Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm

Mit seiner Verfilmung des von Bertolt Brecht nie realisierten „Dreigroschenfilms“ und der dramatischen Umstände seiner Verhinderung ist dem Regisseur Joachim A. Lang und allen Darstellern und Mitwirkenden ein nicht nur unterhaltsamer, alle Sinne ansprechender Film gelungen. Vielmehr ist es ein sehr zeitgemäßer Film. Angesichts der sich zugespitzenden politisch-gesellschaftlichen Situation mit ungeheurem Reichtum auf der einen und immer bittererer Armut auf der anderen Seite reagieren die die Herrschenden wie Anfang der 1930er Jahre mit Förderung des Rechtsradikalismus, dem Schüren von Fremdenhass, Staatsaufrüstung, Militarismus und Kriegsvorbereitungen.

Gleichzeitig wirft dieser Film höchst aktuelle Fragen künstlerischer Produktion und ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit auf. Ohne an ästhetischer Qualität einzubüßen, stellt er Brechts damals nicht eingelöste Forderung ins Zentrum: „Die Dreigroschenoper konnte unter Belassung des Status quo in der Benutzung der Filmapparate in einen Dreigroschenfilm verwandelt werden, wenn ihre soziale Tendenz zur Grundlage der Bearbeitung gemacht wurde.“ [1]

Die opulente Ausstattung mit wunderbaren Kostümen, die allen Darstellenden anzusehende Begeisterung, die in Szenen mit den Vertretern der Nero-Film groteske Ironie Brechts, der Kontrast zwischen Romantik und Verfremdung, all das wird nie langweilig. Die herrlich getanzten Balleteinlagen, die wunderbaren Bildeinfälle, wie z. B. das Überblenden von altmodischen, gestellten, undeutlich gewordenen Schwarzweißfotos zu sprühend lebendigen farbigen Massenszenen, sind einfach großartig.

Brecht (Lars Eidinger) während der Probe © Wild Bunch Germany / Stephan Pick

Auch wenn der Hauptdarsteller (Lars Eidinger) vor allem mit Brechtsentenzen aufwarten muss, so passen sie doch immer wie die Faust aufs Auge. Eidinger, der Brecht so gar nicht ähnlich sieht, gelingt es, obwohl er keineswegs dessen bekannte Posen und Gewohnheiten – mit Ausnahme der obligaten Zigarre – nachahmt, geschweige denn dessen Augsburger Dialekt, wesentliche Züge der Persönlichkeit des Autor lebendig zu machen. Zugleich erzielt er damit den von Brecht so geschätzten Verfremdungseffekt, d. h: das „Künstliche“, das die Realität sichtbar machen soll.

Die Leistung des Ensembles, sowohl in der Darstellung wie auch in den Songs, die wie von Weil und Brecht beabsichtigt, von den Schauspielenden selbst dargeboten werden, tragen zu dem hervorragenden Ergebnis bei. Besonders hervorzuheben sind ausnahmslos alle darstellerischen Leistungen von Lars Eidinger (Brecht), Tobias Moretti (Macheath), Hanna Herzsprung (Polly und Carola Neher), Claudia Michelsen (Mrs. Peachum), Robert Stadlober (Kurt Weil), Peri Baumeister (Elisabeth Hauptmann), Britta Hammelstein (Lotte Lenja und Seeräuber-Jenny), Meike Droste (Helene Weigel), Christian Redl (Tiger Brown) sowie Max Raabe als Moritatensänger. Besonders überzeugend ist Joachim Król als Bettlerkönig Peachum, der in seiner gespenstig ausgestatteten Fabrik, in der die Bettlerkostüme von der Decke hängen, seine unternehmerische Philosophie darlegt. Er lässt normale Arme höchst kunstvoll zu mitleiderregenden Bettlern herrichten, um den Löwenanteil ihrer Einkünfte einzuheimsen.

Ein unterhaltsamer Film

Entgegen häufiger Vorurteile, die sich an manchen seiner weniger geglückten Stücke, seinen Lehrstücken und seinen strengen theoretischen Polemiken festmachen, war Brecht alles andere als ein trockner, doktrinärer Stückeschreiber. Immer wieder betonte er, dass das Publikum sich im Theater amüsieren müsse. Flache kommerzielle Unterhaltung allerdings lehnte er kompromisslos ab. Das Publikum solle vielmehr zum Nachdenken über seine Lage in der Gesellschaft und zum Handeln angeregt werden.

