Wehrhahn-Prozess Düsseldorf: Rechtsextremer Angeklagter freigesprochen

Im Prozess um den Bombenanschlag am S-Bahnhof in Düsseldorf-Wehrhahn vor 18 Jahren hat das Landgericht Düsseldorf den 52-jährigen Angeklagten Ralf S. am Dienstag freigesprochen. Obwohl zahlreiche Indizien für die Täterschaft von S. sprachen, verließ er den Gerichtssaal als freier Mann.

Das Urteil des Vorsitzenden Richters Rainer Drees werden Neonazis als Ermutigung auffassen, ihrem Fremdenhass freien Lauf zu lassen.

Dem bekennenden Ausländerfeind und Antisemiten Ralf S., der zumindest vor 18 Jahren in der Düsseldorfer Neonazi-Szene gut vernetzt war, wurde vorgeworfen, am 27. Juli 2000 am S-Bahnhof Wehrhahn eine mit TNT gefüllte Rohrbombe per Fernzündung zur Explosion gebracht zu haben.

Sieben Frauen und drei Männer hatten damals teilweise lebensgefährliche Verletzungen erlitten. Ein Bombensplitter hatte das ungeborene Kind im Bauch einer Schwangeren getötet. Die Opfer waren überwiegend junge jüdische Menschen aus Osteuropa, die an einer nahegelegenen Sprachenschule Deutsch lernten. Bis heute sind viele der Verletzten traumatisiert. Dass das Gericht Ralf S. freisprach, war eine große Enttäuschung für sie.

Die Staatsanwaltschaft hatte S. versuchten Mord in zwölf Fällen vorgeworfen und dies mit einer stringenten Indizienkette belegt. Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück hält S. aufgrund dieser Indizien für überführt und kündigte an, er wolle beim Bundesgerichtshof gegen das Urteil Revision einlegen. Der Angeklagte hat laut Herrenbrück das von Experten erstellte Täterprofil „übererfüllt“.

S. hatte von Anfang an zu den Verdächtigen gehört, der Fall war aber erst 2014 wieder in Gang gekommen, nachdem S., der wegen nicht bezahlter Bußgelder zeitweilig in Haft saß, einem Mithäftling gegenüber damit geprahlt hatte, er habe das Attentat verübt. Schließlich wurde S. im Februar 2017 als mutmaßlicher Täter festgenommen.

Vor Gericht bestätigte der 44-Jährige Mithäftling, dass S. mit dem Bombenanschlag geprahlt habe. Er habe wörtlich gesagt: „Ich habe die Kanaken in meinem Viertel in die Luft gejagt.“

Im Laufe des Prozesses meldete sich auch der frühere Neonazi Holger P. als Zeuge. Auch ihm gegenüber habe S. in der Untersuchungshaft mit der Tat geprahlt, weil er ihn für einen Gesinnungsgenossen gehalten habe. S. habe ihm von dem Anschlag erzählt und die Tat gestanden. „Die Sache sei nicht so ausgegangen, wie er gedacht habe, weil er wollte, dass alle dabei draufgehen“, gab Holger P. das Gespräch wieder.

Aber es sei doch ein Baby getötet worden, will P. nach eigenen Angaben erwidert haben. S. soll geantwortet haben, das nenne man dann wohl „gelungene Euthanasie“. Er habe sich als Helden gesehen. „Als einen Soldaten Deutschlands, der die Ehre dieses Landes retten muss“, sagte P. als Zeuge aus.

Doch der Richter hatte von Beginn des Prozesses an eine Linie verfolgt, die jener der Verteidigung des Angeklagten entsprach. Grundsätzlich komme S. durchaus als Täter in Betracht, doch beweisen ließe sich die Täterschaft nicht. Diese Auffassung hatte Drees schon vor Monaten vertreten. Schon Mitte Mai dieses Jahres hatte er den Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen, weil angeblich kein ausreichender Tatverdacht vorlag.

Richter Drees bescheinigte S. zwar, dass er heute wie vor 18 Jahren extrem „menschen- und ausländerfeindlich“ sei. Im Laufe des Prozesses wurden abgehörte Telefongespräche des Angeklagten zitiert, in denen er von „Kanaken“, „drogenverkaufendem Dreckspack“ sowie von „Schwarzen, die man mit einer 357er Magnum abknallen“ müsse, gesprochen hatte.

Doch der Richter wirkte maßgeblich daran mit, dass es nun zu diesem Freispruch nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ kommen konnte. Zeugen glaubte er entweder von Beginn an nicht, weil sie wie Holger P. „psychisch labil“ seien, oder er nahm sie – wie den Mithäftling aus dem Jahr 2014 – solange ins Verhör, bis sie sich in Widersprüche verwickelten.

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte die Fragen des Richters an Holger P.: „In Momenten wie diesen konnte man fast glauben, ein Verteidiger stelle diese Fragen.“

Der Aussage der damaligen Freundin von S., sie habe die Bombe vier bis fünf Tage vor dem Anschlag in einer von ihm zusätzlich angemieteten Wohnung gesehen, schenkte der Richter ebenso wenig Glauben wie ihrer Aussage, S. habe den Anschlag schon etwa ein Jahr zuvor angekündigt. „Ich werd‘ die hochjagen“, habe er sinngemäß gesagt.

