Perspektive

Debatte um US-Richter Brett Kavanaugh: Welche Rolle spielen die neuen sexuellen Missbrauchsvorwürfe?

Brett Kavanaugh, der von US-Präsident Donald Trump für den Posten des Obersten Richters nominiert wurde, ist ein langjähriger reaktionärer Hardliner, das Sprachrohr mächtiger Superreicher und ein Feind der Arbeiterklasse.

Kavanaugh war der Hauptautor des Kenneth-Starr-Berichts, der 1998 dem Kongress vorlegt wurde und ein Amtsenthebungsverfahren gegen den damaligen Präsidenten Bill Clinton einleitete, das aber scheiterte. Clinton wurde vorgeworfen, über eine außereheliche Affäre mit Monika Lewinsky gelogen zu haben. Damit spielte Kavanaugh die zentrale Rolle bei einem politischen Komplott gegen einen Präsidenten, der zuvor wiedergewählt worden war.

Einige Jahre später war Kavanaugh als Anwalt des Weißen Hauses unter George W. Bush daran beteiligt, die verfassungswidrigen und kriminellen Haft- und Verhörmethoden, also Folter, zu legitimieren.

Seit er 2006 begann, am US-Berufungsgericht zu arbeiten, hat Kavanaugh eine ultrarechte Linie verfolgt. Er verteidigte immer wieder die Interessen der Großkonzerne, urteilte gegen das Recht auf Abtreibung oder gegen Umweltvorschriften und befürwortete autoritäre und undemokratische Maßnahmen. Dieser abstoßende Reaktionär würde den ultrarechten Charakter und Kurs des Obersten Gerichtshofs verstärken, wenn seine Nominierung bestätigt werden sollte.

Keiner könnte weniger Sympathie für Kavanaugh hegen als wir.

Doch die New York Times, die Washington Post, führende Demokraten und andere Vertreter des politischen Establishments versuchen die Nominierung Kavanaughs zu blockieren, indem sie ihm – wieder einmal – sexuelles Fehlverhalten vorwerfen. Ohne stichfeste Beweise bleibe diese jedoch nichts als Behauptungen.

Die Kampagne zielt in hohem Maße darauf ab, von den zentralen politischen Fragen, die mit Kavanughs Kandidatur verbunden sind, abzulenken.

Christine Blasey Ford, Professorin für Psychologie an der Palo Alto University in Kalifornien, wirft Kavanaugh und einem Freund vor, sie Anfang der 1980er Jahre sexuell missbraucht zu haben, als alle drei noch zur High-School gingen. Der Republikaner Charles Grassley, der den Rechtsausschuss im Senat leitet, hat Kavanaugh und Blasey zu einer Anhörung am kommenden Montag geladen.

Die Argumente und Methoden der Kampagne werden der MeToo-Bewegung entlehnt. „Man muss ihr glauben“, heißt es. Manch einer nennt Blasey bereits eine „Überlebende sexueller Übergriffe“. Tatsächlich weiß keiner der Kommentatoren, uns eingeschlossen, was wirklich passiert ist.

Bislang ist nicht sicher, ob Blasey am Montag zur Senatsanhörung erscheinen wird. Für den Fall, dass sie nicht kommt, bereitet die New York Times schon einmal ein Alibi für sie vor: „Dr. Blasey“, heißt es im Artikel, „die plötzlich ins Licht der Öffentlichkeit gezogen wurde, was sie nie beabsichtigt hatte, wurde jetzt mit vulgären E-Mails und Social-Media-Nachrichten und sogar Morddrohungen bombardiert, wie eine ihr nahestehende Person berichtet, die anonym bleiben wollte, um über diese private Angelegenheit zu sprechen.“ Blasey „ist praktisch untergetaucht“, habe diese Person erklärt.

Es ist klar, dass Blasey an einem bestimmten Punkt – ob berechtigterweise oder nicht – das Licht der Öffentlichkeit gesucht hat. Und welcher Schaden entsteht, wenn man sich auf anonyme Quellen stützt, sollte mittlerweile auch dem letzten Ahnungslosen bekannt sein.

Wenn diese Vorwürfe mit Fakten – und nicht 35 Jahre zurückreichenden Erinnerungen – belegt werden können, wäre das eine Grundlage dafür, Kavanaughs Nominierung rückgängig zu machen. Doch die Argumente, die in dieser Affäre genutzt werden, ähneln in beunruhigender Weise denen, die in der MeToo-Hexenjagd in Hollywood und der Medienwelt zur Anwendung kommen. Die Angelegenheit geht über das individuelle Schicksal von Herrn Kavanaugh weit hinaus. Es muss eine Beweislast geben, auch bei Kavanaugh.

In Otto Premingers Film „Sturm über Washington“ (1962) führt die Enthüllung einer vergangenen homosexuellen Beziehung zum Selbstmord eines rechten US-Senators. Auch wenn der Film als Ganzes einen Beigeschmack vom damaligen Liberalismus des Kalten Krieges hat, trifft er in einem Punkt den Kern der Sache: Er charakterisiert die Methode, den Vorwurf sexuellen Fehlverhaltens für politische Ziele einzusetzen, als schändlich und prinzipienlos.

Das beste Beispiel aus der realen Welt ist das Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton, bei dem Kavanaugh eine so üble Rolle spielte. Tatsächlich waren die politisch motivierten Kampagnen über Sex-Skandale immer eine Sache der Ultrarechten. Es ist den Demokraten, der Times, der Nation und Konsorten zu verdanken, dass sie jetzt als „linkes“ Anliegen gelten.

