Europaweiter Streik der Ryanair-Piloten

Ryanair war am gestrigen Freitag gezwungen, europaweit 400 von insgesamt 2400 Flügen zu streichen. Der Grund war ein Streik von Ryanair-Piloten, die gleichzeitig in fünf europäischen Ländern – Irland, Belgien, Schweden, Holland und Deutschland – 24 Stunden lang streikten. Zwischen 55.000 und 74.000 Passagiere waren von dem Arbeitskampf betroffen.

Grund für den Streik ist die Wut der Beschäftigten über regelrechte Sklavenbedingungen. Der Ryanair-Konzern scheffelt jedes Jahr Milliardengewinne, aber den Beschäftigten zwingt er ungeregelte Arbeitszeiten und ausbeuterische Arbeitsbedingungen auf.

Allerdings sind die Piloten, wie auch das Kabinenpersonal und die Bodenbeschäftigten, damit konfrontiert, dass die national basierten Gewerkschaften den Streik sabotieren. Sie organisieren isolierte „symbolische“ Aktionen und tun alles, um sich so schnell wie möglich mit Ryanair zu einigen.

Ryanair-Piloten in Frankfurt am Main

In Deutschland, wo sich die Ryanair-Piloten an neun von zehn Standorten der Airline am Ausstand beteiligten, wurden 250 Flüge gestrichen. 104 Flüge von und nach Belgien fielen aus, und weitere 42 Flüge wurden in Schweden und Irland, dem Heimatflughafen von Ryanair, gestrichen.

In der arbeitenden Bevölkerung traf der Streik auf große Solidarität. Am Frankfurter Flughafen, wo Unterstützer der World Socialist Web Site die Erklärung „Der Ryanair-Streik und die Wiederkehr des internationalen Klassenkampfes“ als Flyer verteilten, erklärten viele Flughafen-Mitarbeiter spontan ihre Solidarität mit dem Streik.

„Aber selbstverständlich“ unterstütze sie diesen Streik, erklärte Jutta, die für eine Zuliefererfirma der Fraport AG am Rhein-Main Airport arbeitet. „Das war schon längst fällig!“ Man müsse doch menschlich mit dem Personal umgehen. Sie sagte: „Es kann sich doch nicht immer alles nur um den Profit drehen. Wer denkt denn an die Leute, die dahinter stehen und die ganze Arbeit machen? Die Bosse wollen permanent mehr Geld einstreichen, aber das geht alles zu Lasten der Flugkapitäne, der Stewardessen und des ganzen Personals.“

Auf dem Rollfeld, wo die Maschinen aller Fluggesellschaften starten und landen, beobachtet Jutta schon lange, wie der Druck zunimmt. Sie setzte hinzu: „Es geht hier nicht bloß um Ryanair. Die drücken die Standards für alle runter, das sieht man doch. Überall kommt die Geiz-ist-geil-Mentalität zum Durchbruch.“

Ein anderer Arbeiter, Mustafa, der im Cargo-Bereich arbeitet, erklärte, er habe „sehr großes Verständnis für diesen Streik“. Das sei ein deutliches Zeichen dafür, „dass die nicht mehr alles hinnehmen. Es kann ja nicht ewig so weitergehen.“ Seine Arbeit besteht darin, die Frachtflugzeuge zu be- und entladen, und er bestätigte, dass auch am Frankfurter Flughafen „immer mehr Arbeit von immer weniger Leuten geleistet werden muss“. Mustafa schloss: „Für die Passagiere ist es unangenehm, aber das Streikrecht ist schließlich dafür da, dass auch die Leute, die die ganze Arbeit machen, ihre Forderungen durchsetzen können.“

Auch in den sozialen Medien gab es überwältigende Zustimmung für die streikenden Piloten. Eine Frau aus Großbritannien schrieb: „Ich unterstütze eure Piloten, die im Streik stehen. Wie Ryanair sie behandelt, stinkt zum Himmel.“ Stefaan, ein Twitter-Nutzer aus Belgien, schrieb: „Meine volle Zustimmung für die Piloten, die bei Ryanair heute streiken. Die Arbeitsbedingungen müssen sich ändern.“

