Protestmarsch am 2. Oktober in Den Haag

Der Kampf gegen den sozialen Kahlschlag im Öffentlichen Dienst erfordert eine sozialistische Perspektive

Diesen Text verteilen Unterstützer der World Socialist Web Site auf der heutigen Protestdemonstration in der niederländischen Hauptstadt Den Haag.

Die World Socialist Web Site unterstützt die heutige Protestdemonstration in Den Haag, an der viele Tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, des Gesundheitssystems und vor allem des Schul- und Bildungsbereichs teilnehmen. Die Demonstranten kämpfen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen und gegen die jahrelangen Kürzungen zugunsten der Konzerne und Reichen.

Der Protest ist Bestandteil der wachsenden Opposition auf der ganzen Welt. In den USA streiken seit Beginn des Jahres immer wieder Zehntausende Lehrer in unterschiedlichen Bundesstaaten. Am 15. August organisierten in Neuseeland fast 30.000 Lehrer den ersten nationalen Streiktag seit 1994. Weitere Lehrerstreiks mit teilweise mehreren Hunderttausend Teilnehmern gab es in Mexiko, Argentinien, Bangladesch und Indien.

Auch in anderen Teilen der Arbeiterklasse wächst der Widerstand. Am vergangenen Freitag streikten gleichzeitig Kabinenpersonal und Piloten aus sechs europäischen Ländern gegen die Billiglohnpolitik von Ryanair. Bereits in der ersten Jahreshälfte streikten Metallarbeiter in Deutschland, Bahnarbeiter in Frankreich und Amazon-Arbeiter in Deutschland, Spanien und Polen.

In den Niederlanden gab es seit Beginn des Jahres mehr Streiks als im gesamten letzten Jahr, das mit 32 Arbeitsniederlegungen bereits den höchsten Stand seit 1989 erreicht hatte. Den größten Anteil daran haben die Grundschullehrer, von denen seit über einem Jahr wiederholt Tausende gestreikt und gegen ihre niedrige Bezahlung und steigende Arbeitsbelastung protestiert haben.

Brecht mit den Gewerkschaften und baut unabhängige Aktionskomitees auf!

Es gibt eine enorme Kluft zwischen den Arbeitern und den Organisationen und Gewerkschaften, die den heutigen Protest organisieren. Während die Arbeiter entschlossen sind, für eine deutliche Verbesserung ihrer Löhne und ihres Lebensstandards zu kämpfen, sind die Gewerkschaften bemüht, die Proteste auszuverkaufen und in eine nationalistische Sackgasse zu führen.

„Gemeinsam appellieren wir an das Kabinett, statt ausländischer Aktionäre Polizei, Verteidigung, Gesundheitsversorgung und Bildung zu wählen“, heißt es im gemeinsamen Aufruf, der von einem Bündnis aus 22 Organisationen und Gewerkschaften unterzeichnet wurde. Neben den unterschiedlichen „in Actie“-Initiativen sind darunter der sozialdemokratische Gewerkschaftsdachverband FNV, die Militärgewerkschaft ODB und die Polizeigewerkschaft Malieveld 2.0.

Die Behauptung der Gewerkschaften, die liberal-konservative Regierung von Regierungschef Mark Rutte (VVD) lasse sich durch Proteste unter Druck setzen, ist grundfalsch. Gerade die von Rutte angekündigte Abschaffung der Dividendensteuer für Finanz- und Großkonzerne bei gleichzeitiger Erhöhung der vergünstigten Mehrwertsteuer, die z. B. auf Medizin und Lebensmittel erhoben wird, zeigt, dass die herrschende Klasse ihre Politik der sozialen Umverteilung mit aller Brutalität fortsetzt.

Dabei zählen die Niederlanden bereits jetzt zu den sozial ungleichsten Ländern in Westeuropa. Von den insgesamt 4,8 Millionen Haushalten mit zwei oder mehr Personen gehören 112.000 zu den Millionärsfamilien. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung kontrollieren 68 Prozent des gesellschaftlichen Vermögens oder 726 Milliarden Euro, während die ärmsten 10 Prozent Schulden von 65 Milliarden Euro haben. Mehr als eine Million Menschen leben offiziell in Armut. Die realen Löhne stagnieren oder sinken.

Die Gewerkschaften sind keine Gegner sondern Wegbereiter dieser Entwicklung. Alle Sozialkürzungen, Stellenstreichungen und miesen Abschlüsse der letzten Jahre wurden mit ihrer Hilfe organisiert. So sieht auch der ab September geltende neue Tarifvertrag für Grundschullehrer lediglich ein Gehaltsplus von 2,5 Prozent und eine Einmalzahlung von 750 Euro vor und kommt einem Ausverkauf gleich. Die Grundschullehrer hatten Lohnerhöhungen von bis zu 30 Prozent und eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen gefordert.

Der Abschluss hat auch den Charakter der „in Actie“-Initiativen offen gelegt. Sie haben den Ausverkauf mit ausgehandelt und feiern ihn als Erfolg. Nach getaner Arbeit haben die Wortführer von „PO in Actie“, Thijs Roovers und Jan van de Ven, zum 1. Oktober ihren Rückzug angekündigt. Beide repräsentieren nicht die Interessen der einfachen Lehrer, sondern die der etablierten Gewerkschaften und der Regierung. Roovers hat enge Verbindungen zur FNV und zum christlichen Gewerkschaftsdachverband CNV, und Van de Ven ist Mitglied der Regierungspartei D66.