Es gibt unzählige Gründe, warum man Kavanaughs Nominierung bekämpfen sollte. Doch die Demokraten leisteten völlig zahnlosen Widerstand und versteckten sich hinter der Behauptung, dass Kavanaughs Bestätigung ohnehin nicht verhindert werden könne, weil die Republikaner den Senat kontrollieren. Aber jetzt – nachdem ein Vorwurf sexuellen Fehlverhaltens im Raum steht – brüllen die Demokraten und ihre Verbündeten in den Medien wie die Löwen.

Am Dienstag erschien unter dem Titel „Warum Amerika Brett Kavanaughs Ankläger zuhören muss“ ein Leitartikel in der New York Times, der eine ganze Menge Sophisterei und Doppelzüngigkeit auffahren musste, um die Anklagen zu rechtfertigen, auf die seine Headline Bezug nimmt.

Der Autor behauptet, dass die „Anschuldigungen detailliert und abstoßend“ seien. Doch alles, was bislang präsentiert wurde, sind Vorwürfe einer einzigen Person. Die Times schreibt, dass Kavanaughs Unschuldsbeteuerung „die Art der Leugnung ist, die ein unschuldiger Mann vorbringen würde“. Doch weiter heißt es: „Das ist auch immer mehr der Modus Operandi in der Ära Donald Trump – ganz gleich, welche Vorwürfe es sind: sich nicht mit konkreten Fragen beschäftigen, sondern nur leugnen, leugnen, leugnen.“ In anderen Worten, Kavanaughs Dementi ist so gut wie ein Schuldbekenntnis.

Der Kommentator führt diese Argumentationstaktik fort. Zwar gibt er zu, dass „es vieles gibt, was wir nicht wissen und wahrscheinlich nie mit Sicherheit wissen werden“ – um dann sogleich das Gegenteil zu behaupten, nämlich dass es „zwei Dinge gibt, die wir wissen. ... Frauen haben keinerlei Vorteile, wenn sie ihre Erfahrungen über sexuelle Belästigung oder Übergriffe bekannt machen, vor allem wenn der Beschuldigte ein berühmter und einflussreicher Mann ist“. Und „während es für die Öffentlichkeit keinen Grund gibt, an der Glaubwürdigkeit von Dr. Blasey zu zweifeln, lässt sich das für den Richter Kavanaugh nicht behaupten. Er hat vor dem Rechtsausschuss des Senats über Jahre hinweg irreführende oder fehlerhafte Aussagen gemacht [hiermit ist gemeint, dass er seine Rolle bei der Ausarbeitung der Inhaftierungsmethoden der Bush-Regierung vertuschte]“.

Was den ersten Punkt angeht, so ist das im besten Fall eine Halbwahrheit. Blasey ist zur Heldin der Times und eines großen Teils der etablierten Medien und US-Politik geworden, die aus völlig taktischen und opportunistischen Gründen gegen die Trump-Regierung sind.

Das zweite Argument ist eigentlich gar kein Argument. Dass Kavanaugh ein verlogener und rechter Henker ist, belegt nicht, dass er mit 17 ein Vergewaltiger gewesen sein soll.

Es gibt ernste Anschuldigungen gegen Kavanaugh, die nach Recht und Gesetz eine öffentliche Anhörung erfordern. Doch die Times besteht darauf, dass die Entscheidung über die Supreme Court-Nominierung auf der Basis einer Behauptung getroffen wird, deren Wahrheitsgehalt – zumindest zum jetzigen Zeitpunkt – aufgrund von mangelnden Informationen niemand prüfen kann.

Wenn am Montag wie geplant die Senatsanhörung stattfindet, wird Kavanaugh gründlich vorbereitet und von seinen Beratern gecoacht worden sein. Dieses eintägige Ereignis wird vielleicht eine elende Faszination ausüben und ein miserables „Drama“ bieten, doch niemand kann ernsthaft glauben, dass die Sache damit beendet wäre. Eine Anhörung ist kein Prozess, in dem eine substanzielle und zeitaufwendige Anklage oder Verteidigung vorgebracht wird.

Wenn die Demokraten im Kongress die Nominierung Kavanaughs blocken, indem sie sich auf unbewiesene Behauptungen stützen, haben sie nichts wirklich gewonnen. Die Times erklärt in ihrer typischen vulgären und pragmatischen Art: „Die Quintessenz lautet, dass Brett Kavanaugh kurz davor steht, eine lebenslange Berufung auf das höchste Gericht des Landes zu erhalten – und jetzt gibt es glaubwürdige Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen ihn.“

Die eigentliche „Quintessenz“ lautet: Dianne Feinstein, Patrick Leahy, Dick Durbin, Charles Schumer und die anderen Senatoren der Demokraten (und die Times-Redakteure) haben überhaupt kein Interesse daran, Kavanaugh als Verteidiger der sozialen Ungleichheit und Fürsprecher der Oligarchen zu entlarven, weil sie damit voll und ganz übereinstimmen. Noch weniger wollen sie die Bevölkerung gegen diese Kräfte und ihre Politik mobilisieren. Wenn sie das machen würden, müssten sie ihre eigenen Klasseninteressen gefährden und die ganze Bilanz ihrer eigenen Beteiligung an den schmutzigen, arbeiterfeindlichen Maßnahmen der Regierungen unter Republikanern und Demokraten offenlegen. Also bedienen sie sich der Methoden, die sich aus ihrer Sicht in den letzten Jahren bewährt haben: Vorwürfe sexuellen Missbrauchs.

Inhalt und Verlauf der Blasey-Kavanaugh-Kontroverse zeigen vor allem den verrotteten Charakter der bürgerlichen Politik – insbesondere in ihrem jetzigen niederen Stadium des Verfalls.

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