Washington reagiert mit neuen Drohungen auf Russlands Luftangriffe in Syrien

Die regierungstreuen Streitkräfte von Präsident Baschar al-Assad bereiten sich offenbar auf eine Bodenoffensive mit dem Ziel vor, die nordwestliche Provinz Idlib zurückzuerobern. Die Trump-Regierung, das US-Außenministerium und das Pentagon veröffentlichten allesamt Warnungen vor einer „humanitären Katastrophe“ und drohten mit Vergeltungsmaßnahmen, falls es zum Einsatz von Chemiewaffen kommen sollte.

In der jüngsten Erklärung des Weißen Hauses vom Dienstag heißt es, dass Washington die „Situation in Idlib“ und die „Gefahr eines bevorstehenden Angriffs des Assad-Regimes mit Unterstützung von Russland und dem Iran ... aufmerksam beobachtet“.

Ein solcher Angriff wäre eine „rücksichtslose Eskalation eines ohnehin schon tragischen Konflikts und würde Hunderttausende Menschenleben gefährden“, heißt es weiter. Im Falle eines Chemiewaffenangriffs würden „die USA und ihre Verbündeten schnell und angemessen reagieren“.

Die Erklärung wiederholt frühere Äußerungen von Trump und hochrangigen Regierungsvertretern. Am Montag hatte der US-Präsident getwittert: „Die Russen und Iraner machen einen schweren humanitären Fehler, wenn sie sich an dieser potenziellen menschlichen Tragödie beteiligen.“ Außenminister Mike Pompeo warnte letzten Freitag, die USA würden eine Offensive in Idlib als „Eskalation eines bereits gefährlichen Konflikts“ ansehen. Der nationale Sicherheitsberater John Bolton warnte, die USA würden auf jeden Einsatz von Chemiewaffen „sehr entschlossen reagieren“.

Russland und die Assad-Regierung wiesen diese Warnungen zurück. Nach einer dreiwöchigen Ruhephase flogen russische Kampfflugzeuge mindestens zwanzig Luftangriffe auf Ziele nahe der Westgrenze von Idlib. Berichten zufolge richteten sie sich gegen Stellungen, die von uigurisch-islamistischen Extremisten aus China kontrolliert werden, die dem syrischen Ableger von al-Qaida angehören. An den Angriffen waren Flugzeuge der Typen Suchoi Su-24M und Su-34s beteiligt, die von russischen Schiffen aus dem östlichen Mittelmeer unterstützt wurden.

Der syrische Außenminister Walid Muallem erklärte, die Drohungen der USA würden die „Entschlossenheit des syrischen Volkes und die Pläne des syrischen Militärs, Idlib zu säubern und dem Terrorismus in Syrien endlich ein Ende zu setzen“, nicht aufhalten. Berichten zufolge wurden syrische Truppen und Panzer an der Grenze der Provinz zusammengezogen.

Am Dienstag bezeichnete Kreml-Sprecher Dmitri Peskow während einer Pressekonferenz in Moskau Idlib als „Terroristennest“, das russische Stützpunkte in Syrien bedroht. „Nur ein paar Warnungen auszusprechen, ohne das sehr gefährliche negative Potenzial für die ganze Lage in Syrien zu berücksichtigen, ist wahrscheinlich keine umfassende Strategie.“ Damit meinte er offensichtlich Washingtons Drohungen.

In ihren Stellungnahmen erwähnen die USA mit keinem Wort, dass Idlib faktisch von dem syrischen Ableger von al-Qaida kontrolliert wird, der das „Rebellen“-Bündnis Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) anführt und über zahlreiche ausländische Kämpfer verfügt. HTS hat Berichten zufolge Galgen aufgestellt und Gegner, die eine Verständigung mit der syrischen Regierung anstreben, von Erschießungskommandos töten lassen.

Der UN-Sonderbotschafter in Syrien Staffan de Mistura gab zu, dass sich in Idlib mindestens 10.000 Kämpfer aus dem Umfeld von al-Qaida befinden. Die Gruppe führt eine Front an, die Medienberichten zufolge 60 Prozent der Provinz, darunter auch die Hauptstadt, kontrolliert und damit faktisch die gesamte Region beherrscht. Andere Quellen gehen von 20.000 bis 30.000 mit al-Qaida verbündeten Kämpfern aus.

Washington droht nicht aus humanitären Gründen mit einer Intervention. Eine US-Regierung nach der nächsten hat blutige Interventionen in der Region durchgeführt – vom Angriffskrieg gegen den Irak bis hin zu den Operationen für einen Regimewechsel in Libyen und Syrien und dem vernichtenden Krieg Saudi-Arabiens und der USA gegen den Jemen. Die Folgen sind Millionen Todesopfer und die Zerstörung ganzer Gesellschaften.

Wenn Washington einen neuen Angriffsschlag in Syrien plant, dann mit dem Ziel, die al-Qaida-geführten „Rebellen“ zu retten, die die USA und ihre westlichen und regionalen Verbündeten seit Beginn des syrischen Stellvertreterkriegs im Jahr 2011 mit Geld und Waffen in Milliardenhöhe unterstützt haben. Außerdem strebt der US-Imperialismus danach, seine geostrategischen Interessen durchzusetzen, die Vorherrschaft über den Nahen Osten zu gewinnen und den Einfluss des Iran und Russlands in Syrien und der ganzen Region zurückzudrängen.

