Schwedische Studentin verhindert Abschiebung eines Afghanen

In sozialen Netzwerken macht ein Video die Runde, auf dem zu sehen ist, wie eine schwedische Studentin die Abschiebung eines Afghanen verhindert. Dass es bereits von mehr als zwei Millionen Menschen angesehen wurde, ist Ausdruck der weit verbreiteten Abscheu über die Behandlung von Flüchtlingen.

Die 21-jährige Elin Ersson, die an der Universität Göteborg Sozialarbeit studiert, engagiert sich seit etwa einem Jahr in Flüchtlingsgruppen. Als eine Gruppe von Aktivisten erfuhr, dass ein junger Afghane am Montag vergangener Woche abgeschoben werden sollte, besorgte sie Ersson ein Ticket für den betreffenden Flug von Göteborg nach Istanbul. Ersson ging mit der Familie des jungen Mannes zum Flughafen und erklärte den anderen Passagieren, was dort vor sich ging.

Erst als Ersson an Bord war, bemerkte sie, dass der junge Mann gar nicht im Flugzeug war. Allerdings „kursierten Gerüchte“, laut denen Einwanderungsbeamte andere Menschen abschieben würden, darunter auch einen älteren Afghanen. Ersson bemerkte, dass der 52-Jährige hinten im Flugzeug saß, und konnte kurz mit ihm sprechen, bevor sein Aufpasser sie wegdrängte.

Ersson begann, das Geschehen mit ihrem Handy zu filmen und das Material live auf Facebook zu übertragen, „falls mir etwas passieren sollte und ... um sicherzustellen, dass andere Leute wissen, was passiert ist“. Nur dank ihres Videos erfuhr die Familie des jungen Mannes, dessen Abschiebung sie eigentlich verhindern wollte, dass er sich nicht in diesem Flugzeug befand.

Daraufhin bewies Ersson großen persönlichen Mut. Sie weigerte sich, sich hinzusetzen und ihr Handy auszuschalten, sodass das Flugzeug nicht starten konnte. Das Kabinenpersonal beschrieb sie als „aufsässig“ und forderte sie mehrfach auf, sich hinzusetzen oder das Flugzeug zu verlassen. Sie blieb jedoch stehen und erklärte vor der Besatzung und den anderen Passagieren: „Ich werde mich erst hinsetzen, wenn dieser Mensch aus dem Flugzeug ausgestiegen ist.“

Da andere Passagiere nicht gefilmt werden wollten, hielt sie das Handy vor ihr eigenes Gesicht und kritisierte die schwedische Abschiebungspolitik mit den Worten: „Ich werde tun, was ich kann, um ein Menschenleben zu retten.“ Ihr schlug einige Ablehnung entgegen. Ein Brite nahm ihr das Handy ab und sagte: „Sie gehen den ganzen Leute da unten auf die Nerven. Es ist mir egal, was Sie denken.“ Ein Flugbegleiter gab ihr das Handy zurück.

Ein anderer Passagier sagte: „Sie verhindern, dass alle diese Passagiere ihren Zielort erreichen.“ Darauf antwortete Ersson: „Sie werden nicht sterben, aber er würde sterben.“

Trotz anfänglicher Frustration und Feindschaft schlug ihr jedoch eine breite Welle der Unterstützung entgegen. Ersson erzählte, wie sie sich ermutigt fühlte, als ein türkischer Passagier „anfing mit mir zu sprechen und mir zeigte, dass ich nicht alleine bin ... Er sagte, was ich tue, sei richtig.“ Andere Passagiere applaudierten. Drei Sitzreihen von ihr entfernt stand ein Mann aus Solidarität ebenfalls auf, und dann auch eine ganze Fußballmannschaft.

Ersson und die Familie des jungen Mannes hatten am Flughafen mit den Fußballspielern über die Abschiebungen diskutiert. Sie erklärte hinterher, ihre Unterstützung und das Wissen, dass „Menschen die Idee unterstützen, für die ich eintrete“, hätten sie in ihrer Entschlossenheit gestärkt. Wie das Video zeigt, war die Unterstützung, die sie im Flugzeug erhielt, für Ersson ein sehr bewegender Moment.

Nach einer Viertelstunde wurde der Afghane über den Hinterausgang aus dem Flugzeug gebracht. Ersson sah dies jedoch nicht, weil zu viele Leute im Weg standen. Sie selbst wurde durch die vordere Tür des Flugzeugs aus der Maschine geleitet. Sie konnte den Afghanen nicht sehen, Mitglieder der Besatzung erklärten jedoch, er stehe auf der Rollbahn. Sie sagte dazu: „Ich hörte sie miteinander reden und es klang wirklich so, als sei seine Abschiebung abgesagt worden. Ich fühlte mich gut.“

Die schwedische Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Grünen hat in den letzten drei Jahren einen zunehmend rechten und immigrantenfeindlichen Kurs eingeschlagen und Grenzkontrollen eingeführt. Vor zwei Jahren kündigte sie an, sie plane die Abschiebung von 80.000 Flüchtlingen, deren Asylanträge abgewiesen worden seien.