Der Film zeigt in seinen Anfangsszenen wunderbar die für Brecht typische Arbeitsweise bei den Proben zur Uraufführung. Immerzu verlangt er Änderungen, bringt teilweise Schauspieler und andere Mitwirkende zur Weißglut – in diesem Fall aber besonders den Theaterdirektor Ernst Aufricht (Christian Hockenbrink). Trotz aller dadurch verursachten Improvisationen findet am 31. August 1928 die Uraufführung statt. Zunächst herrschte große Skepsis und offensichtliche Ablehnung im Zuschauerraum. Erst mit dem Kanonensong brach das Eis. Beifallsstürme erklangen, das Publikum trampelte, der Song musste sogar wiederholt werden. Die Dreigroschenoper wurde zum größten Theatererfolg der Weimarer Republik und bleibt bis heute eines der meistgespielten Stücke weltweit.

Macheath, genannt Mackie Messer, (Tobias Moretti) und seine Gangsterbande © Wild Bunch Germany / Stephan Pick

Es war wohl kein Zufall, dass gerade der Kanonensong den Umschwung bewirkte. Hatte doch die große Mehrheit der Bevölkerung noch die Nase voll vom Ersten Weltkrieg. Viele spürten schon die Gefahr, die von Neuem durch wachsenden Militarismus und den Rechtsradikalismus drohte.

Das Filmprojekt der Nero-Film

Brechts Verleger Felix Bloch Erben wollte nach dem Supererfolg der Oper mit den Filmrechten für die Dreigroschenoper einen Reibach machen. Brecht stimmte wie auch Weill dem Vertrag mit der Nero Film AG zu. Aber kaum hatten die Arbeiten am Drehbuch und die Proben begonnen, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Autor, die sich in Langs Film immer wieder mit fiktiven, nach Brechts Vorstellung gedrehten üppigen Dreigroschen-Szenen abwechseln.

Als der Produzent einmal die immensen Kosten einer von Brecht gewünschten Szene ins Spiel zu bringen versucht, kontert dieser damit, dass sich das Ganze natürlich auch erzählen ließe, womit er auf sein Episches Theater verweist. „Für den Film sind die Sätze nicht aristotelischer Dramatik (nicht auf Einfühlung, Mimesis beruhender Dramatik) ohne weiteres annehmbar“, heißt es in seinen Abhandlungen über den Film. [2]

Im September 1930 hatte Brecht das Filmexposé „Die Beule – Ein Dreigroschenfilm“ geschrieben. Im gleichen Monat begannen die Dreharbeitern, aber die Produktionsfirma Nero-Film hatte Brecht den Vertrag gekündigt, weil man sich nicht darauf einlassen wollte, die von Brecht initiierten politischen Aktualisierungen mit aufzunehmen. Die Firma war allein daran interessiert, die erfolgreiche Opernfassung mit den zu Schlagern gewordenen Songs von Kurt Weill schnellstens zu Geld zu machen. Der Konflikt Kommerz gegen politische Kunstauffassung war vorprogrammiert.

Brecht hatte am 1. Mai 1929 zusammen mit Fritz Sternberg aus dessen Fenster schauend beobachtet, wie der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel auf eine friedliche Arbeiterdemonstration schießen ließ – eine Szene, die im Film kurz gezeigt wird. Mit dem Wall Street Crash spitzte sich die Weltwirtschaftskrise zu. Die Masse der Arbeitslosen wuchs ständig. Brecht beharrte auf seinen geplanten politischen Zuspitzungen und Veränderungen.

Dreigroschenprozess

Dem Vertrag zufolge war dem Autor zwar die Mitarbeit am Drehbuch gestattet, aber nicht die am eigentlichen Film. Die von Brecht beabsichtigte „ausgesprochen politische Tendenz“ lehnte die Filmfirma kategorisch ab. Sie bestand darauf, „ohne uns den Film so verkaufbar wie (nur so) möglich herzustellen. Wir mussten also die Gerichte anrufen“ [3]. Brecht und Weill klagten gegen die Nero-Film und verloren den Prozess in erster Instanz. Später einigte man sich auf einen Vergleich. Bei dem Prozess ging es Brecht keineswegs um die Frage seines Urheberrechts, sondern um das Recht des Autors, sein Werk in der Verwirklichung eines anderen Mediums, des Films, zu verändern und seine politische und ästhetische Ausrichtung zu bestimmen.

Brecht schrieb unter dem Titel „Der Dreigroschenprozess. Ein soziologisches Experiment“ eine Analyse des Rechtsstreits, die er zusammen mit dem Filmexposé und dem Text der Dreigroschenoper im Heft 3 seiner Versuche veröffentlichte. Der Film wurde nach den Wünschen der Firma ohne die von Brecht so dringend gewünschte politische Verschärfung und Aktualisierung der Handlung fertiggestellt und am 19. Februar 1931 in Berlin uraufgeführt.