Indem Washington in Syrien offen al-Qaida verteidigt, wirft es kurzerhand den „globalen Krieg gegen den Terror“, der siebzehn Jahre lang gepredigt wurde, über Bord und geht zur Vorbereitung einer militärischen Konfrontation mit Russland und China über. Beide Länder werden in nationalen Strategiepapieren der Vereinigten Staaten als „revisionistische Staaten“ bezeichnet, die die US-Hegemonie gefährden würden.

Was die Warnungen vor einem Chemiewaffenangriff angeht, so kommen sie einer Einladung an die al-Qaida-Kräfte gleich, einen Vorfall zu inszenieren und sich damit die Luftunterstützung der USA und ihrer Verbündeten zu sichern. Damaskus hat die Verantwortung für mutmaßliche Chemiewaffenangriffe – wie letztes Jahr in Duma oder im Jahr zuvor in Chan Schaichung – bislang kategorisch bestritten. Beide wurden von Washington und seinen Verbündeten als Vorwand für Raketen- und Luftangriffe benutzt.

Die Washington Post veröffentlichte am Dienstag Auszüge aus Fear, dem neuen Buch von Bob Woodward über die Trump-Regierung. Darin wird unter anderem geschildert, wie Trump nach dem mutmaßlichen Chemiewaffenangriff im April 2017 seinem Verteidigungsminister vorschlug, den syrischen Präsidenten Assad durch die US-Armee ermorden zu lassen.

Trump wird in dem Buch mit den Worten zitiert: „Wir sollten ihn verdammt noch mal töten! Wir sollten hingehen und das ganze verdammte Pack töten.“ Obwohl Mattis gegenüber Trump zugesagt haben soll, entsprechende Pläne zu entwerfen, habe er kurz darauf einem hochrangigen Berater gesagt: „Wir werden nichts dergleichen tun. Wir werden viel gemäßigter vorgehen.“

Die herrschende Klasse in den USA befindet sich nicht nur in einer tiefen politischen Krise, die die Form eines internen Grabenkampfs, vor allem über die Politik gegenüber Russland, angenommen hat, sondern sie sieht sich auch mit wachsenden sozialen Spannungen und einer zunehmend militanten Arbeiterklasse konfrontiert. Vor diesem Hintergrund ist es für die Trump-Regierung verlockender denn je, einen inszenierten Chemiewaffenangriff als Vorwand für eine massive militärische Eskalation in Syrien zu nutzen.

De Mistura erklärte diese Woche vor der Presse, der syrische al-Qaida-Ableger habe „die Fähigkeit, waffenfähiges Chlorgas herzustellen“. Das bedeutet, er ist durchaus in der Lage, einen Chemiewaffenangriff zu inszenieren und die Regierung dafür verantwortlich zu machen.

Die Vorbereitung einer von Russland unterstützten Offensive der syrischen Regierung zur Rückeroberung von Idlib findet vor dem Hintergrund intensiver diplomatischer Gespräche zwischen Moskau, Ankara und Teheran statt. Die Regierungschefs der drei Länder – Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Hassan Ruhani – wollen sich am 7. September in Teheran treffen; der Schwerpunkt der Diskussionen wird dabei auf der Frage von Idlib liegen.

In den letzten Tagen traf der iranische Außenminister zu Gesprächen in Ankara und Damaskus ein, während der türkische Verteidigungsminister und der Geheimdienstchef in Moskau waren.

Die Türkei, die Teile der islamistischen Milizen in Syrien unterstützt hat und einen weiteren Flüchtlingsstrom über ihre Grenze verhindern will, hat versucht, die Offensive zu unterbinden. Sie bestand darauf, die „gemäßigten“ Rebellen könnten von ihrem al-Qaida-Kern getrennt werden. Außerdem hat sie Soldaten und Panzer in Stellungen innerhalb von Idlib nahe der türkischen Grenze stationiert, um jeden weiteren Zustrom von Syrern in die Türkei zu verhindern.

Moskau hofft offensichtlich, dass die Türkei dafür sorgen kann, dass Idlib ohne einen langwierigen und blutigen Feldzug an die Regierung in Damaskus zurückgegeben wird.

Die Konfrontation zwischen der Erdogan-Regierung und Washington hat sich weiter verschärft, weil das US-Militär die syrisch-kurdische Miliz YPG als ihre wichtigste Stellvertretertruppe in Syrien einsetzt und die Trump-Regierung Sanktionen gegen die Türkei verhängt hat, die die dortige Wirtschaftskrise anheizen.

Die türkische Regierung berichtete am Dienstag, ihr Verteidigungsminister Hulusi Akar habe dem US-Sondergesandten für Syrien, James Jeffrey, mitgeteilt, die Türkei verlange den Abzug aller kurdischen Aufständischen aus dem syrisch-kurdischen Grenzgebiet.

Die Gefahr, dass sich die Konflikte in Syrien zu einer größeren und viel gefährlicheren Konfrontation entwickeln, ist deutlich sichtbar. Russland hat Berichten zufolge 26 Kriegsschiffe und 36 Flugzeuge ins Mittelmeer verlegt, darunter auch strategische Bomber. Auch die USA haben unterdessen umfassend Truppen in der Region stationiert.

Moskau meldete letzte Woche, das Pentagon habe die USS Sullivans mit 56 Marschflugkörpern an Bord erneut im Persischen Golf stationiert. Zudem sollen strategische Bomber vom Typ B-1B erneut auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Udeid in Katar stationiert worden sein.

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