Europäische Union reduziert Seenotrettung im Mittelmeer

Nachdem die Europäische Union die Seenotrettung im Mittelmeer vor der libyschen Küste am Freitag faktisch eingestellt hatte, liefen am Montag vorläufig wieder Schiffe der EU Mission Eunavfor Med Sophia aus. Allerdings retten die Schiffe der Mission schon seit Monaten immer weniger Menschen vor dem ertrinken.

Die Mission hatte in ihrem dreijährigen Bestehen mindestens 49.000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken gerettet und auf das europäische Festland gebracht. Die Reduzierung der Rettung wird ebenso wie zuvor die Sabotage privater Helfer ganz unmittelbar zu einem massiven Anstieg der Todesopfer führen.

Am vergangenen Freitag hatte der Kommandant der Sophia-Mission, der italienische Admiral Enrico Credendino, sämtliche an der Mission beteiligte Schiffe in die Häfen zurückbeordert. Obwohl EU-Vertreter in Brüssel noch am Freitag bestritten hatten, dass die Mission Sophia eingestellt worden sei, war mit der Rückbeorderung der beteiligten Kriegsschiffe jede organisierte Seenotrettung durch die Europäische Union beendet worden.

Bereits am 17. Juli hatte der parteilose italienische Außenminister Enzo Moavero Milanesi der offiziell für Sophia zuständigen EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in einem Schreiben mitgeteilt, dass die italienischen Behörden zukünftig keine Flüchtlinge von Schiffen der EU-Mittelmeermission mehr aufnehmen werden. Die italienische Regierung fordert einen Verteilungsmechanismus für die aufgenommenen Flüchtlinge innerhalb der EU.

Nachdem der italienische Kommandant von Sophia dann die an der Mission beteiligten Kriegsschiffe zurück in die Häfen beordert hatte, entschied das zuständige „Politische und Sicherheitspolitische Komitee“ (PSK) der EU auf einem Krisentreffen, in den nächsten fünf Wochen Sophia einer Überprüfung und Revision zu unterziehen. Auf diese Weise sanktionierte die EU im Wesentlichen das Vorgehen der italienischen Regierung.

Am Montag einigten sich die Beteiligten dann darauf, die Schiffe der Mission für den Zeitraum dieser Überprüfung zunächst weiter auslaufen zu lassen. Es ist allerdings fraglich, ob die Schiffe überhaupt noch Flüchtlinge in größerem Maße retten werden. Die Zahlen der gretten Menschen ist in den letzten Monaten bereits stark zurück gegangen, wahrscheinlich weil die Schiffe die Gebiete meiden, in denen die Boote besonders häufig in Seenot geraten.

Der Tagesspiegel berichtet aus Brüsseler Militärkreisen, dass die Einsatzführung erreichen, will, dass die Flüchtlinge stattdessen von der sogenannten lybischen Küstenwache aufgegriffen und völkerrechtswidrig zurück nach LIbyen gebracht werden, wo ihnen Haft, Folter und sogar Sklaverei drohen. Der Hauptzweck er Mission ist auch ganz offiziell nicht die Seenotrettung, sondern der Kampf gegen Schleuser und die Ausbildung der libyschen Küstenwache.

Mit der Reduzierung der Seenotrettung hat die Europäische Union nicht nur ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal Tausender Flüchtlinge offenbart, sie bricht auch offen internationales Flüchtlings- und Seerecht und ist mindestens wegen unterlassener Hilfeleistung für das Massensterben auf dem Mittelmeer verantwortlich.

In diesem Jahr sind nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bereits mindestens 1.490 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Das sind zwar weniger als die 2.358 zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres, aber im Verhältnis zur Zahl der Flüchtlinge insgesamt ist die Rate der ertrunkenen Menschen gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen.

Der Juni dieses Jahres war mit 629 ertrunkenen Flüchtlingen der tödlichste Juni überhaupt. Das ist eine direkte Folge der verbrecherischen Politik der italienischen Regierungen und ihrer Partner in der EU, die zunächst die privaten Seenotretter mit Repressionen überzogen und jetzt die Seenotrettung praktisch völlig eingestellt haben.

Nahezu unmittelbar nach der Amtsübernahme hat die Regierung von Giuseppe Conte aus rechtsextremer Lega und rechtspopulistischer Fünf-Sterne Bewegung (M5S) zunächst den privaten Seenotrettungsschiffen das Einlaufen in den italienischen Häfen verwehrt. Tagelang mussten zunächst die „Aquarius“ und dann die „Lifeline“ im Mittelmeer kreuzen, ehe sie Häfen in Spanien bzw. Malta anfahren konnten, um jeweils mehrere Hundert Flüchtlinge an Land zu bringen. Auf Malta wurde der Kapitän der „Lifeline“ Claus-Peter Reisch verhaftet und vernommen.

