Perspektive

„Lohnerhöhung“ bei Amazon in den USA: Reiner Betrug!

Die Entscheidung von Amazon, den Mindestlohn anzuheben, wurde von Leitmedien und Politik als Zeichen der Großzügigkeit begrüßt. Damit würde unter Beweis gestellt, dass die Aristokraten in den Unternehmen und die Arbeiterklasse in Harmonie leben könnten.

In Wirklichkeit ist die armselige Lohnerhöhung Teil eines inszenierten Werbegags, um das Image von Amazon zu verbessern und eine wachsende Bewegung unter Arbeitern, die höhere Löhne und ein Ende der Ausbeutungspraktiken in den Betrieben fordern.

„So sollten Demokratie und Kapitalismus funktionieren“, verkündete die New York Times in einem Artikel mit dem Titel „Amazons Kapitulation ist inspirierend“. Die Washington Post, die dem Vorstandschef von Amazon, Jeff Bezos, gehört, veröffentlichte einen Artikel von Jared Bernstein, einem ehemaligen Wirtschaftsberater von Obamas Vizepräsident Joe Biden. Darin wird der Konzern für „unmissverständlich gute Neuigkeiten“ gelobt.

Die Spitzen beider Parteien lobten Amazon. Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow nannte Bezos einen „guten Geschäftsmann“ und „intelligenten Kerl“ wegen der Maßnahme, mit der die Löhne in den USA auf 15 Dollar pro Stunde und in Großbritannien auf zwischen 9,50 und 10,50 Pfund angehoben werden. Hillary Clintons ehemaliger Top-Berater John Podesta schrieb auf Twitter: „Danke Senator Sanders“. Er lobte damit die Rolle, die der Senator der Demokraten, Bernie Sanders, dabei gespielt hatte, die Gehaltserhöhung einzufädeln.

Die Tatsache, dass die New York Times, die Washington Post, Hillary Clinton, Donald Trump und Jeff Bezos in ihrem Enthusiasmus vereint sind, sollte Arbeitern eine Warnung sein. Behaltet eure Handtaschen und Geldbörsen im Auge!

Finanzanalysten und Investoren haben bereits verstanden, dass die Lohnerhöhung bei Amazon eigentlich eine Maßnahme zur Kostensenkung ist, die sich letztlich gegen die Arbeiter selbst richtet. Das Wall Street Journal stellte fest, dass Amazon die Kosten für die Erhöhungen durch die Steigerung der Produktivität wieder reinholen werde, d.h. durch Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit und Preise.

Amazon werde „am Ende nicht mehr Geld für Löhne ausgeben, sondern weniger Leute

einstellen“, bestätigte Branchenanalyst David Bahnsen auf CNBC. Das liegt daran, dass der etwas höhere Lohn mehr Arbeiter dazu zwingen wird, auch krank oder mit Verletzungen zu arbeiten und lange Arbeitszeiten und unsichere Bedingungen zu akzeptieren. Dies wird zu einer geringeren Fluktuation in den Belegschaften und niedrigeren Ausbildungskosten führen. Amazon hat zudem mit der Einführung von Maßnahmen zur massiven Kostensenkung begonnen. Die Ausbeutung soll verschärft und die Belegschaft reduziert werden, unter anderem bei der kürzlich von Amazon übernommenen Bio-Supermarktkette Whole Foods.

Anthony Chukumba von der Investmentfirma Loop Capital Markets lobte Amazons Schritt als „PR-Sieg“, der die weit verbreiteten Forderungen nach Besteuerung des Unternehmens sowie nach der Durchsetzung strengerer Arbeitsschutzbestimmungen zerstreuen werde. Das Wall Street Journal räumte ein: „Für Amazon kann die Lohnerhöhung jetzt die Wahrscheinlichkeit verringern, dass Vorschriften eingeführt werden, die mit höheren Kosten in der Zukunft verbunden sind.“

Darüber hinaus hat die Aktion, die nur einen Monat vor den Halbzeitwahlen stattfindet, eine kalkulierte politische Dimension. Bezos ist Eigentümer der Washington Post und prominenter Unterstützer der Demokratischen Partei. Er hat Millionen für die Wahl demokratischer Kandidaten gespendet, insbesondere solcher mit Verbindungen zum Militär. Das Unternehmen bemüht sich derzeit um einen Auftrag zur Versorgung des US-Verteidigungsministeriums mit Cloud-Services. Der Umfang des Geschäfts beläuft sich auf zehn Milliarden Dollar.

Der demokratische Senator Bernie Sanders, der höhere Steuern für Amazon verlangt hat, ließ seine symbolische Kritik an dem Unternehmen umgehend fallen: „Ich möchte Anerkennung geben, wo Anerkennung geboten ist. Herr Bezos und Amazon haben das Richtige getan“, schwärmte Sanders in einer Erklärung.

Jeff Bezos selbst bedankte sich bei Sanders auf Twitter. „Wir sind begeistert“, schrieb Bezos. Die Nachrichtenseite Vox kommentierte, dass Sanders und Bezos in „einer merkwürdigen Gesellschaft für gegenseitige Bewunderung“ zusammengekommen seien.

Die Rolle von Sanders bei der Konfrontation mit Amazon wurde von Anfang an stark inszeniert. Indem er sich zunächst als Kritiker Amazons präsentierte, diente Sanders als politischer Blitzableiter. Er sollte die soziale Opposition anziehen, sie für das politische Establishment nutzbar machen und sie in dann einer Weise zerstreuen, dass sie weder die Unternehmensgewinne schmälern noch den steigenden Aktienmarkt vom Kurs abbringen würde.

