Perspektive

Klassenausbeutung und der Markt: Das Geheimnis des Billionen-Dollar-Konzerns

Am Donnerstag erreichte Apple als erster amerikanischer Konzern eine Marktkapitalisierung von einer Billion Dollar. Mehrere seiner Rivalen unter den Technologiekonzernen sind ebenfalls nicht mehr weit davon entfernt. Der Wert des Online-Versandmonopolisten Amazon liegt bei 883 Milliarden Dollar. Die Marktkapitalisierung von Alphabet, dem Mutterkonzern von Google und YouTube, liegt bei 854 Milliarden Dollar, gefolgt von Microsoft mit 821 Milliarden Dollar.

Der Aufstieg des Billionen-Dollar-Konzerns verdeutlicht das eigentliche Wesen des heutigen Kapitalismus: Er veranschaulicht, in welchem Ausmaß die Überhöhung der Aktienkurse ein Werkzeug für die Umverteilung des Reichtums geworden ist. Auf dem einen Pol der Gesellschaft wächst das Vermögen durch Aktienrückkäufe und Kapitalgewinne, auf dem anderen sinken zwangsläufig die Löhne.

Wenn sich weltweit Arbeiter die Frage erlauben, warum sie weiterhin in Armut schuften müssen, dann lautet die Antwort immer, es sei kein Geld da. Aber das ist nur um eine absurde und durchsichtige Lüge.

Apples Profite beruhen auf einem koordinierten und systematischen weltweiten Ausbeutungsprozess.

In der ersten Hälfte dieses Jahres hat Apple 43,5 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe ausgegeben, das ist 40mal mehr, als es im gleichen Zeitraum den Arbeitern, die in China iPhones zusammenbauen, bezahlt hat. Der Kapitalbestand des Unternehmens liegt bei 250 Milliarden Dollar, der Nettoprofit ist aufgrund des Steuerrepatriierungssystems der Trump-Regierung noch weiter angestiegen.

Apple ist zwar mengenmäßig nur der drittgrößte Hersteller von Smartphones, fährt allerdings die größten Profite ein, da seine Produkte deutlich teurer sind als diejenigen anderer Marken. Das Unternehmen produziert nur achtzehn Prozent der weltweit verkauften Smartphones, erwirtschaftet aber 90 Prozent der Profite in diesem Sektor.

Laut einer Studie machen die Arbeitskosten nur fünf Prozent des Einzelhandelspreises für ein iPhone aus. 60 Prozent des Umsatzes streicht Apple als Profit ein.

Die iPhones werden in riesigen Produktionsanlagen auf dem chinesischen Festland hergestellt. Beispielhaft dafür ist ein Werk der Pegatron Corporation außerhalb von Shanghai, in dem rund um die Uhr bis zu 50.000 Arbeiter beschäftigt sind, oder das Foxconn-Werk in Zhengzhou, das 500.000 iPhones an einem Tag produzieren kann.

In diesen Fabriken herrscht höchste Geheimhaltung. Die Arbeiter sind dort einschließlich der Überstunden regelmäßig 60 Stunden pro Woche beschäftigt und verdienen zwischen zwei und drei Dollar pro Stunde. Vor Schichtbeginn müssen sie metallene Drehkreuze passieren, und ihre Gesichter werden gescannt. Dann treten sie in militärischer Formation zu Zwölf-Stunden-Schichten an. Die Außenfassaden ihrer Wohnkasernen sind mit Netzen gesichert, um zu verhindern, dass sich Arbeiter absichtlich in den Tod stürzen.

An riesigen Fließbändern fügen die Arbeiter Teile von bis zu 200 Zulieferern aus dem asiatischen Pazifik, Nordamerika und Europa zusammen. Jede Fabrik kann bis zu 350 Smartphones pro Minute herstellen.

Nach der Produktion durchläuft jedes Smartphone auf dem Papier ein komplexes System von Zollverfahren, an dessen Ende die Profite durch die Steueroase Irland an das Unternehmen gehen. Auf diese Weise vermeidet Apple einen Großteil der fälligen Steuern.

Drei Viertel von Apples Smartphones sind für den Export aus China vorgesehen. Exporte in die USA werden zuerst per UPS und FedEx nach Anchorage (Alaska) gebracht, danach nach Louisville (Kentucky), und von dort aus im ganzen Land verteilt. Auf diesem Weg werden sie von UPS-Beschäftigten sortiert, die zwischen neun und fünfzehn Dollar pro Stunde verdienen.

Einige Smartphones gehen an die Einzelhandelshandelsgeschäfte von Apple, wo Verkäufer pro Stunde Produkte im Wert von über 300 Dollar verkaufen, aber nur einen Stundenlohn von dreizehn Dollar erhalten. Andere gehen an Apples Onlineversand oder an Mobiltelefonhändler. Von dort aus werden sie von UPS-Fahrern ausgeliefert, deren Anfangsgehalt auch dann, wenn der Tarifvertrag der Teamster-Gewerkschaft durchgesetzt wird, gerade mal zwanzig Dollar pro Stunde betragen wird.