Arbeiter, die ernsthaft gegen Sozialabbau und für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen wollen, müssen mit den Gewerkschaften brechen und sich in wirklich unabhängigen Aktionskomitees zusammenschließen. Die Aktionskomitees müssen zum Ausgangspunkt des Widerstands werden und den Kontakt zu anderen Teilen der Arbeiterklasse in den Niederlanden und international herstellen. Sie müssen Streiks, Protestaktionen und Demonstrationen vollständig unabhängig von den Gewerkschaften organisieren.

Die World Socialist Web Site, die Online-Publikation der Vierten Internationale, die täglich in 20 Sprachen erscheint, bietet ihre Unterstützung an, um den Widerstand international zu organisieren und ein weltweites Netzwerk von Kontakten aufzubauen.

Kämpft für ein sozialistisches Programm!

Der Kampf für Arbeitsplätze, höhere Löhne und besser Arbeitsbedingungen erfordert eine breite politische Mobilisierung auf der Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms.

Die Bereicherung einer kleinen Minderheit, die den Hals nicht voll genug kriegen kann, während Millionen Arbeiter und ihre Familien darben, ist der deutlichste Beleg für das Scheitern des Kapitalismus. Und das nicht nur in den Niederlanden. Weltweit besitzen acht Milliardäre so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, also 3,67 Milliarden Menschen. Diese Konzentration des Kapitals hat die internationalen Konflikte verschärft. Protektionismus, Wirtschaftsnationalismus und Militarismus beherrschen die Weltpolitik. Überall fördert die herrschende Klasse extrem rechte Kräfte, um ihre Politik des Militarismus, der inneren Aufrüstung und des Sozialabbaus gegen den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen.

Wer unter diesen Umständen behauptet, man könne irgendeine soziale Errungenschaft im Rahmen des Kapitalismus verteidigen, wie es die Gewerkschaften und ihre politischen Unterstützer tun, belügt die Arbeiter. Der Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen erfordert ein sozialistisches Programm, das die Enteignung der Banken und Konzerne und ihre Überführung in gesellschaftliches Eigentum zum Ziel hat.

Die Behauptung der Rutte-Regierung, für Soziales und Bildung sei kein Geld da, ist eine dreiste Lüge. Erst am 18. September, dem sogenannten „Prinzentag“, an dem die niederländische Regierung traditionell durch den König den Staatshaushalt für das kommende Jahr vorstellt, wurde eine massive Erhöhung der Militärausgaben bekannt gegeben. Das Gesamtbudget für 2018-2019 beträgt 10 Milliarden Euro, was in etwa 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Da die Niederlande sich wie alle Mitglieder der Nato darauf verpflichtet hat, bis 2024 mindestens 2 Prozent des BIP ins Militär zu stecken, werden die Ausgaben in den nächsten Jahren um weitere sechs Milliarden steigen.

Arbeiter brauchen ihre eigene Partei

Wie überall in Europa und international haben sich die sozialdemokratischen, grünen und offiziell „linken“ Parteien de facto in rechte bürgerliche Parteien verwandelt. Beim sozialen Kahlschlag der letzten Jahre hat sich insbesondere die sozialdemokratische PvdA hervorgetan. Im Zuge der internationalen Finanzkrise 2008 hatte ihr damaliger Parteivorsitzender und Finanzminister Wouter Bos den niederländischen Banken mehr als 85 Milliarden Euro in den Rachen geschmissen, die seitdem durch brutale Kürzungsorgien wieder aus der Arbeiterklasse herausgepresst worden sind.

Die Sozialdemokraten, die bei den letzten Wahlen regelrecht zusammengebrochen sind – sie verloren 29 ihrer 38 Mandate – spielten dabei als Regierungspartei immer wieder eine aktive Rolle. In der letzten Regierung unter Rutte saßen sechs PvdA-Minister, darunter der frühere Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, der als Vorsitzender der Euro-Gruppe vier Jahre lang die Austeritätspolitik in Griechenland und ganz Europa federführend mitorganisierte.

Während die Arbeiterklasse nach einem Ausweg aus dem ständigen sozialen Niedergang sucht, rückt das gesamte politische Establishment immer weiter nach rechts. Dazu zählen auch die Grünen von GroenLinks, die nach den Wahlen 2017 Koalitionsgespräche mit Rutte führten, und die Ex-Maoisten der Sozialistischen Partei (SP), die sich zunehmend an der nationalistischen und ausländerfeindlichen Stimmungsmache der extremen Rechten orientieren.

Wie in jedem Land fordert der Kampf gegen die soziale und politische Reaktion vor allem eines: den Aufbau einer neuen, unabhängigen Arbeiterpartei – einer Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI). Wir stehen in der Tradition der Linken Opposition, die unter Führung Leo Trotzkis den Marxismus und den sozialistischen Internationalismus gegen den Verrat des Stalinismus verteidigte. 200 Jahre nach der Geburt von Karl Marx und 80 Jahre nach der Gründung der Vierten Internationale kämpft nur die trotzkistische Weltbewegung für ein sozialistisches Programm, das die internationale Arbeiterklasse im Kampf gegen soziale Ungleichheit, Krieg und Kapitalismus vereint.

Wir rufen alle Arbeiter, Jugendlichen und progressiven Intellektuellen dazu auf, die World Socialist Web Site zu lesen und die Geschichte der Vierten Internationale zu studieren. Nehmt mit den europäischen Sektionen des IKVI in Deutschland, Großbritannien und Frankreich Kontakt auf, um eine Sozialistische Gleichheitspartei auch in den Niederlanden aufzubauen!

Schreibt an: sgp@gleichheit.de

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