Im Gegensatz zu dieser großen Unterstützung, die ein europaweiter Streik in der Bevölkerung genießt, setzen die Gewerkschaften alles daran, den Streik zu sabotieren und jede ernsthafte Auswirkung auf das Unternehmen zu unterbinden. Ryanair berichtet, dass es trotz des Streiks 85 Prozent der Flüge planmäßig ausführen konnte.

Die Billigfluglinie behauptet, von den Flügen der Niederlande habe sie keinen einzigen absagen müssen, obwohl die Piloten dort am Streik teilnahmen. Hauptgrund dafür ist, dass in den drei Ländern, in denen Ryanair die meisten Flugkapitäne hat – nämlich in Großbritannien mit 880 Piloten, Italien mit 829 und Spanien mit 859 Piloten – die jeweiligen Gewerkschaften ihre Mitglieder in keiner Weise zur Unterstützung der streikenden Kollegen aufgerufen haben. Auch die Gewerkschaften des Kabinenpersonals rührten keinen Finger, um die Piloten zu unterstützen.

Bezeichnenderweise hat Ryanair in den letzten sieben Monaten in zwei dieser Länder schon Übereinkünfte mit den jeweiligen Gewerkschaften abgeschlossen: in Großbritannien mit der Pilotenvereinigung BALPA und in Italien mit ANPAC. Beide Gewerkschaften haben seither jegliche gemeinsame Offensive von Piloten und Flugbegleiter in Europa aktiv verhindert.

Ryanair hat im vergangenen Dezember erstmals damit begonnen, Gewerkschaften anzuerkennen. Der Konzern legte Pläne vor, seine Operationen auszuweiten und seine Profite zu steigern. Gleichzeitig versicherte das Management, es gehe nicht davon aus, dass gewerkschaftlich ausgehandelte Verträge die Kosten in die Höhe treiben würden. Wie Eddie Wilson, Ryanairs oberster Personalleiter, erklärte, wird Ryanair sein Geschäftsmodell fortsetzen. Wilson erklärte: „Das ist nicht das Ende unseres Modells. Es wird dasselbe Modell bleiben.“

Als Ryanair im Januar in Großbritannien den ersten Vertrag mit einer Gewerkschaft ausgehandelt hatte, erklärte der Generalsekretär der britischen BALPA, er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit mit diesem Konzern, der seit über dreißig Jahren für seine Angriffe auf Arbeitsbedingungen berüchtigt ist. Strutton sagte: „Wenn man die frühere Feindschaft von Ryanair, den Gewerkschaften gegenüber betrachtet, ist das heutige Abkommen von historischer Bedeutung. Am Anfang, als Ryanair uns und andere Gewerkschaften anerkannte, waren wir skeptisch, ob das ernst gemeint war. Aber unsere Gespräche und Meetings mit ihnen haben gezeigt, dass sie eine konstruktive Beziehung zu den Gewerkschaften aufrichtig wünschen.“

Praktisch überall, wo es am gestrigen Freitag Streiks gab, hatten die Pilotengewerkschaften bis zur letzten Minute versucht, diese zu vermeiden.

In Holland gab der Pilotenverband Vereniging Nederlandse Verkeersvliegers (VNV), der 50 Ryanair-Piloten vertritt, erst am Donnerstag seine Teilnahme am Freitag-Streik bekannt. Bis zuletzt hatte er versucht, mit der Airline zu einem Abschluss zu kommen. Dies war gescheitert, und Ryanair hatte an diesem Donnerstag vergeblich versucht, der Gewerkschaft eine Streikteilnahme gerichtlich verbieten zu lassen. Wie die VNV erklärte, hatte dieser Schritt von Ryanair sie überrascht: Die Gewerkschaft hatte bis dahin gar nicht zum Streik aufgerufen.