Widersprüche in den Aussagen von S. und selbst seine Selbstbezichtigungen wurden vom Richter heruntergespielt. S. sei ein Mann mit ausgeprägtem Imponiergehabe gewesen, der „unentwegt gelogen“ habe, wie etwa gegenüber den Mithäftlingen.

Die Polizei hatte mitgehört, wie S. sagte: „So gesehen, ist das, was ich am Wehrhahn gemacht habe, nur eine Abtreibung – äh, was ich gemacht haben soll“. Der Richter legte den nachgeschobenen Halbsatz zu Gunsten des Angeklagten aus.

Dass er in einem Gespräch mit seiner ehemaligen Frau, in dem er die gemeinsamen Kinder als die drei großen Glücksfälle seines Lebens bezeichnete, hinzufügte: „Und wenn du die Wehrhahn-Sache dazu nimmst, waren es vier“, konnte nach Ansicht des Richters auch Ironie gewesen sein. Schließlich sei da gerade ein Kontaktverbot für den Vater verhängt worden.

Die Staatsanwaltschaft führte als wichtigen Beweis gegen S. an, dass er von Zeugen als Mann identifiziert wurde, der bei der Explosion auf einem Stromkasten saß und nach der Explosion langsam davonging, anstatt sich um die Opfer zu kümmern. Mithilfe einer Zeugin war ein Phantombild dieses Mannes erstellt worden.

Seine damalige Lebensgefährtin erkannte S. darauf zweifelsfrei. Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück erklärte, wenn man die Zeichnung und das Bild aus dem Personalausweis von S. übereinanderlege, könne man erkennen, dass es sich um dieselbe Person handle.

Das Gericht hielt jedoch dagegen, dass S. nur wenige Minuten nach der Tat angeblich aus seiner Wohnung telefoniert habe. Daher könne er nicht der Mann vom Phantombild sein. S. wohnte nahe am Tatort.

Die Anzahl der Zufälle sei endlich, kommentierte dies Staatsanwalt Herrenbrück. „Der große Unbekannte müsste dann auch noch aussehen und angezogen gewesen sein wie der Angeklagte. Das gibt es nicht.“ Herrenbrück macht dem Gericht schwere Vorwürfe, die Kammer habe sich täuschen lassen.

Nebenklage-Vertreter Juri Rogner hatte in seinem Plädoyer gewarnt, die Kammer sei im Begriff, „den schwersten Justizfehler in der Geschichte Düsseldorfs zu begehen“.

Ob Richter Drees sich hat „täuschen lassen“ oder den „schwersten Justizfehler“ begangen hat, ist offen. Denn der Wehrhahn-Prozess erinnert sehr an den kürzlich beendeten NSU-Prozess. Dort hatte die Generalbundesanwaltschaft „zu keinem Zeitpunkt ein Netzwerk“ sehen wollen, sondern lediglich „eine singuläre Vereinigung aus drei Personen“, obwohl es offensichtlich war, dass diese drei Personen in einem engen Netz von Neonazis und staatlichen V-Leuten agierten. Im Wehrhahn-Prozess legte sich Richter Drees schon früh darauf fest, dass der Angeklagte ständig lüge und so als „Erkenntnisquelle“ ausscheide.

Das Ergebnis ist hier wie dort, dass die Angeklagten mit milden Strafen, bzw. einem Freispruch davonkamen und wichtige Fragen ausgeklammert wurden. Einmal mehr ist auch im Wehrhahn-Prozess die Frage offen geblieben, ob Staats- und Verfassungsschutz ihre Hände im Spiel hatten.

Laut dem Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 1999 hatten sich in Düsseldorf „gefestigte rechtsextreme Strukturen“ etabliert. Der Geheimdienst beobachtete also intensiv die Düsseldorfer Neonazi-Szene, von der Ralf S. damals ein fester Bestandteil war.

Höchst dubios erscheinen daher seine Aussagen über den nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Ralf S. behauptet, dessen V-Leute hätten ihn angeblich nach der Tat in eine Falle locken wollen. Von einem soll er angeblich ein Jahr lang 1200 Mark bekommen haben – wofür? Ein anderer habe ihn zu Experimenten mit Sprengstoff animieren wollen. Darauf sei er aber nicht eingegangen.

Dominik Schumacher von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, der den gesamten Prozess verfolgt hat, sagte nach der Urteilsverkündung: „Zum Beispiel gab es einen V-Mann, der in direkter Nähe des Angeklagten tätig war.“ Dabei handelt es sich um den ehemaligen Skinhead André M.

Dieser V-Mann des Verfassungsschutzes mit dem Decknamen „Apollo“ hatte im Sommer 2000 als Wachmann für S. gearbeitet. Als er 2016 noch einmal vernommen wurde, konnte er keine Angaben zum Anschlag von Wehrhahn machen. „Das ist unserer Erfahrung nach nicht glaubwürdig“, sagte Schumacher. „Eine mögliche Verbindung zum NSU hat gar keine Rolle gespielt. Ob es da Zusammenhänge gab – die Frage bleibt offen.“

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