Die Regierung Conte ging noch weiter und ließ selbst das italienische Küstenwachschiff Diciotti, das 67 Flüchtlinge an Bord hatte, nicht einlaufen. Die Diciotti durfte am Ende zwar doch noch anlegen, aber schon kurz darauf hinderte die italienische Regierung ein Schiff der italienischen Guardia di Finanza und ein Boot, das für die europäische Grenzschutzagentur Frontex im Einsatz gewesen ist, mit zusammen mehr als 450 Flüchtlinge an Bord am Einlaufen.

Auch wenn Vertreter der EU gelegentlich die italienische Regierung kritisieren, arbeiten sie tatsächlich eng zusammen, um einen barbarischen Krieg gegen Flüchtlinge zu führen. Auf dem EU-Gipfel im vergangenen Monat wurde von allen europäischen Regierungen der Aufbau eines umfassenden Lagersystems, die Massendeportation von Flüchtlingen und die massive Ausweitung des Grenzschutzes beschlossen.

Die rechtsradikale italienische Regierung gibt dabei den Ton an. Die enge Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache ist hierfür das beste Beispiel. Diese bringt Flüchtlinge auf hoher See auf und transportiert sie unter Gewaltandrohung und -anwendung zurück nach Libyen in Gefangenenlager. Die italienische Regierung verstößt dabei gezielt gegen Seerechtsübereinkommen, nach denen in Seenot geratene Personen bedingungslos gerettet und zum nächsten Hafen gebracht werden müssen. Ebenso schreibt die Genfer Flüchtlingskonvention vor, dass Flüchtlinge an der Grenze nicht abgewiesen und erst recht nicht nach Libyen zurückgeschoben werden dürfen.

Othman Belbeisi, der für die IOM in Libyen verantwortlich ist, schätzt die Zahl der Flüchtlinge dort auf 650.000. Knapp 10.000 sollen in staatlichen und quasistaatlichen Gefangenenlagern einsitzen. Seit dem Krieg der Nato gegen Libyen und der Ermordung Muammar al-Gaddafis ist in dem Land jede Ordnung verloren gegangen. Es herrschen Warlords mit ihren Milizen, die völlig willkürlich gegen Flüchtlinge vorgehen.

In einem vertraulichen Bericht der EU-Grenzschutzmission, aus dem das WDR-Magazin „Monitor“ Anfang Juli zitiert hat, heißt es, dass die offiziell anerkannte libysche Regierung von Fajes al-Sarradsch nur „sieben von 32 Internierungslagern für Flüchtlinge“ kontrolliert. „Menschenrechtsverletzungen, Erpressungen, sexuelle Misshandlungen, Versklavungen, Zwangsprostitution und Folter“ seien dort an der Tagesordnung. Selbst das deutsche Auswärtige Amt bezeichnete die libyschen Gefangenenlager als „KZ-ähnliche Einrichtungen“.

Auch die Bundesregierung unterstützt den Kampf der libyschen Milizen gegen Flüchtlinge. Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte Ende Juni die Arbeit der privaten Seenotretter, da sie der libyschen Küstenwache in die Quere kämen: „Es gibt eine Verpflichtung, dass man die libysche Küstenwache ihre Arbeit machen lässt. Und es gibt kein Recht, anstelle der libyschen Küstenwache einfach Dinge zu tun. Libyen hat ein Recht auch auf den Schutz seiner Küsten.“

Tatsächlich mehren sich Berichte, dass die libysche Küstenwache mit erschreckender Skrupellosigkeit und Brutalität zu Werke geht. Der Milizenführer Abd al-Rahman Milad, der westlich von Tripolis herrscht, wird von der UN bezichtigt, Flüchtlingsboote gezielt versenkt zu haben, um die an Bord befindlichen Menschen zurück nach Libyen in die Gefangenenlager bringen und versklaven zu können.

Die spanische Flüchtlingshilfsorganisation Open Arms, die mit dem eigenen Schiff „Astral“ vor Libyen operiert, hat die libysche Küstenwache nun verklagt wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung einer Frau und ihres 4-jährigen Kindes. Am 16. Juli hat sich ein Boot der libyschen Küstenwache einem mit Flüchtlingen vollbesetzten Schlauchboot genähert. Die Flüchtlinge haben deutlich gemacht, dass sie unter keinen Umständen zurück nach Libyen wollen. Die libysche Küstenwache versenkte darafhin mit Schusswaffen das Boot und ergriff die verzweifelt im Meer um ihr Leben kämpfenden Flüchtlinge, um sie an Bord und dann in ein Gefangenenlager zu bringen.

Zwei Frauen, eine mit einem Kleinkind im Arm, weigerten sich jedoch beharrlich, wieder nach Libyen gebracht zu werden. Daraufhin ließ die Küstenwache die beiden Frauen und das Kind einfach zurück. Die „Astral“ konnte 48 Stunden später inmitten der Überreste des Schlauchbootes das Kleinkind und eine Frau nur noch tot bergen.

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