Amazon kaufte Sanders‘ Lächeln und das Lob des gesamten politischen Establishments zu einem spottbilligen Preis. Die Erhöhung wird ihn kurzfristig lächerliche 1-2 Milliarden Dollar kosten, was ungefähr dem entspricht, was er jede Woche nach Hause bringt. Die Beschäftigten außerhalb der USA und Großbritanniens werden keine Lohnerhöhungen erhalten. Bloomberg Business stelle fest, dass sich die Kosten auf 0,001 Prozent der Marktkapitalisierung von Amazon belaufen.

Der größte Teil der Kosten für die Erhöhung wird von den geschätzten 789 Millionen Dollar gedeckt, die Amazon durch das Steuersenkungspaket der Regierung in diesem Jahr erhalten hat. 2017 bezahlte Amazon keinen Cent Steuern.

Darüber hinaus berichteten Amazon-Mitarbeiter der World Socialist Web Site, das Unternehmen sage ihnen, dass sie Kürzungen im Bereich der leistungsabhängigen Vergütung und Firmenanteile zu erwarten haben. Was als Erhöhung abgerechnet wird, kann sich in der Realität als Gehaltskürzung herausstellen.

Demokraten wie Republikaner sind zudem zufrieden, weil der Schritt auch das Geld der Regierung sparen wird, indem er die Abhängigkeit der Arbeiter von Sozialleistungen verringert. Dies war das ausdrückliche Ziel von Bernie Sanders' Gesetzesvorlage „Stop BEZOS Act“, der Amazon für die Kosten von Leistungen besteuert hätte, die von den Mitarbeitern in Anspruch genommen werden.

Studien zeigen jedoch, dass Arbeiter dann, wenn die Löhne von 10-13 Dollar auf 15 Dollar pro Stunde angehoben werden, mit Einkommen enden, die für Ansprüche auf Sozialleistungen zu hoch sind.

Curtis Skinner vom National Center for Children in Poverty schätzt, dass eine Erhöhung auf 15 Dollar pro Stunde einen Elternteil letztlich über 10.000 Dollar pro Jahr kosten könnte. Nach Angaben des Center for Community Solutions bekommt ein Arbeiter im Bundesstaat Ohio, der eine Erhöhung von 11,50 $ auf 15 $ erhält, tatsächlich 29 $ weniger pro Monat, weil er seinen Anspruch auf Lebensmittelmarken, Wohngeld und Medikamente verloren hat. Das ist die Absurdität des Kapitalismus.

Vor allem aber stellt das Vorgehen von Amazon die Rolle von Sanders und der vielen pseudolinken Organisationen und Gewerkschaften bloß, die in der Demokratischen Partei und in deren Dunstkreis aktiv sind. Bezos hat ihre zentrale wirtschaftspolitische Forderung („Kämpft für 15 Dollar“) in die Tat umgesetzt. Die Tatsache, dass der reichste Mann der Welt dies im Rahmen einer kalkulierten Geschäftsstrategie getan hat, die die Armutsbedingungen der Arbeiter bei Amazon kein bisschen bessern wird, sagt alles, was über den tatsächlichen Inhalt dieser angeblich großen Reform zu sagen ist.

Die Arbeiter befinden sich inmitten eines Tauziehens.

Auf der einen Seite kämpfen Bezos, Sanders und das gesamte politische und Medienestablishment verzweifelt darum, die Arbeiter zurückzuhalten, ihre Wut zu nutzen und eine Explosion des Klassenkampfes zu verhindern. Die Finanzaristokratie befürchtet, dass Forderungen nach massiven Lohnerhöhungen auf alle Branchen übergreifen und auf einen Generalstreik mit Massenbeteiligung hinauslaufen werden.

Auf der anderen Seite werden die Arbeiter bei Amazon durch ein unglaubliches Level an

Ausbeutung und Ungleichheit, mit denen sie tagtäglich zu kämpfen haben, vorangetrieben.

Um sich von den Kräften zu befreien, die versuchen sie zurückzuhalten, brauchen Arbeiter eine unabhängige Organisation und ein politisches Programm.

Viele Arbeiter bei Amazon und in verschiedenen Branchen reagieren auf die Forderung der Socialist Equality Party nach dem Aufbau von Betriebskomitees. Diese neuen Organisationen müssen unabhängig von den Unternehmen, den kapitalistischen Parteien und den Gewerkschaften sein und von den Arbeitern selbst demokratisch geführt werden. Ihr Zweck besteht darin, Arbeiter zu informieren, sie miteinander zu verbinden und die enorme soziale Kraft der vereinigten Arbeiterklasse im Kampf für soziale Gleichheit zu entfesseln.

Die Interessen der Arbeiter werden nicht durch das angebliche Wohlwollen von Milliardären wie Bezos durchgesetzt, deren gesamtes Vermögen von der anhaltenden und brutalen Ausbeutung der Arbeiterklasse abhängig ist. Die Arbeiterklasse kann nur durch den organisierten Klassenkampf zu ihrem Recht kommen. Notwendig ist ein Kampf für die Abschaffung des profitorientierten kapitalistischen Systems und dessen Ersetzung durch den Sozialismus. Dies beinhaltet die Enteignung der Vermögen der Wirtschaftsaristokratie und die Umwandlung von Unternehmen wie Amazon in soziale Einrichtungen, die von den Arbeitern selbst kontrolliert und an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtet sind.

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