Erneute Razzien und europaweite Fahndung gegen G20-Demonstranten

Bei einer Großrazzia in drei Bundesländern haben Polizisten gestern morgen insgesamt 15 Wohnungen durchsucht und eine Person festgenommen. Die Aktion richtete sich nach Angaben der Polizei gegen Verdächtige, die sich an Krawallen am Rande des G20-Gipfels im Juli vergangenen Jahres in Hamburg beteiligt haben sollen.

Während die Polizei seit nunmehr über einen Jahr massiv gegen jeden G20-Demonstranten vorgeht, den sie auch nur verdächtigt, eine Flasche geworfen zu haben, können ganze Gruppen von Neonazis in Chemnitz, Köthen und anderen Städten Hetzjagden auf Migranten, Journalisten und Linke veranstalten und werden dabei vom Staatsapparat bis in die höchsten Ebenen hinein gedeckt.

Festgenommen wurde am Dienstag ein 35-jähriger Mann aus dem Hamburger Stadtteil Winterhude. Er soll der Polizei bereits vor dem G20-Gipfel bekannt und an Ausschreitungen im Schanzenviertel beteiligt gewesen sein. Nach Angaben der Hamburger Morgenpost wird ihm vorgeworfen, Steine und Flaschen geworfen sowie zwei Supermärkte geplündert zu haben. Auch in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, u.a. in Dortmund, wurden Wohnungen durchsucht. Zu weiteren Festnahmen kam es jedoch zunächst nicht.

Die Durchsuchungen richten sich nach Polizeiangaben gegen mehr als zehn Verdächtige. Sie sollen sich sowohl an Ausschreitungen im Schanzenviertel als auch im Rahmen der Demonstration „Welcome to Hell“ beteiligt haben. Vorgeworfen werden ihnen unter anderem schwerer Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und die Plünderung von Supermärkten. Nach Angaben des Hamburger Polizeisprechers Timo Zill standen alle Verdächtigen bereits seit Längerem im Visier der Ermittler. Die Polizei beschlagnahmte unter anderem Computer und Mobiltelefone.

Ebenfalls gestern leitete die Hamburger Polizei eine europaweite Fahndung nach vier mutmaßlichen „Gewalttätern“ ein. Sie sollen daran beteiligt gewesen sein, am 7. Juli 2017 an der Elbchaussee Autos in Brand gesetzt zu haben. Bei den Gesuchten handelt es sich um drei Männer und eine Frau; einer der Männer wird schwerpunktmäßig in Frankreich vermutet. Der Leiter der Sonderkommission „Schwarzer Block“, Jan Hieber, erklärte, bei dem Vorgehen der Verdächtigen habe es sich um eine „Kommandoaktion“ gehandelt – ein Begriff, der üblicherweise Terroristen wie zuletzt der RAF zugeschrieben wird.

Bezeichnenderweise veröffentlichte die Polizei auch mehrere Fotos, die die Gesuchten zeigen sollen. Der SoKo-Sprecher beeilte sich zu betonen, dass die Veröffentlichung auf Antrag der Staatsanwaltschaft richterlich gebilligt worden sei. Schon im vergangenen Dezember hatte die Polizei in Kooperation mit der Bild-Zeitung Fotos von hunderten Demonstranten veröffentlicht und damit massiv deren Persönlichkeitsrechte angegriffen. Wie die WSWS seinerzeit schrieb, hatte es ein solches Vorgehen „in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben.“ Das Vorgehen war derart skandalös, dass selbst zahlreiche bürgerliche Kommentatoren von „Menschenjagd“ sprachen und das Vorgehen der Polizei als „rechtswidrig“ erklärten.

Das massive Vorgehen der Polizei gegen angebliche Randalierer ist völlig unverhältnismäßig. Es dient dazu, die weitere massive Aufrüstung des Sicherheitsapparats zu rechtfertigen und die Verfolgung und Unterdrückung sämtlicher linker Proteste vorzubereiten. Die Gewalt rund um den G20-Gipfe wurde in weiten Teilen von der Polizei provoziert und in den Medien krass aufgebauscht. All die Schauermärchen, die in den Polizeiberichten standen und von den Medien ungeprüft verbreitet worden waren, erwiesen sich als Lügen.

So haben sich keinerlei Belege für die Behauptung gefunden, Demonstranten hätten Steinplatten und Molotow-Cocktails von Dächern werfen wollen. Trotz intensiver Durchsuchung und Spurensicherung konnte die Polizei bisher keine entsprechenden Gegenstände präsentieren, und trotz umfassender Videoüberwachung war sie nicht in der Lage, deren Einsatz eindeutig zu dokumentieren. Tatsächlich haben sich viele, die sich auf Dächern oder Baugerüsten aufhielten, als Filmteams oder Schaulustige herausgestellt.