Im Jahr 2015 kamen 163.000 Flüchtlinge in Schweden an, 35.000 davon waren unbegleitete Minderjährige. Afghanen sind in besonderem Maße von der Abschiebepolitik betroffen. Sie machen zwar mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge aus, doch weil Schweden Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“ einstuft, erhielten nur 28 Prozent von ihnen Asyl. Ersson erklärte dazu: „In diesem Flugzeug war nur eine Person, aber es werden mehr werden.“

Menschenrechtsgruppen weisen auf die anhaltenden Konflikte in Afghanistan hin. Im Jahr 2017 wurden mehr als 3.000 Zivilisten getötet, weitere 7.000 verwundet. Ersson, die sich das letzte Jahr über mit afghanischen Asylsuchenden befasst hat, erklärte: „Niemand sollte nach Afghanistan abgeschoben werden. Das ist kein sicheres Land.“ Afghanen wüssten nie, ob sie „den nächsten Tag noch erleben“.

Durch den Rechtsruck der bürgerlichen Politik in Schweden wurden die rechtsextremen, immigrantenfeindlichen Schwedendemokraten (SD) hoffähig gemacht. Sie unterhalten Beziehungen zu Neonazigruppen in ganz Europa. In Stockholm fallen sie immer stärker durch ihr aggressives Auftreten auf. Unter anderem marschierten sie durch gemischte Wohnviertel wie Bagarmossen und attackierten Migranten im Stadtzentrum. Nach aktuellen Umfragen gewinnen sie an Stimmen. Ersson erklärte vor der Presse: „Ich sehe etwa einmal im Monat Nazis auf der Straße.“ Sie rechnet damit, dass sie bei der Wahl im September hinzugewinnen werden.

Das politische System hat in Schweden ein derart rechtes Klima geschaffen, dass die Schwedendemokraten aus der Wahl vermutlich mit einem guten Ergebnis oder sogar als stärkste Kraft hervorgehen werden. In einer aktuellen Umfrage liegt die rechtsextreme Partei bei über 20 Prozent. Einige Umfragen sehen sogar eine Verdopplung ihres Anteils von 13 Prozent bzw. 49 Sitzen gegenüber der Wahl von 2014 voraus. Damals wurden sie zur drittstärksten Partei.

Mit ihrem mutigen Auftreten hat Ersson die Realität der schwedischen Abschiebepolitik entlarvt. Der junge Mann, dessen Abschiebung sie verhindern wollte, war nach Stockholm gebracht und dort in ein Flugzeug gesetzt worden. Wie Ersson am Tag danach schrieb: „So laufen Abschiebungen in Schweden. Die Beteiligten wissen nichts, und sie dürfen sich nicht mit ihren Anwälten oder Familien in Verbindung setzen.“

Die Familie des jungen Mannes wusste nicht, was vor sich ging, da sie zum Flughafen von Göteborg gefahren war. Möglicherweise wurde der Mann, dessen Abschiebung Ersson verhindert hat, in einen anderen Abschiebeflug gesetzt. Ersson drohen möglicherweise rechtliche Folgen, beispielsweise eine Geldstrafe oder sechs Monate Haft.

Die zunehmend aggressive Politik Schwedens gegen Flüchtlinge liegt auf einer Linie mit ähnlichen Entwicklungen in ganz Europa. Anfang des Monats begrüßte der deutsche Innenminister Horst Seehofer die größte Massenabschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan mit den Worten: „Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 – das war von mir nicht so bestellt – Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“

Aus dieser Gruppe beging ein 23-Jähriger kurz nach seiner Abschiebung nach Kabul Selbstmord.

Ersson äußerte die Hoffnung, dass die Menschen durch ihr Video „beginnen zu hinterfragen, wie ihr Land Flüchtlinge behandelt“. Ihr Handeln ist nicht nur die mutige Tat einer Einzelnen. Sie stieß auf Anklang, weil breite Teile der Bevölkerung das nationalistische und immigrantenfeindliche Klimas, das von den Herrschenden geschürt wird, ebenfalls ablehnen.

Weltweit müssen Proteste und Streiks von Arbeitern gegen das Vorgehen der Polizei gegen Immigranten und Flüchtlinge organisiert werden. Arbeiter müssen unabhängige Aktionskomitees und Unterstützungsgruppen organisieren, die Teil einer Bewegung der internationalen Arbeiterklasse für die Abschaffung des kapitalistischen Nationalstaatensystems werden.

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