ermöglicht, mit den Vereinigten Staaten zu konkurrieren. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Wir Europäer müssen mehr Verantwortung für uns selbst übernehmen ... Wir haben eine veränderte Sicherheitslage in Europa, wir erleben Veränderungen im europäisch-amerikanischen Verhältnis.“

Gleichzeitig untergräbt die Trump-Administration aggressiv die strategische Position Deutschlands in Europa. Trump befürwortet einen „harten Brexit“, um Großbritanniens Beziehungen zur EU zu durchtrennen.

Außerdem wird mittlerweile berichtet, dass Trump während des Besuchs des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Washington im April den explosiven Vorschlag gemacht hat, dass Frankreich – Berlins wichtigster Partner beim geplanten Aufbau einer EU-Armee – ebenfalls die EU verlassen könnte. Im Gegenzug bot Trump Frankreich engere Beziehungen und bessere Bedingungen für den Handel mit den Vereinigten Staaten an.

Macron lehnte es ab, diese Berichte zu kommentieren und sagte: „Was hinter verschlossenen Türen gesagt wurde, bleibt vertraulich.“

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