Einige Wochen nach den Vorwürfen, aus einer Demonstration heraus seien Polizeikräfte „massiv und gezielt mit Flaschen, Böllern und Bengalos beworfen“ worden, wie es im Polizeibericht hieß, kam ein Polizeivideo an die Öffentlichkeit, das diese Geschichte vollständig widerlegte. Das Video zeigte eindeutig, dass es keine Gewaltanwendung gegen Polizisten gab, sondern die Polizei ihrerseits auf die Demonstranten zurannte, die zur selben Zeit von hinten mit Wasserwerfern beschossen wurden.

Inzwischen ist auch bekannt, dass die Polizei selbst zahlreiche Provokateure in die Gegenproteste zum G20-Gipfel eingeschleust hatte. Während eines Gerichtsprozesses gegen einen G20-Demonstranten im Mai hatte ein als Zeuge befragter Zivilpolizist aus einer sächsischen BFE-Einheit erklärt, er habe sich gemeinsam mit drei weiteren Kollegen vermummt unter die Demonstranten der „Welcome to Hell“-Demo gemischt. Man habe sich dunkel gekleidet und „ein schwarzes Tuch bis unter die Nase gezogen“, berichtete Der Spiegel aus dem Gerichtsverfahren. „Wir bekommen vom Dienstherrn einen Bekleidungszuschuss für derartige Kleidung“, habe der Polizist vor Gericht weiter geäußert. Der Hamburger Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders, hatte die Einschleusung von Zivilpolizisten in linke Demonstrationen seinerzeit als „gängige Praxis“ bezeichnet.

Die „Welcome to Hell“-Demo hatte fünf Tage vor dem G20-Gipfel stattgefunden und war nach nur wenigen hundert Metern von der Polizei gewaltsam abgebrochen worden, weil einige der Teilnehmer vermummt gewesen seien. Dieses Vorgehen diente anschließend als Vorwand für ein brutales Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstranten auf zahlreichen weiteren Protesten. Im Stile einer Bürgerkriegsübung waren über 20.000 Polizisten aus ganz Deutschland in Hamburg zusammengezogen worden, hatten die Stadt in eine regelrechte Festung verwandelt und zahlreiche Grundrechte außer Kraft gesetzt. Unter anderem war zahlreichen Journalisten kurzfristig die Akkreditierungen entzogen worden.

In den Wochen nach dem Gipfel wurden die teils initiierten und herbeigeschriebenen „Gewalttaten“ vermeintlicher „Linksextremisten“ dann als Auftakt für eine beispiellose Kampagne gegen „Links“ benutzt. Außenminister Heiko Maas, damals noch Justizminister, hatte sich unter anderem für ein Konzert „Rock gegen Links“ ausgesprochen. Dass auch rechtsextreme Gruppen wie die Jugendorganisation der NPD und die „Hooligans gegen Salafisten“ zur Teilnahme an den Protesten aufgerufen und zahlreiche Neonazis an den Krawallen teilgenommen hatten, kam dabei nicht zur Sprache.

Der neue Verfassungsschutzbericht, der vor wenigen Wochen herausgegeben wurde, macht klar, dass hinter dem Narrativ um vermeintliche linke Randale am Rande des G20-Gipfels tatsächlich das Motiv steckt, jede linke Politik als verfassungsfeindlich zu kriminalisieren und die G20-Proteste als Fanal linksextremer Gewalttäter darzustellen. „Die Schwerpunkte linksextremistischer Agitation“ seien 2017 „maßgeblich“ durch den Gipfel beeinflusst gewesen. Die dabei „verübte Gewalt gegen die eingesetzten Polizeibeamten als auch das dort verübte Ausmaß an Straßenkrawallen“ seien „plakative Beispiele für die unter gewaltbereiten Linksextremisten vorherrschende Einstellung zur Gewalt“, heißt es einleitend im Kapitel über „Linksextremismus“.

Diese Darstellung der G20-Proteste dient seither dazu, jede linke Opposition zu kriminalisieren. So wird in diesem Jahr auch erstmals die Sozialistische Gleichheitspartei im Verfassungsschutzbericht genannt, obwohl ihr ausdrücklich keinerlei gewaltsames Vorgehen vorgeworfen wird. Schon wenige Wochen nach dem G20-Gipfel hatte der damalige Innenminister Thomas de Maizière die Ereignisse in Hamburg zum Anlass genommen, die linke Internetplattform linksunten.indymedia zu verbieten.

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