In Deutschland zeigte sich besonders deutlich, wie groß die Angst der Gewerkschaftsführer ist, dass sich der Streik ihrer Kontrolle entziehen und zum Anziehungspunkt für das Kabinen- und Bodenpersonal sowie für die gesamte Flugbranche werden könnte.

Die Vereinigung Cockpit weigerte sich, irgendeinen Streikposten aufzustellen oder Aktionen an einem der zehn Ryanair-Standorte zu organisieren. Stattdessen rief die Gewerkschaft ihre Mitglieder auf, zu einer „Kundgebung“ ins Kellergeschoss ihrer Zentrale in Frankfurt zu kommen, weit abgeschieden vom Flughafen und von allen Kollegen der Ryanair-Piloten in den andern Fluggesellschaften.

Im Keller des Hauptquartiers fand dann ein fein säuberlich inszenierter Fototermin statt, bei dem die Funktionäre permanent darauf bedacht waren, ihre eigene Mitgliedschaft im Zaum zu halten. Den Vertretern der World Socialist Web Site verboten die Bürokraten, Flugblätter zu verteilen. Mehrfach riefen Gewerkschaftsvertreter die anwesenden Mitglieder auf, keinesfalls mit Vertretern der Presse zu sprechen. Dies dürften ausschließlich die Pressesprecher der Vereinigung, hieß es immer wieder.

Die „Kundgebung“ im Keller des Cockpit-Hauptquartiers in Frankfurt

Die angekündigte „Kundgebung“ diente den Gewerkschaftern im Wesentlichen dazu, sich Ryanair als Partner anzudienen. Martin Locher, der VC-Präsident, zitierte den Ryanair Marketing-Chef Kenny Jacobs, der von „diesem unnötigen Streik“ gesprochen hatte, und sagte dazu, damit stimme er „zu hundert Prozent überein“. Es wäre „sehr viel sinnvoller“, so Locher, „sich in konstruktiven Verhandlungen zusammenzusetzen“.

Die Art und Weise, wie die Gewerkschaften die Entwicklung eines europaweiten Streiks bewusst verhindern, zeigte sich auch in Irland sehr deutlich, wo Ryanair seinen Heimatflughafen hat. Dort vertritt FORSA einen Teil der dort stationierten Ryanair-Piloten. FORSA führte die Tatsache, dass ihre Mitglieder am Freitag schon den fünften 24-Stunden-Streik durchführten, darauf zurück, dass Ryanair in Arbeitskämpfen noch „unerfahren“ sei – was heißen soll, dass Ryanair der Gewerkschaftsbürokratie bisher zu wenig zutraut, die Belegschaft unter Kontrolle zu alten.

Die Gewerkschaft Irish Air Line Pilots' Association (IALPA), die zu FORSA gehört, vertritt nur etwa ein Viertel der in Irland basierten Ryanair-Piloten. Sie akzeptiert, dass Ryanair für einen großen Teil ihrer Operationen in Irland und auf dem Kontinenten Piloten über Arbeitsagenturen beschäftigt und überhaupt nicht fest einstellt. In der kommenden Woche wird sich IALPA mit Ryanair bei einem Vermittler namens Kieran Mulvey zu Schlichtungsverhandlungen treffen. Schon im Vorfeld dieser Gespräche hat IALPA bekannt gegeben, auf weitere Streiks zu verzichten.

Die Arbeiter von Ryanair dürfen nicht zulassen, dass die Gewerkschaften ihre Streiks sabotieren. Sie müssen ihnen jede Vertretungsberechtigung entziehen und unabhängige Betriebskomitees aufbauen, die den Streik fortsetzen und ausweiten. Sie müssen sofort Kontakt zu den Arbeitern aller Standorte und anderer Fluglinien aufnehmen und der nationalistischen Standortlogik die internationale Einheit der Arbeiter entgegensetzen.

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