In seinem Film lässt Lang Eidinger nicht nur etliche Zitate aus Brechts Essay sprechen, sondern das ganze Filmprojekt dreht sich um die von Brecht aufgeworfenen künstlerischen und politischen Fragen, die heute wieder von großer Aktualität nicht nur für Filmschaffende, sondern für Künstler überhaupt sind.

Wie recht der Autor mit seiner angestrebten politischen Ausrichtung hatte, zeigte sich sehr bald. Nach dem verlorenen Prozess konnte Nero-Film ihre Fassung zwar vollenden, aber sie wurde genau wie die Oper und sämtliche Werke von Brecht 1933 von den Nazis verboten. In einer Filmszene, in der Helene Weigel das Wiegenlied einer proletarischen Mutter singt, stürmen SS-Männer die Veranstaltung. In historische Filmaufnahmen von der Bücherverbrennung 1933 schneidet Lang eine Original-Tonbandaufnahme, in der Brecht deprimiert sein Gedicht An die Nachgeborenen zitiert.

Langs Film hätte Brecht gefallen

Der Film von Lang, zu dem dieser auch das Drehbuch schrieb, hätte Brecht im Gegensatz zu der von der Nero Film fertiggestellten Fassung vermutlich gefallen. Der Film thematisiert nicht nur Brechts ästhetische sondern vor allem auch seine politischen Absichten und bezieht sie auf die heutige Zeit. Die Parallelen zwischen den frühen 30er Jahren und heute sind unübersehbar.

Lang ist ein ausgewiesener Brechtkenner. Schon in seiner Magisterarbeit untersuchte er Brechts Kriegsfibel. Seine Dissertation befasste sich mit Verfilmungen von Brechtwerken. [4] Viele Jahre leitete er auch das Augsburger Brechtfestival.

Langs Konzept und seine Umsetzung stimmen in allen Details, machen neugierig darauf, Brecht wieder einmal vorzunehmen, und regen hoffentlich Theater- und Filmleute an, sich seiner Stücke vermehrt zu bedienen. In den letzten Jahren ist Brecht etwas rar geworden auf deutschen Bühnen.

König der Bettler Peachum (Joachim Król ) © Wild Bunch Germany / Stephan Pick

Anlässlich der wörtlichen Brechtzitate in seinem Film – die zu finden, er sicher keine Mühe hatte – erklärte der Regisseur: „Ich versuche, seinem Denken näherzukommen, indem ich ihn in Zitaten sprechen lasse, 100 Prozent Brecht. Und wie kann man einem Dichter oder seiner Kunst näherkommen als durch seine Worte, also seine Kunst?“

Das hat dieser Film als durchaus eigenständiges Kunstwerk erreicht: Szenenbild, Licht, Ausstattung, Kameraführung (David Slama und Benjamin Treplin), alles ist wunderbar stimmig und zugleich echt brechtisch.

Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm ist ein aktueller, vielschichtiger Film über eine Oper, einen Prozess, ein Film über das Drama eines nie gedrehten Films aus den letzten Jahren der Weimarer Republik, der zugleich zeigt, dass und wie sich eben dieser von Brecht konzipierte Film verwirklichen lässt.

Lang ist es gelungen, mit seinem Ensemble und den insgesamt 300 Mitwirkenden die verschiedenen Ebenen miteinander zu verknüpfen: Die Oper von Brecht und Weill von 1928 und ihre Uraufführung, die Auseinandersetzung zwischen Brecht und der Nero Film AG mit dem Prozess um die von dieser abgelehnte Fassung, und eine Realisierung des Films in der von Brecht gewünschten Weise. Gleichzeitig holt er ihn vor allem am Schluss durch den Kontrast des endlosen Zugs der sich erhebenden Armen mit den aalglatten, zu Bankern mutierten Ganoven in modernem Banker-Outfit vor den im Hintergrund sich auftürmenden Bankentürmen in die Gegenwart. Es erübrigt sich der vielzitierte Brecht-Satz: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

Die kriminellen Geschäfte der Banken und der Finanzaristokratie, die vor zehn Jahren zu der Beinahe-Kernschmelze des Weltfinanzsystems führten, gehen unvermindert weiter und lassen die Wirtschaft in den Abgrund taumeln. Die gegenwärtigen Massendemonstrationen gegen Rechtextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Austeritätspolitik sind ein deutliches Anzeichen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung zu wehren beginnt.

Anmerkungen

1) Bertolt Brecht: „Der Dreigroschenprozess. Ein soziologisches Experiment“, in: Gesammelte Werke, Frankfurt, 1967, Bd. 18, S. 179

2) ebd., S. 171.

3) ebd., S. 141

4) Joachim A. Lang: Episches Theater als Film: Bühnenstücke Bertolt Brechts in den audiovisuellen Medien. Würzburg 2006

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