Der Billionen-Dollar-Konzern ist also möglich, weil seine Arbeitskräfte wöchentlich 60 Stunden oder noch länger eintönige Knochenarbeit leisten. Die meisten von ihnen können jederzeit entlassen werden und haben so gut wie keinen Anspruch auf Krankenversicherung und Rente.

Es lässt sich nicht leugnen, dass Apple und Google beträchtliche technische Innovationen geleistet haben. Doch die Technologie, die ihren Produkten zugrunde liegt, wie das Graphical User Interface (GUI) oder das World Wide Web wurden in öffentlichen Instituten oder in staatlich finanzierten Forschungseinrichtungen entwickelt. Als Beweis dafür genügt die Tatsache, dass die mobilen Betriebssystem von Apple (iOS) und Google (Android) auf kostenloser Open Source-Software basieren.

Apples Verkaufszahlen haben sich seit 2009 verzehnfacht, doch der Aktienkurs ist um das achtzehnfache gestiegen. Im Jahr 2009 erreichte er einen Tiefststand von nur elf Dollar pro Aktie; Ende dieser Woche betrug er zuletzt 207 Dollar. Diese Steigerungen stellen auch den Gesamtanstieg des Dow Jones in den Schatten, der sich im gleichen Zeitraum nur viervierfacht hat.

Am Freitag wurden die aktuellen Arbeitsmarktdaten veröffentlicht: Sie besagen, dass die Reallöhne der Arbeiter im letzten Jahr um 0,2 Prozent gesunken sind. Gleichzeitig hat sich die jährliche Anlagerendite der Ultrareichen aufgrund des boomenden Aktienmarktes weltweit um zwanzig Prozent erhöht.

Für die Finanzoligarchie ist Apple eine unerschöpfliche Geldquelle. Fast zwei Drittel der Aktien des Unternehmens befinden sich im Besitz von Investmentgesellschaften wie Vanguard, Blackrock und Berkshire Hathaway, denen zahlreiche Millionäre und Milliardäre ihren Reichtum anvertrauen, damit er sich etwa alle fünf Jahre verdoppelt.

Das gigantische Einkommen der Finanzoligarchie ergibt sich direkt aus der Rettung der Wall Street im Jahr 2008. In ihrem Rahmen hatte die Obama-Regierung Billionen Dollar aus Steuergeldern in die Bilanzen der großen Banken gepumpt und damit die größte und längste Börsenbonanza der Weltgeschichte ausgelöst.

Seit dem Zweiten Weltkrieg lautete das halboffizielle Mantra des amerikanischen Kapitalismus: „Bei steigender Flut treiben alle Boote.“ Wenn die Konzerne Profite machen, würden diese angeblich an alle Sektionen der Gesellschaft durchgereicht, auch an die Arbeiterklasse.

Der auffälligste Wesenszug der Börsenrallye seit der Krise von 2008 ist jedoch das ungeheure Ausmaß, in dem sowohl die Aktienkurse endlos steigen und gleichzeitig die Löhne zwangsläufig sinken.

Das erklärt, warum auf scheinbar rätselhafte Weise alle normalen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt einbrechen. Viele reden von dem größten Arbeitskräftemangel seit 50 Jahren. Und doch sinken die Löhne in jedem Monat weiter.

Zehn Jahre nach dem Finanzcrash von 2008 steht die Arbeiterklasse am Scheideweg. Seit Jahresbeginn gibt es bereits beträchtliche Anzeichen für ein neues Ausbrechen des Klassenkampfs. Alleine diesen Monat werden 250.000 Beschäftigte bei UPS über einen Tarifvertrag abstimmen, auf den sich das Unternehmen und die Teamster-Gewerkschaft geeinigt haben. Er sieht vor, die Durchschnittslöhne der derzeitigen Beschäftigten durch die Schaffung einer neuen Kategorie von „flexiblen“ Beschäftigten zu halbieren. In Europa haben Beschäftigte bei Ryanair faktisch eine internationale Streikbewegung organisiert. In Großbritannien fordern Beschäftigte im National Health Service die Auszahlung von Löhnen, die ihnen vorenthalten wurden.

In der nahen Zukunft wird sich der wachsende Widerstand der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung und Ungleichheit auf viele Arten äußern. Diese Kämpfe können nur erfolgreich sein, wenn die Arbeiter begreifen, dass sie nicht nur gegen ein Unternehmen, eine Gewerkschaft oder eine Regierung kämpfen, sondern gegen das gesamte kapitalistische System. Seine Funktion besteht darin, die Finanzoligarchie permanent zu bereichern und gleichzeitig die Arbeiterkämpfe zu unterdrücken.

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